Kaliningrad - Königsberg

  • Solch ein Entwurf könnte auch in Rostock, Kiel, Lübeck, Bremen oder Hamburg verwirklicht werden. Mit dem alten Stadtbild wird "gespielt", rekonstruiert wird außer dem Grundriss nichts, die alten Giebelhäuser werden "zitiert". Für Kiel oder Hamburg wäre das vielleicht ein interessantes Projekt. Liegt vielleicht daran, dass man in Deutschland mit so was schon zufrieden ist, weil nix besseres zu erwarten ist.

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • In wenigen Stunden jährt sich zum 70. Mal die Vernichtung der ostpreußischen Hauptstadt Königsberg durch britische Bomben.

    Bereits drei Tage zuvor, in der Nacht vom 26. zum 27. August 1944 hatte der erste Luftangriff der Royal Air Force schwere Zerstörungen in der Stadt verursacht, nachdem 174 Langstreckenbomber Ihre Bomben über den Stadtteilen Maraunenhof, Tragheim und Alter Roßgarten abwarfen. Dabei waren ca. 1000 Tote zu beklagen und 10.000 Menschen wurden obdachlos, nachdem rund 5% aller Königsberger Wohngebäude zerstört wurden.

    Etwas verspaetet moechte ich noch auf dieses Luftbild aufmerksam machen, das nach dem 1. Angriff aufgenommen worden ist. Sensationelle Qualitaet; im eigentlichen Stadtzentrum ist wenig getroffen worden.

    Den 2. Angriff ueberstand die Gegend um den Steindamm, wurde dann aber waehrend des Sturms auf KB zerstoert.

    http://www.luftfoto.ru/primeri/Allied_600dpi.jpg

    „Groß ist die Erinnerung, die Orten innewohnt“ - Cicero

  • Heute erschien in der "Neuen Zürcher Zeitung" ein interessanter Artikel über mögliche Bauprojekte in Kaliningrad / Königsberg. Doch die meisten dieser hochtrabenden Pläne sind ins Stocken geraten, wenigstens nimmt die Rekonstruktion der alten Synagoge Fahrt auf.

    Zitat

    In der jüdischen Gemeinde wird seit den neunziger Jahren der Plan verfolgt, die 1938 zerstörte liberale Hauptsynagoge – eine von früher fünf Königsberger Synagogen – nah am Original wiederaufzubauen. Zunächst gab es einen jahrelangen Rechtsstreit um das historische Grundstück unmittelbar gegenüber von Dom und Kant-Grabmal am anderen Ufer des Pregels. Inzwischen wurde das Grundstück gekauft; es haben sich Sponsoren aus der Gemeinde gefunden. Eigentlich sollte die Synagoge mit der für Ostpreussen so typischen Backsteinoptik und der Mischung aus neugotischen und maurischen Elementen dieses Jahr eingeweiht werden; doch der Bau wurde von politischer Seite mehrfach verzögert. Erst vor einigen Wochen konnte man die Bauarbeiten wiederaufnehmen.

    http://www.nzz.ch/feuilleton/stadt-in-bernstein-1.18632313

    In der Altstadt die Macht, im Kneiphof die Pracht, im Löbenicht der Acker, auf dem Sackheim der Racker.

    Hätt' ich Venedigs Macht und Augsburgs Pracht, Nürnberger Witz und Straßburger G'schütz und Ulmer Geld, so wär ich der Reichste in der Welt.

  • Na das wär was, wenn ausgerechnet im demographisch völlig umgepflügten Königsberg eine Synagoge rekonstruiert wird. In Deutschland ist mir diesbezüglich nichts bekannt.

  • Wobei das sicherlich nicht an den nicht-jüdischen Deutschen liegt. Niemand hätte etwas dagegen eingewendet, wenn z.B. die jüdischen Gemeinden in Dresden oder Potsdam ihre alten Synagogen hätten rekonstruieren wollen.

  • Na das wär was, wenn ausgerechnet im demographisch völlig umgepflügten Königsberg eine Synagoge rekonstruiert wird. In Deutschland ist mir diesbezüglich nichts bekannt.

    Nur weil nichts bekannt ist, heißt es nicht, dass es das nicht gibt:

    In Herford wurde die von den Nazis zerstörte Synagoge vor einigen Jahren zumindest äußerlich rekonstruiert. Ein Projekt, was durchaus Schule machen könnte.
    Link zu Palantirs Beitrag vom 13. März 2010 mit Bild

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Wobei das sicherlich nicht an den nicht-jüdischen Deutschen liegt. Niemand hätte etwas dagegen eingewendet, wenn z.B. die jüdischen Gemeinden in Dresden oder Potsdam ihre alten Synagogen hätten rekonstruieren wollen.

    Wie wahr! In Dresden hat man wirklich eine riesengroße Möglichkeit verpasst die herrliche Sempersynagoge zu rekonstruieren! Anstatt hat man einen abweisenden Bunker gebaut, der absolut uneinladsam wirkt und an dem alle nur rasch vorbeihuschen. So wie die Frauenkirche hätte auch eine rekonstruierte Semper-Synagoge ein Magnet werden können und wäre garantiert durch Spenden finanzierbar geworden!

    Schade darum...

    verschwundene-bauwerke.de

  • Hier der Link zur Präsentation des Entwurfs mit vielen Bildern, Grundrissen und Erläuterungen:
    http://www.tuwangste.ru/en/contests/contest_2/projects/358

    Es geht ja heutzutage leider nichts mit den obligatorischen "Brüchen". Mir ist denn auch der moderne Anteil im Verhältnis zu den rekonstruierten Bauteilen zu hoch. Bisher hatte ich immer gehofft, dass irgendwann eine Vollrekonstruktion kommt. Aber dieser Entwurf ist trotzdem besser als nichts. Ob und wann er kommt, weiß ich auch nicht. Man hat ja schon viele Wettbewerbe kommen und gehen sehen.

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

  • Na ja, mäßig. äußerst mäßig. Und überdies ist nicht einmal dieser Kas bereits gegessen.
    Abgesehen davon, dass einem Kaliningrad ziemlich wurscht sein kann.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Volle Zustimmung, ursus und Lingster! Das ist sehr enttäuschend. Ich glaube, aber selbst eine Vollrekonstruktion würde in dieser grenzenlosen Hässlichkeit Kaliningrads untergehen, allein die Nachbarschaft zur sechsspurigen Stadtautobahn ist bezeichnend. Das Schloß wirkte doch früher im städtebaulichen Kontext von Kaiser-Wilhelm-, Gesekus- und Münzplatz. All das ist vernichtet und die Rekonstruktion würde sicher verloren wirken. Natürlich könnte dies als Anstoß wirken, dieses gesamte Umfeld neuzugestalten. Aber einerseits sehe ich die Russen leider nicht imstande, diese monströse Verkehrsinfrastruktur zurückzubauen und andererseits hat sich nach dem Krieg das Stadtzentrum auf die Gegend um den Siegesplatz (einstmals Hansaplatz) verlagert. Königsberg hatte sein Zentrum an der Kette der drei o.g. Plätze, dem Steindamm, der Junkerstraße oder der Französischen Straße, all das ist verschwunden und Kaliningrad hat eigentlich nur noch die Gegend um den Siegesplatz, ich bezweifle, ob sich dies mit der halbherzigen Reko des Schloßes und ein paar modernistischen "Altstadt-Häuschen" ändern wird! Sorry, aber für mich ist Kaliningrad ein hoffnungsloser Fall. Schön wäre es natürlich, wenn man die Synagoge wiederaufbauen würde, aber insgesamt ist die Stadt doch zu stark geschunden worden, zu heterogen, um eine harmonische, lebenswerte Stadt zu sein :kopfschuetteln: Wie es schon ein Filmtitel sagt: "Königsberg is dead"...die einzigen Relikte aus deutscher Zeit sind doch, nüchtern betrachtet, mehrere Bauten im Zentrum, die sich an einer Hand abzählen lassen, ein paar Villen in Amalienau und Maraunenhof und die Straßenbahn, die ja leider bald sowieso auf dem Abstellgleis landet und der Stadt die letzte Urbanität raubt :augenrollengruen: So ich hoffe, die langatmigen Ausführungen eines Vierzehnjährigen haben Euch nicht zu sehr gelangweilt :biggrin: Und damit :gutenacht:

    Aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. J.W.v.Goethe

  • Zitat

    Eine Initiative möchte die in der Pogromnacht 1938 zerstörte Neue Synagoge wiederaufbauen. Das Fundament ist gelegt.
    [...] Einmal fertiggestellt, soll das Bethaus wieder den Namen seines 1896 vom Berliner Architektenbüro Cremer & Wolffenstein errichteten Vorgängerbaus erhalten. Nicht nur dies: »Auch die Fassade soll so weit wie irgend möglich der historischen Synagoge entsprechen«, erklärt die Kaliningrader Architektin Natalia Lorenz, für die das Projekt ihr erster Synagogenbau ist. »Es handelt sich aber um keine reine Rekonstruktion, das Innere wird neu gestaltet.«

    Bethaus für Kaliningrad - Jüdische Allgemeine


    Liberale Synagoge Königsberg - Wikipedia

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Zeit Online hat einen interessanten Artikel zu Königsberg und dessen Umland online gestellt. Es geht hauptsächlich darum, wie heute mit dem preußischen Erbe umgegangen wird. Auch auf Projekte, Sanierungen und individuelle Initiativen wird eingegangen.

    Link

  • An all diejenigen, die Facebook besitzen: Es gibt einen Mann, der heißt Arthur Sarnitz und dessen Facebookprofil ist öffentlich. Dieser Mann postet ganz tolle alte Fotos vom historischen Königsberg und auch ganz tolle Visualisierungen, wie die Stadt zukünftig wieder aussehen könnte. Ich weiß jetzt nicht ob man Facebookprofile hier verlinken darf. Ich mache es einfach mal und wenn dies nicht zulässig ist, so mögen die Administratoren den Link wieder löschen. Hier das Facebookprofil von Arthur Sarnitz. Es ist leider auf Kyrillisch. Aber ich "stalke" es immer wieder gerne.

    Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.

  • Für die die keine Facebook haben oder sich die Infos dort nicht öffnen lassen empfehle ich die Homepage des Projektes http://altstadt.ru/
    Die dortigen Videos sind einfach wunderbar anzuschauen, was wäre doch Königsberg wieder für eine Perle, eine Stadt mit Atmosphäre, wenn doch nur ein bisschen dieser einst wundervollen Stadt wieder käme. :!:

    Labor omnia vincit
    (Vergil)

  • Ich muss sagen, da schimmert mir schon ein gewisser Stumpfsinn durch die Zeilen dieses Interviews. Diese groteske Tendenz, Kaliningrad als Ostpreußens Herz mit lediglich russischsprachiger Bevölkerung zu betrachten. (Überhaupt, Herz welches der drei vermeintlichen Ostpreußens? Polen, Russland oder Litauen? Oder alle drei, das städtebauliche Totaldesaster als Zentrum eines Schengen Borussia?) Und Kaliningrad, bzw das lediglich russischsprachige Königsberg, das ist natürlich auch Preußen, dazu noch ein bisschen Lübeck (geht es etwa um Marzipan?), und ein bisschen Berlin sogar, der Unterschied zwischen Ostpreußen und Brandenburg-Preußen ist heutzutage schließlich ohnehin obsolet. Und genauso selbstverständlich geistern sie noch durch die Betonwüste, Kant, Kollwitz, Klopse und Konsorten. Was auch sonst, schließlich war ja alles halb so schlimm '45.
    Im Ernst jetzt, geht man tatsächlich davon aus, die Situation sei dieselbe wie in Frankfurt, Dresden, Berlin? Dass man nur noch das Stadtbild bräuchte, und dann wird alles wieder gut? Niemand käme auf die Idee, Mexico City als Tenochtitlan zu bezeichnen. Warum auch, das Aztekenreich ist Geschichte, tragische, barbarisch ausgelöschte Geschichte. Und man glaubt trotzdem, eine Stadt wie Königsberg sei selbst dann nicht totzukriegen, wenn man sie zerbombt, zerschießt, sprengt, abreißt, demoliert, verfallen lässt, umbenennt, ihr Umland teilt, ihren Staat tilgt, ihre Bevölkerung dezimiert und die Überlebenden vertreibt? Das nenne ich Optimismus.
    Man kann ja begrüßen, wenn die Kaliningrader sich die Ortsgeschichte vergegenwärtigen. Von mir aus auch rekonstruieren. Aber bitte, kein Touristenkitsch, keine pseudoversöhnende Klitterung, kein grüner Kneiphof, verdammt nochmal! Da kann man es ja gleich bleiben lassen. Das ist keine Rekonstruktion, nicht einmals kritische, eine der ehemals urbansten Stellen einfach freizulassen, weil's einem passt. Und vor allem, das alles bringt uns doch kein Königsberg zurück, nicht im geringsten. Selbst wenn man alles zentimetergenau wiederherstellen würde. Selbst Dortmund hat noch mehr von Vorkriegsdortmund, ja, sogar selbst Gdansk mehr von Danzig (ob seiner polnischen Staatlichkeit und Minderheit und dem entsprechenden Bewusstsein), als Kaliningrad von Königsberg. Eine Stadt, in der kein Deutsch, kein ostpreußischer Dialekt gesprochen wird, in der nur eine kleine handvoll Intellektueller und Heimatkundler von Kant, E.T.A Hoffmann und Herzog Albrecht gehört hat, in denen kein Lokal Klopse nach Omas Rezept serviert, in der Hundgatt, Langgasse, Schlossteich und Steindamm nicht viel mehr als die Kyrillisch geschriebenen Worthülsenprojekte von Großinvestoren sind, eine solche Stadt kann nicht Königsberg (Pr) heißen. Und dementsprechend wird es auch diese Stadt, dieses wahre Königsberg, nie wieder geben. Der Oblast Kaliningrad ist ein historischer Fremdkörper im Baltikum; damit kann man sich abfinden, von mir auch "versöhnen" (ein tolles Wort, welches durch Überstrapazierung arg an Farbe verloren hat), man kann nach Kaliningrad fahren, vielleicht, hoffentlich, wird es sich eines Tages sogar zu einer lebenswerten Stadt mausern, Heimat für die Russen werden wie einst für die Siedler unter dem deutschen Orden, sich auf der Landkarte endgültig verfestigen. Sei's drum.
    Das alte Königsberg hat Geschichte geschrieben. Es hat Schlachten gesehen, Wirtschaftsblüten, Krönungen, Perlen der Baukunst beherbergt und einige der hellsten Köpfe und größten Künstler ihrer Zeit beheimatet. Es hat seinen Platz in der Geschichte verdient und bekommen, und es ist einen furchtbaren, ihm unwürdigen Tod gestorben. Ich bitte die Verantwortlichen darum: lasst ihm wenigstens die Würde einer Totenruhe statt eines makabren Tanzes um den Leichnam. Was interessieren verkitschte Fassaden jenseits zweier Grenzen? Was zählt, ist das Bewusstsein und die Erinnerung an diesen einzigartigen Ort. Die sind es, die im kollektiven Gedächtnis notorisch zu kurz greifen.

    Form is Function.

    "Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Veränderungen der alten Bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim Alten. Denn die Wahrheit, und sei sie hunderte von Jahren alt, hat mit uns mehr Zusammenhang als die Lüge, die neben uns schreitet."

    Adolf Loos (Ja, genau der.)

    Einmal editiert, zuletzt von Mattheiser (23. Februar 2016 um 10:26)