Frankfurt a. M. - die Altstadt - früher, gestern und heute

  • Wenn man an die Aussprüche denkt, die im Zusammenhang zum Wiederaufbau des Altstadtteils gefallen sind: Keiner möchte doch heutzutage in so kleinen Hexenhäuschen wohnen! Mann- aber wahrscheinlich in solchen Zweckbauten- ist ja viel wohnenswerter!

  • beth1.jpg
    Haus zum Heydentanz, Bethmanstrasse 20(?)

    ... Doch bereits 1938 wurde die ganze Häusergruppe abgebrochen, da sie dem Durchbruch der neuen Eckermannstrasse im Weg stand (dieser Strassenzug wurde beim Wiederaufbau der Stadt allerdings wieder aufgegeben)! ...

    beth.jpg

    Als Ergänzung gerade noch meine jüngste Neuerwerbung, welche heute Morgen im Briefkasten lag... Diese Privataufnahme zeigt den Blick auf das Rathaus von der Ecke Grosser Hirschgraben - Goldfedergasse aus (ein paar Schritte südlich vom Goethehaus). Diese Ansicht wurde möglich, als für den erwähnten Strassendurchbruch ein ganzes Altstadtquartier weichen musste, darunter eben auch das Haus zum Heydentanz, welches neben dem links festgehaltenen Haus stand. Bei solchen Aufnahmen denke ich oft, wieviel wäre von den deutschen Städten bis heute auch ohne den Krieg zerstört worden...

  • Bemerkenswert bei diesen Vergleichen ist, dass zwar früher genauso alles monoton Fachwerk oder Putz war wie es heute monoton steriler Zweckbau ist, dass aber trotzdem die meisten Häuser damals sich sofort einprägen und unterscheiden lassen, wohingegen bei den Zweckbauten heute alles die gleiche Soße ist und man nicht weiß, ob es der gleiche von vor fünf Bildern ist oder ein anderer.

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Habe etwas gefunden, was das Ausgraben meines Erachtens legitimiert:

    Das Steinerne Haus an der Braubachstraße - unmittelbar in der Altstadt, an den [lexicon='Römerberg'][/lexicon] grenzend



    Ansichtskarte von L. Klement, Frankfurt a. M., nach 1906


    Bild von Restitutor Orbis, 2005


    Dank sei dem Riegel dafür! Finde es immer wieder erschreckend, wie zahlreiche wertvolle Altbauten in Deutschland noch immer ein völlig kümmerliches, verstümmeltes Dasein führen... Weckt direkt Mitleid :weinen:

  • Bei letzterem Bild bezweifle ich, dass hier irgendjemand Einwände gegen eine Wiederherstellung hätte, wahrscheinlich wäre sogar die Denkmalpflege dafür. Armselig ist einzig, dass keiner bereit zu sein scheint, für eine solche Instandsetzung Geld auszugeben. Es zeigt das gesunkene Interesse der Allgemeinheit für Architektur, wofür ich direkt die Moderne mit ihrem elenden, den Sinn für Ästhetik verachtenden Rationalismus verantwortlich mache.

  • Zur Verteidigung des gegenwärtigen Zustands ist zu sagen, dass nach dem Krieg angesichts der beschränkten Mittel schon sehr viel getan wurde, um das Haus in seinem historischen Charakter zu erhalten. Vielleicht hätte es ganz ähnlich ausgesehen, wenn es in den 20er Jahren zur Gewinnung von mehr Wohnraum umgebaut worden wäre...

    Gerade bei diesem relativ jungen Haus wäre eine Wiederherstellung des Urzustandes daher nicht die einzige praktikable Lösung. Es in seinem Erscheinungsbild harmonischer wirken zu lassen hätte bereits eine wesentliche Steigerung der Attraktivität zur Folge. Es wäre schon viel getan, wenn man wenigstens die neogotischen Fassadenelemente über den Fenstern des 1. Stocks wiederherstellen würde und im 2. Stock nach gleichem Muster hinzufügt. Der Erker könnte zum Balkon ausgebaut werden und die Brüstung mit dem Adler wiedererhalten. Das alles müsste nicht mal teuer sein, statt Sandstein könnte man eventuell auch in Formen gegossenen rot eingefärbten Kunststein nehmen. Die optische Wirkung wäre auf die Entfernung ohnehin die gleiche.

    Was sagt sie uns für Unsinn vor?
    Es wird mir gleich der Kopf zerbrechen.
    Mich dünkt, ich hör’ ein ganzes Chor
    Von hundert tausend Narren sprechen.
    Goethe, Faust I

  • Es ist wirklich interessant zu sehen, wie viele historische Gebäude nicht im Krieg zerstört worden sind, sondern beim Wiederaufbau und danach. Sicher kann man die Zeit nicht zurückdrehen und es ist klar, dass eine Modernisierung der Stadt auch nötig war. Auf die Skyline, den Flughafen usw. will logischerweise heute auch keiner mehr verzichten. Aber jetzt ist eigentlich der Zeitpunkt erreicht, wo man den Frankfurtern ein Stück Ihrer alten Baukultur zurückgeben muss. Gerade jetzt, durch die Veröffentlichungen alter Fotos und Filme und durch die bevorstehende Ausstellung „[lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon] in frühen Farbdias“ ist das Interesse der Bevölkerung and der Frankfurter Baugeschichte geweckt worden. Viele Bausünden waren doch nur aufgrund der Unwissenheit der Bevölkerung zu diesem Thema möglich. Ich denke, den Altbaubestand in Form von Rekonstruktionen von der Anzahl der historischen Gebäude her zumindest wieder auf den Stand von 1945 zu bringen, ist eine realistische Forderung. Stadt, Land und Bund müssten eigentlich auch Eigentümern von verstümmelten Altbauten Fördermittel zur Verfügung stellen, um Dächer und Fassaden wieder in ihren alten Zustand zurück zu versetzen. Der lange Franz und das Rathaus sind nur 2 Beispiele dafür, dass mit der Wiederherstellung der alten Dachlandschaft schon viel erreicht ist.

  • Zitat von "[url

    http://www.faz.net/s/Rub117C535CD…n~Scontent.html[/url]"]Frankfurter Stadtgeschichte
    Jeder Zweite trägt Uniform
    Alles schön trügerisch bunt: Der Fund farbiger Privatfotografien korrigiert unser Bild der Stadt Frankfurt in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Schon unter Hitler begann die Beseitigung der alten Stadt, deren Schönheit jetzt wiedererstehen soll.
    Von Dieter Bartetzko

    14. Februar 2011 Tiefsinn? Zufall? Eine Dame, Römernase, verhangener Blick, über den Schultern einen üppigen Pelz, schaut nach rechts aus dem Bild. Hinter ihr, abgetrennt durch dichtgereihte Gitterstäbe, reckt, ebenfalls mit Rätselaugen, eine Raubkatze ihr markantes Profil in die entgegengesetzte Richtung. Natürlich denkt man sofort an Rilkes Panther-Gedicht. Oder war es damals - die Aufnahme stammt aus den dreißiger Jahren - verboten? War es nicht. Aber der Dichter war allseits verpönt als parfümierter Schreiberling „undeutsch“ schlaffer Machwerke.

    So wird es wohl eher der Sinn für Komik oder Tragik, vielleicht ein Geistesblitz gewesen sein, der damals einen unbekannten Hobbyfotografen im Frankfurter Zoo den Auslöser drücken ließ. Frankfurts Institut für Stadtgeschichte, in dem der Schnappschuss mit den Abzügen von 149 weiteren historischen Farbdias ausgestellt ist, kann gleichfalls nur mutmaßen. Das gilt für das Zoo-Dia, das Gros der übrigen ausgestellten sowie für weitere 450 Farbdias, die der Historiker und Archivar Tobias Picard vor einiger Zeit entdeckte. In den frühen fünfziger Jahren, als das Institut noch den treffend kurzen Namen Stadtarchiv trug, sind sie von Privatleuten dort übergeben worden. Sie wurden gelagert und irgendwann in der Fülle der Materialien vergessen.

    [...]


    Sätze wie "Doch auch in dieser Geborgenheit hatte sich der Geist des „Dritten Reichs“ allmählich eingenistet: Die neuen Fassaden entkernter Innenhöfe stehen stramm wie Landser, ihre Erdgeschosse gleichen spätmittelalterlichen Festungsbauten - Kulissen, die mehr mit dem Kampfgeschrei des „Götz von Berlichingen“ oder „Florian Geyer“ zu tun haben als mit dem Getümmel der Kaufleute und Handwerker, die ursprünglich diese Häuser gestaltet und bewohnt hatten." sind freilich nur vor dem Hintergund eines jahrzehntelang eingeübten, reflexgesteuerten Umgangs mit der NS-Zeit verständlich, der auch in den kleinsten profanen Alltagsdetails die Verbrechen des Krieges sehen muss (vermutlich war selbst die Eheschließung der Großeltern ein verbrecherischer nationalsozialistischer Unrechtsakt...), aber die gezeigten Farbaufnahmen sind wirklich sehr schön.

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Zitat

    Schon unter Hitler begann die Beseitigung der alten Stadt, deren Schönheit jetzt wiedererstehen soll.

    Wenn das letzte nicht so überoptimistisch wäre - es geht tatsächlich nur um ein Bruchteil eines Bruchteils der alten Stadt, der zum Teil wiedererstehen soll.

    Im übrigen zeigt der Artikel natürlich ganz schön, wie die ältere deutsche Kultur ganzen Generationen Nachkriegsdeutscher bis ins letzte Détail madig gemacht worden ist.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Natürlich ist die permanente Schuldkult-Brille ein Ergebnis geistig-seelischer Verwirrung bzw. Erkrankung. Aber, abgesehen von dieser Grunderkenntnis jedes wirklich noch kritisch denkenden Menschen, kann man die Überschrift des Artikels auch ganz anders lesen: Wenn nämlich Hitler schon für die Zerstörung der Altstadt Verantwortung trägt, dann ist es ja gerade ein Akt der Wiedergutmachung angesichts dieses NS-Unrechts, die Altstadt zu rekonstruieren. Jeder "Antifant" müßte nun eigentlich zum vehementesten Anhänger von Fachwerk-Rekonstruktionen werden, wäre er in seiner spezifischen Logik konsequent. Denn ansonsten würde er sich ja mit dem Hitlerschen Zerstörungswerk gemein machen, ja es nun wissentlich als "Neo-Nazi" weiterführen. :zwinkern:

    Etwas anderes: Ansonsten möchte ich den Anführungen von "PJG" zur Fassadensanierung des Steinernen Hauses völlig zustimmen. Mit relativ einfachen Mitteln könnte man den Bau optisch aufwerten, dem historischen Vorbild annähern, ohne in die Substanz eingreifen zu müssen. Doch auch ein Substanzeingriff böte Chancen. Würde man die Terrasse wiederherstellen, böten sich dadurch schöne gastronomische Möglichkeiten. Es gäbe also gutes ökonomisches Verwertungspotential für ein Café-Restaurant über den Dächern der Braubachstraße.

  • Weil die Bilder perspektivisch so schön übereinanderpassen und überhaupt.

    Der Römer vor 1896, etwa um 1910 und schließlich 2011:



    Die ersten beiden sind gemeinfrei, das aktuelle stammt von Wikipedia, Benutzer "Mylius".

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Tja - hier mal eine interessante Ansicht des nördlichen Römerbergs/Braubachstraße von höherer Warte und etwa aus dem Jahr 1960:
    http://www.columbia.edu/~fdc/frankfurt/xx/521.jpg


    Und weil es so ausgezeichnet zum Titel des Stranges passt und hier (wohl?) noch nicht Erwähnung fand:
    Frankfurt am Main - Gestern und Heute
    Tolle Zusammenstellung jedenfalls.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Das erste Bild ist insofern hochinteressant, als man hier mal die freigelegten Keller am Steinernen Haus erkennen kann, insbesondere in dem Bereich, wo heute der Kunstverein-Kubus steht. Bei dem ist ja etwas umstritten bzw. nicht ganz klar, ob der Denkmalschutzstatus jetzt an dem vermeintlichen historischen Keller darunter hängt (den ich noch nie selber gesehen habe), oder am modernen Gebäude. Die sorgfältige Einrüstung des Gebäudes und die relativ sauber freigelegten Keller lassen dann ja schon annehmen, dass man diese neu aufgemauert und nicht verschwinden lassen hat.

  • Zitat

    ließ es also das nostalgische Kleinbürgertum

    Das allzu nostalgische Kleinbürgertum, dass die nach dem krieg gewonnene Erkenntnis, ihren Geschmackssinn einer selbstverliebten Architekten- und Stadtplanerelite zum Fraß vorzuwerfen, sich allmählich wieder zurückholte.

    Zitat

    Den asiatischen Touristen wird auch egal sein, daß sie ähnlich authentische Fachwerkhäuser auch in den Disneylands ihrer Heimatländer finden könnten.

    Da wären wir wieder beim Thema Totschlagargumente und deren negativer Einfluss auf die Glaubwürdigkeit des Verwenders.

    Zitat

    Die Befürworter des Neubaus der Altstadt sagen gerne, diese fördere städtisches Leben, aber das ist natürlich Unsinn.

    So seltsam es klingen mag, aber mit diesem Satz gehe ich teilweise konform. Denn das kleine Stück rekonstruierte Altstadt nützt dem städischen Leben wirklich nicht viel. Aber das damit erzeugte Signal ist natürlich komplett falsch, da das Dom-Römer-Projekt mehr als Auftakt verstanden werden sollte, auch größere Areale neu zu bebauen bzw. zu rekonstruieren, die dann dem städtischen Leben wirklich helfen.

    Zitat

    Heute aber leben, arbeiten und shoppen die Menschen anderswo, das hätte sich so auch entwickelt, wenn die Altstadt nie zerstört worden wäre.

    Aha. Altstädte sind also per Definition tote, verlassene Areale. Anmerkung für den Autor: Ein wenig Praxiserfahrung würde manchmal nicht schaden... (Okay, das war jetzt auch ein Totschlagargument, aber ich denke man erkennt, was ich meine)

    Zitat

    noch wohlerhaltene Altstädte gibt. Die nächste, am anderen Mainufer in Sachsenhausen,

    Naja, bis auf die ganz wenigen Verkehrsschneisen der 60er- und 70er-Jahre...


    Und zum Abschluss:

    Zitat

    Eine wirkliche Mitte jedoch hatte Frankfurt nur eine kurze Zeit in den Siebzigern.

    Selten so gelacht  :lachentuerkis:


    Mit Zerstörungen in der Frankfurter Innenstadt hat der Text reichlich wenig zu tun, man könnte indes eher von einer Glorifizierung des Wiederaufbaus und einer Verunglimpfung jeglicher Rekonstruktionsprojekte sprechen.