• Na letztlich kann ich mit diesem Argument der "Reko-Gegner" sogar durchaus mitgehen. Wir sollten nicht nur Altes/Verlorenes nach- und wiederaufbauen. Der Knackpunkt an der Sache ist ja: heutige Architekten sind bei Weitem nicht in der Lage, den Meistern der Gotik, Renaissance, des Barock, des Historismus, des Jugendstils oder auch des Art Deco das Wasser zu reichen. Auch die besten Traditionalisten/Neuklassiker nicht. Und so ist die Rekonstruktion verlorener Meisterwerke, aber auch einfacherer Gebäude, in den allermeisten Fällen die bessere Lösung.

    Künftig wird das vielleicht wieder anders sein, wenn wir unsere wichtigsten Perlen wieder haben, und die Architekten (ggf. mit Hilfe der Maschinen) zu neuen Höhenflügen ansetzen und auf der Basis des klassischen bis frühmodernen Formenkanons etwas Großartiges, Meisterliches, Neues erschaffen. Ich träume ja immer noch von einem organischen bis technoiden Jugendstilexpressionismus des 21. Jahrhunderts.

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    Ich würde dazu ergänzen, daß es nicht nur ein Problem des Entwurfs, sondern mindestens genauso eines der Ausführung ist. Angesichts der Leistungen von Filmarchitekten und Production Designern gibt es auch heute mit Sicherheit noch viele Kreative, die großartige Bauwerke gestalten könnten. Zum einen aber gibt es wohl keine Schnittstelle zur angewandten Architektur – bzw. würde ich vermuten, daß Menschen mit derartiger Ambition in die Filmindustrie o.ä. gedrängt werden, weil sie über lange Zeit als richtige Architekten nicht ernstgenommen worden wären. Entsprechend fehlt denen mit dem gestalterischen Geschick die technische Fertigkeit und der Zugang zum freien Markt.

    Zum anderen erfordern feinsinnige Entwürfe deutlich mehr Zeit in der Ausarbeitung der gestalterischen Details. Und sie erfordern mehr Zeit und handwerkliches Können bei der praktischen Umsetzung. Der geringe Wettbewerb trägt sein übriges dazu bei. All dies sind letztlich immense Kostenfaktoren, die dann nur noch sehr wohlhabende Bauherren für die Gestaltung ihrer Privatresidenz auf sich nehmen.

  • Wir sollten nicht nur Altes/Verlorenes nach- und wiederaufbauen.


    Du übersiehst aber - und nur dies kritisiere ich - dass Raschdorff seinen Entwurf nicht gemacht hat um an den Platz eines seit Jahrzehnten nicht mehr bestehenden Bauwerkes dass seine zu setzen, sondern einen Teil des vorhandenen Gebäudekomplexes abbrechen und durch einen Neubau ersetzen will, der sich dem Bestand nicht anpasst. Dies ist doch eine Vorgehensweise die in diesem Forum zu Recht immer abgelehnt wird und dem nicht mit dem Argument, es müsse auch etwas Neues geben, entgegengetreten werden sollte.

    Dies gilt umsomehr, als das Neue im Fall des Raschdorffschen Entwurfes gerade nicht besser ist, als das seinerzeit vorhandene.

  • Hochinteressante Geschichte! Der Berliner Kurier hat den Lagerort vieler Bruchstücke der Denkmalskirche in einem Waldstück bei Ahrensfelde (Lkr. Barnim, Berliner Stadtrand) ausfindig gemacht. Vielleicht finden die Steine auf lange Sicht ja doch noch Verwendung für einen Wiederaufbau?

    Die Spur der Domsteine - Berliner Kurier

    Dom mit Denkmalskirche (Luftbild, etwa 20er Jahre)

    Bildquelle: http://www.bildindex.de


    Als Ergänzung zu einem meiner vorigen Beiträge noch eine Abbildung einer der Säulen des Eingangs vom Schinkeldom.

    Bildquelle: TU Berlin/Fotografin Elke Weiß

    Fragt sich immer noch, wo wohl die andere sein mag...

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Das Luftfoto zeigt deutlich, dass der Baukörper des Doms ohne Denkmalkirche unvollständig wirken muss, denn der nordwestliche Eckturm wurde von Raschdorff nach Norden verschoben, über die Nordwand der Predigtkirche hinaus, um die Denkmalskirche besser in die Gesamtansicht von der Lustgartenseite aus zu integrieren. Die heute sich bietende behelfsmäßige Nordansicht des Doms macht dieses Defizit deutlich. Man kann nur hoffen, dass der Fund der Steine als Signal wirkt, den Wiederaufbau des Doms endlich zu vervollständigen.

  • Was ich nicht verstehe ist, dass der wuchtige Anbau der Denkmalkirche (dagegen erscheint der Chor unheimlich mickrig) entgegen der Hauptachse angelegt wurde. Würde man der Logik der Baumassen folgen, müsste die Fassade zum Schloss hin die Hauptfassade sein. Oder die Denkmalkirche anstelle des Chores (bzw. unter Integration eines Chorraums) an der Spreeseite liegen :wie::wie:

    Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens. - Friedrich Schiller -

  • Was ich nicht verstehe ist, dass der wuchtige Anbau der Denkmalkirche (dagegen erscheint der Chor unheimlich mickrig) entgegen der Hauptachse angelegt wurde. Würde man der Logik der Baumassen folgen, müsste die Fassade zum Schloss hin die Hauptfassade sein. Oder die Denkmalkirche anstelle des Chores (bzw. unter Integration eines Chorraums) an der Spreeseite liegen :wie::wie:

    Hätte man die Denkmalskirche an der Hauptachse, also an die Spreeseite gesetzt, hätte man den Hauptbaukörper wohl zu weit vorrücken müssen, der Lustgarten wäre "zugestellt" und vorallem die Säulenfassade des alten Museums verdeckt worden.
    Die Hauptfassade dem Schloß zuzuwenden wäre zwar ganz nett gewesen und hätte dem Bau an sich etwas mehr Schlüssigkeit verliehen, aber die Seite zum Schloß ist weit weniger präsent als die Lustgartenseite. Und es wäre wohl auch nicht optimal gewesen, die nicht wirklich schöne Seitenfassade dem Lustgarten zu präsentieren.
    So mußte man diesen -nicht ganz eleganten- Kompromiß machen, die Denkmalskirche wirkt so eher wie eine nachträgliche Erweiterung.
    Es scheint in der Tat alles etwas mißlich und und unausgegoren...

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    Die Anlage des Doms hatte durchaus auch eine programmatische Dimension. Vertikal wird das gesellschaftliche Gefüge symbolisiert, horizontal der Lauf des Lebens.
    Wer den Dom betritt, findet sich auf der Ebene des Volkes. Darüber stehen Adel und Klerus. Die kaiserliche Familie sitzt auf der Empore. Über allen stehen die Reformatoren vor den Pendentifs. Dann kommen –und nur zweidimensional als Mosaik!– die Evangelisten und über allem wölbt sich die Kuppel als Sinnbild des Himmels.
    Horizontal (und zwar vom Schloß aus gesehen!) ergibt sich eine Raumfolge aus Taufkriche, Predigtkirche und Gruft-(oder Denkmals-)kirche, die die Stationen des Lebens widerspiegelt.


    Bild: TU Architekturmuseum

    Achtung, Ketzerei-Alarm: Zumindest angesichts Vulgows Luftbildes scheint das Fehlen der Denkmalskirche die Gesamterscheinung des Doms allerdings zu verbessern. Schön wäre es, wenn aus der Brache mit Park- und Schrottplatz endlich wieder eine Grünanlage würde.

    Einmal editiert, zuletzt von Atticus (15. Juli 2015 um 19:58)

  • Habe vor Jahren mal eine kleine Entwurfsskizze für eine Kirche im Sinne des Berliner Doms gemacht. Im Stile des Barocken Klassizismus. Ist sicher nicht mein bester entwurf, aber als netter Gegenentwurf zum bestehenden Dom zu sehen. Mit dessen Fassade konnte ich mich nie so recht anfreunden:

  • Guten Tag,

    ich finde dieses Bild mit dem Berliner Dom und der Denkmalkirche so schön und man sieht auch ganz deutlich wie "zerissen" heute der Bereich um das Zentrum ist.


    (Quelle: Bundesarchiv)

    Viele Grüße :cool:

  • Der schinkelsche Befreiungsdom wäre ein Koloss gewesen. Schier unglaublich und imposant. Er hätte natürlich überhaupt nicht berlinerisch gewirkt, aber das hätte er auch nicht müssen. Der Bau ergießt sich geradezu grotesk in ausufernden gotischen Spielchen, eigentlich gänzlich untypisch für Schinkel. Aber da wollte der gute Karl wohl einfach mal die Sau rauslassen. Ich hätte diesen Bau sicher grandios gefunden, wenn auch ziemlich skurril. Ein Gozilla-Bau wie der Brüsseler Justizpalast.

    Leute ... erst mal nachlesen und nicht wieder so ein Unsinn behaupten ^^
    Die Neugotik war neben dem Klassizismus genauso typisch für Schinkel!

    Schaut euch das Denkmal auf dem Kreuzberg an oder die Friedrichwerdersche Kirche an!

  • Die Friederichwerdersche Kirche ist ein besonders herausragendes Beispiel der beginnenden Neugotik. Schinkel gelingt es hier durch klassizistische Proportionen eine für die Gotik untypische Ruhe zu erzeugen.

    Ansonsten sieht man anhand vieler seiner Gemälde einen Hang zum Mittelalter und gotischer Kathedralen.

  • Die Gerüste and der Lustgartenfront sind beseitigt und alles sieht so aus wie vorher - waren wohl nur Überprüfungen der Standsicherheit etc.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Ich mag den Berliner Dom auch! Er ist ein Meisterwerk des Historismus und ein optischer Genuss!
    Gleichwohl lässt sich nicht leugnen dass seine Monumentalität und Massigkeit das Alte Museum geradezu zwergenhaft erscheinen lassen. Selbst dem Stadtschloss stiehlt der Dom in gewisser Weise die Show. Der alte Schinkel-Dom passte in seinen Proportionen eigentlich besser hierher.


    Quelle: "Berliner Dom Museum Island" by Ksaraf - Own work. Licensed under CC BY 3.0 via Commons - https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Berl…seum_Island.jpg

  • Die Proportionen sind nicht wirklich glücklich, ob mit oder ohne Denkmalskirche. Die Lustgartenfront ist aber sehr beeindruckend, wie mir erst neulich wieder bei der Trauerfeier für Richard von Weizsäcker bewusst wurde. Um ehrlich zu sein, hab ich den Berliner Dom da das erste mal wirklich als eine Art "Staatsdom" empfunden. Wohlwissend, dass es sowas aufgrund konfessioneller Unterschiede in Deutschland nicht geben wird.

  • Die Kirche St. Canisius steht auch in Berlin.

    Danke für den Hinweis, hatte ich jetzt so nicht in Erinnerung.

    Nicht unbedingt Schinkels schönster neogotischer Entwurf.

    Das finde ich nicht. Aus meiner Sicht ist dies eine der schönsten Kirchen des 19. Jahrhunderts. Aber das ist natürlich Geschmackssache.

    Einmal editiert, zuletzt von Andreas (25. August 2015 um 16:52)