Beiträge von Philoikódomos

    Kann es sein, dass der geplante Bau zwei ursprüngliche Parzellen zusammenfasst? Dadurch scheinen die berlintypischen Proportionen gestört zu sein. Ein weiteres Vollgeschoss plus Dach würde mehr Stimmigkeit schaffen. Immerhin bringen die Breite des Gebäudes und der breite Erker eine nicht uninteressante ungewohnte Note ins Stadtbild.

    Um mich nach langer Abwesenheit endlich zurückzumelden:

    Liebe Koaru,

    Die von dir gezeigten Bilder von "postmodernen" Bauten am Kreuzberger Fraenkelufer stammen von dem Architektur-Poeten (wenn ich ihn mal so nennen darf) Hinrich Baller. Am Fraenkelufer stehen drei von dieser Sorte, eine ganze Menge weiterer Baller-Bauten findet sich über das ganze Berliner Stadtgebiet verstreut. Ich hoffe, dass sich mal jemand die Mühe machen wird, eine Monographie darüber zu erstellen.

    Ballers Bauten lassen sich nur bedingt der Postmoderne zuordnen; zurecht hast du selbst den Unterschied betont. Sie haben durchweg eine sehr charakteristische Architektursprache, die von fern an Gaudi und Rudolf Steiner erinnert und vielleicht als skulpturale Architektur eingeordnet werden kann. Leider weiß ich nicht, ob das Ballersche Büro am Lietzensee mitlerweile von einem Nachfolger in gleichem Geiste fortgeführt wird.

    Man wird diesem Gebäude nicht gerecht, wenn man nicht die bewusst modern konzipierten Details beachtet, so die eigenwilligen Dachgauben, überhaupt die Faltung des Daches, die bis zum Hauptgesims hochgezogenen Fenster. Das Gebäude lebt von der zeitgenössischen Interpretation traditioneller Formen, von der durch Widersprüchlichkeit erzeugten Spannung, die dennoch den Eindruck von Harmonie und Stimmigkeit erzeugt. Nach diesem Prinzip haben schon in früheren Jahrhunderten die großen Baumeister die Architekturentwicklung vorangetrieben, durch geringfügige Abwandlungen innerhalb eines der Tradition verpflichteten Ganzen. Somit ist das Leipziger Geschäftshaus als ein selten gewordenes Beispiel großer Architektur zu werten (was man von dem Herrnhuter Zinsendorf-Gymnasium nich behaupten kann).

    Mir ging es mehr um die Fallhöhe,

    Der Begriff "Fallhöhe" versucht in der Literaturbetrachtung plausibel zu machen, warum vornehmlich Fürsten und Könige in Tragödien als tragische Helden dargestellt werden. Anscheinend eignet sich dieser Begriff auch dazu, dem Phänomen des Verfalls der Baukultur im Nachkriegsdeutschland nachzuspüren, wobei allerdings an die Stelle künstlerischer Absicht das sich als Bußübung verstehende Unvermögen getreten war.

    Hier ist allerdings eine Differenzierung geboten. Während in den übrigen deutschen Städten nach 1945 zunächst ein integrierender Wiederaufbau versucht wurde, das Bestreben nämlich, die Wunden des Bombenkriegs möglichst unauffällig durch Anpassung des Neuen an das Überkommene hinsichtlich Materialien und Formen zu heilen, ehe die rüde Moderne auf Auflösung des traditionellen Stadtbilds drängte, verlief die Entwicklung in Hamburg eher umgekehrt. Die Moderne - wenn auch in biederem Heimatstil auftretend - verachtete das Überkommene, distanzierte sich von ihm, versuchte gar, es als Gestriges bloßzustellen; erst später fand man sich Hamburg hier und da bereit, auf integrierende Manier kriegsbedingte Lücken zu schließen.

    Ich habe - aufgrund meines Alters - noch erlebt, wie Bürgerversammlungen über Stadtbauthemen in den sechziger Jahren verliefen. Da wurde viel Unverständnis vorgebracht über das "komische" Ersccheinungsbild wichtiger Straßen im Hamburger Osten (Begrriffe wie "antiurban" hatte man nicht zur Verfügung), und der Vertreter der Baubehörde verwies etwas verlegen darauf, dass Hamburg ziemlich früh den Wiederaufbau in Gang gesetzt hatte. gewissermaßen in einer Zeit, in der radikale Vorschläge im Städtebau noch ungehemmt verwirklicht werden konnten. Darüberhinaus ist aus heutiger Sicht begreiflich, dass die großflächigen Zerstörungen im Hamburger Osten dazu herausforderten. Sie boten die Möglichkeit, radikal umzusteuern und konsequent die Backsteinstadt in Verbindung zur Stadtlandschaftsidee zu verwirklichen. Man suchte natürlich die Anknüpfung an die hervorragenden Großsiedungen der Schumacherr-Ära, allerdings ohne deren Qualitätsstandard auch nur annähernd zu erreichen.

    Diese Eindrücke sind in der Tat typisch für den Hamburger Wiederaufbau im Osten der Stadt, darüberhinaus auch in anderen kriegsversehrten Stadtteilen. Vor allem aber der Hamburger Osten, der die umfangreichsten Flächenzerstörungen in ganz Deutschland erlitten hat, hinterlässt bei dem Betrachter, der eine Vorstellung von dem Vorkriegszustand hat, geradezu traumatische Empfindungen. Man kann den Hamburger Wiederaufbau nicht als gelungen bezeichnen, die Stadt hat nur insoweit Glück gehabt, als die Bombenteppiche vor allem Osten der Stadt niedergegangen sind, wo es die Besucher der Stadt selten hinverschlägt, während die Innenstadt um die Alster herum glimpflich davongekommen ist. Der Osten der Stadt wird im öffentlichen Bewusstsein ausgeklammert Darum ist diese größte Stadtzerstörung in der Geschichte Europas so wenis bekannt und wird kaum je in den Medien thematisiert.

    Man muss dem Hamburger Wiederaufbau eine stark ieologische Ausrichtung bescheinigen. Er galt grundsätzlich als Fanal einer neuen "demokratischen" Wohnweise mit schlichter, ja biederer Architektur, ja einer Architektur der Selbstverleugnung, welche die überkommenen Gründerzeit- und Jugendstilbauten als letztlich zu beseitigende Relikte einer überholten Stadtkonzeption behandelte. Dass sie das Erscheinungsbild der niedriger gehaltenen Wiederaufbauviertel störten, nahm man in Kauf - sie würden in absehbarer Frist ohnehin verschwinden.

    Ich war indessen Zeuge, dass sich diese Bewertung des Neuen gegenüber dem Kriegszerstörten schon in den sechziger Jahren wandelte. Schon damals entstanden Bürgerbewegungen, die das unmögliche und in Deutschland einmalige Erscheinungsbild der Wiederaufbauviertel anprangerten. Schon damals bahnte sich eine Neubewertung von Gründerzeit und Jugendstil an, und die Stadtbürger lernten die erhaltenen Reste der alten Stadt mit ihren gro0zügig geschnittenen Wohnungen wieder wertzuschätzen. Aber da war die Stadt schon verhunzt, und die von Heinzer eingestellten Fotos zeigen, dass sich bis heute an diesem Stadteindruck kaum etwas geändert hat.

    Natürlich kann man bezweifeln, ob etwa der Schultes-Bau die richtige Architektur am richtigen Platz bietet. An sich aber bietet dieser Teilabschnitt der Platzwand ausgesuchte Eleganz, wie auch schon an den Visualisierungen deutlich geworden war. Ich halte es für wichtig, dass auch in unseren Reihen eine differenzierende Würdigung von zeitgenössischer Architektur stattfindet, jenseits von Pauschalbewertungen wie Bauhauskiste vs. traditionelle Architektur oder Flachdach vs. Schrägdach. Auch das vordergründig Unpassende wird durch herausragende Qualität mit seinen Nachbarn einigermaßen versöhnt. Ich weiß nicht, von wem das Diktum stammt, aber ich möchte es unterstreichen: Meisterwerke der Architektur passen immer zusammen, selbst wenn sie in unterschiedlichsten Epochen entstanden sind. Allerdings geht die "klassische Moderne" mit ihren Kontrastierungen oftmals zu weit. Auch ich hätte den Schultes-Bau mit seinen großen Glasflächen nicht neben die Bauakademie gesetzt.

    Darum müsse Kunst häßlich und brutal sein (bei Adorno heißt das "Mimesis an das Verhärtete").

    Und doch wage ich den Hinweis - ohne Adorno-Kenner zu sein - auf seinen Berliner Vortrag vor Architekten aus dem Jahr 1965 (in: Neue Rundschau 77, 1966, 4.Heft), in dem er den architektonischen Funktionalismus, das "arm Zweckmäßige" geißelt, mit Aussagen wie dieser: "Das blo0 Nützliche ... ist verflochten in den Schuldzusammenhang, Mittel der Verödung der Welt, des Trostlosen, ohne dass doch die Menschen von sich aus eines Trostes mächtig wären." und "Aber alles Nützliche ist in der Gesellschaft entstellt, verhext. Dass sie die Dinge erscheinen lässt, als wären sie um des Menschen willen da, ist die Lüge; sie werden produziert um des Profits willen, befriedigen die Bedürfnisse nur beiher,..." und "Zweckfreies und Zweckhaftes in den Gebilden sind darum nicht absolut voneinander zu trennen, weil sie geschichtlich ineinander waren. Sind doch,wie bekannt, die Ornamente, die Loos mit einer Berserkerwut ächtete, die sonderbar absticht von seiner Humanität, vielfach Narben überholter Produktionsweisen an den Dingen." und "Nichts Trostloseres als die gemäßigte Moderne des deutschen Wiederaufbaustils!"

    Aussagen, die man jedem modernistisch/funktionalistisch orientierten Architekten ins Stammbuch schreiben möchte.

    Ich habe mehrfach dafür plädiert, eher keine Rekonstruktionen zur Abstimmung zuzulassen, nicht nur, weil rekonstruierte Bauten jedem Neubau den Rang ablaufen würden, sondern auch, weil es unseren Verein in der Öffentlichkeit leicht in ein einseitiges Licht bringt. Ich wiederhole, dass es nicht um die Konkurrenz zwischen Rekonstruktion und vorbildlichem Neubau gehen darf; vielmehr stellen Rekonstruktionen eine Art Stadtreparatur dar, die nicht als Schöpfung unserer Zeit missinterpretiert werden darf. Ich meine desweiteren, dass es auch keine besondere Auszeichnung für für Rekonstruktionen geben sollte, da denkmalpflegerisch verlässliche Rekonstruktionen eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollten und es ja nicht darum geht, einen mittelalterlichen oder barocken Baumeister zu prämieren.

    Ich bin daher nicht damit einverstanden, dass die Moderation diese Auswahl ins Forum gestellt hat. Ich plädiere als Vorstandsmitglied dafür, noch weitere Nominationen abzuwarten und dann alle Vorschläge erneut zur Abstimmung vorzulegen.

    Da nun unsere beeindruckende Plakette, die wir dem Engagement von Bastian Weikum verdanken, am Haus Eisenzahn prangt (wie sieht es mit dem Museum Barberini aus?), sollten wir alles daran setzen, dass diese Plakette zu einem Markenzeichen mit Wiedererkennungswert wird, die sowohl den prämierten Gebäuden als auch unserem Verein zugute kommt. Deshalb warne ich davor, durch stets neue Vorschläge zur Aufsplitterung der Auszeichnung der Verankerung unserer Aktion im öffentlichen Bewusstsein entgegenzuarbeiten. Diese richtet sich nicht an ein Fachpublikum sondern strebt danach, sich dem Bewusstsein der allgemeinen Öffentlichkeit einzuprägen, die mit Differenzierungen, wie von Luftpost vorgeschlagen, nichts anfangen kann. Es kann nur ein Gebäude des Jahres 2018 geben, und im allgemeinen sollten wir Rekonstruktionen eher aussparen. Eigentlich sollten Rekonstruktionen tendenziell als Selstverständlichkeiten im Zuge der Wiederherstellung von Stadtbildern gewertet werden; als Gebäude des Jahres aber sollte eine Architekturleistung gewürdigt werden, die dem Architekturschaffen unserer Zeit die Richtung weist.

    Bei aller Freude über das Projekt, muss man immer im Hinterkopf behalten, dass es sich um vielleicht 5% der Fläche der ehemaligen Frankfurter Altstadt handelt - und selbst da nicht einmal die Hälfte der Häuser rekonstruiert wurde

    Es ist schon grotesk, wie der oberflächliche Habitus im heutigen Medienschaffen weithin Schlagzeilen produziert von dieser Art: "Frankfurt hat seine Altstadt wieder!" 99% der Besucher dürften keine Ahung davon haben, was einstmals unter der Frankfurter Altstadt zu verstehen war, und die Sachkenntnis der Journalisten reicht nicht weit darüber hinaus. Umso wichtiger ist unsere Aufgabe, die Erinnerung an die neben Nürnberg wichtigste unter den durch Bombenkrieg und Wiederaufbau verlorengegangenen deutschen Altstädten wach zu halten - trotz aller Dankbarkeit für das in Frankfurt Wiedergewonnene.

    Im Prinzip gebe ich dir recht. Dass wir vor zwei Jahren das Museum Barberini ausgezeichnet haben, hatte mit dem spektakulären Rang dieses Wiederaufbauprojekts zu tun. Prinzipiell aber sollten wir Rekonstruktionen eher vermeiden, denn sonst würde die Auszeichnung zu einer Bedwertung von Rekonstruktionen verengt. Allerdings frage ich mich, ob wir nächstes Jahr um eine Prämierung des Berliner Schlossbaus herumkommen.

    Deine Fotos bestätigen, was ich an anderer Stelle schon mal geschrieben habe: Die Kultur des Etagenwohnhauses hat vor der "Zeitenwende" des 1. Weltkriegs in Hamburg einen Zenit erreicht, zu dem man in keiner anderen deutschen Stadt (Ausnahme evtl. Leipzig) Ebenbürtiges findet. Ein Rundgang durch Roterbaum, Harvestehude, Eppendorf, z.T. auch Eimsbüttel und Winterhude entschädigt für endlose frustrierende Touren durch sonstige deutsche Städte. Nur in Trauer mag man sich vorstellen, wieviel solcher reifen Stadtarchitektur durch die gigantischen Flächenbombardements im Hamburger Osten verlorengegangen ist. Aber noch immer kann eine künftige Architektengeneration sich von solchen Vorzeigevierteln inspirieren lassen für eine architektonische Kehrtwende.

    Übrigens sind auch die Hamburger Wohnanlagen der Zwischenkriegszeit Spitzenleistungen, die von Fritz Schumacher u.a. gestalteten Stadterweiterungen in Barmbek, Dulsberg, Jarrestadt und vieles mehr.

    Wie schafft es das Start-up-Museum, eröffnet Anfang 2017, so erfolgreich zu sein?

    Der Fall ist einfach - zumindest für Deutschland - sensationell: ein Kunstmuseum in einem rekonstruierten Palast des 18 Jahrhunderts, wobei das Innere den Qualitäten des Außenbaus zu entsprechen sucht, ohne modernistische Brüche und Provokationen, in zeitgemäß imterpretierter und dem Zweck angepaster Palastarchitektur, die womöglich einen stimmigeren Zusammenklang zwischen Außen- und Innengestalt erreicht als sie im Vorkriegszustand des Gebäudes gegeben war.

    Die Besucherfrequenz des Museums, die "Abstimmung mit den Füßen" beweist, dass die Bevölkerung mit ihrem unverbildeten Geschmacksempfinden solche Großtaten zu schätzen weiß. Es ist zu hoffen, dass Bauherren und Mäzene zunehmend mehr auf das Urteil einer gebildeten Öffentlichkeit hören werden als auf das einem vorgeblichen Zeitgeist höriger Architekturideologen.

    Im Krieg unbeschadet geblieben, wurden zur Bundesgartenschau 1961 sowohl der Rosengarten als auch der ovale Theatersee beseitigt und mit recht viel Beton "zeitgemäß" umgestaltet,

    Eine der schlimmsten städtebaulichen Freveltaten im Nachkriegsdeutschland. Ein solches Ensemble von innerstädtischen Architekturperlen, die eingebettet waren in Gartenanlagen mit hochstämmigem Baumbestand, königlichen Alleen und skulpturengeschmücktem Teich konnte man nicht leicht ein zweites Mal in Deutschlland finden. In einem Akt unvergleichlicher Barbarei wurde sowohl der Obere als auch der Mittlere Schlossgarten geopfert, um einen modischen Stadtgarten nach damaligem Geschmack anzulegen. Der Vergleich ist nicht zu weit hergeholt, wenn man sich vorstellt, die Pariser hätten damals die Tuileriengärten abgeräumt, um der neuen Zeit gerecht zu werden. Aber der Geschichtshass wütete eben nur in Deutschland.

    Vor vielen Jahren wurde einmal - in einem Moment historischer Besinnung - in der Lokalpresse die Frage gestellt: "Was ist schöner, der Eckensee oder der ovale See?" Als ginge es um solche geschmäcklerische Fragestellung! Damals wurde betont, dass der 60er-Jahre-Gestaltung mittlerweile auch eine gewisse schützenswerte Historizität zukomme. Da muss wohl erst eine andere Generation das Sagen bekommen, zu deren geistiger Vorbereitung wir alle unser Teil beitragen.