Hamburg - nördliche Innenstadt, Gänsemarkt

  • Ich sehe in der Neufassung eine deutliche Verbesserung. Die etwas anders strukturierten Attika-Geschosse fallen weg. Aber nur bei dem mittleren Bau mit den Rundbögen ist das ein Verlust. Die Fassaden wirken nun insgesamt beruhigt und solider. Vor allem aber ist das Dach nun viel besser durch das grünliche Blech statt der dünnen weißen Stäbe. Die Gebäude wirken jetzt somit hanseatischer.

  • Trotzdem nur eine weitere Auflage des deutschlandweit gleichermaßen belanglosen Modernismus, der hier ein bisschen auf klassisch (ein Rundbogen als maximales Zugeständnis) und hanseatisch macht. Mit solcher Architektur sollten wir uns eigentlich nicht zufriedengeben.

    In dubio pro reko

  • deutschlandweit gleichermaßen belanglosen Modernismus, der hier ein bisschen auf klassisch (ein Rundbogen als maximales Zugeständnis) und hanseatisch macht

    Ich sehe hier mehr Gemeinsamkeiten mit Traditionalismus und Postmoderne als mit dem üblichen International Style.
    Bei hochwertiger Ausführung dürfte das ein stimmiges Ensemble werden, das gut zu Hamburg passt.

    Freilich würde auch mir eine konsequent historisierende Variante noch besser gefallen. Oder womöglich gar eine Reko. Was stand dort mal?

  • Freilich würde auch mir eine konsequent historisierende Variante noch besser gefallen. Oder womöglich gar eine Reko. Was stand dort mal?

    Ich habe keine frei verlinkbaren Aufnahmen des alten Gänsemarkts gefunden, wohl aber jede Menge mit Zugangsbeschränkung (Printerest z.B.). Die Bebauung war dort vorher recht heterogen, und längs der Büschstraße nur 3-geschossig. Keines der Gebäude war IMHO besonders wertig.

    Meinem Empfinden zeigte der Gänsemarkt bis zum 1. Weltkrieg - ebenso wie weite Teile der übrigen Neustadt - auch rund 300 Jahre nach der Einbeziehung in die Stadtmauern teilweise noch "Vorstadtcharakter".

    Die Umwandlung in einen geschlossenen, konsequent großstädtischen Platz hatte auf der Ostseite in der Gründerzeit begonnen, wurde in den 1920ern (Finanzdeputation, Deutschlandhaus) fortgesetzt und erst den 1970ern, 1980ern und 1990ern komplettiert.

    Das einzige Gebäude, das gewissermaßen eine Reko ist, ist die aus Straßenperspektive rechte Hälfte der Zentrale der Stadtbäckerei aus den 1980ern. "Gewissermaßen" deshalb, weil einerseits die linke Gebäudehälfte zitiert wurde, historisch dort aber nichts vergleichbares stand.

  • Am Gänsemarkt ist der Neuaufbau des Deutschlandhauses von 1929 schon weit fortgeschritten:

    Rechter Hand, an der Nordseite des Platzes, wurde eine veritable Bausünde aus den 1970ern abgerissen.

    Stattdessen entsteht dort dieser optisch dreigeteilte Neubau. Der Dachaufbau des linken Gebäudeteils sieht so aus, als wäre der Entwurf am Computer mit der Maus zurechtgezuppelt worden, nach dem Motto, da muss jetzt aber noch ein Dach rauf. Die Entwicklung eines zum Gesamtbau passenden Dachs, beispielsweise über einem entsprechenden Traufgesims, scheint heutzutage eine echte Herausforderung für Architekten zu sein. Vielleicht macht die KI das einmal besser.

    Das Plakat zeigt ein gesundes Selbstbewusstsein. In Berlin wäre dieser Slogan irgendwie unpassend. Es stimmt, dass Hamburgs City schön ist, dazu später mehr in einem anderen Strang. "Wunderschön" ist meines Erachtens nun aber noch etwas anderes.

    Gründerzeitler rechts vom Deutschlandhaus:

    So geht es rechts neben der Baustelle weiter Richtung Jungfernstieg:

    Entgegengesetzte Blickrichtung auf den nach allen drei Seiten abgeschlossenen Gänsemarkt:

    Das imposante Gebäude der Finanzdeputation vom Architekten Fritz Schumacher, 1919-26:

    Schöne Details. Noch in der Weimarer Zeit verstand man den Entwurf eines Gebäudes als Gesamtkunstwerk.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Ich finde, im Großteil aller Fälle sieht Hamburgs moderne Architektur (also dass was so in den letzten 20 Jahren so gebaut wurde) gut aus und fügt sich in ein sehr interessantes und tatsächlich visuell ansprechendes Patchwork aus alt und neu ein.
    Hamburg ist eine schöne Stadt trotz viel Moderne.

  • Trotzdem - es bleibt eine deutliche Verschlechterung (N-Seite) des äußerst guten und noblen Vorentwurfs. Warum musste das sein???

    Der Satz mit der "wunderschönen City" kommt mir ein bisschen "künstlich" vor, so als würde man sich selber im Finstern Mut zusprechen. So gesehen erscheint dieses Selbstbewusstsein zwar nicht "krank", aber auch nicht ganz gesund. Wobei damit nicht gemeint sein soll, Hamburg wäre das schiere Gegenteil. Hamburg ist recht sehenswert, ja sogar halbwegs schön, aber in einer richtig schönen Stadt wäre die Affichierung eines solchen Slogans ziemlich lächerlich.

    In Berlin wäre dieser Slogan irgendwie unpassend.

    Wahrscheinlich ja. In Köln wohl noch mehr. Wie wäre es aber in München? Von Wien oder Prag ganz zu schweigen? Solche Sätze zeigen eben, dass man sich dieser Sache nicht so ganz sicher ist. Wien etwa brüstet sich nicht mit seiner Schönheit, die eh ein jeder sieht (trotz aller entgegengesetzen Versuche der Stadtverwaltung), sondern macht auf "weltstädtisch". Das wiederum ist in Hamburg aufgrund der Hafenlage nicht so sehr das Problem. Dass die jubilierende Betrachterin zwar auch eher "weltmännischen" Ursprungs ist, hat eher die Ursache, dass ein solcher Beifall naturgemäß "von außen" kommen soll.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Das ist tatsächlich gar kein Klischee, dass sich die Hamburger mit einer schönen (sogar der schönsten deutschen) Stadt brüsten.
    Ich habe mal mit einem großen Hamburger Buchverlag gearbeitet, und wurde von diesem einige Male nach Hamburg eingeladen. In Emails im Voraus wurde ich bereits öfters auf die Schönheit der Stadt von der Redakteurin hingewiesen, und bei einem Verlags-Dinner saß neben mir ein Verlagsmensch, der, als ich erwähnte, dass ich mich als recht junger Mensch, für Architektur (vor allem historische) interesse, mir vollmundig und mit größter Überzeugung erklärte, dass und warum Hamburg die schönste Stadt Deutschlands sei. Ich habe aufmerksam und interessiert zugehört, und immer mal wieder brav genickt. :)

  • Der nördliche Teil der Colonnaden weist leider 2 oder 3 Bebauungslücken auf, das hässlichste Gebäude ist sicherlich dasjenige mit der Hausnummer 72:

    (Applemaps)

    Die Hässlichkeit dieses Hauses ist auch schon wieder typisch Hamburg. Nicht einmal für die gleiche Traufhöhe hat es gereicht. Das hat wie gesagt selbst Hannover mit seinem Wiederaufbau deutlich besser hinbekommen. Jenun, ersetzt werden soll es durch dieses sehr gelungene Gebäude:

    C72 | BECKEN

    Traufhöhe wiederhergestellt, angepasste Fassade (leider musste ein zusätzliches Geschoss "reingequetscht" werden). Das Ganze atmet wie heute üblich zwar einen 50er-Chic, aber ist natürlich trotzdem um ein Vielfaches besser als der Bestand. Das Beispiel zeigt im Guten, was -auch modern gestaltete-Stadtreparatur alles erreichen kann. Hamburg wäre nicht Hamburg, wenn es nicht gleich gegenüber noch ein ziemlich abschreckendes Beispiel geben würde:

    (AppleMaps)

    Der linke der beiden Neubauten ist anscheinend ein etwas ungelenker, "spätpostmoderner" Bau aus den 90ern, immerhin wurde das Erdgeschoss wie bei seinem linken Nachbarn abgesetzt, der Bau stört kaum. Aber das rechte Gebäude ist natürlich ein Kracher. Ich finde es gar nicht für sich alleine besonders hässlich, aber es passt natürlich 0 in die Umgebung.

    Besonders alt wirkt es auch nicht (5? 10? Jahre) und eignet sich somit gut als Gradmesser für den architektonischen Wandel beim Bauen im Bestand der jüngsten Zeit.

  • Das Gebäude Gänsemarkt 36 wurde nun von der Stadt Hamburg zurückgekauft und wird für einen zweistelligen Millionenbetrag denkmalgerecht saniert.

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    Der rote Backsteinbau am Gänsemarkt ziert seit 97 Jahren das Hamburger Stadtbild. Einst für die Finanzdeputation erbaut, ist es noch heute Dienstsitz der…
    www.welt.de
  • Sehr interessant die ablehnende Haltung der lokalen CDU zum Thema. Einmal mehr verstehen ausgerechnet die "Konservativen" nicht, welchen Wert der Erhalt solcher Bauwerke für die Stadt hat.