Posts by Heinzer

    ÖPNV stört v.a. diejenigen, die ihn nicht nutzen. Deshalb wollen alle Autofahrer auch am liebsten U-Bahnen in jeder Stadt. Busse stören noch relativ am Wenigsten, deshalb sind sie für Autofahrer die zweitbeste Lösung. Straßenbahnen sind aus dieser Perspektive natürlich nervig, weil sie da zu sein pflegen, wo Autofahrer auch sein wollen (ähnlich wie Radfahrer), also eine direkte Konkurrenz um Platz besteht.

    Es gibt einige gute Argumente gegen Straßenbahnen. Lärm ist sicher einer, v.a. in Kurven, Oberleitungen ein weiterer, insgesamt sind sie relativ langsam, v.a. wenn sie wirklich auf der Straße und nicht auf separaten Gleiskörpern fahren, und unflexibel. Dafür sind sie vergleichsweise billig in Bau und Unterhalt, gut und barrierefrei ohne teure Infrastruktur für jedermann erreichbar, haben kürzere Haltestellenabstände als U-Bahnen und eine deutlich höhere Kapazität als Busse.

    Im Moment feiern Straßenbahnen oder moderner Stadtbahnsysteme entgegen allen Vorhersagen global sogar eher eine Renaissance. Alle Alternativen wie zum Beispiel schienenfreie Systeme (Translohr in Frankreich), Einschienensysteme, Oberleitungsbusse, Doppelgelenkbusse (wie eine Zeitlang in Hamburg auf den stärkstfrequentierten Buslinien) sind teurer und schlechter für diesen mittleren Kapazitätsbereich.

    Was sich am ehesten noch verbreiten wird sind oberleitungsfreie Straßenbahnen, die zumindest in optisch sensiblen Bereichen dann ein paar Stationen ohne Oberleitung auskommen dank Batterie. Mittelfristig sind -ähnlich wie jetzt schon immer öfter bei Bussen- auch komplett oberleitungsfreie Straßenbahnen denkbar, die immer nur an den Endhaltestellen oder an ein paar zentralen Punkten mit längeren Aufenthalten per Oberleitung oder per Induktion nachladen.

    Ja, vor einiger Zeit ist eine Gruppe von Phantasten auf die ihrer Meinung nach glorreiche Idee gekommen, dass Lübeck wieder eine Straßenbahn (neudeutsch "Tram") haben müsste. Es gibt mittlerweile sogar einen Verein "Tram für Lübeck e.V.". Ich persönlich halte diese Idee für - mit Verlaub - hochgradig schwachsinnig. Herzhaft lachen musste ich gerade über diese Sprüche auf der o.g. Seite:
    "Eine moderne Tram ist wendig und platzsparend." "Eine Tram bring wirtschaftliche Vorteile für das Verkehrssystem und die Stadt."

    Eine Straßenbahn bringt gegenüber dem bestehenden Busverkehr nur einen Vorteil, wenn sie auf einer eigenen Trasse - unabhängig vom motorisierten Individualverkehr fährt. Ansonsten stünde sie genauso im Stau wie jetzt die Busse. Und bevor ich den ganzen Aufwand mit den Gleisen, Oberleitungen, Ertüchtigungen der Brücken, Umbauten der Kreuzungen und Kreisverkehre etc. betreibe, kann ich genausogut auch einfach die Busse per Busspuren auf eigene Trassen bringen. Beides aber scheitert meiner Meinung nach schlicht am zur Verfügung stehenden Platz. In den breiten vierspurigen Magistralen Fackenburger und Schwartauer Allee kann man sich das vielleicht noch vorstellen, aber in der Ratzeburger Allee hört es doch schon auf: Hier werden gerade zwei der vier Fahrspuren zu einem Fahrradschnellweg umgewidmet - wo sollte da dann noch eine eigene ÖPNV-Trasse hin? Ganz zu schweigen, von der nur zweispuren Moislinger Allee oder weiten Teilen der Ziegelstraße - hier würde gar nichts gehen.

    Ich wäre auch gespannt, wie sich die Bahn durch die enge S-Kurve zwischen Holstentor und Salzspeichern schlängeln würde - da bleiben ja die viel kürzeren Busse jetzt schon an den Kantsteinen hängen. "Lustig" wäre es auch, die Bahn sich durch die engen Altstadtstraßen quälen zu sehen. Die historischen Häuser würde unter dem Gerumpel sicher auch sehr leiden.

    Für mich ist die Idee nichts weiter als ein extrem teures Hirngespinst, dessen Realisierung ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann.

    Hier muss ich Civitas Fortis klar zustimmen. Eine Straßenbahn kann sehr wohl eine extrem positive Sache für praktisch jede Stadt sein. Frankreich hat es vorgemacht, dass das auch für mittelgroße Städte wirtschaftlich funktionieren kann und mit einer enormen Verbesserung des Stadtbildes und der Lebensqualität einhergehen kann. Dass Deutschland bei diesem Thema so mutlos ist, ist bezeichnend für den Zustand unseres Landes. Während überall in Europa und der Welt Straßenbahnnetze neu gebaut werden in Städten, die diese wie in Westdeutschland alle nach dem Krieg allmählich abgewirtschaftet und geschlossen haben, ist in Deutschland hiervon nichts zu sehen. Argumente sind immer die gleichen abgestandenen Sachen von den Kosten bis zum Platzmangel, alles natürlich Dinge, die in allen Städten, die eine neue Straßenbahn bekommen haben, Thema waren und die magischerweise andere Länder anscheinend irgendwie gelöst haben. Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass schienengebundene Verkehrsmittel wesentlich mehr genutzt werden als Busse. Wenn ich die Wahl zwischen einem Stadtbus und einer Bahn habe, nehme ich immer die Bahn.

    Ich kenne aber die Verhältnisse in Lübeck nicht und möchte mir kein Urteil über die Sinnhaftigkeit einer solchen Sache erlauben. Wenn man sich ein bisschen mit dem Thema beschäftigt, beginnt man nur die überall und immer bis in Details des Wortlauts gleichen Abwehrreflexe etwas kritischer zu sehen.

    Lübeck hatte übrigens zusammen mit Kiel und Braunschweig das einzige Straßenbahnnetz der Welt mit 1100mm Spurweite. Seit die Lübecker Straßenbahn 1959 endgültig geschlossen wurde und dann Anfang der 80er die in Kiel (als eine der letzten der Nachkriegsschließungswelle im Westen, schon bei der Schließung bereut), ist Braunschweig nun die einzige Stadt der Welt mit einer Straßenbahn mit 1.100 mm Spurweite. Nicht, dass das in irgendeiner Weise relevant wäre, es ist eben so eine kleine interessante Geschichte. In Deutschland sind viele Straßenbahnnetze normalspurig (1435 mm) oder meterspurig (zum Beispiel im Ruhrgebiet und in vielen kleineren Städten im Osten).

    Ja, es sind sehr viele, aber meist kleine Schritte. Viele fallen sogar Leuten wie mir kaum auf. Neben den Fassaden sind auch Dinge wie Vorgartengestaltung, Gartenzäune usw. wichtig für den Eindruck. Auch dort passiert relativ viel in die richtige Richtung, weg von komplett gepflasterten Einöden zu kleinen grünen Oasen, Jägerzäune werden durch immerhin an das Original angelehnte Spritzgusszäune ersetzt etc.

    Trotzdem geht es nur sehr langsam voran, in manchen Stadtteilen gar nicht. Das Haus in der Herderstraße, die hier wiederholt Thema war, ist nun praktisch fertig, vorher:

    Heute:

    Man hat sich für den sandfarbenen Anstrich des Nachbarn entschieden.

    Ja, Kronsrode ist schon speziell. Ich habe das in natura ja nur letztes Jahr einmal auf dem Weg zu einem Konzert auf der EXPO-Plaza gesehen aus der Bahn und war beeindruckt von den Ausmaßen. Ein so großes, reines Wohngebiet im Neubau und "auf der grünen Wiese" sucht -glaube ich- in Norddeutschland seinesgleichen. Man könnte vielleicht noch die Hafen-City nennen, aber die ist ja trotz des weitgehenden tabula rasa-Ansatzes eigentlich ein Umnutzungsgebiet und außerdem gibt es auch reichlich Büro- und andere Mischnutzungen.

    Bin mal gespannt, wie das dann fertig wirkt. Du hast schon recht, dass diese Konzentration von Klinkerbauten sehr variabler Qualität alleine auch kein Qualitätsgarant ist. Die Anleihen sind natürlich offensichtlich, gerade in Hannover, aber wie das dann funktioniert am Ende, ist jetzt noch nicht abzusehen. Interessant finde ich auch die Dichte so weit draußen. Auf dem Weg dahin befindet man sich eigentlich schon in klar suburbanen Räumen mit Dominanz von Einfamilienhäusern und kleineren, einzelstehenden Mehrfamilienhäusern und dann kommt da nochmal so ein praktisch innerstädtisch dichtes Viertel direkt am Stadtrand. Das hat fast was von den Demonstrativbauprojekten der 60er und 70er, auch wenn natürlich Hochhäuser/Blocks fehlen und das ganze im Blockrand bebaut wird.

    Ihr könnt mich schlagen, aber diese Bebauung am Ort eines Gebäudes der Neuapostolischen Kirche aus den 1960er Jahren ist so schlimm nicht:

    Oder sagen wir so: Es ist schlimm, aber aus der unendlich öden Kistenform mit weiß verputztem WDVS ist hier mehr rausgeholt worden als üblich.

    Reportage über Kronsrode:

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    Ich würde im Übrigen noch nicht einmal vorbehaltlos unterschreiben, dass Hamburg eine schöne Stadt ist.

    Danke. Ich weiß auch nicht, wie ich hier in den Fanclub der unkritischen Lobhudler Hamburgs gekommen bin. Ich bin auch alles andere als überzeugt von der Stadt. Ich habe viele Versuche hinter mir, sie wirklich liebenzulernen, aber es bleibt immer ein Geschmack. Doch zu piefig irgendwie, zu gewollt, zu hässlich an vielen Orten. Da geht es Hamburg genauso wie anderen zerbombten norddeutschen Städten.

    Der Wiederaufbau war vielfach sogar exzeptionell schlecht, die ganzen Unorte des Hamburger Ostens, an tosendem Verkehr und überdimensionierten Straßen vorbei, die geradezu ärmlichen, gedrungenen Notbauten neben prachtvollen Gründerzeitlern (hatte zahlreiche Beispiele für dieses sehr hamburgische Phänomen eines 5-stöckigen, knalleweißen Jugendstilkrachers neben uringelben dreistöckigen Notbauten gebracht).

    Dort, wo das alte Hamburg zu sehen ist, halte ich es für grandios. Die Form, Gestaltung und Dichte v.a. der unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg oder zumindest ab der Jahrhundertwende entstandenen Stadterweiterungen sucht in Deutschland, und ja, auch in Leipzig und Berlin ihresgleichen. Die von Reichtum und der Pracht der letzten Jahrhundertwende geprägte Innenstadt ist ebenfalls einmalig, wenn man auf große Städte und metropolitane Architektur steht.

    Der Rest ist sogar eher unterdurchschnittlicher Murks, erträglich gemacht durch die von Wasser geprägte naturräumliche Realität. Das mit gleichen Traufhöhen und Fassadenfluchten und -gestaltungen hat Hannover zum Beispiel 5x besser hinbekommen in den teilzerstörten Gebieten. Da findet man praktisch nie gelben Wiederaufbauklinker neben hellen Gründerzeitputzfassaden, auch keine permanent nach vorne und hinten springenden Fassaden oder absurd springende Traufhöhen. In Hamburg sieht gerade in diesem Übergangsbereich zwischen totaler Zerstörung im Osten und den erhaltenen Bereichen westlich der Alster heute noch an vielen so Stellen so aus, wie ich mir das 1955 vorgestellt hätte, mit wie faulen Zähnen in einem kaputten Gebiss allein in den Himmel ragenden Gründerzeitlern zwischen Schotterparkplätzen, einstöckigen Provisorien und diesen vollkommen ungeeigneten gedrungenen Klinkerblöcken direkt nebenan.

    Das ändert aber alles nichts daran, dass ich das, was in der Innenstadt passiert und auch in manchen peripheren Lagen, für bemerkenswert halte.

    Da sind wir dann tatsächlich verschiedener Meinung. Das Elisenpalais finde ich zum Beispiel auch nicht ohne Tadel, es bleibt das Gefühl, dass man das irgendwie besser hätte machen können, gerade in Hamburg. Könnte aber auch einer der seltenen Fälle werden, wo die Visualisierung schlechter als das gebaute Ergebnis wird.

    Ich würde auch tatsächlich die klinkersichtigen Fassaden gar nicht zu den stärksten zählen (Johann-Kontor zwar gut, aber wie Elisenpalais nicht herausragend) - ich bin eher begeistert von den Ersatzbauten im "Weißen Hamburg", diese ganze metropolitane klassische Moderne wie zum Beispiel bei dem Gänsemarktprojekt, am Alten Wall oder in Bergedorf sowie den Ertüchtigungen kaiserzeitlicher Architektur auf sehr hohem Niveau, wie oben gezeigt oder bei den Stadthöfen, die ich in diesem Thread bisher vergessen hatte, die aber auch ein ziemlicher Kracher sind:

    Flanieren, Shoppen und Genießen: Willkommen im Facettenreich Stadthöfe!
    Erleben Sie die einzigartige Architektur, exquisite Restaurants und Geschäfte der Stadthöfe Hamburg. Ein unvergesslicher Urlaub mitten in der Stadt.
    stadthoefe.de

    Kann ich vielleicht noch einen extra Post zu machen. Extrem schicke Geschichte.

    Ich bleibe bei meiner Meinung, dass Hamburg in diesem Kernbereich mehr richtig als falsch macht, auch dieses Großprojekt am Alten Wall, wo wirklich in die Jahre gekommene 90er-Fassaden durch klassische "Mid Century"-Moderne ersetzt werden (übrigens wie am Besenbinderhof auch dort mit Unterteilung einer langen Fassade in zwei kleinere, verschieden gestaltete Fassaden).

    Gibt aber wirklich noch mehr ganz gute Sachen aus Köln, hier zum Beispiel:

    COLOGNE | Projects & Construction
    www.skyscrapercity.com

    Ist sicherlich alles einen Tacken moderner, aber Köln liegt gerade noch nördlich genug, dass die auch dort sehr verbreiteten Klinkerentwürfe (oft in verschiedenen Farben) nicht deplaziert wirken. Viele Umnutzungen von Gewerbearealen, ehemaligen Eisenbahnbereichen etc. Ich finde das tlw. echt gut, wenngleich nicht alles. Auch gut war das "Laurenz-Carree", allerdings ruhen dort die Bauarbeiten wegen Insolvenz. Insofern ist nicht alles Gold, was glänzt.

    Dass diese Threads ganz zwangsläufig subjektiv sind, ist ja auch klar. Richtig "streiten" muss und kann man sich hier gar nicht. Mein Eindruck ist, dass in Hamburg wirklich eine ganze Menge guter Sachen entstehen (keineswegs nur in der Innenstadt) und natürlich leider auch genauso viel Grütze (Pergolenviertel beeindruckt mich zum Beispiel nicht so richtig, Hafencity auch sehr gemischt, um es nett zu sagen, genannt wurde auch schon das Münzviertel).

    Hamburg hat den "Vorteil", dass auch zentral eine Menge Stadtreparatur möglich ist (zum Beispiel in München oder Leipzig viel weniger möglich/nötig), aber die Innenstadt trotzdem keine unrettbare modernistische Wüste ist, sondern eben praktisch durchgehend Anknüpfungspunkte bietet, so gesehen mit dem vorhandenen Kapital und den genannten Oberbaudirektoren eben eine ideale Mischung bietet.

    Mein Vorschlag bleibt, dass derjenige, der der Meinung ist, dass andere Städte da mithalten können oder gar besser dastehen, gerne den enstprechenden Thread starten kann. Und würde mich sozusagen darüber freuen, wenn dieser Trend keine Hamburgensie ist.

    Ich schulde Dir auch noch eine Antwort auf die Frage des prosperierenden Braunschweigs. Das werde ich dort beantworten. Bzgl. der Bekanntheit der Projekte: Vollkommene Zustimmung, man könnte diesen Strang als "Like-fischen" bezeichnen, denn nahezu keines der Projekte war hier noch nicht Thema. Snork hatte auch eine sehr gute Gliederung der Innenstadt eingeführt, in der praktisch alle hier diskutierten Projekte schon gezeigt waren, die ich mit diesem Strang jetzt gesprengt habe. Trotzdem sieht man ja an den Reaktionen, dass diese Threads anscheinend nicht die Aufmerksamkeit bekommen hatten, sonst würden wir hier nicht die mit Einführung von Like-Smilies etc. selten gewordenen geschriebenen Positivreaktionen weiter oben lesen.

    Den Anlass für diesen Thread hat letztlich dieses Projekt in Bergedorf gegeben (RE: Hamburg - Baugeschehen), bei dem ich kaum glauben kann, dass sowas jetzt gebaut wird. Das war für mich einfach so typisch Hamburg. Ich glaube auch nicht, dass dies reiner Zufall oder nur dem Geld geschuldet ist, das in der Hansestadt weilt, sondern schon, dass dies auch aktiv begleitet und gefördert wird durch die beiden Oberbaudirektoren Jörn Walter (bis 2017) und dem Franz-Josef Höing (seitdem).

    Diese verfolgen ein aus meiner Sicht ideale Konzept für europäische Städte: Eine klare Abwendung oder zumindest sehr sparsame Dosierung von modernistischen Experimenten in historisch sensiblen Kontexten mit Wiederherstellung von Straßenräumen und alten Blockrändern in diesen Kerngebiet(en) inklusive Ersatz der schlimmsten Bausünden, wenn sich entsprechende Gelegenheiten ergeben. Weiter außerhalb/auf grünen Wiesen darf sich der Modernismus austoben und zeigen, was er kann (Hafen-City, genanntes Münzviertel). Dies ist NICHT Zufall und auch nicht nur Folge des reichlich vorhandenen Kapitals in der Stadt, sondern so geplant und das mit einer jetzt fast 2 Jahrzehnte haltenden Kontinuität, die sich mit den üblichen Verzögerungen nun auch eindeutig im Stadtbild niederzuschlagen beginnt.

    In Köln mag es sein, dass ich da übertreibe und das selektiert wahrnehme, ich "folge" einem Kölner in einem anderen Architekturforum, und bei seiner Auswahl an Projekten ist mir durchaus auch eine Neigung zu wirklich gut gestalteten und reparierenden Projekten aufgefallen, was in Köln aufgrund der umfassenderen Zerstörung fast noch höher bewerten muss.

    Heinzer
    November 7, 2019 at 2:18 PM

    Es gibt auch in der Altstadt einige gute Projekte zur Zeit. Bin jetzt zu faul, das alles rauszusuchen. Trotzdem unterliege ich ganz zwangsläufig und ja auch angekündigt einer "selection bias" in Bezug auf Hamburg, das mich einfach mehr interessiert als, sagen wir, Stuttgart. Insofern werde ich diesen positiven Trend in Hamburg sicherlich leicht überzeichnen und den in anderen Städten vielleicht übersehen oder geringschätzen. Aber das können jeweilige Foristen aus diesen Städten oder andere Interessierte jederzeit ändern. Wenn hier einer einen Strang "Neuklassische Innenstadtarchitektur und Stadtreparatur in xy" aufmacht, werde ich der erste sein, der den anklickt und reagiert.

    Eine letzte Aussage zu Berlin: Natürlich wird in der Masse dort mehr passieren, aber das geht natürlich angesichts der Größe des etwas diffusen Innenstadtareals mit (mindestens) zwei Kernen auch mehr unter. Die oben gezeigten Projekte sind allesamt nur jeweilige Katzensprünge voneinander entfernt, tlw. in Sichtweite - da entsteht dann natürlich sehr massiert in kleinen Arealen der Eindruck einer großen Verbesserung auf engem Raum. Ansonsten natürlich Zustimmung: Im Wohnungsbau sowieso und auch bei diesen Geschäftshäusern wird in Berlin in der Summe wahrscheinlich mehr passieren als in Hamburg, aber eben auf einer viel größeren Fläche.

    Vielen Dank für die Rückmeldungen! Ich bin wirklich der Meinung, dass Hamburg im Moment diejenige deutsche Großstadt ist, die am Ehesten halbwegs konzertiert Stadtreparatur im Innenstadtbereich betreibt. Wir sehen zwar überall immer mal ganz gelungene moderne Entwürfe gewinnen, aber so systematisch geschieht dies praktisch nur in Hamburg (und witzigerweise auch in Köln).

    Dass zum Beispiel eine Stadt wie Dresden den Postplatz so bebaut hat, wie er bebaut wurde, ist bei aller großen Freude über die Wiederauferstehung der Altstadt wirklich enttäuschend. Ich bin auch bei (den wenigen mir bekannt werdenden) Neubauprojekten in München oder Frankfurt oft alles andere als beeindruckt. Einen solchen metropolitanen, klassischen Stil mit Regionalbezug haben diese Städte einfach noch nicht gefunden. In Berlin existiert dieser zwar auch, beschränkt sich aber großenteils auf Wohngebäude im klassischen Berliner Blockrand (bei so etwas wiederum gehört Berlin ganz nach vorne in Deutschland). Diese gemischten, eher innerstädtischen Geschäftshäuser bekommt Berlin als Neubauten etwa am Kurfürstendamm oder anderen "Prachtlagen" nicht so gut hin.

    Die Wermutstropfen wurden schon genannt: Es wird weiter abgerissen, skandalöser noch als den Abriss des alten Commerzbankgebäudes finde ich den Abriss am Johannisbollwerk 10, wie von wikos gezeigt. Auch entsteht nur wenig außerhalb dieses kritischen Bereichs im Münzviertel/Quartier am Hühnerposten ein dezidiert modernistisches "Midrise-Viertel", das aus meiner Sicht ästhetisch etwa auf dem Niveau des Berliner Hauptbahnhofumfelds/Europa-City liegt:

    MK timelapse auf Instagram: "Villa Viva, one of our local projects in Hamburg, was completed earlier this year. It's not only a very cool looking building in the heart of Hamburg, but also a really interesting project with a great philosophy. Please…
    10K likes, 33 comments - mk_timelapse am August 19, 2024: "Villa Viva, one of our local projects in Hamburg, was completed earlier this year. It's not only a…
    www.instagram.com

    Trotzdem bin ich einfach beeindruckt. Das große Glück Hamburgs ist, dass die Innenstadt für eine westdeutsche Großstadt überraschend gut erhalten ist UND dass der dort dominierende Stil zwischen spätem Historismus/Jugendstil und Backsteinexpressionismus sicherlich sehr viele Anknüpfungspunkte an neuklassische und moderne Architektur bietet. Sowas ist in einer historistisch überformten, teilzerstörten, ursprünglich mittelalterlichen Innenstadt natürlich viel schwieriger.

    Nicht so erfreulich ist die Situation beim sogenannten "Flüggerhaus", das das Flaggschiff der Flüggerhöfe werden sollte, die Reaktivierung eines seit Jahren unternutzten und tlw. leerstehenden Kontorhauskomplexes am Rödingsmarkt:

    Das Flüggerhaus (im Vordergrund) enthält möglicherweise den ältesten funktionsfähigen Paternoster der Welt, seit der Benkopleite sind die Sanierungsarbeiten aber in einem absolut kritischen Stadium zum Erliegen gekommen und nicht einmal eine notdürftige Dachsicherung ist noch erfolgt.

    Die Folge ist, dass es reinregnet und das bereits mit erheblichem Aufwand teilsanierte Gebäude zur Zeit zu verfallen droht. Ein erschütternder Filmbericht:

    NDR Info: Hamburg: Signa-Pleite gefährdet ältesten Paternoster der Welt - hier anschauen
    Der historische Aufzug befindet sich im Flüggerhaus. Das Kontorhaus in der Altstadt soll saniert werden - eigentlich.
    www.ardmediathek.de

    Zusammen mit dem Neubau am Gänsemarkt, bei dem nach Abriss des wirklich hässlichen Baus aus den späten 70ern (?) bereits erfolgt ist:

    Hier sollte eine neue Passage entstehen, über die bereits in diesem Strang RE: Hamburg - nördliche Innenstadt, Gänsemarkt ausführlich diskutiert wurde:

    Daniel Sumesgutner, Architekturfotograf Hamburg | Daniel Sumesgutner

    Das wäre ein ebenfalls beeindruckendes Stück Stadtreparatur gewesen, es gab auch tolle Innenansichten aus der Passage.... auch dieses Projekt ist aktuell eingefroren. Für beide Projekte gibt es aber zumindest Hoffnung, die Flüggerhöfe seien von einem Hamburger Investor übernommen worden:

    Signa-Projekt Flüggerhöfe geht an Hamburger Investor
    Ein Großprojekt des insolventen Konzerns Signa in der Hamburger Innenstadt findet einen lokalen Investor. Die Flüggerhöfe am Rödlingsmarkt in Hamburg...
    fashionunited.de

    Auch für das Projekt am Gänsemarkt gibt es Hoffnung, dass ein lokaler Investor es mehr oder minder zu Ende führt:

    Wüste im Herzen der City: Neue Hoffnung für die Brachfläche (M+)
    Eine öde Sandfläche, umgeben von schäbig aussehenden Gebäuderückseiten: Wer das Foto oben betrachtet, der denkt wahrscheinlich an vernachlässigte Viertel
    www.mopo.de

    Nun heißt es, Daumen drücken.

    Heinzer - vielen Dank für die schöne Zusammenfassung!

    Eine kleine Anmerkung/Korrektur: Bei dem C&A Gebäude in der Mönckebergstraße handelte es sich um Vorkriegsbestand (- ich meine aus den 1920ern), der in den 1960ern derart komplett überarbeitet wurde, dass er gemeinhin für einen 1960er-Jahre Bau gehalten wurde - selbst vom derzeitigen Eigentümer auf seiner Homepage.

    Zum Tichelhaus: Um die finale Wirkung zu beurteilen it es IMHO noch zu früh. Ein "banaler Allerweltsbau" wird das aber nicht. Die aus dunkelroten Elbklinkern gemauerten, runden "Halbsäulen" / Lisenen aus denen die Fassade erstellt wird, sind ein Alleinstellungsmerkmal. Über die Herstellung der Ziegel in einem kleinen Traditionsbetrieb im Land Kehdingen hat der NDR eine eigene Doku angefertigt.

    Das Gerücht bzgl. des C&A-Baus als ledigliche "Umgestaltung" kenne ich, bin mir aber ziemlich sicher, das irgendwo glaubwürdig widerlegt gelesen zu haben. Sonst Zustimmung.

    Auch das alte Klöpperhaus ist in den 2010er Jahren umfangreich saniert worden unter Wiederherstellung einiger verlorengegangener Merkmale:

    https://www.baunetz-architekten.de/caspar/6494230/projekt/7689626

    https://www.art-invest.de/projekt/altes-kloepperhaus/

    Nicht unumstritten ist die Neugestaltung des ehemaligen Commerzbankareals am Nikolaifleet:

    Nachdem die Investoren lange zumindest offengelassen/angedeutet hatten, das alte Commerzbankgebäude mittig im Bild zu erhalten/renovieren, ist dies bereits abgerissen worden und soll einem dem alten Geböude nachempfundenen Neubau Platz machen:

    Nikolai Hamburg - Ensemble für Wohnen und Arbeiten im Herzen der Stadt
    Wo die traditionsreiche Commerzbank Hamburg 1870 gegründet wurde und historisch die Geburtsstätte der Kaufmannsstadt Hamburg liegt, entsteht jetzt durch die…
    nikolai-hamburg.de

    Vor allem wegen des Katz-und Mausspiels und der wie gesagt anscheinend bewusst offen gelassenen Abrissfrage hat diese Maßnahme für relativ viel Unmut gesorgt und passt somit nicht unbedingt in diesen positiv ausgerichteten Thread. Ich habe das Projekt aber trotzdem aufgenommen, weil ich den Neubau für das interessanterweise und im Gegensatz zum zentralen Altbau sogar unter Denkmalschutz stehenden Hochhauses aus den 1960ern sehr gelungen finde.

    Es folgen noch zwei zur Zeit wegen der Benko-Pleite stillstehende Projekte am Gänsemarkt und am Rödingsmarkt und mir fallen sicherlich noch einige weitere ein.

    In den Colonnaden wird folgender Klotz:

    ersetzt durch einen angepassten Neubau:

    Colonnaden, Hamburg - Riemann Architekten
    Riemann Architekten Projekt: Colonnaden, Hamburg
    www.riemann-luebeck.de

    Am Alten Wall befindet sich ein aus mehreren Gebäuden der 80er und 90er Jahre bestehender Komplex in einer kompletten Neugestaltung:

    https://www.art-invest.de/en/projekt/alter-wall-3840/

    Das Projekt ist sicherlich nicht völlig ohne Kritik zu sehen, v.a. am Südende an der Straße Alter Wall:

    Aber der Blockrand wird geschlossen und eine typisch unbefriedigende 90er Situation beendet:

    Dabei wird ein Großteil der Substanz erhalten. Einer der unbestreitbaren Vorteile der Stahlbetonskelettbauweise ist die Tatsache, dass man die Gebäude trotz vollkommener Neugestaltung der Fassade im Kern erhalten kann.

    Am Nikolaifleet wird das letzte freie Grundstück neben dem Globushof neubebaut:

    Erweiterung des Globushof - Riemann Architekten
    Riemann Architekten Projekt: Erweiterung des Globushof
    www.riemann-luebeck.de

    Praktisch alle bis alle dieser Projekte sind hier auch schon vorgestellt worden, aber ich wollte das mal konzentriert an einem Fleck machen, um zu zeigen, wie verbreitet diese Maßnahmen sind. Es geht noch weiter....

    Im Folgenden möchte ich ein paar der aus meiner Sicht sehr positiven Beispiele für Stadtreparatur in der (vielleicht auch etwas erweitert) gefassten Hamburger Innenstadt zusammenfassen. Vorbilder, wenn nicht anders erwähnt, sind Straßenfotos von AppleMaps.

    In der Mönckebergstraße wird nun nach vielen Jahren des Schwebezustandes das Neue Klöpperhaus saniert und die nach dem Krieg vereinfachte Dachlandschaft wiederhergestellt/neu aufgebaut:

    Klöpperhaus, Hamburg
    Klöpperhaus, Hamburg Das Immobilienunternehmen Tishman Speyer plant die Revitalisierung und den Umbau des 110 Jahre alten und denkmalgeschützten…
    www.lupp.de

    Nur wenig weiter wurde wie bereits vielfach berichtet das Mitte der 1960er gebaute C&A-Gebäude abgerissen:

    Das Gebäude ist mittlerweile abgerissen

    Das Elisen Palais an der Mönckebergstraße in Hamburg

    Auch schon gezeigt wurden das Tichelhaus im Fleetviertel, welches gerade schon in der Verklinkerung ist, abgerissen wurde dafür diese Kiste:

    Umfeld hier natürlich insgesamt deutlich weniger attraktiv. Gebaut wird das hier:

    Das Tichelhaus - Tichelhaus

    Auch schon einmal Thema war die Revitalisierung eines ziemlich zerschundenen Geschäftshauses an der Ecke Spitalerstraße/Steintorwall:

    Das Projekt ist auch bereits fortgeschritten in der Umsetzung und soll so werden:

    BiwerMau // N°1911 // Spitalerstrasse 1

    Hier soll jeder gerne noch Projekte vorstellen können, ich habe auch noch ein paar....

    Je weiter man sich in Schwachhausen von der Innenstadt entfernt, desto jünger werden die Häuser. Bislang kaum gezeigt wurden hier Häuser in diesem Bereich grob um die Carl-Schurz-Straße und Wachmannstraße. Ich schätze, dass die alle kurz vor dem Ersten Weltkrieg gebaut wurden:

    Blick in eine Nebenstraße:

    Die mit rotem Klinker könnten dann schon unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg gebaut worden sein....

    Auch hier schwierig zu sagen.... am ehesten sowas wie Baujahre 1910-14?

    In jedem Fall sehr elegante Straßen....

    Etwas weiter stadteinwärts:

    Finde ich ja tödlich schick, so sehen auch weite Teile Winterhudes aus in Hamburg - nur dass die Häuser 5 Stockwerke haben.

    Für mich ist das fast der Höhepunkt der Wohnbaukunst. Eher noch besser als die üblichen historistischen Stuckfassaden.

    Danke, Frosch Frolo, für die Galerie! Sehr schöne Fotos v.a. aus der Altstadt dabei. Das vielgelobte Östliche Ringgebiet finde ich als Göttinger gar nicht so wahnsinnig beeindruckend. Das sieht sehr wie viele Straßen außerhalb der Innenstadt in Göttingen aus, vielleicht etwas prachtvoller und manchmal ein Geschoss mehr, auch mal eine etwas boulevardartigere, breite Straße - aber das ist so der Standard in den gründerzeitlichen Stadterweiterungen meiner wesentlich kleineren Heimatstadt. Und ein sehr ordentliches Villenviertel haben wir mit dem Ostviertel auch. Am Schönsten finde ich in Göttingen die Südstadt (Lotzestraße, Schillerstraße und Seitenstraßen), die vom Charakter sehr ähnlich den schöneren Bereichen des Östlichen Ringgebiets wirkt.

    Auch diese oft mit Eternit verkleideten Mietsfachwerkhäuser des 19. Jahrhunderts sind in Göttingen sehr verbreitet. So wurde in den ärmeren Stadtteilen bis zur Jahrhundertwende/Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut, also echtes Fachwerk, nicht als Zierrat. Mein Vater nannte die Dinger immer etwas despektierlich "Bahnwärterhäuschen". Manchmal wurden die sehr unglücklichen grauen Eternitkacheln in den letzten Jahren entfernt, aber dann wurde oft ein WDVS aufs Fachwerk gesetzt, was optisch auch nicht unbedingt optimal ist.

    Edit:

    Auch motiviert mich Deine Bilderstrecke, auch nochmal in der Heimat (Göttingen) auf Tour zu gehen. So befruchtet sich das Forum gegenseitig, aus meinen paar Braunschweig-Bildern ist jetzt richtig viel entstanden inklusive zwei weiterer Galerieserien.