Beiträge von Majorhantines

    Ich bin noch unschlüssig, ob man den Strang hier in diesem Subforum wieder findet, aber seis drum, das Thema ist jedenfalls zentral.

    Hier soll es um das Missverhältnis Visualisierung von geplanten Gebäuden zur Realität gehen. Die Architekturrebellion (Architectural Uprising (AU)) hat dazu einen neuen Begriff entwickelt, der das Zeug hat, Mainstream zu werden: Fake views

    Das bedeutet, dass digitale Visualisierungen von geplanten Gebäuden auf eine Art und Weise erstellt werden, die nicht realisierbar ist, was wiederum dazu führt, dass das reale Gebäude völlig anders aussieht, als die Vision vorhergesagt hat. Im Zusammenhang mit dem Kasper-Kalkon-Preis vergibt die AU in der Regel auch einen Preis an die „lügnerischste Fake-Ansicht des Jahres“, der manchmal durch Abstimmung ausgewählt und manchmal von der Arbeitsgruppe der AU ernannt wird.

    Dazu hat die Architekturrebellion auch einen einflussreichen Artikel verfasst, der auch Eingang in die deutsche Architektenwelt fand:

    Fake Views - The Contrast Between Renderings and Reality - The Architectural Uprising
    Do you want to join the uprising? Click here to see a list of all groups around the world A shining sun, playful children, overwhelming greenery and new…
    www.architecturaluprising.com


    Wir haben bereits einen Strang zur sprachlichen Umdeutung und Einordnung in der Architekturkommunikation, dankenswerterweise von findorffer. Hier nun also der fast noch wichtigere zur visuellen Manipulation. Leider verhindert ja das Urheberrecht erfolgreich meistens eine Auseinandersetzung mit den Visualisierungen, aber ich denke wir können hier auch mit Links und anderen Mitteln zurechtkommen. Dennoch ende ich jetzt mal noch mit einem Schaubild, so als Blickfänger :cool:

    Glasiaren-GOteborg.jpeg

    East_Clintwood Ich finde 'Brüche' grundsätzlich schwierig, weil es quasi die DNA der Moderne ist, sich im Bruch mit der Tradition zu befinden. Natürlich gab es immer schon Brüche, Stichworte hier z.B. riesige Monumentalbauten, oder gründerzeitlicher Geschosswohnungsbau, aber das Ergebnis davon ist eigentlich nie überzeugend, bis dann der Umbruch komplett vollzogen ist, sprich z.B. alle Bauten wieder eine ähnliche Bauhöhe aufweisen. Und vor allem ist es nicht überzeugend, wenn man statt Einzelbauten oder einzelnen Straßenverdichtungen einen ganzen Baustil über 100 Jahre darauf aufbaut. Da lobe ich mir die Denkweise einer Einpassung und eines Zusammenwirkens beim Bauen. Das kann im Stil trotzdem ganz neu und anders sein, aber die Grundhaltung ist ganz anders, wenn ich nicht bewusst gegen alles andere arbeite.

    Aber dieser Kontext hier nun, großflächige Rekonstruktion, da könnte ich mir tatsächlich es so vorstellen, wie von Dir geschrieben, als hilfreiches Tool. Bloß nicht mit der Begründung, dass heute ja überall Brüche vorherrschen. Denn das würde ein schlechtes Verhalten normalisieren und zur Notwendigkeit ausbauen. Ich sehe es eher als Möglichkeit eben keinen Bruch zu Begehen. Auch Reko kann Bruch sein, wenn es großflächig und/oder ohne Anknüpfung an Bestehendes erfolgt. Bestand ist in den meisten Fällen irgendwas modernes. Das integriert man dann indirekt indem Moderne in der großflächigen Reko Platz findet und erhält dann das, was Du ja meinst, das Gefühl von Kontinuität.

    Die "verkehrsgerechte Stadt" Hannover wurde ja nicht wie in einer Diktatur so vorgeschrieben, sondern in über 400 Versammlungen begründet und war dann mehrheitsfähig. Die Immobilienbesitzer gaben sogar überwiegend kostenlos und freiwillig ihren Grund für breitere Straßen ab und bauten dann niedriger als zuvor, um den Verkehr in der Innenstadt zu reduzieren.

    (Abstimmende) Mehrheiten treffen auch fortlaufend falsche Entscheidungen. Das ist kein Gegenbeweis, dass es keine allgemeingültig schlechte Architektur, keinen allgemeingültig schlechten Städtebau gibt. Aufgabe aller, die sich intensiv damit auseinandersetzen, möglichst alle Für und Wider beleuchten, und vor allem Lehren ziehen aus 100 Jahre moderne Architektur, 60 Jahre moderner Städtebau, ist die Mehrheiten aufzuklären und ihnen zu helfen sich für das einzusetzen, was man gute Architektur und guten Städtebau für im Endeffekt alle bedeutet.

    Aber anhand welcher Kriterien und inwiefern ist das objektiv möglich? Wahrscheinlich möchte ich lieber in einer langen Zeile im Grünen wohnen als in einer dicht bebauen Altstadt, auch wenn eine Stadt natürlich ziemlich unstrukturiert aussehen würde, wenn es alle so halten würden ...

    Ich hatte mich bereits mit dem Begriff 'Regel' schwer getan, habe aber meinen Punkt darauf noch beziehen können, bei 'Kriterien' wird es noch schwieriger. Es geht nämlich nicht darum ganz konkrete Vorgaben zu machen, denn dazu ist jede Stadtsituation zu individuell, von ländlichen Räumen gar nicht erst anfangen. Es geht eher um Leitplanken. Z.B. dass Verdichtung erwiesenermaßen nur bis zu einem gewissen Punkt anzustreben ist. Wir wissen heute, dass es ein zu wenig und ein zu viel gibt. Oder z.B. dass es leichter ist bessere Achitektur zu schaffen, wenn die Fassaden in bestimmten Höhe zu Breite Verhältnissen sind, kleinzelliger Stadtgrundriss u.a. genannt. U.a. beugt man damit vor, dass eine verunglückte Fassade sehr prägnant den Stadtraum prägt. Und noch ein Beispiel: Anzustreben ist lange Standzeit der Bauten. Dies wird u.a. gewährleistet, indem Gebäude vor Feuchtigkeit und Verwitterung geschützt werden. Es kann nicht sein, dass wir Abdichtungen nutzen, die garantiert nach 30 Jahren versagen. Wir können auch keine Fassadenausgestaltungen uns erlauben, die bereits nach 10 Jahren völlig abgewittert aussehen. In all diesen und natürlich vielen weiteren Punkten versagt moderner Städtebau, versagt moderne Architektur, brauchen wir einen common sense, dass das objektiv schlecht ist (mindestens langfristig und unter Abwägung aller Für und Wider). In anderen professionellen Bereichen hat sich 'best practice' durchgesetzt. Im Bau versucht man irgendwie durch Gesetze und Baunormen so etwas wie historische Erfahrung einzubinden. Da kommt keine 'good architecture practice' heraus.

    Jedes persönliche Empfinden bezüglich Architektur ist legitim. Man darf es nur nicht zur Regel für alle machen, zumal wenn die Mehrheit anders empfindet. Ein Fehler, den die Modernisten seit vielen Jahrzehnten ohne Einsicht begehen.

    Die Modernisten ignorieren, dass es beweisbar schlechtere und bessere Architektur und Städtebau gibt, dass es sich also lohnt traditionelles Wissen darüber auszuschöpfen. Jeder noch so klägliche Entwurf wird in den Himmel gelobt, wenn er nur bestimmten formalen Regeln der Moderne folgt. Dass diese Regeln dann eben nicht universal sind, das ist ne Binse. Ich spreche hier aber von Regeln, die durchaus für alle anwendbar sind. Hier dann davon zu reden, dass das nicht möglich ist, redet den Modernisten Mund, die mit so etwas stets jede Kritik abzuweisen wissen, indem sie den Kritiker als hyper individuell im ,,Geschmackspluralismus" verorten und damit nichtssagend, wobei wohlgemerkt dieses geschmackliche, ähnlich wie die Formulierung buarques, extrem weit gefasst wird, im Prinzip sich auf alles bezieht - eben auch auf klar gegenteilig messbares.
    Von welchen Regeln (von grundsätzlicher Natur) rede ich konkret: Z.B. dass Autoverkehr und Fußgängerverkehr schwer nur in Einklang zu bringen sind. Dass also im Zweifel überall da wo viele Fußgänger erwünscht sind, man nicht eine Individualsverkehrutopie errichten kann. Auch - noch so eine Regel - weil deutscher motorisierter Individualverkehr sehr viel Platz braucht, mehr als andere Formen. Somit ist die autogerechte Stadt Feind von attraktiver Architektur, weil sie besonders große Schneisen schneidet, die Wege verlängert und den Aufenthalt verleidet.

    Erinnert mich an das Treppenhaus in dem Schulneubau meiner kleinen Tochter. Hat den Charme einer Tiefgarage. Und alle Eltern hatten den Eindruck, der Bau ist eigentlich noch gar nicht fertig.

    Kleine Anekdote: In meiner Schule hatten sie die Porenbetonwände einfach nur weiß gestrichen. Auch die Betondecken lagen frei, leicht abgehängt von einem offenen Metallgestänge. Ehrlichkeit in der Materialität oder wie man das nennt. Es sah billig aus und man hatte das Gefühl, dass der Staat hier nicht viel in einen investieren möchte.

    Vielleicht mag jemand die Architektur der Moderne oder lebt viel lieber im Grünen, auch wenn es ein Plattenbau oder Großblockbau ist, als in einem Altbau. Vielleicht legt jemand auf gute Verkehrsinfrastruktur wert und interessiert sich überhaupt nicht für Architektur. Oder jemand empfindet bei engen Altstadtgassen Beklemmung usw. Alles legitim.

    Nein, das ist nicht alles (gleich) legitim. Z.B. bloß weil ich mich nicht für Architektur interessiere, kann ich nicht mir selbst und der Gesellschaft eine verkehrsgerechte Stadt verordnen, bei der man sich am besten in einem fahrenden Fahrzeug aufhält, und sonst es nirgends aushält. Plakativ gezeichnet.
    Das geht schon wieder viel zu sehr alles in dieses phlegmatisch, Debatten zersetzende ,,Jeder hat eben einen anderen Geschmack und somit kann es da keinen Konsens geben und alles ist gleich gut oder schlecht".

    Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wohl beide Überlegungen Teil des Postulats 'rechter Räume' ist. Einmal die unterstellte Einwirkung auf die Menschen, aber auch die schiere Präsenz in zentralen Stadträumen. Diesen letzten Punkt vertreten ja auch sowohl Rechtsaußen, Linksaußen, Rockerclubs, Fußballultras usw. durch Graffiti und Aufkleber. Aber das zeigt in was für Kategorien hier gedacht wird. Ein rekonstruierter Stadtraum als Repräsentation von Rechts. Je mehr wir gegen dieses politische Lagerdenken angehen, umso mehr brechen wir solche Konstruktionen Trübys zur Polarisierung der Gesellschaft auf.

    Im konkreten Fall hat also der Sachverständige für Sehbeeinträchtigte das Vorhaben verhindert. Es ist also scheinbar kein Automatismus bzw. kann vor Ort je nach Entscheidungsträgern anders verlaufen. Klingt doch schon mal ganz anders als die anfänglichen Absolutbehauptungen.

    Unabhängig davon, ob das ästhetisch zum Vorteil wäre, würde man damit ein über 160 Jahre alten Zustand des Gebäudes rückbauen.

    Bei sehr vielen Bauten - insbesondere Denkmälern bedingt durch das Alter, hat man z.B. auch die Fensterformate vereinheitlicht bzw. durch Verschließen und Öffnen ein ansprechendes Fassadenbild erzeugt, sollte es viele Fenster- und Funktionsöffnungen geben. Da baut man teils in einen Zustand 'zurück' den es gar nie gegeben hat, aus ästhetischen Gründen. (Bisher) ging es also da durchaus schwerpunktmäßig um das ,,schönste Ergebnis". Aber ein Denkmalschutz, der einen (historisch) abgebrannten Zustand erhalten will, wir hatten den Fall im Forum, der setzt da sicherlich die Schwerpunkte neu.

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    So sieht bei uns in Deutschland Bürokratiekritik aus Fachkreisen aus: Der Denkmalschutz gehört drastisch zusammengestrichen, die Mauerstärken von Innenwänden sollte am besten 5 cm betragen, und natürlich braucht es auch keine artenschutzrechtliche Prüfung. In wessen Gesellschaftsinteresse sollte das alles sein? Dann lieber Bürokratie, bis die entsprechenden Fachleute robustere Beispiele bringen können, wo Einsparungen für aller Wohl durchführbar sind.

    Majorhantines
    21. April 2024 um 19:42

    Zitat: Geblieben ist ein Land, das zwar nicht schöner, aber moderner und offener geworden ist. Immerhin.

    Es ist eigentlich immer recht spannend zu ergründen, wie die Denkhaltungen waren zu bestimmten Zeiten und wie sich das auf den Umgang mit Gebäuden bzw. dem Bauen ausgewirkt hat. Zu den 60ern hat der BR mal wieder ein interessantes Schlaglicht produziert - natürlich mit bayrischer Färbung, aber unbedingt sehenswert für alle:

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    Ein wirklich interessantes Thema, haben wir mittlerweile Foristen an Bord, die dazu sich auskennen, bzw. ggf. selbst versucht haben gewisse Abgrenzungen zu bilden? Manchmal erscheint mir bei den Bild Quiz, dass da einige schon ein sehr gutes Gespür für haben, in welche Region ein entsprechender Bau passen könnte.