• Ich würde sagen, die Familie ist vor dem Zeitgeist eingeknickt, die Stiftung lebt den Zeitgeist.


    Dass damit bewiesen ist, dass Herr Bödeker nicht zu ehren sei, kann man eigentlich nur behaupten, wenn man den Zeitgeist selber für gut befindet.

    Ich kann mit diesem Vorwurf an mich nicht viel anfangen. Was soll denn dieser Zeitgeist überhaupt sein und wie tritt er in der Causa Bödecker zum Vorschein? Mir ist das zu einfach gedacht. Letztlich kann man dann jedes Gutachten mit dem Hinweis auf den Zeitgeist mit einem Wort hinwegfegen.

    Für gut befinde ich aber, dass man sich in einem solchen Fall sowohl seitens der Familie als auch der Stiftung kritisch mit Spendern auseinandergesetzt hat und zwar nicht pauschal, sondern differenziert in Form eines Gutachtens.

    Dass wir da vollkommen anderer Ansicht sind, das ist in Ordnung, aber irgendeinen diffusen Zeitgeist lasse ich mir deshalb nicht andichten.

    Kunsthistoriker | Webdesigner | Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing - Meine Kulturthemen

  • Ich glaube, sowas wie einen bestimmenden Zeitgeist gibt es nicht mehr wirklich. Es gibt verschieden große Silos mit unterschiedlichen Zeitgeistvorstellungen.

    Diese ganze Diskussion gehört aber wohl in einen spezifischen Debattenstrang.

  • Und ich bin nach wie vor der Meinung, dass nicht die Aussagen von Herrn Bödeker das Problem sind, sondern diejenigen, die aus jedem Halbsatz einen Skandal machen, während man der eigenen Klientel Unfähigkeit, Korruption und totalitäres Denken durchgehen lässt, ohne mit der Wimper zu zucken.

    Das sehe ich auch so. Zumal viele jener Leute im linken Lager, die sich über ein paar unklug formulierte Sätze eines naiv-preußenbegeisterten Hobby-Historikers echauffieren, allzu gerne wegschauen, wenn sich sich der Antisemitismus der Gegenwart in seiner übelsten Fratze zeigt, wenn Israel als "Apartheidsstaat" diffamiert wird oder Migranten durch unsere Städte ziehen und judenfeindliche Parolen brüllen.

    Im Bödecker-Gutachten heißt es, Bödecker sei kein Antisemit gewesen, er habe aber in seinen Schriften teilweise antisemitische Klischees bedient. Naja...

    Dass Bödecker im Kern kein Antisemit war belegt für mich diese Aussage:

    Unter dem streng rechtsstaatlichen Preußen hat es eine rassistische oder auch anders motivierte Verfolgung von Menschengruppen nie gegeben. Seine sprichtwörtliche Rechtssicherheit machte Deutschland zum beliebtesten Einwanderungsland der osteuropäischen Juden. Ein „königlich-preußisches“ Konzentrationslager wäre eine historisch irreale und völlig unvorstellbare Denkfigur. Die Verfolgung und Tötung von Menschengruppen wegen ihrer Religion, ihrer Rasse oder ihres Herkommens hat es in den USA, in England, Russland und auch in Frankreich gegeben, aber niemals im Hohenzollernstaat.“

  • In dem eben erschienenen, sehr erhellenden Büchlein "Linke Räume" von Claus Wolfschlag fand ich eine gute Begründung für die Hetzkampagnen, die Trüby, Oswalt und Co. gegen den Wiederaufbau des Schlosses oder die Frankfurter Altstadt führen. Diese Rekonstruktionsmaßnahmen sind die letzten Großprojekte, in denen sehr große Summen ausgegeben werden, ohne dass der Staat und das ihn dominierende linke Establishment darauf Einfluss nehmen können (wohingegen, wie ich ergänzen möchte, die Kulturpolitik und mittlerweile auch die Wissenschaft schon weitgehend in der Hand des Establishments sind und entsprechend instrumentalisiert werden - wie auch das Bödecker-Gutachten zeigt). Oder anders gesagt: Rekonstruktionsprojekte sind tatsächlich die wenigen verbliebenen Bereiche, in denen das Bürgertum ohne ideologische Bevormundung Dinge von bleibendem Wert schaffen und seinen eigenen Werte Ausdruck verleihen kann. Das ist totalitären Ideologen, die eine totale Kontrolle über die Gesellschaft anstreben, naturgemäß ein Dorn im Auge.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Die Äußerungen Bödeckers erinnern mich an meinen Vater (Sparkassenangestellter) und an meinem Onkel (Bauer auf der Schwäbischen Alb).

    Mein Vater, streng katholisch, wurde während der Nazizeit mehrfach zum Direktor und zweimal zum Ortsgruppenleiter zitiert, weil er zu den Leuten am Schalter meist Grüß Gott und Ade sagte, anstatt wie vorgeschrieben den „Deutschen“ Gruß zu verwenden. Der Ortsgruppenleiter bedrohte ihn beim zweitem Mal mit „kalten Füßen“ (Erhängen). Mein Vater blieb dabei, zum Glück ohne Folgen - er wurde wohl nicht weiter denunziert. Allgemein beurteilte er die Juden fromm als außerwähltes Volk Gottes. Und dennoch hörte ich noch nach dem Krieg Äußerungen von ihm, ganz ähnlich wie bei Bödecker.

    Mein Onkel hat 1942 unter großer Gefahr dem Juden-Altersheim in seinem Heimatort Tigerfeld, in dem die Insassen großen Hunger litten, monatelang heimlich in der Nacht Lebensmittel gebracht. Er hat sich auch mit Insassen angefreundet: Einer hat ihm einen wertvollen Teppich und seine kleine Bibliothek anvertraut zur Aufbewahrung bis zu seiner Rückkehr, als alle Insassen im Herbst deportiert wurden in den Tod. Und dennoch entfuhren ihm noch lange nach dem Krieg antisemitische Schimpfwörter.

    Ich habe mal mit der großen jüdischen Lyrikerin Hilde Domin darüber gesprochen. Sie konnte sich nach spontanem Erschrecken über Ausdrücke meines Onkels einfühlen.

    Ich kann mit absoluter Gewissheit sagen: Mein Vater und mein Onkel waren keine Antisemiten! Und dennoch würden ähnliche Gutachten wie oben vielleicht zu anderer Ansicht kommen.

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

  • Bentele Antisemitische Äußerungen und Klischees sind per se nicht schön. Aber wichtiger als verbale Entgleisungen, die - teils reflektiert, teils unreflektiert - auf soziokulturellen Stereotypen beruhen, ist für mich das Verhalten. In diesem Sinne waren Dein Onkel und Dein Vater vorbildlich. Dein Onkel hätte es vielleicht sogar verdient, in Yad Vashem unter die Gerechten aufgenommen zu werden.

    Und wenn ich mir dann das Verhalten von bestimmten Personen im Rekonstruktionsdiskurs betrachte, so ist es genau umgekehrt. Verbal geben sie sich als Verteidiger der demokratischen Zivilgesellschaft. Aber in ihren Taten, nämlich der böswilligen Diffamierung Andersdenkender mit dem Ziel der gesellschaftlichen Ausgrenzung und Marginalisierung, benehmen sie sich völlig antidemokratisch und totalitär.

    Böse Worte können zu bösen Taten führen. Aber edle Taten wiegen böse Worte auf, ebenso wie böse Taten schöne Worte als Heuchelei entlarven.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Diese Rekonstruktionsmaßnahmen [(Wiederaufbau des Schlosses)] sind die letzten Großprojekte, in denen sehr große Summen ausgegeben werden, ohne dass der Staat und das ihn dominierende linke Establishment darauf Einfluss nehmen können.

    Ist das nicht unlogisch? Das Schloss war ein politisches Projekt, im Bundestag beschlossen und zum Löwenanteil vom Staat bezahlt. Die öffentliche Hand lieferte das Grundstück und das Nutzungskonzept in Form der Museen. Dass hierbei der Staat ,,keinen Einfluss nehmen konnte" zerlegt diese These doch völlig.

  • Ich kann - ganz ehrlich - diese Debatte nicht verstehen. Sie zeigt auch nur, dass sich die Bürgerliche Mitte jeden Schuh anzieht, der ihr von der Linken angeboten wird. Auch hier im Forum.

    Für mich ist es völlig unerheblich, welche politische Ansichten Spender haben. Ich kann das auch gar nicht prüfen. Entscheidend ist, dass das Projekt bzw. der Verein, dem gespendet wird, gemeinnützig ist. Wenn z. B. Bernd Höcke oder die KPD/ML für das Berliner Schloß gespendet hätte wäre auch dies verdienstvoll - besser, als wenn diese politischen Gruppen damit verfassungsfeindliche Flugblätter finanzierten.

    Natürlich hat auch diese Haltung Grenzen:

    1) Die Spende von ausgewiesenen Radikalen ist so erheblich, dass sie für die Umsetzung des Projektes entscheidend ist (im Boedecker-Fall - wie dargelegt - nicht der Fall) und/oder

    2) Die Spende kommt aus dem Ausland und dient den wirtschaftlichen oder politischen Interessen eines anderen Staates.

    Hier wäre die Spende abzulehnen, also z.B. bei der Finanzierung der Karl-Marx-Statue durch die VR China, die der SPD-Oberbürgermeister von Trier angenommen hat.

  • Diese binäre gesellschaftliche Debatte Links-Rechts oder Oben-Unten war mir schon immer fremd. Ich kann damit nicht viel anfangen. Das wurde die letzten Jahre auch eher von den diesbezüglich ausgeprägt bipolaren US-Debatten und durch die Geschäftsmodelle sozialer Medien hier wieder angetragen, diese Dichotomie gab es in der Form in der Phase meiner Politisierung nicht. Für mich ist interessanter, was mit welcher Begründung vorgetragen wird - und was wirklich dahinter steckt.

    Ist das nicht unlogisch? Das Schloss war ein politisches Projekt, im Bundestag beschlossen und zum Löwenanteil vom Staat bezahlt. Die öffentliche Hand lieferte das Grundstück und das Nutzungskonzept in Form der Museen. Dass hierbei der Staat ,,keinen Einfluss nehmen konnte" zerlegt diese These doch völlig.

    Ich kann das Argument auch nicht recht nachvollziehen. Und in Frankfurt war es ja ganz ähnlich. Dort wurde der Großteil des Projektes durch Steuergelder gestemmt.

    Die Dresdner Frauenkirche wurde tatsächlich nahezu vollständig durch bürgerschaftliches Engagement umgesetzt. Das kam zu einem Gutteil aber auch nicht aus den erwähnten bürgerlichen Kreisen Deutschlands, sondern initial und mit großem Anteil sogar aus dem Ausland als Heilungs- und Versöhnungsgeste, etwa von den Friends of Dresden Blobels. Auch darum war das ganze Projekt ja so berührend, da war eine ganz besondere Musik der Völkerverständigung drin. ughug:)

  • Ist das nicht unlogisch? Das Schloss war ein politisches Projekt, im Bundestag beschlossen und zum Löwenanteil vom Staat bezahlt. Die öffentliche Hand lieferte das Grundstück und das Nutzungskonzept in Form der Museen. Dass hierbei der Staat ,,keinen Einfluss nehmen konnte" zerlegt diese These doch völlig.

    Alle Rekonstruktionen werden von staatlicher Seite abgesegnet oder beschlossen. Und der Staat gibt entsprechende Rahmenbedingungen vor, das ist richtig. Aber die Initiativen gingen immer von der bürgerlichen Gesellschaft aus - oft von Anfang an gegen ideologische Widerstände von Modernisten oder linken Ideologen. Und sie müssen dann fast durchweg immer von Privatleuten oder privaten Stiftungen finanziert werden, das gilt auch für die Fassaden des Berliner Schlosses. Der Staat schießt kein Geld zu.

    Auch waren 2002, als der Bundestag die Fassadenrekonstruktion des Schlosses beschloss, die politische Situation in Deutschland noch eine andere. Heute hätte das Projekt keine Chance mehr. Jetzt wären wohl auch der Dresdner Neumarkt, die Frankfurter Altstadt, das Potsdamer Stadtschloss, die Garnisonkirche und vielleicht auch die Dresdner Frauenkirche nicht mehr möglich.

    Warum? Weil politische Ideologen dagegen von vornherein Stimmung machen. Darüber hinaus wird auch versucht, die Projekte im Nachhinein madig zu machen oder zu sabotieren: Kegelbahnen im Schlüterhof, Steinwüste auf dem Schlossplatz, Diskussion ums Kuppelkreuz, mögliche Überblendung der Friesinschrift. Man will der bürgerlichen Gesellschaft systematisch die Räume nehmen, in denen sie sich darstellen und entfalten kann, indem man sie als "rechte Räume" diffamiert, wohingegen linke Gruppen und Institutionen sich mit Hilfe staatlicher Zuschüsse ziemlich ausleben dürfen.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Ich glaube, Frau Roth wird beim Berliner Schloss / Humboldtform glücklicherweise nicht mehr viel bewegen. Sie wirkt auf mich angezählt und dementsprechend wird auch ihre Durchsetzungskraft schwinden.

    Quelle: Link