Posts by Seinsheim

    Zwischen dem Bietigheimer Adam und dem Bremer Neptun liegen m. E. Welten. In Bietigheim wurden menschliche Eigenschaften wie die unreflektierte Unmäßigkeit thematisiert und durch Körperhaltung, Physiognomie und Physiologie herausgearbeitet. Die Figur ist ausdrucksstark. Die Abstraktion wirkt intensivierend, nicht entfremdend. Das zeigt sich deutlich im reduzierten Gesicht. Die mininale Andeutung der Augen vermittelt, so weit ich das von Bildern her beurteilen kann, eine konsumorientierte Tumbheit. Als Prototyp des Menschen könnte Adam somit für die Gedankenlosigkeit und Selbstbezogenheit der Konsumgesellschaft stehen - die, wie der Titel sagt, eben ihr "Paradies plündert".


    Warum aber wurde die Figur versetzt? Wegen der neuen Prüderie in Teilen unserer Bevölkerung?

    Warum fühlt man sich denn überhaupt bemüßigt, dem Dom-Römer-Areal den Vorbildcharakter abzusprechen? Doch nur, weil es so erfolgreich ist und man diesen Erfolg nicht möchte. Vor einer alternativen Idee, die keine Herausforderung oder gar Bedrohung des eigenen Monopols darstellt, muss man nicht warnen.

    Heißt also im Umkehrschluss, dass bei einer Bürgerbeteiligung nicht Vernünftiges herauskommen kann, weil das Kunstschaffen am Boden liegt, gar nicht in der Lage ist, Ansprechendes zu präsentieren? Diese Sichtweise ist mir viel zu fatalistisch.

    (...)

    Kurzum: Einige hier sind also der Ansicht, dass nur barocke oder historistische Kunst würdig genug sei, neben dem Berliner Schloss aufgestellt zu werden, denn die heutige Kunst sei gar nicht in der Lage, halbwegs Adäquates zu schaffen. Und deshalb brächte eine Bürgerbeteiligung zur Schaffung eines neuen Brunnens auch nichts Gutes hervor.

    Ich habe keinesfalls generalisiert, sondern in Konditionalsätzen gesprochen: "wenn...."


    Außerdem möchte ich festhalten: Ja, wir haben tatsächlich eine Trivialisierung des Massengeschmacks. Das haben übrigens schon die von Dir genannten Impressionisten und Expressionisten bedauert, deren Werke im übrigen um Welten besser sind als der Bremeraner Brunnen. Allerdings war die von der Bourgeoisie geschätzte Salonmalerei in weiten Teilen auch nicht schlecht, wenngleich sie von den Impressionisten und Expressionisten und Sezessionisten schlechtgeredet wurde....

    Aber Tatsache ist doch, dass wir im Großen und Ganzen weder in der Architektur noch in den Bildkünsten das Niveau von vor 100 Jahren haben. Und das liegt wohl tatsächlich auch an der Ächtung der gegenständlichen Kunst und des Ornaments. Wenn das Gegenständliche und das Ornament nicht mehr reguläre Teile des Gestaltens und der Gestaltungslehre sind, dann verkommen sie zum Kitsch - dafür haben wir jede Menge Beweise. Und die Architektur und die Bildkunst reduzieren sich auf einen reinen Geometrismus, der mit der Zeit auch immer banaler wird. Am Ende haben wir dann den Brunnen auf dem Postplatz in Dresden - eine bessere Autowaschanlage im Freien. Und auch die vielen "Brunnen", die wie in Bordeaux (s.o.) aus eingetieften Sprinkleranlagen bestehen, besitzen ja keine wirkliche gestalterische Kraft mehr....


    Damit hast du absolut recht. Aber was sagt es dann über den Bremer Brunnen aus, wenn dieser von einer bürgernahen Stiftung für ein wohnliches Umfeld finanziert wurde und die Bürger selbst die Wahl hatten, ihren Brunnen auszuwählen? Offensichtlich, dass die Bürger genau diesen Brunnen für die Förderung ihrer Lebensqualität im öffentlichen Raum als richtig hielten. Wie können wir dann daherkommen und genau diesen Brunnen als negatives Beispiel für Stadtraumgestaltung heranziehen? Das erscheint mir doch recht paradox.

    Ich frage mich nur, welche Alternativen die Bürger haben, wenn

    - es heute Künstler wie Begas gar nicht mehr gibt

    - Künstler, die einen anderen Stil vertreten als der Schöpfer des Bremer Brunnens, der Öffentlichkeit nicht bekannt sind, weil der Kultur- und Medienbetrieb sie ignoriert

    - diejenigen, die in den entscheidenden Gremien sitzen, ähnlich "modernistisch" denken wie die meisten "Fachpreisrichter" in Architektenjurys?

    - die sogenannte "breite Masse" selbst auch nicht mehr genug Stilsicherheit besitzt, um wirklich gute Kunst zu erkennen, weil dieses Wissen nicht mehr vermittelt wird und qualitätsvolle Kunst, die Maßstäbe setzt kaum mehr entsteht?

    Kurzum, wenn ein elitärer Mainstream über Jahrzehnte hinweg für eine gewisse Alternativlosigkeit gesorgt hat?

    Wie der alte korrupte Ex Bürgermeister Frankfurts bereits sagte: “Jetzt muss Schluss sein mit diesen Rekos, ein Fortsetzung wird es nicht geben“…

    Irgendwie wird man den Eindruck nicht los, die politischen Eliten betrachten das Volk als dummen Pöbel, dessen Bedürfnisse man ignorieren sollte, gegen den man letztlich sogar anregieren muss...

    Auch dieser Neptun und die Flußgöttinnen, Putten und Wasserungetüme, die ihn umgeben, sind noch Kinder des Böcklinschen Geistes, die unmittelbar von den Tritonen, Nereiden, Wasserzentauren und prustenden Nixlein des Schweizer Meisters abzustammen scheinen.

    Und hier die dazugehörigen Bilder von Arnold Böcklin:



    Spiel der Nereiden (= Töchter des Nereus), Basel, 1886



    Im Spiel der Wellen, 1883

    Betrachtet man den Berliner Neptunbrunnen, kann man Begas' ganze Meisterschaft sehen: in der Darstellung der Anatomie, der physiognomischen Charakterisierung, der Bewegung, der Pose, der Körperhaltung, der Behandlung der Oberflächen und der Zusammenführung der einzelnen Figuren mit der Brunnenarchitektur zu einer Gesamtkomposition.


    Hinzu kommt eine Reihe verdeckter oder offener humoristischer Elemente, die das gesamt Sujet innerhalb der "niederen Stilebene", also dem Bereich des Alltäglichen, ansiedeln. Die Flusspersonifikationen sind keine vornehmen Nymphen, sondern junge Frauen vom Land, der Gott selbst ist ein zauseliger Seebär.


    Als Vertreter des Berliner Neobarock schöpft Begas aus einer bis in den Hellenismus zurückreichenden Tradition, die er meisterlich neu anwendet.


    Dagegen ist die Bremer Figur, so nett es ist, einen Brunnen in der Fußgängerzone zu haben, unendlich platt. Keine Nuancierungen, keine Pointen, keine wirklich gestalterische Kraft, kein Ansatz mit unterschiedlichen Texturen zu spielen, kein organisches Zusammenwirken der einzelnen Teile im Rahmen eines übergeordneten Ganzen. Stattdessen ein additives Aneinandersetzen von Einzelteilen, die nicht zusammenwirken.


    Nun kann man ja durch Geometrisierung durchaus abstrahieren und reduzieren - Picasso vermochte das, Barlach auf seine Weise auch. Am besten freilich findet man die Kunst der Komprimierung in den Bozzetti des Barock.


    Eine solche Abstraktion und Reduktion setzt aber voraus, dass man das Eigentliche, den Wesenskern, erfasst hat, so dass er erkennbar bleibt bzw. noch mehr verdeutlicht wird. Oder aber, dass man die Reduktion bzw. Abstraktion nutzt, um ganz neuen Ausdrucksformen, die im Sujet an sich gar nicht angelegt sein müssen, zu gewinnen: zum Beispiel durch die Auflösung eines Gewandes in ein plastisches Spiel von Licht und Schatten (das freilich mit dem Bildthema insofern zu tun haben kann, als es innere Erregung oder Leidenschaft oder ein "Ergriffensein" sein durch das Wehen des Göttlichen Geist ausdrückt).


    In Bremen aber haben wir es m. E. bloßer Banalisierung zu tun.






    Stephan Trüby: "Ich sehe den Versuch eine elitäre, wohlhabende Schicht in dieses Terrain zu locken und hier eine Teufelsaustreibung des Sozialismus zu betreiben mit städtebaulichen Mitteln..."

    Okay... Und daran ist was schlecht?
    cclap:) cclap:) cclap:)

    Im Grunde sagt er doch nichts anderes, als dass da ein "linker" Raum verloren geht. Schlimm aber auch....

    Es handelt sich hier ja um eine unheilige Allianz zweier unterschiedlicher Strömungen:

    • Die eine Gruppe will vermeiden, dass mit dem Schloss ein "Symbol des Feudalismus und des Junkertums" aufgewertet wird.
    • Die andere Gruppe findet es tatsächlich erstrebenswert, klassischer Architektur etwas Modernistisches als Kontrapunkt gegenüberzustellen

    Da muss man die Menschen (Politiker eingeschlossen) immer wieder klar fragen: Seid ihr wirklich bereit, euch von diesen beiden Minderheiten die Aufenthaltsqualität unserer Innenstädte ruinieren zu lassen?

    Und die dritte Gruppe, nämlich die roten Politiker, will den Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus als Trophäe behalten.

    @east clintwood.: Im Ergebnis stimme ich Dir zu. Den Vergleich mit Jesus Christus würde ich in diesem Zusammenhang aber nicht machen wollen. Für (katholische) Christen ist Christus ja heute noch im Dreifaltigen Gott präsent, so dass zu fragen was Jesus uns heute (im buchtäblichen Sinn) sagt, nicht anmaßend ist.


    Aber das ändert natürlich nichts an dem was Du zu der Aussage zum Werk Schinkels sagst.

    Es gibt ein Buch des ehemaligen Jesuitenschülers und CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler, das genau diesen anmaßenden Titel "Was würde Jesus heute sagen?" trägt. Offenbar, das haben Kritiker schon damals gemutmaßt, hatte Geißler einen besonderen Draht zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit.
    Eine weitere Analogie zum "Bauen in Geiste Schinkels" war Karl Rahners Konstrukt vom "Geist des Konzils", das modernistische Theologen nutzten, um das Zweite Vaticanum in ihrem Sinne weiterzudenken bzw. in ihrem Sinne umzudeuten - weit über das hinaus, was die Konzilsväter wirklich wollten.
    Und wenn man zu dem Stichwort "Im Geiste Schinkels" googelt, findet man auch das hier:


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    Es ist auch immer die Frage, was man unter Funktion versteht. Das Elend der Moderne liegt ja darin begründet, dass sie diesen Begriff auf die praktische Nutzung bzw. die technische Effizienz reduziert hat.

    Funktionen eines Gebäudes sind aber auch:

    - Verschönerung des Stadtbildes

    - Vermittlung einer (höheren) Idee

    - Weckung bestimmter Gefühle beim Betrachter

    - Signalwirkung (als Wahrzeichen, als Landmarke etc.)

    - Vermittlung eines bestimmten Stilideals bzw. einer ästhetischen Grundhaltung

    usf.

    Meine Rede seit langem: Wir brauchen Einrichtungen, in denen diese Fähigkeiten wieder vermittelt werden, ebenso wie wir zumindest eine Kunstgewerbeschule brauchen, in der die alten Kunsthandwerkstechniken gelehrt werden - und zwar einschließlich des richtigen Designs und der stilsicheren Formensprache.

    Der ganze "Durchlüften"-Klamauk ist doch nichts weiter als der infantile Versuch, aus vermeintlich rechten Räumen den vermeintlich rechten Mief auszuräuchern. Exorzismus auf Kleinkind-Niveau.

    Und auch im Dresdner Kaiserpalast hat ja kein Kaiser residiert... :smile:

    Die Bezeichnung eines Gebäudes hängt nicht nur von der gegenwärtigen Nutzung, sondern auch von der Typologie, der Geschichte und der städtebaulichen Bedeutung ab.


    Welches Kriterium jeweils gilt, ist unterschiedlich.


    Der Parthenon wird schon seit 1700 Jahren nicht mehr als Tempel der Athena Parthenos genutzt, aber er wird immer noch als ein Tempel bezeichnet, weil er der Typologie des Tempels entspricht.


    Das Musée d'Orsay war einmal ein Bahnhof, dennoch bezeichnet man es nicht mehr als einen solchen.


    Im Reichstagsgebäude tagt nicht mehr der Reichstag, dennoch nennt man es nicht Bundeshaus.


    Der vom Bundestag in Bonn genutzte Interimsbau wurde eingedenk seiner ursprünglichen Funktion weiterhin als "Wasserwerk" bezeichnet.


    Das Neue Schloss in Stuttgart, das Karlsruher und das Mannheimer Schloss sowie das in Teilen wiederaufgebaute Braunschweiger Schloss heißen so, obwohl da kein Fürst mehr residiert. Einfach, weil es der architektonischen Typologie, der Geschichte und der städtebaulichen Bedeutung entspricht.


    Selbst die Münchner und die Würzburger Residenz haben ihren alten Namen behalten, obwohl Residenz nicht einmal die Typologie, sondern nur die längst verloren gegangene Funktion bezeichnet und allenfalls auf die städtebauliche Bedeutung (Zentrum einer Residenzstadt) anspielt.


    Im Fall des Berliner Schlosses ist die Sachlage indes eindeutig: Am 4. Juli beschloss der Deutsche Bundestag mit fast Zweidrittelmehrheit folgenden Antrag:

    "Das Berliner Schloss soll in seinen drei Barockfassaden und mit dem Schlüterhof wiedererstehen, mit überwiegend neuzeitlich gestaltetem Interieur. Wo immer möglich, sollten historische Raumfolgen für ihren späteren Ausbau im originalen Format am alten Standort berücksichtigt werden. Die optimale Lösung wird über einen Einladungs-Realisierungswettbewerb ermittelt."


    Die Bezeichnung Humboldtforum bezieht sich also nur auf die Institution, die derzeit das Berliner Schloss nutzt, nicht auf das Gebäude an sich. Wenn die Herrschaften im HuFo das anders sehen, ist es im Grunde ein Akt geistiger Okkupation.