Nürnberg - Schöner Brunnen - Kunstprojekt während der WM

  • Anbei ein Stimmungsbericht aus Nürnberg. Ein Münchner Künstler "verhüllt" den Schönen Brunnen mit knapp 1000 alten, ausrangierten Plastikstühlen aus dem Berliner Fußballstadion. Anstelle des Schönen Brunnens sollen für die Dauer der WM allen internationalen Gästen nur die ausgemusterten Stühle sehen... :gehtsnoch:

    Die Reaktion der Nürnberger Bürger: Lautstarke Proteste vor dem Brunnen, Bürgerversammlungen am Hauptmarkt, Flaschen fliegen auf die Bauarbeiter, Gelbe Säcke werden über den Bauzaun geworfen, 15 Mann der Bereitschaftspolizei erteilen Platzverweise ...

    Hier Berichte zum Thema:


    NN: ,Stimmung ist explosiv‘
    http://www.nn-online.de/artikel.asp?art=487559&kat=10


    Sonntagsblitz: Kunstprotest provoziert Polizeieinsatz
    http://www.sonntagsblitz.de/artikel.asp?art=488137&kat=236


    Die Frage an euch: Ist diese Art des Protests kontraproduktiv und bewirkt das Gegenteil oder noch legitim?

    Wie denkt ihr? Auf welches Niveau begibt man sich durch solche Aktionen und welche Auswirkungen hat das auf zukünftige Forderungen?

    VG

  • Wie auch bei anderen gesellschaftlichen Themen ist die friedliche Bekundung seiner Meinung legitim, während eine emotional-gewalttätige Ausdrucksform völlig destruktiv ist, und das ursprüngliche Anliegen diskreditiert.

    Was die Kulturreferentin angeht, mit Verlaub, die Dame spinnt:

    Zitat

    Wenigstens 20 Minuten stellte sich am Freitagnachmittag auch Kulturreferentin Julia Lehner (CSU) dem geballten Unmut der vorwiegend älteren Bürger... „Wir müssen aufpassen, dass Nürnberg nicht als reaktionäre Provinzstadt erscheint“, warnte sie.

    Um also zu beweisen, wie "modern", weltoffen" etc. man ist, muß man also einen der schönsten Brunnen Deutschlands durch "Kunst" verdecken. Und niemand von den Verantwortlichen kommt auf die eigentlich naheliegende Idee, daß ein aus der Ferne angereiste Fußballfan außerhalb des Stadions vielleicht etwas typisch deutsches - wie z.B. einen Marktbrunnen - sehen und fotografieren möchte, und nicht einen Müllberg, wie man ihn in irgendeinem Vorort-Ghetto sehen kann.

    Kunstschätze zu zeigen, ist also neuerdings "reaktionär" und "provinziell". Dann müßte der Louvre also demnächst mit Müllsäcken verkleidet werden... hach, wie modern und weltoffen :boese: .

  • Zitat von "Jürgen"

    Wie denkt ihr? Auf welches Niveau begibt man sich durch solche Aktionen und welche Auswirkungen hat das auf zukünftige Forderungen?

    Naja, ich denke Flaschen auf Bauarbeiter werfen ist jenseits des akzeptablen, aber wenn man ohne Schäden zu verursachen auf niedrigen Niveau demonstriert... warum nicht? Mir persönlich wäre das zu armselig aber ich finde es besser als gar nicht den Mund aufzumachen.

    Und über das Projekt selber kann ich nur lachen... sorry, aber eure Stadt macht sich damit sowas von lächerlich, das ist schon fast wieder traurig. Ich mein, Plastikstühle zu einem Haufen zusammentürmen, am besten noch von einem namhaften Künstler, sowas macht vielleicht eine reaktionäre Provinzstadt aber sicherlich keine uralte Reichsstadt die stolz auf ihre Schätze ist.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Also wenn der Protest gegen solche "Kunst" Zeichen reaktionärer Gesinnung ist, so bin ich ab heute ein Reaktionär.

    Und zwar einer von der finstersten, zynischsten Sorte, versteht sich.

    Nein, die werden gedünstet

  • Zitat

    Die Frage an euch: Ist diese Art des Protests kontraproduktiv und bewirkt das Gegenteil oder noch legitim?

    Wie denkt ihr? Auf welches Niveau begibt man sich durch solche Aktionen und welche Auswirkungen hat das auf zukünftige Forderungen?

    Kontraproduktiv ist es nicht, es zeigt dass es vielen Bürgern gewaltig stinkt.
    Ob es legitim ist, weiß nicht... also Flaschen auf Bauarbeiter geht nicht, ansonsten muss das Volk manchmal schon deutlich werden. Wobei ich selbst keine solchen Sachen machen würde, das ist nicht mein Stil.
    Das Niveau solchen Verhaltens ist natürlich niedrig, wie gesagt, mein Fall ist es nicht, aber für weniger intellektualisierte Menschen (nicht wertend gemeint), mag es eine Ausdrucksform sein.
    Auswirkungen auf zukünftige Forderungen hat es nicht. Weil die, die fordern, nicht die gleichen sind, die "randalieren".

    Und die Aktion selbst: peinlich und dämlich, völlig unnötig, keine Kunst, sondern Blödsinn.

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Einige gestreute Gedanken dazu:

    - Zynisch könnte man sagen: Jedesmal, wenn größere Massen Engländer nach Nürnberg kommen, mauern wir den Schönen Brunnen ein. Wüßten die erwarteten Gäste von der Insel allesamt, daß der Brunnen '45 einen Betonmantel hatte, um vor den britischen Bomben geschützt zu sein, würden manche angesichts der neuen Umhüllung vielleicht spüren, daß sie damals ziemliche Kulturzerstörung betrieben haben, vor der man sich schützen muß. Als Künstler hätte man dann aber lieber gleich einen neuen Betonmantel herumbauen sollen; So dürfte es den meisten der englischen Fans nicht zugänglich sein, daß auch hierauf angespielt sein könnte. Die Engländer predigen für Ihren Besuch in Deutschland "don't mention the war" - und wir spielen mit dem Kunstwerk gerade auf den Krieg an, wie der Künstler offen zugab.

    - Die Touristen werden sich über den Anblick genauso ärgern, wie wenn unsereins nach Rom kommt und die halbe Stadt ist eingerüstet - wobei das ja noch als sinnvolle Erhaltungsmaßnahme verziehen werden kann. Nicht aber, wenn irgendwo absichtlich das Gesuchte entzogen wird.

    - Ich finde auch, daß ein solches Gebilde wie "Auf Wiedersehen" heute im Hinblick auf Provokation keinen mehr hinter dem Ofen hervorlockt. Ich finde die Proteste auch etwas übertrieben, denn in ein paar Wochen ist der Spuk wieder vorbei. Die verwitterten Originalfiguren können sich wirklich Kunstinteressierte jederzeit im Germanischen Museum ansehen. Die meisten der Touristen kommen wegen Fußball, weniger wegen Kultur und speziell des Schönen Brunnens.

    - Minderwertigkeitskomplex und gerade provinziell wirkende Geltungsneurose der Stadtverwaltung im überregionalen Kontext sind auffällig, aber es geht anscheinend nicht ohne. Erfolgs- und Profilierungsdruck bei Politikern, nicht nur Frau Lehner, tun ihr übriges dazu.

    - Was habe ich noch gelesen? Man möchte den braunen Geist in Nürnberg aus der Reserve locken? Würg!

    ... und so weiter ...

  • Na ja, es ist halt immer dasselbe: ein halbgebildeter pseudointellektueller Dummschwätzer ernennt sich selbst zum "Künstler", um dann mit irgendeiner Schwachsinnsaktion Provinzpolitikern Steuergelder aus der Tasche zu ziehen.
    Gegen die berechtigte Kritik daran wird besagter Schwachsinn dadurch immunisiert, daß man die Kritiker - die halt einfach nur genug Hirn und Mut haben, Schwachsinn auch als Schwachsinn zu benennen - zu "Reaktionären" stempelt. Und die ängstlichen Provinzpolitiker und -Innen, die auf jeden Fall "fortschrittlich" und bestimmt nicht "reaktionär" sein wollen, machen dann flugs jeden Käse mit.

    Dieses Spielchen ist mir langsam zu öde, um mich noch drüber aufzuregen.

    Merke: Es gibt nichts Provinzielleres, als um jeden Preis nicht provinziell sein zu wollen.

  • Man beachte die verdrehte, sich im Stürzen befindende Formgebung, die quasi die Vergänglichkeit der Welt, der Architektur und der Ästhetik symbolisiert...

    Oder:

    Man beachte wie sich das Kunstwerk in seiner Form, Höhe und Gestaltung wie von selbst in seine Nachbarbebauung einfügt...


    :zwinkern:


    Es gibt bestimmt durchgeknallte Kunst- oder Architekturkritiker die so etwas jetzt schreiben.


    Das erinnert mich an den Architekten im Berliner-Schloss-Forum mit seiner Meinung: "Architektur darf nicht gefallen".

  • Lasst uns am besten gar nicht mehr über Sinn und Usinn eines solchen Quatsches äussern. Ich kenne diese Art von Künstler, die fühlen sich doch nur bestätigt, wenn man nur darüber spricht!

  • Man hätte das Geld dafür auch verbrennen können, dann hätte man wenigstens noch Wärme gehabt.

    Ich mein, über Kunst lässt sich streiten. Aber hier kann ich keinerlei künstlerische Aspekte erkennen. Auch die Tatsache, dass es dem Großteil der Nürnberger scheinbar nicht gefällt lässt daran zweifeln, dass es wirklich Kunst ist.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • ... sowas beklopptes. Die ausländischen Fussballfans möchten doch auch was von Deutschland sehen. Wie soll man Ihnen unsere kostbaren Schätze zeigen wenn man sie mit einem Haufen aus Stühlen verdeckt. Für mich ist das kein Künstler und auch keine Kunst.

    Kunst ist "Mona Lisa", "Das letzte Abendmahl" von Leonardo da Vinci.

    Das Geld hätte man sich für eine Spätere Sanierung des Brunnens aufheben können, wenn er mal sanierungsbedürftig ist.

  • Dieses Kunstobjekt haette vielleicht in der Naehe des Fussballstadions eine gewisse Daseinsberechtigung gehabt (wenn es denn ueberhaupt aufgestellt werden musste), aber in der Nuernberger Altstadt ist es in meinen Augen total verfehlt. :augenrollen:

    Und um Deine Frage zu beantworten, Juergen: Einige Demonstranten sind entschieden zu weit gegangen.

  • Ein Auszug aus der Süddeutschen:

    Zitat

    SZ: Aber wie bezieht sich die Skulptur inhaltlich auf den Brunnen?

    Metzel: Im Grunde bezwecke ich nichts anderes, als die Vermüllung der Städte ins Bild zu setzen, in zugespitzter Form. Ich nehme dafür Stadionsitze. Die Replik des Brunnens wird ein Teil meiner Installation. Ihr wird keine Gewalt angetan; diese existiert nur als Bild. Nach unten hin verdichtet sich die Struktur, dort findet man Treppenelemente, massive Betonklötze. Daraus entsteht ein vollkommen neues Bild. Es ist auch ein Bild unserer Zeit – und die Arbeit steht nur acht Wochen lang. Das wird auch immer vergessen.

    SZ: Sie verwenden Schalensitze aus dem alten Berliner Olympiastadion, das für die Olympischen Spiele 1936 entstanden ist, in Nürnberg, der Stadt der Reichsparteitage. Da drängen sich geschichtliche Assoziationen auf.

    http://www.sueddeutsche.de/,kulm1/kultur/artikel/538/74464/\r
    http://www.sueddeutsche.de/,kulm1/kultu ... 538/74464/

    Ob´s den Fußballfans egal sein wird?

    Wenn du ein Haus baust, denke an die Stadt (Luigi Snozzi)

  • Regt Euch doch nicht so auf: eine bessere Antiwerbung für moderne Kunst konnte es doch gar nicht geben. Und um so besser: durch die Installation an zentraler Stelle hat sich das "kunstwerk" direkt in das Bewusstsein der sonst so gleichgültigen Bevölkerung katapultiert. Durch so ein Negativbeispiel schafft man Bewusstsein für Ästhetik. Und das beste daran ist noch, nach der Wm verschwindet es wieder!