Berlin - Marien- und Heiliggeistviertel - Rathausforum, Marx-Engels-Forum

  • Ich war heute da. Die Anlage hat etwas von einer Weihestätte, kreisrund mit Stelen die Abbildungen aus der Geschichte des Sozialismus zeugen, In der Mitte an zentraler Stelle die beiden Heiligen. Ein Hohn für dielen Opfer des Sozialismus und extrem verfassungswidrig. Es ist mir unverständlich, dass so etwas gehegt und gepflegt wird.

  • A

    Ich bin in der DDR groß geworden.

    Ich bin in unmittelbarer Nähe von Wuppertal groß geworden, der Geburts- und Todesstadt von Friedrich Engels. Und dennoch liefert mir diese geografische Nähe nicht den Hauch eines Grundes, mich mit diesem Ideologen oder seinen menschenverachtenden Ideen zu solidarisieren.

    Umgekehrt habe ich daher auch immer Schwierigkeiten zu verstehen, wie aufrechte Mitmenschen, nur weil sie in der DDR groß geworden sind, den Drang verspüren, sich mit einem verbrecherischen Regime zu solidarisieren, nur weil sie innerhalb derselben Mauer gelebt haben. Nimm es mir bitte nicht übel, lieber Kaffeesachse.

    Für mich gibt es auch überhaupt keinen Widerspruch zwischen meiner oft beißenden Kritik an den tödlich-kommunistischen Verbrechen der DDR-Regierungen und meiner Bewunderung für die Leistungen von Millionen von Menschen, die durch diese Diktatur über Jahrzehnte um die Möglichkeiten einer freien Gesellschaft gebracht wurden.

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    Gutmensch = Gut gemeint, nicht zuende gedacht, schlecht gemacht

  • PS: Dort, wo jetzt die zwei alten weißen Männer stehen bzw. sitzen, war früher mal das historische Zentrum Berlins. Vielen Dank an die DDR für diese Großtat

    Das war ganz gewiß keine Großtat der DDR, da vorher schon amerikanisch/britische Bomber ganze Arbeit geleistet haben und der Kampf um Berlin 1945 den Rest erledigte. Da wurde dann natürlich zu DDR Zeiten abgeräumt, da waren fast nur Ruinen und, das habe ich auch erfahren, nur sehr wenige erhaltenswerte Gebäude ohne großen geschichtlich/historischen Wert. Wurde übrigens weiter westlich auch so gemacht.

    In der Architektur muß sich ausdrücken, was eine Stadt zu sagen hat.
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten

  • Das war ganz gewiß keine Großtat der DDR, da vorher schon amerikanisch/britische Bomber ganze Arbeit geleistet haben und der Kampf um Berlin 1945 den Rest erledigte. Da wurde dann natürlich zu DDR Zeiten abgeräumt, da waren fast nur Ruinen

    Ein typisches Narrativ aus DDR-Zeiten, vor allem aus der Ära Ulbricht. Mit dem lapidaren Hinweis auf den "angloamerikanischen Bombenterror" wurden in dieser Zeit zahlreiche wiederaufbaufähige Schösser (wie das Berliner Schloss), Altstädte (wie Dresden) und Kirchen (wie St. Marien in Wismar) endgültig beseitigt und zerstört.

    Auch das Berliner Marienviertel wäre wiederaufbaufähig gewesen, die heutige dortige gigantische Brache mit dem Fernsehturm als Mittelpunkt war der Wille des Ulbricht- und Honecker-Regimes. Die Existenz dieser städtebaulichen Situation ausschließlich Bomber Harris in die Schuhe zu schieben ist also völlig absurd.

  • Auch das Berliner Marienviertel wäre wiederaufbaufähig gewesen, die heutige dortige gigantische Brache mit dem Fernsehturm als Mittelpunkt war der Wille des Ulbricht- und Honecker-Regimes. Die Existenz dieser städtebaulichen Situation ausschließlich Bomber Harris in die Schuhe zu schieben ist also völlig absurd.

    Der letzte Satz ist typisches BRD-Narrativ, insb der gerade stilblütenhafte Vorwurf des "in die Schuhe Schiebens." Vielleicht war die Zerstörung gar nicht so gewollt?

    Die "heutige gigantische Brache" war halt ein Wiederaufbaukonzept, über das man natürlich diskutieren kann. Dieses ist schon begrifflich auf die Zerstörung zurückzuführen, dies ungeachtet des Umstandes, dass die DDR auch in der Tat unzerstörte Stadtflächen gewissen aberwitzigen Projekten geopfert hat (aber das ist eben eine andere Geschichte, die hier nicht zu erörtern ist. Das Marienviertel wurde ja bekanntlich zerstört). Und was heißt schon "wiederaufbaufähig"? Mit welchem Aufwand, welchen Mitteln, überhaupt im Zusammenhang mit dem landesweiten Verwüstungen?

    da waren fast nur Ruinen und, das habe ich auch erfahren, nur sehr wenige erhaltenswerte Gebäude ohne großen geschichtlich/historischen Wert.

    Dies dürfte eindeutig zutreffen. Dazu kommt, dass es sich um höchst aufwändige Gründerzeit gehandelt hat. Und das erschwert sogar jegliche bloße Reko-Wunschvorstellungen hier im Forum.

    Dass man mit dem Staat, innerhalb dessen man groß geworden ist, eine gewisse Verbundenheit verspürt, ist doch die natürlichste Sache der Welt. Geht mir sogar noch heute so. Mitunter erwische ich mich immer noch bei ansatzweisen patriotischen Gefühlen, ehe ich mir sagen muss, wie niedrig und gemein und völlig unangebracht das ist. Und immerhin sind damals wirklich große Leistungen vollbracht worden, die wir uns heute gar nicht vorstellen können, wie die Versorgung einer derart großen Anzahl von Menschen mit Wohnraum und die Etablierung eines gewissen Lebensstandards.

    Natürlich ist der DDR-Städtebau in vielem zu kritisieren, ist aber auch an den seinerzeitigen Rahmenbedingungen, wie den massiven Kriegszerstörungen zu messen. Sprengungen wie in Berlin (Stadtschloss), Potsdam (ditto und ehschonwissen), Wismar (Marienkirche), Rostock (Jacobikirche) und etliche mehr sind natürlich unverzeihlich und finden im Westen glücklicherweise keine Pendants. Verweise auf die "wiederaufbaufähige Altstadt von Dresden" bzw auf das Berliner Marienviertel sind absurd, die heutige Gestaltung des Letzteren stellt mE die allergeringste Verfehlung der DDR dar.

    An dieser Gestaltung großartige Änderungen vorzunehmen ohne den Schimmer eines neuen Generalplanes hielte ich für nicht zielführend. Die Marx-Engels-Figuren sind mittlerweile historisch. In ihrer beinahe entwaffnenden Naivität, die sie von den heutigen Manifestationen der politischen Nachfolgeparteien geradezu wohltuend unterscheidet, halte ich sie für völlig unschädlich. Und immerhin kommt dadurch die Stella-Rückseite zu höheren Weihen, indem sie so etwas wie den würdigen Rahmen abgibt, ganz nach dem Motto: Was zusammengehört, das findet sind.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Ich wollte die Zerstörungswut von Ulbricht oder Honecker in keinster Weise rechtfertigen. Heute wäre sowas nicht mehr möglich, bei uns jedenfalls.

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    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten

  • Was geht eigentlich auf Honeckers Konto?

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    14. Buch 9. Kapitel
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  • Was geht eigentlich auf Honeckers Konto?

    Das kann ich so gleich gar nicht beantworten. Ehrlich. Unter seiner Führung entstand dagegen z.B. das Schauspielhaus in Berlin neu, die Semperoper in Dresden, das Gewandhaus in Leipzig oder das Berliner Nikolaiviertel. Aber natürlich auch der Palast der Republik, der wiederum dem unter Ulbricht gesprengten Stadtschloss wieder weichen musste. Heute vielleicht nicht mehr so einfach, damals in der Euphorie der Wiedervereinigung durch den Bundestag beschlossen.

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  • Extreme sind nie gut. Auch der Kapitalismus ist eine extreme Gesellschaftsordnung, das wussten schon Marx und Engels und haben mit ihrem Manifest versucht, eine Lösung für die vielen gesellschaftlichen Widersprüche zu finden. Leider zeigen sich heute in amerikanisch bestimmten Unternehmen starke Tendenzen des Überwachungsstates DDR: es wird alles nachverfolgt - jeder Browserverlauf, jede E-Mailantwort, jede Besprechung. Einfach widerlich. Der abhängig Beschäftigte ist wieder der Dumme und von Würde des Menschen kann hier keine Rede mehr sein. Denn es handelt sich um die Ökonomisierung von Menschen. Wieviel bringt der Einzelne im Vergleich zu seinen Kollegen dem Unternehmen. Permanente Erreichbarkeit gehört dazu. Überstunden, Wochenend- und Feierabend-Arbeit wird nicht nur erwartet, sondern vorausgesetzt - unbezahlt natürlich. Das Tragen von in Billiglohnländern produzierten T-Shirts mit Firmenlogo zur Team-Bildung gehört auch dazu. Man fühlt sich versetzt in die Zeit des 19. Jahrhunderts wo Arbeitnehmerrechte erst mühsam erkämpft werden mussten. Insofern ist es doch ganz gut, ein solches Denkmal mitten im Zentrum Berlins zu haben. Denn Geschichte wiederholt sich.

  • Ja, aber ob auch das alte Marienviertel, stünde es denn noch, wirklich ein solches kräftig schlagendes Herz abgegeben hätte, erscheint fraglich. Ich denke, dass das alte Berlin mehr als Ganzes gewirkt haben muss. Und das eigentliche Herz waren sicher die Linden mit gewissen Erweiterungen (Gendarmenmarkt, Stadtschloss, Dom).

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    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Wenn man heute über die "bestmögliche" Gestaltung des Marienviertels redet, denkt man doch, bewusst oder unbewusst, immer auch an die Wirkung auf auswärtige Besucher (schnöde auch "Tourismus" genannt).

    Wie war das eigentlich bei Ulbricht & Co.? Wollten die Genossen auch primär eine Wirkung erzielen? Vielleicht auf die DDR-Bürger, die in "ihrer" Hauptstadt das Idealbild des modernen sozialistischen Staates sehen sollten? Das würde ja auch unterschiedliche Vorgehensweisen bei der Stadtplanung erklären, oder?

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  • das Herz, ein richtiges Zentrum in Berlin fehlt

    Genau. Zumindest gibt es jetzt in den nächsten Jahren am benachbarten Molkenmarkt die Chance, einen Teil der eigentlichen Herzkammer Berlins wieder mit Leben zu füllen. Nutzen wir diese gut! <3

    Das Marienviertel wird auch nochmal seine große Stunde haben. Das historische Herz Berlins innerhalb der Wallanlagen bzw. später der Zollmauer war ein unglaublich lebhafter und spannender Organismus auf Weltniveau. Sicher, keine Altstadt von enormer Geltung wie in Prag und Co., aber das Zusammenspiel aller Elemente konnte in dieser Kompaktheit schon einiges.

  • Einer Stadt, die in ihrer historischen Mitte auf großem Raum den Erfindern von Sozialismus/Kommunismus huldigt, bin ich gegenüber misstrauisch. Zumindest für die Zeit, in der das Bestand hat. Diese unkritische Zurschaustellung stört mich mehr als alle in Deutschland verstreuten Kaiser Wilhelm- und Bismarck-Denkmäler zusammen.

    In dubio pro reko

  • Natürlich hätte eine dicht bebaute und belebte Altstadt auf dem MEP und Rathausplatz gut sein können, aber das ist entschieden und ich bezweifle, dass hochpreisige Stadtwohnungen für wohlhabende Neubürger und Spekulanten wieder eine wünschbare, organisch gewachsene Innenstadt-Lebendigkeit herstellen könnten. 


     Eine hochwertig angelegte und reich bepflanzte Parkanlage wäre für mich sehr gut vorstellbar, nach Westen mit enger axialer Verbindung zur Spree, zum Humboldt-Forum (mit Brücke?) und gegenüber zum imposanten Fernsehturm. Leider wäre ein solch großzügiger Park zum Flanieren und Entspannen nördlich und südlich von den weithin sichtbaren, übergroßen, monotonen Baukörper-Fassaden flankiert, die das Gesamtbild wie Sperrriegel nach wie vor kaputt machen. Zudem gibt es eine starke Lobby, die sich auf dem ganzen Gebiet lieber Volksfestrummel, Abenteuer-Spielplatz und Picknick vorstellen.