Sehschule - Banalität des Alltags

  • Das l

    Gerade bei Mehrfamilienhäusern im Besitz der Stadt oder großer Wohnungsgesellschaften begegnet mir in den letzten Jahren das Phänomen der "Farbverschmutzung" des öffentlichen Raumes. Häuser der Zwischenkriegs- und Nachkriegszeit werden mit Styropor-Platten gedämmt, und danach entscheiden die Verantwortlichen, das banale Gebäude durch einen möglichst billig wirkenden bunten Anstrich ohne Konzept, Sinn und Verstand "freundlicher" zu machen. In Offenbach ist seit Jahrzehnten die SPD Entscheidungsträgerin in Sachen Stadtgestaltung. Beim diesjährigen Faschingszug, dem ich beiwohnte, weil ich einen Freund besuchte, der an der Zugstrecke wohnt, konnten es die Sozialdemokraten natürlich nicht unterlassen, die Veranstaltung mit Anti-Pegida-Transparenten politisch instrumentalisieren zu wollen. "Wir sind bunt" stand auf einem der Poster dieser feixenden Zugteilnehmer. Und sicherlich stellen sie sich das genau so vor wie das unten gezeigte Sanierungsbeispiel von Häusern an der Mühlheimer Straße. (Und es sei betont, dass das noch nicht mal die mieseste aktuelle Farborgie ist, die mir in der Stadt aufgefallen ist.) Einige kleine Wohnhochhäuser der Nachkriegszeit wurden dort gedämmt und mit einem "freundlichen" bunten Anstrich versehen. Ein sinnvolles Farbkonzept ist dabei nicht erkennbar, außer dass möglichst keine Symetrie und Harmonie geschaffen werden soll. Wir sind ja eben "bunt". Das zweite Bild zeigt noch ein Haus im (natürlich mittlerweile stark angegrauten) Originalzustand, das sicher auch bald dran glauben muss. Hier betont die Farbe immerhin noch die vorhandene architektonische Gliederung des Gebäudes. Zudem sind die Fenster noch dreifach geteilt.


    Die Buntheit soll hier sehr wahrscheinlich keine politischen Botschaften transportieren, sondern dahinter stecken Gestaltungsvorschläge der Firma STO AG. Die stellen Wärmedämmverbundsysteme her, sind aber ursprünglich und auch heute noch ein Farbenfabrikant. In deren Prospekten tauchen immer wieder bunte Fassaden als leuchtendes Beispiel auf. Diese Buntheit ist typische STO-Handschrift.

  • http://www.sonnenschloss-walbeck.de/Sonnenschloss_…ik-Projekt.html

    Großer Gott...

    Zu akzeptieren wäre das nur, wenn es ein Provisorium ist um die Sanierung der weitläufigen Nebengebäude zu finanzieren

    besser:
    https://www.flickr.com/photos/28077296@N02/5888022310

    Man beachte die Solarschindeln und Fensterläden. Dennoch nicht optimal, das Dach wirkt wie aus Plaste.
    Aber zumindest hat man noch ein Restanstandsgefühl an ästhetischem EInfühlungsvermögen gezeigt.

    Generell aber: Solaranlagen haben auf Denkmalgeschützten Objekten nichts verloren, mit der Ausnahme vielleicht, daß man sie nicht sieht,
    zB wenn sie auf den fast Flachen Dächern von Mietskasenen installiert werden (die eh oft nur mit Teerpappe zusammengeschustert sind)
    Da ist der Winkel der Dachneigung für die mitteleuropäische Sonne aber wohl zu klein, daß es sich lohnen würde, glaube ich.

  • Zitat

    Die blendfreien, mono- und polykristallinen Hochleistungsmodule des Herstellers Solarbest, montiert mit dem innovativen Clickcon-Montagesystem sind nicht nur die Gewähr für einen dauerhaften und störungsfreien Betrieb der Solaranlage, sondern geben den historischen Gebäuden auch ein modernes Gepräge.
    Quelle: http://www.sonnenschloss-walbeck.de/Sonnenschloss_…ik-Projekt.html

    Welch Euphemismus...

  • Solaranlagen haben auf Denkmalgeschützten Objekten nichts verloren


    Und auch nicht auf den vielen wertvollen, stadtbildprägenden Bauten des 11. - 18. Jahrhunderts, die nach unserer Auffassung Denkmäler sind, denen der Schutz aber vom offiziellen Denkmalschutz verwehrt wird. Z. B. weil man in manchen Orten die erhaltenswerten Gebäude ganz einfach nur beispielhaft in die Denkmalliste aufgenommen hat. Ich habe schon diverse Male erklärt, wieviele erhaltenswerte Bauten in den Denkmallisten fehlen. Manchmal wurden Objekte, die mir schon viele Jahre als Denkmal bewusst sind, irgendwann später in die Liste aufgenommen, während Objekte mit wenig Originalsubstanz mittlerweile sehr systematisch und gnadenlos aus der Liste gestrichen werden. Außer solchen Objekten, die überhaupt keine Originalsubstanz mehr aufweisen, weil nach dem Krieg wiederaufgebaut. So wird man den Eindruck von Willkür und Zufälligkeit nicht los.

  • Gesehen in Frankfurt-Sachsenhausen:

    Gepflegte, gut erhaltene Fasssade, Stuck intakt, stilgerechte Fenster - und dann so eine Nummer.

    Oder, um es mit Herbert Grönemeyer zu sagen: Was soll das?

  • " Der spannungsreiche Kontrast wirft den Ballast vergangener Rückständigkeit spielerisch über Bord, wobei die Funktionalität natürlich im Vordergrund steht." :lachentuerkis:

    Labor omnia vincit
    (Vergil)

  • Naja, abgesehen von dem Kobel - "gepflegt, gut erhalten" sieht anders aus.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • "Atticus", helf´ mir doch mal auf die Sprünge. Wie ist die exakte Bezeichnung für die im Historismus gerne verwendeten T-Fenster mit meist kippbarem Oberlicht? Danke vorab.


    Galgenfenster.
    (Tut mir leid, habe die Frage gerade erst durch Zufall gesehen.)

  • Gesehen in Frankfurt-Sachsenhausen:
    Gepflegte, gut erhaltene Fasssade, Stuck intakt, stilgerechte Fenster - und dann so eine Nummer.

    Das Haus ist mir auch schon negativ aufgefallen. Eine Freundin wohnt gegenüber. Da hat eben ein Modernismus-Freund gedacht, sein Haus mit einem "spannenden Kontrast" beleben zu müssen. Für mich in dieser Form weder Erker noch Balkon, sondern eher Schaufenster oder Striptease-Kabine. Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass der Bewohner damit richtig glücklich wird. Die zugezogenen Vorhänge sagen ja schon das ihrige.

  • In eine vergleichbare Kategorie wie das gezeigte Beispiel aus Frankfurt- Sachsenhausen lässt sich das Gebäude Warenburgstraße 32 in VS-Villingen einordnen.
    Im Rahmen des Tages der Architektur am Samstag, den 27. Juni, ist das Gebäude übrigens zu besichtigen.
    Quelle:http://www.suedkurier.de/region/schwarz…t372541,7942209

    Nach Umbau präsentiert sich das Gebäude folgendermaßen:
    http://static4.suedkurier.de/storage/scl/xm…sion=1434759854
    Dazu heißt es:

    Zitat

    ....Privathaus und Büro von Olaf Wuttge-Greimel und seiner Familie in der Warenburgstraße 32. Das Objekt veranschaulicht die Neugestaltung eines 100 Jahre alten Wohnhauses nach den heutigen Wohn- und Arbeitsbedürfnissen. Der Villinger Architekt hat die im Jahr 1913 errichtete Gründerzeitvilla im Jahr 2009 erworben und in den vergangenen Jahren umgebaut. Da das Haus nicht unter Denkmalschutz stand, hatte er große Gestaltungsfreiheiten. Der Umbau zeigt auch, welche Möglichkeiten es heute gibt, ein solches Gebäude nach außen zu öffnen, um ihm Licht und Ausblick zu geben.

    Jeder, der sich die Fähigkeit erhält Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.
    http://www.archicultura.ch

    Einmal editiert, zuletzt von zeitlos (20. Juni 2015 um 06:43)

  • Auweia, das sieht wirklich richtig schlimm aus. Von Licht und "nach außen öffnen" kann ich auf dem Foto zumindest, abgesehen von dem misslungenen Balkonvorbau, nichts erkennen.
    Der Zustand des Gebäudes ist aktuell so? Dieser klotzige Anbau links stammt nicht von 1970, sondern aus heutigen Tagen? Dann wäre dieses Gebilde eine derartig proportionslose Geschmacklosigkeit, dass sie glatt auch in dem Thread zum hässlichsten Gebäude Erwähnung finden sollte.

    :gehtsnoch::daumenunten:

  • ...dahinter stecken Gestaltungsvorschläge der Firma STO AG. Die stellen Wärmedämmverbundsysteme her, sind aber ursprünglich und auch heute noch ein Farbenfabrikant. In deren Prospekten tauchen immer wieder bunte Fassaden als leuchtendes Beispiel auf. Diese Buntheit ist typische STO-Handschrift.

    Vielleicht kann "Stadtmensch" auch zu diesen Objekten sagen, ob sie von besagter Firma gestaltet wurden. Sie zeigen hierzulande übliche Wärmedämmfassaden mit jenen offenbar fröhlich wirken sollenden Anstrichen. Das beinhaltet wirr und asymmetrisch neben die Fenster gesetzte bunte Striche... :gehtsnoch:

    1. Offenbach, Mühlheimer Straße. Ein wärmegedämmtes Nachkriegsgebäude, um das es nicht sonderlich schade ist.

    2. Offenbach, Nordring. Ein wärmegedämmtes Gebäude der Zwischenkriegszeit, um das es schade ist.

  • :augenrollen: was will uns der Künstler damit sagen?! :wie:


    Ich denke mal, er hatte gerade nichts zu sagen..

    Wahrscheinlich wollte er die monotonen, endlos wirkenden Fensterreihen nur mit dem Hilfsmittel "Farbe" etwas auflockern. Gemalte Ornamente und Blümchen wären wahrscheinlich auch nicht so gut aufgenommen worden. :cool:

  • Steinbloß

    Ja, Farbe lässt sich leicht ändern. Ich höre diese Relativierung häufig, auch hier im Forum lese ich sie und dennoch verunstaltet Farbe faktisch betrachtet ein Straßenbild oder ein Ensemble über einen längeren Zeitraum. Kaum ein Hausbesitzer, der mit Unvermögen, Desinteresse oder Provokation farblich eingreift, wird kurze Zeit darauf im Sinne des Stadtbildes seine Immobilie erneut oder korrigierend streichen/ lassen. Insofern halte ich die häufige Verharmlosung der Thematik für keinesfalls zielführend. Selbst denkmalgeschützte Gebäude im städtischen Gefüge sind im übrigen nicht von der Willkür ihrer Besitzer außen vor. Die Firma Müller Drogerie hatte vor Jahren in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Fassade der Alten Post an der Marktstätte in Konstanz nach einer denkmalgerechten Instandsetzung einfach überpinseln lassen. Müller gefiel die Farbgebung nicht. Die Strafe dafür hat Müller aus welchen Kassen auch immer gezahlt. Bis heute existiert diese Müller'sche Version in grau und weiß.

    Jeder, der sich die Fähigkeit erhält Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.
    http://www.archicultura.ch

    2 Mal editiert, zuletzt von zeitlos (25. Juni 2015 um 20:18)

  • Zu den beiden wärmegedämmten Häusern in Offenbach:
    Ich war nicht dabei, aber das könnten sehr wohl Gestaltungsvorschläge der Firma Sto sein. Die typische Handschrift, meine ich. Beim zweiten Haus wurde sogar das typische STO-Gelb eingesetzt. Das ist die Markenfarbe der Firma so wie Magenta für die Telekom.
    Die Fassade des zweiten Hauses scheint wohl eine Nordfassade zu sein? Dunkle Farben bei einem WDVS will man eher vermeiden, denn durch die Sonnenstrahlen und die damit zusammenhängende Erwärmung arbeitet die Putzschicht und es entstehen Schäden. Es werden eher helle Farben empfohlen.

    Die Firma STO hat eigens Berater angestellt, die die Bauherren bei der Auswahl der Dämmmaterialien unterstützen. Die arbeiten über ganz Deutschland verteilt.

    Hier der Link zur Designabteilung von STO:
    http://www.stodesign.de/

    Da ist dann der Unterbereich "Farbplanung" interessant.