Die Zeit raubt die Schönheit...
Geduld, Fleiß und Können bringt sie uns aber bald wieder zurück.
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Die Figurengruppe "Boreas entführt Oreithya", besser bekannt unter dem eingängigeren Namen "Die Zeit raubt die Schönheit" ist eine bedeutende Marmorgruppe auf dem stadtseitigen Parterre des Palais im Großen Garten.
Sie wurde 1722 von dem italienischen Bildhauer Pietro Balestra im Auftrag der Kunstagenten August des Starken in Italien geschaffen und dann aufwändig nach Dresden befördert.
Sie wurde zunächst im Garten des Japanischen Palais aufgestellt und wohl erst 1831 in den Großen Garten umgesetzt.
So entging sie den Zerstörungen im 7-jährigen Krieg, denen v.a. der Große Garten (durch eine Stellung der Preußen in diesem Bereich) unterworfen war.
Anderen Werken Balestras erging es deutlich schlechter.
https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/166880
Heute steht das Marmor-Original von "Die Zeit raubt die Schönheit" zentral im stadtseitigen Parterre des Palais im Großen Garten.
Die Zeit raubt die Schönheit - Deutsche Digitale Bibliothek (deutsche-digitale-bibliothek.de)
Die Gruppe gehört zu den in der Barockzeit beliebten Raptus- (Raub- oder Entführungs-) Gruppen, die sich in etlichen Schlossparkanlagen und Museen finden.
Im Hintergrund an der Haupt-Alle sehen wir auf dem Foto oben zwei weitere dieses Genres.
Erwähnt seien weiterhin beispielsweise:
- die hervorragenden Marmor-Skulpturen im "Entführungsrondell" in Potsdam Sanssouci sowie
- Berninis "Raub der Proserpina" in der Villa Borghese in Rom.
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Schon früh war die Dresdener Skulptur bekannt und beliebt.
Für ein von August dem Starken geplantes Kupferstichwerk zur Präsentation seiner damals nördlich der Alpen noch unübertroffenen Sammlung von Antiken und zeitgenössischen Skulpturen wurde "Die Zeit raubt die Schönheit" erstmals abgebildet und gelangte so der Kunstwelt zur Kenntnis.
Das Dresdener Marmorwerk wurde sehr geschätzt.
Der wohl bedeutendste böhmische Barock-Bildhauer Matthias Bernhard Braun kopierte die Dresdener Gruppe für den Garten der Wallensteins in Dux (Duchcov).
Kann das Foto leider nicht mehr finden in meiner Sammlung.
Adolph Menzel beschäftigte sich mit ihr, denn die spiralige Bewegtheit der Gruppe ist meisterhaft.
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1973
Die Dresdner Raptusgruppe ist im Laufe der Zeit leider stark geschädigt worden.
Die Oberfläche wurde über die vielen Jahrzehnte freier Bewitterung langsam aber steig abgetragen. Das Originale Objekt wirkt also wie "abgelutscht".
Zudem durchziehen Risse die Skulptur. „Die Besonderheit des Marmors ist, dass sich das Gefüge im Stein verändert und sich de facto auflöst“.
An den nachfolgenden Bildern kann man sehen, wie schlecht der Zustand des Marmor-Bildwerkes ist.
Man sieht auf den Fotos, dass über die Jahre Beine und Arme verloren gegangen sind.
2000-er
Unter folgendem Link eine sehr schöne Dia-Show zur Allsichtigkeit der Originalskulptur
und Infos zu weiteren Bildwerken im Großen Garten.
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Obwohl die Skulptur 1995 nach Restaurierung wieder aufgestellt wurde, musste man sie bereits 2013 in ein Schutzhaus einstellen.
Ob man die Skulptur in dem Schutzhaus sogar teilweise durch unterstützende Halterungen gegen ein komplettes Auseinanderbrechen sichern musste, kann ich nur vermuten. Auslöser für die Einhausung war aber, dass ein großer Teil des linken Flügels in 2013 "wegen Übergewicht" abgebrochen war.
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Anders als beispielsweise bei der Skulptur "Milon von Kroton", deren Kopie aus Marmormehl-Kunststein "einfach" vom originalen Bildwerk abgeformt wurde,
entschied man sich bei "Die Zeit raubt die Schönheit" für eine Neuschöpfung in Marmor.
Dabei sollte nicht der "abgelutschte", also "zu dünne", auf uns überkommene Zustand des Originals kopiert werden, sondern die ursprüngliche Skulptur des 18. Jhds. soll rekonstruiert werden.
Der Dresdener Bildhauer und Kunsthistoriker Dr. Stefan Dürre erstellte 2017/18 eine Teilrekonstruktion der 2,76m hohen Skulpturengruppe.
Stefan Dürre / Rekonstruktion und Modellarbeiten (stefanduerre.de)
Dabei wurden auch Details, die am Original lange verschwunden, auf Fotos aber nachweisbar sind, ergänzt.
Dr. Stefan Dürre ist eine Koryphäe. Die Moritzburger Putten sind beispielsweise von ihm wieder ins rechte Licht gerückt worden.
Eine Übersicht seiner bedeutendsten Arbeiten hier
Stefan Dürre / Rekonstruktion/Modellarbeiten (stefanduerre.de).
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Allein der Ankauf eines hinreichend großen makellosen Marmorblocks in Carrara gestaltete sich zeitaufwändig und unerwartet kostenintensiv.
Die Übertragung des fertigen Bozzettos in Marmor erfolgt seit 2018 oder 2019. Der Potsdamer Bildhauer Andreas Klein ist mit der Arbeit betraut.
2019
Neue Schönheit für Großen Garten | Sächsische.de (saechsische.de)
Dass er für die - im Vergleich zu Sandstein deutlich - anspruchsvollere Arbeit der geeignete Künstler ist, stellte er beispielsweise in Sanssouci unter Beweis.
Heute scheint der Meister auf der Zielgeraden zu sein, wie man dem neusten Foto in der SZ (vgl. ganz oben) entnehmen kann.
Ich nehme an, dass er aber seit 2019 nicht ausschließlich an der Marmorskulptur gearbeitet hat. Vermutlich braucht man auch immer mal "zur Entspannung zwischendurch" andere Arbeiten... Bildhauerarbeiten in Sandstein oder das erstellen von Modellen ist weniger ermüdend, als die Arbeit im harten und spröden Marmor, der sehr viel Können und Geduld verlangt.