Wo gibt's in Deutschland Fachwerk?

  • Zitat von "Restitutor Orbis"


    [...] Wer mir einen Gefallen tun will, kann ja mal die Städte zählen, die ihm namentlich bekannt sind... interessiert mich nämlich.


    Häh? Alle zählen, deren Namen man kennt? Ich zähle lieber andersrum. Also ich kannte nur Eppingen nicht und Bleckede könnte ich jetzt geographisch nicht festlegen.
    Eppingen hört sich so an, als ob es in Nordbaden liegt (so zwischen Pforzheim, Karlsruhe und Mosbach) und Bleckede könnte in Niedersachsen sein.
    Alle anderen Namen sind mir bekannt - wo ist das Problem?

  • Zitat von "Zeno"

    Bleckede

    Da war ich schon :P und als Jugendlicher ein großer Fan von. Irgendwie hat der Ort ne besondere Aura, sprach mich mehr an als der berühmte Partner Hitzacker.
    Und nicht weit von Eppingen bin ich aufgewaxxxen. Im Beinahe-Synonym Ettlingen. :lachen:

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Ich weiß nicht, ob ihr schon mal von einem Ort mit dem seltsamen Namen 'Goslar' gehört habt? Ist recht hübsch und hat übrigens über 50.000 EW.
    Dann: warum fehlt Braunschweig in der Liste? Gut (oder eher schlecht), es wurde zerstört, aber der erhaltene Bestand (im Magniviertel immerhin geschlossen) kann es mit vielen erwähnten Kleinstädten durchaus aufnehmen.
    Im Osten gibt es einige FWS, zB Altentreptow, zumeist aber jüngeren Datums und nicht besonders attraktiv.
    Eine ganz wichtige Stadt kommt zwar im Verzeichnis vor, wird aber mE sehr unterschätzt: nämlich eines der großen dt Erlebnisse, was FW betrifft:
    Mühlhausen!
    Nicht weit davon ist Langensalza mit großartigem, überraschend großstädtischem Bestand.
    Als junge, aber geschlossene FWS muss auch Heiligenstadt gelten, Im übrigen bin ich zur in diesem Strang vertretenen Meinung gegenteiliger Ansicht: gerade in der Gesamtbetrachtung "FWS" hat D im Krieg relativ wenig gelitten, da Unmengen FWH erhalten blieben, vor allem in den kleineren Städten, aber auch wichtige Beispiele in großen. Was dem Land fehlt, sind angenehme, durchwachsene Großstädte mit typisch urbanem Ambiente, wie es etwa Halle teilweise ist.
    Braunschweig und Hildesheim waren zwar schwere Verluste, aber es gibt immer noch Goslar und Quedlinburg uva.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Wirklich fachwerkfrei dürften in Deutschland eigentlich nur Nieder- und Oberbayern (ohne das Einzugsgebiet der Altmühl) sein. Im größeren Teil Deutschlands war der Hausbau bis ins 19. Jahrhundert von Fachwerk geprägt. Das gilt für Hessen, den Harz, das südliche und mittlere Niedersachsen, Schwaben (ohne den Osten), Franken, Thüringen, große Teile Westfalens und etliche Gebiete entlang des Rheins und der Mosel. In anderen Regionen wie Mecklenburg, Brandenburg oder Sachsen findet sich selbstverständlich ebenfalls Fachwerk, jedoch das Ortsbild viel weniger dominierend.

    Von der heutigen Einwohnerzahl einer Stadt auf die Bedeutung der Altstadt zu schließen, halte ich - wie schon öfters dargelegt - für höchst problematisch. Es gab im Verlauf der Geschichte einfach zu viele Verschiebungen und Verwerfungen - eine im Mittelalter bedeutende Stadt mag im 19. Jahrhundert nicht den Sprung zur Großstadt geschafft haben im Gegensatz zu Kleinstädten oder gar bloßen Märkten in den neuen Industriegebieten, die plötzlich aus allen Nähten platzten. Auch würde ich meinen, dass in größeren Städten nicht zwingend größer und repräsentativer gebaut wurde. Extremes Beispiel: Man schaue sich einmal Bilder des alten Hamburgs an und vergleiche die alten Bürgerhäuser mit denen des nahen Stade - da zieht wahrscheinlich sogar die Metropole den Kürzeren! Selbst in wirklichen Kleinstädten wie Osterwieck brauchen etliche Renaissancehäuser einen Vergleich mit vergangenen Bauten in Braunschweig oder Hildesheim nicht scheuen (Hildesheim war übrigens wiederum merklich kleiner als Braunschweig). Die Fachwerkbauten Schwäbisch Halls - vor langer Zeit sicherlich eine der bedeutenderen Städte - sind gemessen an ihrem Volumen häufig alles andere als klein...

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Zitat von "youngwoerth"

    Die Fachwerkhäuser in Bad-Sooden finde ich bemerkenswert.
    Hier gibt es eine wunderschöne, nur einseitig bebaute (!) , dem gebogenen Fußgängerzonenverlauf folgende, Fachwerkzeile,
    und einige Häuser haben diese mehrgeschossigen Fachwerkbalkonvorbauten!

    Selbst in Sachen Fachwerk ein Historismusfan - immerhin sehr konsequent.:zwinkern:

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • ^ Sowas ähnliches wollt ich auch grad schreiben :gg: Keine Ahnung, ob der Werther die gleiche Häuserzeile im Sinn hat, aber diese gründerzeitl. Fachwerkbauten mit straßenseitigem Balkon haben mir in Bad Sooden-Allendorf auch am besten gefallen. Überhaupt, toller Ort!

    Zitat von "ursus carpaticus"

    Im Osten gibt es einige FWS, zB Altentreptow, zumeist aber jüngeren Datums und nicht besonders attraktiv.


    Wie kommst du ausgerechnet auf Altentreptow?
    Moment, kann das ein Zufall sein? Wie jener es so will: Ich war heute in Altentreptow und habe die komplette Altstadt fotografisch erfasst! :schockiert: Ursus, hattest du da eine metaphysische Eingebung?

    Als Neubrandenburger, der Altentreptow natürlich schon lange kennt, kann ich eine sehr positive Entwicklung des beschaulichen Städtchens feststellen. Und ja die Stadt hat auch sehr attraktive Bereiche. Das werd ich dir mit meiner kommenden Bilderschau beweisen.
    Es ist eben eine typisch pommersche Ackerbürgerstadt und kann als solche kaum mit protzigen Bürgerbauten, dafür aber vielen pittoresken Fachwerkhäuschen samt Hinterhöfen, Speichergebäuden u.ä. aufwarten. Auch das durch die Altstadt fließende "Bächle" (Kleine Tollense) trägt viel zum Stadtbild bei.


    Wenn du schon Fachwerkaltstädte in Mecklenburg-Vorpommern bemühen magst, dann bitte etwas wie UECKERMÜNDE, WAREN an der Müritz, RÖBEL, STERNBERG, LÜBZ , BOIZENBURG oder GRABOW. Letztere beiden sind besonders hervorzuheben.


    Beizeiten wird es zu allen genannten Städten auch eigene Bildergalerien geben, aber gemach ;)

  • Trier hat trotz seines Alters und seiner Größe gerade mal...*gedanklich zähl*...8 Fachwerkhäuser, von denen ich in der Innenstadt wüsste. Zwar wurde Trier auch stark zerstört, aber gerade im innersten der Innenstadt ist doch noch viel erhalten/rekonstruiert worden. Dort war dank den Römern wohl immer viel Stein verbaut worden und nach Abbruch der Ruinen im Mittelalter immer vorhanden...?

  • Zitat von "erbsenzaehler"

    ^
    Moment, kann das ein Zufall sein? Wie jener es so will: Ich war heute in Altentreptow und habe die komplette Altstadt fotografisch erfasst! :schockiert: Ursus, hattest du da eine metaphysische Eingebung?

    irgendwie lag Altentreptow in der Luft, ich mein, nicht, dass ich schon dort gewesen wäre, aber irgenwie spukte die Stadt in meinem Gemüt herum.
    Ich dachte einfach: Mann, jetzt wird es endlich mal Zeit, dass irgendwer Altentreptow erwähnt, so kann es ja nicht weitergehen, sonst muss ich schlussendlich hinfahren und eine neue unterschätzteste Stadt Mitteleuropas ausrufen.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
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  • @ursus carpathicus

    Zitat

    Im übrigen bin ich zur in diesem Strang vertretenen Meinung gegenteiliger Ansicht: gerade in der Gesamtbetrachtung "FWS" hat D im Krieg relativ wenig gelitten, da Unmengen FWH erhalten blieben, vor allem in den kleineren Städten, aber auch wichtige Beispiele in großen.

    Ich nicht. Den Verlust der geschlossenen Altstädte von [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon], Kassel, Hildesheim, Braunschweig, aber auch z.B. Halberstadt machen die erhaltenen Kleinstädte nicht wett (Goslar ist da eine Ausnahme) Es gab auf der Welt nichts vergleichbares in Sachen FWH.
    Schau Dir nur im Bildindex mal Bilder von der Reichsstraße oder dem Wollmarkt in Braunschweig an.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Ich kenn s und kann den Verlust ermessen.
    Allerdings gibt s nicht nur Goslar, sondern auch Quedlingburg, Wolfenbüttel, Celle, Osterwieck uva.
    Auch die Frankfurter Altstadt war abseits ihrer Höhepunkte substanziell nicht viel anders als Limburg oder Fritzlar.
    Nur Nürnberg ist unersetzlich.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
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    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Sorry, aber da liegst du falsch, uc. Großstädtisches Fachwerk kann keine der genannten Mittel- und Kleinstädte ersetzen, wie Brandmauer schon ganz richtig ausgeführt hat. Nürnberg, Braunschweig und Frankfurt (vielleicht noch Kassel und Hannover) haben da in einer Liga gespielt, die heute nicht mehr existiert. Wo gibt's denn bitte noch geschlossene Straßenbebauungen mit sechs- oder siebenstöckigen Fachwerkhäusern?

  • Nürnberg hab ich bitte immer ausgenommen und als unbewältigbaren Verlust dargestellt. Braunschweig hat eher durch brillante Details wie Schnitzereien bestochen, war aber eher durch seine Großflächigkeit als Bebauungshöhe "großstädtisch". Hannover war keine reine Fachwerkstadt, die berühmtesten Bürgerbauten (Leibnitzhaus und Haus der Väter) waren etwa Steinbauten.
    Und Städte wie Kassel gibt es noch genug.
    Das 'Großstädtische' ergibt sich mE auch durch das Zusammenspiel mit monumentalen Kirchenbauten.
    Wenn du in diesem Sinn 'großstädtische' Fachwerkstädte suchst, kann ich dir vorbehaltlos Mühlhausen und Langensalza (hier gibts eine wirklich unglaublich hohe Bebauung) bei Erfurt empfehlen (nebst einigen Teilen von Erfurt selbst).

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
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    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat von "ursus carpaticus"

    Langensalza


    Das war einer der Orte, die mich überrascht und nachhaltig beeindruckt haben, weil meine Erwartungen übererfüllt wurden. Kann ich auch jedem empfehlen!

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
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  • Zitat von "ursus carpaticus"

    Und Städte wie Kassel gibt es noch genug.
    Das 'Großstädtische' ergibt sich mE auch durch das Zusammenspiel mit monumentalen Kirchenbauten.
    Wenn du in diesem Sinn 'großstädtische' Fachwerkstädte suchst, kann ich dir vorbehaltlos Mühlhausen und Langensalza (hier gibts eine wirklich unglaublich hohe Bebauung) bei Erfurt empfehlen (nebst einigen Teilen von Erfurt selbst).


    Da bin ich anderer Meinung: Es gibt in der Qualität des Fachwerks erhebliche Unterschiede zwischen den großen, wohlhabenden Residenz- oder Handelsstädten und den zahlreichen Kleinstädten. Das betrifft nicht nur die Größe und die äußere Ornamentik, sondern auch die Innenausstattungen, mit Treppen, Stuckdecken, geschnitzten Türen etc. Gerade in Hessen (und damit meine ich die Kulturlandschaft, nicht das politische Gebilde) kann man das ganz gut beobachten: Im späten 15. und frühen 16. Jh. waren Kassel und Marburg im Wohlstand fast vergleichbar, und das merkt man auch an den Gebäuden. Spätestens im 17. Jh. ging es dann mit Marburg wieder langsam bergab; und gerade die prachtvollen frühbarocken Fachwerkhäuser, wie sie um 1640ff. in Kassel zahlreich errichtet wurden (z. B. Dreihäuserecke am Altmarkt, Klosterstraße 11 usw.) findet man in dieser Form in Marburg nicht oder zumindest nur sehr vereinzelt - von den Landstädten wie Melsungen, Eschwege, Rotenburg etc. ganz zu schweigen.
    Und es kommt noch etwas anderes dazu: Im Fachwerkbau gibt es sehr starke regionale Unterschiede; Mainfranken (Limburg, Frankfurt) baut z. B. anders als Hessen, und Thüringen oder Braunschweig haben wiederum jeweils eigene Bau- und Dekorationsformen; diese Unterschiede merkt man schon z. B. auf 14km Entfernung zwischen Kassel und (Hannoversch) Münden recht deutlich. Das bedeutet aber auch: Wenn in einer Region der historisch wichtigste Ort zerstört ist, sind damit zugleich die bedeutendsten Beispiele der Zimmer-, Schreiner-, Stuckarbeiten etc. des jeweiligen Kulturgebietes vernichtet.

  • Danke für die Ergänzungen. Ich bin auch der Meinung, dass genau deswegen riesige Löcher in Kulturlandschaften entstanden bzw. diese teilweise völlig zerstört worden sind. Dabei hat meines Erachtens das mitteldeutsche Fachwerk die größten Verluste erlitten, es gibt hier kein einziges Fachwerkensemble mehr, das man als wirklich großstädtisch bezeichnen kann! Dies ist allen voran der Vernichtung von Kassel, Frankfurt und Nürnberg geschuldet, in zweiter Reihe wären Gießen, Hanau und Würzburg zu nennen. Die perverse Taktik, die größten Holzansammlungen unseres Landes in Brand zu bomben, war reichlich effektiv.

  • Beim Beispiel des erhaltenen Marburgs und des zerstörten Kassels bin ich immer am Zweifeln, ob dieses Schicksal aus rein kunsthistorischer Sicht nicht ohnehin dem fiktiven entgegengesetzten Fall, bei dem das alte Kassel überlebt hätte und Marburg zerstört worden wäre, vorzuziehen ist. Marburg mag zwar nicht so viele Fachwerkhäuser aus der Spätrenaissance und dem Frühbarock wie das alte Kassel besitzen, dafür scheint die Zeit davor besser konserviert. Zudem ist das Marburger Schloss mit seinem Rittersaal im Profanbau der Gotik einmalig, die Elisabethenkirche ein absoluter Schlüsselbau der deutschen Kunstgeschichte.

    Gießen und Hanau sind wie Kassel und Marburg geschichtlich Mittelstädte, baukünstlerisch jedoch wohl von geringerer Bedeutung gewesen. Städte wie Wetzlar oder Limburg bräuchten sich innerhalb des Altstadtkerns vor ihnen wohl nicht zu verstecken, so es denn das alte Gießen und das alte Hanau noch gäbe.

    Das alte Frankfurt ist dagegen ein zweifellos unersetzbarer Verlust. Frankfurt war auch die einzige wirkliche Großstadt, die vom mitteldeutschen Fachwerk im größten Teil ihrer Altstadt geprägt wurde. Nürnbergs alte Fachwerkbestände neigten eher dem oberdeutschen Fachwerkbereich zu und überdies spielte in den großartigsten Abschnitten dieser großartigen Stadt Fachwerk eine eher untergeordnete Rolle. Mit Würzburg starb eine der bedeutendsten Barockstädte Deutschlands, hinter deren Fassaden sich oft noch deutlich ältere Zeitschichten in Fachwerk verbargen. Eine eigentliche Fachwerkstadt war Würzburg allerdings nicht. Das Erscheinungsbild entsprach wohl eher demjenigen Bambergs, wobei Bamberg an Fachwerk vermutlich ungefähr genauso reich war und ist wie Alt-Würzburg. 99 Fachwerkbauten aus der Zeit bis 1600 lassen sich in Würzburg nachweisen - überlebt hat nur Pleicherkirchgasse 16 aus 1522 (d).

    Die niederdeutsche Fachwerkzone hat ihre beiden wichtigsten Städte verloren (Braunschweig, Hildesheim). Goslar würde ich allerdings höher einstufen als etwa Halberstadt - die Stadt kommt wahrscheinlich sogar an Alt-Hildesheim recht nahe heran. Hannover war dagegen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit viel zu klein und unbedeutend, als dass es als Fachwerkstadt eine allzu große Bedeutung hätte haben können. Ein nicht unerheblicher Teil des Fachwerkbestandes stammte auch wohl erst aus dem 18. Jahrhundert. Darüber hinaus wurde Hannover in der Gründerzeit nicht unwesentlich überformt.

    Zitat von "RMA"

    Wo gibt's denn bitte noch geschlossene Straßenbebauungen mit sechs- oder siebenstöckigen Fachwerkhäusern?


    Dann zählst du aber zwischen Traufe und Dach mehrere unabhängige Stockwerke/Geschosse, oder? Was ist hier eigentlich die üblichste Zählweise? Wird der Giebel tatsächlich für gewöhnlich mit mehreren Geschossen verrechnet? Oder ist ein Haus, dass vom Boden bis zum Giebel drei Geschosse aufweist, dreigeschossig, egal wie groß der Giebel auch sein mag?

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Zitat von "Georg Friedrich"

    Beim Beispiel des erhaltenen Marburgs und des zerstörten Kassels bin ich immer am Zweifeln, ob dieses Schicksal aus rein kunsthistorischer Sicht nicht ohnehin dem fiktiven entgegengesetzten Fall, bei dem das alte Kassel überlebt hätte und Marburg zerstört worden wäre, vorzuziehen ist. Marburg mag zwar nicht so viele Fachwerkhäuser aus der Spätrenaissance und dem Frühbarock wie das alte Kassel besitzen, dafür scheint die Zeit davor besser konserviert. Zudem ist das Marburger Schloss mit seinem Rittersaal im Profanbau der Gotik einmalig, die Elisabethenkirche ein absoluter Schlüsselbau der deutschen Kunstgeschichte.

    Was Elisabethkirche und Schloß betrifft, stimme ich auf jeden Fall zu, ansonsten habe ich als Kasselaner mit solchen Gedankenspielen natürlich meine Schwierigkeiten :zwinkern:. Aber selbst wenn man mal vergleicht, meine ich, daß das Ergebnis für Marburg nicht so günstig ausfällt; immerhin hat dort im 19. Jh. die Spitzhacke schon ziemlich gewütet, wobei eine Vielzahl spätgotischer Fachwerkhäuser abgebrochen wurde. Darunter waren auch die beiden wichtigsten Bauten, nämlich "Fischers Häuschen" mit den wertvollen geschnitzten Knaggen (Ende des 15. Jh., 1859 abgebrochen; 11 Knaggen sind noch im Museum erhalten) und das "Schäfersche Haus" (bald nach 1320, galt lange Zeit als das älteste in Deutschland, 1873 abgebrochen). Marburg hat dafür heute zwar einen interessanten und schützenswerten Bestand an neugotischen Fachwerkhäusern, aber viele bedeutende gotische Bauten sind eben nur noch durch Zeichnungen des 19. Jh. überliefert oder durch Umbauten stark verändert. Im Vergleich dazu reichte der Kasseler Bestand bis mindestens in die Mitte / letztes Drittel des 14. Jh. zurück (ein kleines, zweigeschossiges Handwerker- oder Krämerhaus), und auf Anhieb fallen mir schon fast 20 spätgotische Häuser ein, die erst 1943 verbrannt sind: vom kleinen Reihenhaus (zwei- bis dreigeschossig, traufständig, schmale Front) bis hin zum 14m breiten, viergeschossigen Kaufmannshaus (giebelständig) - also die ganze Bandbreite an Bauformen. Und man weiß leider nicht, was sich unter so manchem Putz noch verbarg. Wenn man das zweite Drittel des 16. Jh. noch einbezieht, geht die Zahl dann sprunghaft nach oben.
    (Jetzt mal ganz abgesehen von den aufwendigen Bürgerhäusern, Palais und Schlössern des späten 17. bis frühen 19. Jh., wobei die Häuser des Hofbildhauers Nahl und des Hofstukkateurs Brühl und die Empire-Ausstattung des Residenzpalais mindestens nationalen Rang hatten.)

    Zitat von "Georg Friedrich"


    Dann zählst du aber zwischen Traufe und Dach mehrere unabhängige Stockwerke/Geschosse, oder? Was ist hier eigentlich die üblichste Zählweise? Wird der Giebel tatsächlich für gewöhnlich mit mehreren Geschossen verrechnet? Oder ist ein Haus, dass vom Boden bis zum Giebel drei Geschosse aufweist, dreigeschossig, egal wie groß der Giebel auch sein mag?


    Ach ja, das hatte mich auch schon etwas gewundert... Üblicherweise zählt man die Dachgeschosse eigentlich nicht mit.

  • Zitat

    Städte wie Wetzlar oder Limburg bräuchten sich innerhalb des Altstadtkerns vor ihnen wohl nicht zu verstecken, so es denn das alte Gießen und das alte Hanau noch gäbe.

    Also, ich habe ja schon öfters über das alte Hanau geschrieben und auch über den Verlust der dortigen Fachwerkhäuser gejammert..... allerdings habe ich es dabei auch so gesehen, dass es um die Bedeutung dieser Häuser für Hanau selbst geht (und nicht über Hanau hinaus), denn tatsächlich war die Hanauer Altstadt in keiner Weise besonders spektakulär.

    Man muss dazu wissen, dass Hanau den größten Teil seiner Geschichte über eine Doppelstadt war: die (kleine) vom Fachwerk geprägte Altstadt und die von Glaubensflüchtlingen gegründete Neustadt.

    Die Hanauer Fachwerk-Altstadt war weder von ihrer Fläche her größer noch von ihrer Qualität her bedeutender als die der diversen Fachwerk-Kleinstädte der näheren Umgebung. Vermutlich sind uns daher mit Seligenstadt, Steinheim und Gelnhausen die wichtigeren Fachwerkensembles in dieser Region erhalten geblieben.

    Trotzdem ist es natürlich bedauernswert, dass man heute in der Hanauer Altstadt mit Ausnahme des Goldschmiedehauses von Fachwerk weit und breit nichts sieht.