Hamburg - Wiederaufbau der Synagoge am Bornplatz

  • Ich sehe das wesentlich pragmatischer. Wenn die Pipeline mit genehmigten und nur auf eine Finanzierung wartenden Rekoprojekten voll wäre, könnte man vielleicht so argumentieren. Ist sie aber nicht. Beggars can't be choosers. Da könnt Ihr Euch hier wie seit Jahrzehnten die Köppe heißreden, was man alles noch viel wichtiger und besser machen könnte - das Ding scheint zu kommen, eben weil es einen politischen Willen gibt.

    Auch als Symbol bleibt dies eine richtige und wichtige Sache. Der Bund kofinanziert den Wiederaufbau der Synagoge der einstmals großen und liberalen jüdischen Gemeinde Hamburgs. Dies wird natürlich auch argumentativ dadurch leichter, als dass es sich nicht um ein in einem von Deutschland verschuldeten Krieg zerstörtes Gebäude handelt sondern um eines, dass von den Nationalsozialisten und schon vor dem Krieg zerstört wurde. Auch über diesen Sachverhalt kann man sich nun natürlich mit den zigmal durchgekauten Argumenten aufregen, oder man nimmt es eben einfach so hin, wie es ist in Deutschland 2020. Eine Rekonstruktion wird und wurde auch deshalb wesentlich "einfacher" - obwohl es natürlich auch hier Gegenstimmen aus dem bekannten Lager gegeben hat.

    Klar gibt es architekturhistorisch wertvollere Gebäude, aber ich denke, es ist auch immer eine Stärke dieses Forums gewesen, sich eben nicht auf diese "Wertigkeits"-Rankings einzulassen und jede (potenzielle) Rekonstruktion für sich zu bewerten und - wenn man sich schon nicht freut, sich doch zumindest etwas im Zaum zu halten. Und hier haben wir eine sofortige Nutzung des Gebäudes im Sinne seiner ursprünglichen Bestimmung und im Angesicht einer wachsenden Gemeinde, was man - etwas ketzerisch gesagt - leider nicht für jede wiederaufzubauende gotische Kirche in deutschen Städten automatisch hätte.

  • Hand aufs Herz, gefällt dir dieser Bau wirklich?

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Du darfst, natürlich, aber diese Antwort ist ein elegantes Ausweichen, mehr nicht. No na, sagt man im Wienerischen Jiddisch dazu.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Interessant - Bin ich plötzlich im falschen Film (Forum)?
    Da finanziert der Bund eine Rekonstruktion im Sinne des traditionellen Städtebaus, eine große Wunde im Hamburger Stadtbild wird getilgt, es gibt sogar eine klare Nachnutzungsidee (nämlich die Nutzung entsprechend der originären Konzeption: eine Synagoge), die Medien berichten wohlwollend - und wir unterhalten uns ernsthaft darüber, dass man mit dem Geld auch andere (vermeintlich (!) bessere) Rekonstruktionen hätte verwirklichen können?

    Dafür hätte es aber eben dieses Geld gar nicht gegeben. Der Wiederaufbau ist großartig, gerade weil es nicht der prominenteste Wiederaufbaukandidat ist. Damit werden langfristig auch Vorhaben der zweiten oder dritten Reihe legitimiert.

  • Genau: VERMEINTLICH!!!

    Grenzgenial.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Kunsthistorisch und architektonisch gibt es selbstverständlich "bessere" Rekonstruktionen. Nur wenige davon würden jedoch eine solche Nachnutzung erhalten wie das Hamburger Beispiel.
    Auch hier macht es die Mischung - Schlösser, Gründerzeitwohnhäuser, Reformarchitektur, auch gute und interessante moderne Architektur und selbstverständlich auch Synagogen, die einen Teil jener weltoffenen Vielfalt Deutschlands ausmachten, die ab den 1930er Jahren vernichtet wurde. Kein entweder / oder, sondern ein klares "auch"!

  • Dafür hätte es aber eben dieses Geld gar nicht gegeben. Der Wiederaufbau ist großartig, gerade weil es nicht der prominenteste Wiederaufbaukandidat ist. Damit werden langfristig auch Vorhaben der zweiten oder dritten Reihe legitimiert.

    Eben. Es gibt keinen Topf für Rekonstruktionen, aus dem verschiedene zur Wahl standen. Das Geld hier stammt aus dem Topf des "Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus", der mit 1 Mrd (!) Euro ausgestattet ist. Die Synagoge ist eine von 89 Massnahmen. Das ganze ist ein Kniff, um das Geld für die Rekonstruktion über diesen Umweg im Haushalt fest zu zurren. Andere Mittel werden wohl in Zukunft coronabedingt nicht vorhanden sein. (zumindest habe ich es so verstanden.)

  • Das Geld hier stammt aus dem Topf des "Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus", der mit 1 Mrd (!) Euro ausgestattet ist.

    Selbstverständlich hat das ein äußerst zeitgeistiges Gschmäckle. Da bin aber auch pragmatisch: Man wird sich an der Architektur auch erfreuen können (vorausgesetzt, der Wiederaufbau erfolgt ohne - wie auch immer geartete - größere Brüche), ohne sich irgendwelchen volkspädagogischen Ergüssen aussetzen zu müssen.

    Jeder Euro für diese Rekonstruktion ist besser angelegtes Geld, als diese ganzen "Institute", Stiftungen, Vereine und Lobbygruppen am linken Narrensaum (als Auffangbecken studierter Soziologen, Politikwissenschaftler, Germanisten etc, die sich in ihrer Hybris als die Zivilgesellschaft sehen), die sonst das Geld erhielten, auch nur mit einem Cent Steuergeld mehr zu mästen.

    Also: Gratulation nach Hamburg und insbesondere an die jüdische Gemeinde dort für diesen Hauptgewinn!

    Dieser Aussage stimme ich absolut zu:

    Der Wiederaufbau ist großartig, gerade weil es nicht der prominenteste Wiederaufbaukandidat ist. Damit werden langfristig auch Vorhaben der zweiten oder dritten Reihe legitimiert.

    Die Synagoge war sicherlich nicht das architektonische Highlight Hamburgs. Interessanter wäre da womöglich die ehem. Synagoge in der Poolstraße (heute Autowerkstatt). Aber so werden die Argumente von Rekonstruktionsgegnern tatsächlich ein Stück weit ausgehöhlt. "Wenn man schon so ein Gebäude rekonstruiert, dann kann man auch xy rekonstruieren..."

    Voraussetzung ist natürlich ein tadelloser Wiederaufbau und nicht so eine Farce wie die Königsberger Synagoge... Wenn die Verantwortlichen das befolgen, wird aber durchaus ein sehr beeindruckender und die Umgebung bereichernder Sakralbau entstehen - was durchaus generell für Rekoprojekte Rückenwind bedeuten könnte. Und beten tut es sich natürlich in historischer Umgebung auch schöner als in nüchtern-modernistischer Architektur, was zwar nur einen winzigen Bruchteil der Bevölkerung tangieren wird, aber für die Gemeinde dort natürlich schön ist. :daumenoben:

  • Geht dem Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus die Agenda aus? Kaum zu glauben. Gut, von diesem Topf wäre nichts für die Wismarer Marienkirche zu erhalten gewesen. Wahrscheinlich ist das sogar das weitaus nützlichstes Projekt aus dieser Ecke. Nur, dass sich das die Antifanten gefallen lassen?

    Wie gesagt - was soll man dagegen haben. Nur Grund zu weiß Gott für Euphorie seh ich keine. Aber so kommt wenigstens die Abrissstadt auch mal zu einer Riesenreko.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Da finanziert der Bund eine Rekonstruktion im Sinne des traditionellen Städtebaus, eine große Wunde im Hamburger Stadtbild wird getilgt, es gibt sogar eine klare Nachnutzungsidee (nämlich die Nutzung entsprechend der originären Konzeption: eine Synagoge), die Medien berichten wohlwollend - und wir unterhalten uns ernsthaft darüber, dass man mit dem Geld auch andere (vermeintlich (!) bessere) Rekonstruktionen hätte verwirklichen können?

    Ich könnte es nicht besser ausdrücken, deshalb versuche ich es auch gar nicht. Letztlich können wir uns glücklich schätzen, wenn eine Rekonstruktion so einfach und überzeugend gelingen kann. Das sollte unabhängig vom kunsthistorischen Wert des Baues Vorbildcharakter haben.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Das ist der Knackpunkt des Ganzen:

    unabhängig vom kunsthistorischen Wert des Baues

    Dürfen, sollen, müssen wir Rekos unabhängig vom KUNSTHISTORISCHEN Wert betrachten? Setzt man sich da nicht der Gefahr des Vorwurf des Ewiggestrigseins, des Traditionalismus um jeden Preis aus?

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Also ich würde mich freuen, wenn die Synagoge nach historischem Vorbild rekonstruiert würde, unabhängig von ihrem kunsthistorischem Wert. Es wird eh viel zu viel moderner Schrott gebaut und Hamburg kann jedwede historische Architektur gut gebrauchen, finde ich. Außerdem finde ich (historische) Kuppeln geil (Pardon!) :biggrin:

    "Mens agitat molem!" "Der Geist bewegt die Materie!"

  • Das ist der Knackpunkt des Ganzen:

    Dürfen, sollen, müssen wir Rekos unabhängig vom KUNSTHISTORISCHEN Wert betrachten? Setzt man sich da nicht der Gefahr des Vorwurf des Ewiggestrigseins, des Traditionalismus um jeden Preis aus?

    Dieser Vorwurf kommt ohnehin. Ich vermute, du bist auch kein Freund des Wiederaufbaus des Frankfurter Schauspielhauses, denn hier ist der kunsthistorische Wert ja ähnlich gelagert. Wenn du deine Frage selbst mit "Ja" beantwortest, hast du schon verloren. Dann wird sich das Thema Wiederaufbau auf eine Auslese bedeutsamer (wer legt die Kriterien fest?) Gebäude reduzieren. Jede realisierte Rekonstruktion bestärkt uns und ist ein Argument gegen das "kann man doch nicht machen".

    In dubio pro reko

  • Dürfen, sollen, müssen wir Rekos unabhängig vom KUNSTHISTORISCHEN Wert betrachten? Setzt man sich da nicht der Gefahr des Vorwurf des Ewiggestrigseins, des Traditionalismus um jeden Preis aus?

    Der "kunsthistorische Wert" eines Gebäudes ist kein objektives Kriterium - was umgekehrt natürlich nicht heißt, dass es gar kein relevantes Kriterium ist.

    Rein taktisch würde ich es aus unser Perspektive nicht für klug halten, sich auf derartige Kriterien einzulassen. Das Argument kann einem allzu leicht auf die Füße fallen, wenn es um ein kunsthistorisch nach Mehrheitssicht bedeutungsloses, für das lokale Ambiente aber enorm relevantes Bürgerhaus geht.

  • Ich vermute, du bist auch kein Freund des Wiederaufbaus des Frankfurter Schauspielhauses, denn hier ist der kunsthistorische Wert ja ähnlich gelagert.

    Nun, ich stelle mich dieser Herausforderung. Mit dem FF SSH hab ich mich noch nie beschäftigt. Gut, es gefällt mir von den Bildern her wirklich nicht besonders (anders als die Oper!), und man könnte schon sagen, dass angesichts einer verlorenen Altstadt von unermesslichem Wert derartige Wiederaufbaupläne nicht vorrangig sein sollten. Wobei ich nichts über allenfalls besonders nostalgische Gefühle der Bürgerschaft weiß.

    Es ist ja nichts so, dass ich was gegen die Synagoge oder das Schauspielhaus hätte. Ich finde halt, dass man das nicht unbedingt und so vorrangig seitens einer Bundesregierung fördern sollte. Im Falle des SSH wäre schon Kritik auf der Hand liegend, dass die Neue Altstadt doch viel eher von staatlichem Interesse gewesen wäre. Bei der Synagoge verbietet sich natürlich ein solcher Ansatz.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • (...) Eine andere Lösung wurde ausgeschlossen: ein Neubau statt einer Rekonstruktion der früheren Synagoge. Dafür hatte sich u. a. Miriam Rürup stark gemacht, die das Hamburger Institut für die Geschichte der deutschen Juden leitet. Doch die Bundesmittel wurden ausschließlich für einen Wiederaufbau zugesagt. Diese Einschränkung bezieht sich allerdings nur auf die äußere Hülle. (...)

    Die Machbarkeitsstudie wird europaweit ausgeschrieben. Mit einem Ergebnis rechnet man nicht vor Mai 2021. Dabei wird auch darüber entschieden, ob der denkmalgeschützte Bunker bleiben darf, oder abgerissen wird.

    Wenn man den Bunker stehen lässt, wird das vielleicht ein Verschieben des originalen Standortes zu Folge haben. Das will ich aber nicht hoffen. Dann soll man besser den Bunker beseitigen.

    Es gibt übrigens eine Internetseite der Initiative zum Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge:

    https://www.bornplatzsynagoge.org/

  • Wenn der Bunker bleiben und die Synagoge deshalb verschoben werden würde, wäre das sehr schade. Der Bunker steht ja mutmasslich nur deshalb unter Denkmalschutz, weil er seine Existenz an diesem Platz der abgerissenen Synagoge verdankt. Das Gebäude an sich hat nichts an sich, was denkmalwürdig wäre.

    Ich frage mich, woher diese Neigung der Politik kommt, wichtige Entscheidungen in Komissionen o. ä. "auszulagern" statt sie selbst zu treffen und dazu zu stehen.