Der Autor wägt dabei gar nichts ab, er behauptet, dass Rekonstruktionen grundsätzlich politische Aussagen wären, dass Rekonstruktionsbefürworter kritikunfähig gegenüber bestimmter politischer Systeme wären, dass "die schiere Größe, die Demonstration der Macht, die herrische Geste" ausschlaggebend für die Rekonstruktion von Berliner Schloss und Garnisonkirche gewesen wären, dass man eine "gesunde Ignoranz gegenüber der Architekturgeschichte" an den Tag legen würde, dass diese Projekte "am hartnäckigsten" von "Nazis oder Rechtsradikalen" betrieben worden wären, und dass "unter denen, die Geld gespendet haben, […] Holocaustinfragesteller, Antidemokraten, AfD-Mitglieder" waren.
Du packst so viel in diesen Absatz, dass ich gar nicht weiß, wo ich ansetzen soll. Einige der Aussagen lese ich nicht aus dem Text heraus, anderen stimme ich zu, wieder andere lehne ich ab. Ich sehe zum Beispiel nicht, dass der Autor grundsätzlich auf Rekonstruktionen abzielt. Nicht folgen kann ich Seidl Ausführungen über die angebliche Rache am Sozialismus. Das ist eine Motivlage, die mir bisher völlig verborgen geblieben ist. Dass aber im Fall der Potsdamer Garnisonkirche der Rechtsradikale Klaar die entscheidende hartnäckige Anregung gegeben hat, dürfte mittlerweile unbestritten sein. Seidl macht nur nicht den Fehler, daraus abzuleiten, wir hätten es hier mit einem neurechten Projekt zu tun.
Davon abgesehen, dass das überwiegend leere Behauptungen und persönliche Ansichten sind, werden alle anderen Aspekte ausgeblendet. Von demokratisch legitimierten Mehrheitseintscheidungen, von repräsentativen Umfragen, von Gemeinnützigkeitsbescheinigungen, von Demokraten, Mitgliedern anderer Parteien, normalen Menschen, die keiner Straftat verdächtig sind und gespendet haben, von kunst- und kulturhistorischer Bedeutung und (wissenschaftlicher!) Einschätzung der rekonstruierten Bauwerke, ist nichts zu lesen.
Das ist richtig, aber ich habe auch gar nicht das Gefühl, dass es Seidl darum geht, die Bauten zu delegitimieren. Insofern betritt er diese Ebene gar nicht. Vielmehr verweist er gleichzeitig auf die Schwachpunkte der Argumentation der Schlossgegner:
ZitatDer notorisch empörungsbereite Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer verfasste trotzdem (zusammen mit Oswalt) eine Protestnote, in der von Unterwanderung und, etwas umständlich, von der „konservativen Wende des identitätspolitischen Kerns der Berliner Republik“ die Rede war. Und davon, dass hier das christliche Abendland, irgendwie, auf eine völkische Weise interpretiert werde. Wozu man anmerken muss, dass die Propheten des Alten Testaments nicht exklusiv dem Christentum zuzurechnen sind. Und dass die Gleichsetzung von „christlich“ und „völkisch“ etwas Willkürliches hat.