Wir kommen nun zu einer der kunsthistorisch bedeutendsten Kirchen Münchens, zu St. Michael in Berg am Laim aus der Zeit des Spätbarock.
St. Michael in Berg am Laim
Johann-Michael-Fischer-Platz 1
Erbaut 1738-67
Typus: zwei hintereinandergeschaltete oktogonale Zentralräume mit Arkaden (Acht-Arkaden-Oktogon) und querovalem Altarraum



Baugeschichte:
- 1735 erstes Projekt von Johann Michael Fischer für den Neubau einer Kirche für die Erzengel-Michael-Bruderschaft an der Josephsburg in der Hofmark Berg am Laim des Kölner Fürstbischofs und Bruders des bayerischen Kurfürsten Clemens August von Bayern
- 1737 Erteilung der Bauleitung an Johann Michael Fischer, 1738 Übertragung derselben an Philipp Jakob Köglsperger, nachdem dieser erfolgreich gegen Fischer intrigiert hatte; im selben Jahr Abriss des Mitteltrakts der Josephsburg, Grundsteinlegung, Anlegen der Fundamente für Türme und Fassade und Beginn des Baus der Fassade nach Köglspergers Plänen. 1739 erscheint ein Kupferstich mit der von Köglsperger neu geplanten Doppelturmfassade. Nach mehreren Protestbriefen des Bruderschaftsekretärs Franz Paula Würnzl und J. M. Fischers an Fürstbischof Clemens August wird Köglsperger 1739 wieder entlassen und Fischer wieder eingesetzt. Die Pläne Fischers werden vom Münchner Hofbaumeister François de Cuvilliés begutachtet und für gut befunden. Fischer lässt die von Köglsperger bereits über 2m aufgemauerte Fassade wieder abbrechen, muss aber dessen grundsätzlichen Fassadenaufbau samt Doppeltürme beibehalten und beseitigt lediglich dessen eklatante Schwächen.
- 1742 Fertigstellung des Daches, 1743-54 Stuckaturen und Deckenfresken von Johann Baptist Zimmermann, 1743/44 Anfertigung der vier Diagonalaltäre des Gemeinderaums durch Johann Baptist Straub. Wände, Säulen, Pilaster und Gebälk werden zunächst einheitlich weiß gestrichen, ab 1745 farbig gefasst. 1745 Kanzel von Benedikt Haßler, 1749/50 Vollendung der Turmhauben, 1751 Weihe, 1758 Verputzung und Anstrich der Fassade (in lichtem Ocker für die Architekturgliederung und leicht mit Grau gebrochenem Weiß für die Flächen), 1758/59 Anfertigung der beiden großen Seitenaltäre, 1767 Aufstellung des Hauptaltars (alle drei geschaffen von Johann Baptist Straub), 1779 Eingangsgitter
- 1793 Ersetzung der ursprünglichen, von J. B. Straub stammenden hölzernen und inzwischen ruinösen Michaelsfigur in der Fassadennische durch eine neue Figur von Franz Muxel
- vor 1800 Abbruch der Festungsanlagen der Josephsburg
- 1911 abermalige Ersetzung der Michaelsfigur durch eine Bronzefigur von Ragaller
- 1928 Restaurierung der Türme
- 1935/36 Teilrenovierung des Innenraums: u.a. werden die bisher mit vergoldetem Schlagmetall verkleideten Predellen der vier Diagonalaltäre durch eine aufgemalte Marmorierung ersetzt
- 1945 erhebliche Kriegsbeschädigung der Apsiswände und des Hochaltars durch Artilleriegeschosse, Wiederherstellung noch im selben Jahr
- 1946-50 Innenrenovierung, 1956/57 Instandsetzungsarbeiten an Türmen, Fassade und Apsis
- 1957 neue Orgel mit Freipfeifenprospekt
- 1978-82 vollständige Außen- und Innenrenovierung: u.a. Sanierung und Entfeuchtung des Dachstuhls und des Mauerwerks der Vorhalle, des Altarraums und der Emmauskapelle sowie Freilegung von Originalfassungen von Stuck
- 1997 neue Orgel mit Neorokoko-Prospekt
- 2000-17 nochmalige umfassende Sanierung: neuerliche Trockenlegung der Vorhalle samt Neugestaltung, Sanierung des Dachstuhls, Restaurierung der Fresken, der Raumschale und der Ausstattung (u.a. Entfernung der Marmorierung der vier Diagonalaltäre und Rekonstruktion der ursprünglichen Schlagmetallvergoldung), Neuanfertigung von Chorgestühl, Sedilien und Ambo, Neuverputzung und Anstrich der Fassade und Türme, Restaurierung der Kupferflächen der Turmhauben und Gesimsabdeckungen, Restaurierung der bronzenen Michaelsfigur sowie erhöhte Wiederaufstellung auf einem Sockel, Neugestaltung des Vorplatzes
Die Hofmark Berg südöstlich von München war seit 1650 im Besitz des Kölner Kurfürsten und Erzbischofs Maximilian Heinrich von Bayern, eines Enkels von Herzog Wilhelm V. von Bayern. Die Wittelsbacher besaßen zwischen 1583 und 1761 den Kölner Erzbischofssitz und waren dabei auch politische Landesherren von Kurköln; üblicherweise ging dieses prestigeträchtige Amt, das auch die Kurwürde beinhaltete, an nachgeborene Wittelsbacher Prinzen. Joseph Clemens von Bayern, der Bruder des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel und von 1688 bis 1723 Erzbischof und Kurfürst von Köln, ließ 1692 in der Hofmark Berg die Josephsburg errichten. 1693 gründete er die Erzengel-Michael-Bruderschaft, als deren Sitz er die Kapelle der Josephsburg wählte. Nach starkem Zuwachs der Erzbruderschaft kam um 1720 die Idee eines Kirchenneubaus auf, der schließlich unter Joseph Clemens’ Nachfolger Clemens August, dem Bruder des bayerischen Kurfürsten Karl Albrecht, verwirklicht wurde. Clemens Augusts Interesse an diesem Kirchenneubau war letztendlich aber gering, als eigentlicher Bauherr fungierte der Sekretär der Bruderschaft Franz de Paula Würnzl. St. Michael in Berg am Laim war zwar offiziell eine kurkölnische Kirche, wurde aber von Münchner Hofkünstlern geschaffen und ausgestattet, allen voran von Johann Michael Fischer (Architekt), Johann Baptist Zimmermann (Fresken und Stuck) und Johann Baptist Straub (Altäre), so dass die Kirche als genuine Münchner Kreation gelten kann. Seit 1913 ist Berg am Laim ein Stadtteil von München.
Zur Verständnis der topographischen Situation von St. Michael ist zunächst zu wissen, dass die Josephsburg bis Ende des 18.Jhs von einer Festungsanlage umgeben war, die Wening in einem Kupferstich um 1700 überliefert hat:

In die Mitte der Josephsburg sollte nun für die Erzbruderschaft eine neue standesgemäße Kirche gebaut werden. Da die Festungsanlage Ende des 18.Jhs abgetragen wurde und keine Ansichten der gebauten Michaelskirche inmitten der Festungsanlage überliefert sind, habe ich mich an einer Fotomontage versucht, um das Gesamtensemble zu visualisieren:

Nach der Schleifung der Festungsanlagen lag St. Michael mit dem Rest der Josephsburg etwas beziehungslos auf dem freien Feld, heutzutage wird sie von Bäumen umgeben und daneben etwas ungünstig von modernen Siedlungsanlagen bedrängt.
Die Doppelturmfassade wurde früh von der Bruderschaft vorgegeben, wahrscheinlich als Ausdruck des hohen Anspruchs des Kirchenbaus, womöglich auch um einen Bezug zur Theatinerkirche herzustellen. An der Fassade fallen mehrere Dinge auf, die für Johann Michael Fischer untypisch sind. Zunächst einmal sind die Türme im Vergleich zu seinen anderen Kirchen wie Ottobeuren, Zwiefalten, Dießen oder Altomünster sehr massig und gedrungen. Des Weiteren sind auf den Turmkanten diagonal vortretende Pilasterpfeiler angebracht, die bei Fischers sonstigen Kirchtürmen nicht auftreten: in Ottobeuren und Zwiefalten z.B. sind die Pilaster beidseitig neben den leicht abgeschrägten Kanten angebracht, womit die Geschlossenheit der Türme betont wird, während die diagonalen Pilasterpfeiler in Berg am Laim eher wie Strebepfeiler wirken. Woher kommt diese Idee? Kunsthistoriker Bernhard Schütz hierzu:
“Die engsten Vergleichsbeispiele finden sich in Österreich. So z.B. der Turm der Stiftskirche Dürnstein an der Donau, ein Werk voller nie gesehener Ideen, dessen oberstes Stockwerk nahezu die gleichen Kantenpfeiler wie Berg am Laim aufweist. In dieser Hinsicht vergleichbar ist auch der Turm der Stiftskirche Zwettl, ebenso der doppeltürmige Westbau der Wallfahrtskirche Lechovice (Lechwitz) bei Znaim in Mähren nahe der österreichischen Grenze. Alle diese Bauten werden mit dem Wiener Matthias Steinl in Verbindung gebracht.”
Vor allem aber fallen die schlanken Turmhelme auf, die nicht nur für das Schaffen J. M. Fischers ungewöhnlich sind, sondern auch für die gesamte altbayerische barocke Kirchenbautradition, in der die Zwiebelhauben das alles bestimmende Markenzeichen sind. Bernhard Schütz:
“In der Tat stehen sie deutlich in einer anderen Tradition, nämlich der österreichischen, begründet von Johann Bernhard Fischer von Erlach mit der Salzburger Dreifaltigkeits- und Kollegienkirche und fortgeführt von Johann Michael Prunner mit der Dreifaltigkeitskirche Stadl Paura bei Stift Lambach, dann wieder von Joseph Mungenast an den Türmen von Stift Melk, dort aber mit Zwiebelhauben, und am Turm von Stift Dürnstein. Die Turmaufsätze von Stadl Paura entsprechen so eng denen von Berg am Laim, dass diese wie eine Zweitfassung von Paura anmuten. Prunners dreitürmige Kirche, deren Invention wegen der aussagekräftigen Trinitätssymbolik spektakulär war, hatte der Augsburger Verleger Corvinus mit drei Stichen des Jeremias Wolff veröffentlicht. Die Türme von Berg am Laim lassen darauf schließen, dass zumindest die Stiche in München bekannt waren. Sich daran zu halten, war nur schwerlich die Idee von Fischer, sondern eher wohl ein Auftraggeberwunsch.”

Der Grund für diesen Auftraggeberwunsch dürfte wahrscheinlich nicht nur in einer ästhetischen Präferenz, sondern vor allem in einer symbolischen Bedeutung liegen: der Helm symbolisiert den streitbaren Erzengel Michael, zu dessen Rüstung der Helm gehört und mit welchem er auch auf dem Deckel der Kanzel von St. Michael zu sehen ist.
Die letzte Auffälligkeit an der Fassade ist schließlich die doppelstöckige Ädikula: alle sonstigen anspruchsvollen Kirchenfassaden Fischers besitzen eine einstöckige Ädikula mit einem zweiten, meist geschweiften Giebel darüber, beides absolute Markenzeichen Fischers, siehe Ottobeuren, Zwiefalten oder Dießen. Eine zweistöckige Ädikula, noch dazu ohne zweiten Giebel, gibt es in Fischers gesamtem Schaffen nur hier in Berg am Laim.

Man kann also sagen, dass die Fassade von St. Michael nicht ein ausschließliches Werk Johann Michael Fischers ist, sondern sich in ihr verschiedene Einflüsse mischen. Tatsächlich gehen einige Grundeigenschaften der Fassade, neben der bereits angemerkten Vorgabe der Doppeltürmigkeit vonseiten der Bruderschaft, auf den Münchner Hofmaurermeister Philipp Jakob Köglsperger zurück, der es durch Intrigen geschafft hatte, 1738 J. M. Fischer aus der Bauleitung zu verdrängen und seine Stelle einzunehmen. Er änderte den von Fischer vorgelegten Fassadenplan, begann auch gleich zu bauen und damit für Tatsachen zu sorgen. Köglsperger war ein bayerischer Maurergeselle und späterer Baumeister, der auf seiner Wanderschaft u.a. im Bautrupp Kilian Ignaz Dientzenhofers in Prag gearbeitet hatte, von dort aber unehrenhaft unter Hinterlassung von Schulden verschwunden war und deshalb nicht in die Münchner Mauerzunft aufgenommen wurde. Er schaffte es allerdings, die Stelle des Münchner Hofmaurerpaliers zu bekommen, die schon sein Vater innegehabt hatte und war somit durch den kurfürstlichen Hof protegiert. In Berg am Laim legte er die Fundamente und begann mit dem Bau der Fassade samt Türmen; seine geplante Fassade ist durch einen Stich überliefert:

Diese Fassadenansicht (Kupferstich von Schaur 1739/40), die sehr wahrscheinlich Köglspergers Planung zeigt, wirkt durch die wilden Vor- und Rücksprünge (das Eingangsportal liegt hinter der Basislinie der Türme, die Säulen der Ädikula stehen hingegen weit davor), die verschiedenen Fensterformate und die imitierten Steinschnitte sehr unruhig und gepresst und hätte für die lichte Öffnungsbreite des Hauptportals nur ca. 1,70m übrig gelassen. Überdies wären einige der Fenster nicht baubar gewesen, da sie von den Geschoßdecken der Vorhalle und vom Gewölbe der Orgelempore durchschnitten worden wären.
Köglsperger begann aber mit dem Bau und legte durch die Anlage der Türme deren Lage und Breite, durch die Höhe der Pilasterpfeiler an den Türmen die Höhe des Erdgeschoßes fest, außerdem begann er eine Fassade mit doppelstöckiger Ädikula zu errichten, wie sie auf dem oben gezeigten Stich zu sehen ist und wie einerseits aus der Bestellung des Bruderschaftsekretärs Würnzl über 8 Tuffsteinsäulen in Tegernsee hervorgeht (für eine einstöckige Ädikula mit Doppelsäulen hätte man nur vier Säulen gebraucht) und andererseits durch 2011 im Boden gefundene Fundamente bestätigt wurde. Fischer ließ nach seiner Wiedereinsetzung als Baumeister zwar die konkave Fassade abreißen und baute stattdessen eine konvexe, musste aber die begonnenen Türme, die Höhe des Erdgeschoßes und somit auch die Idee einer doppelstöckigen Ädikula übernehmen. Fischer konnte nur die eklatanten Schwächen des Köglspergerschen Fassadenentwurfs beseitigen und die Fassade “retten”, sie aber nicht mehr von Grund auf selbst gestalten; hieraus erklären sich also die deutlichen Unterschiede zu seinen sonstigen Kirchenfassaden.
Ein Grund für die doppelstöckige Ädikula mag auch gewesen sein, dass zum Zeitpunkt der Errichtung der Kirche die Josephsburg noch von der Festungsanlage umgeben war und somit eine einstöckige Ädikula in der Fernansicht durch die Festungsanlage auf halber Höhe abgeschnitten worden wäre.