Beiträge von Leonhard

    Sehr beeindruckende Bilder, die vielleicht aber auch ein bisschen verständlich machen, warum diesen engen, dunklen und oft auch architektonisch nicht herausragenden Altstadtbereichen kein großer Wert beigemessen wurde... ich kann mich an eine Passage in der "Welt von gestern" von Stefan Zweig erinnern, in der er das Elend der Leute beschrieb, das aus diesen Gassen herausquoll und das seiner Meinung nach mit den gründerzeitlichen Umgestaltungen wirkungsvoll beseitigt wurde. Damit möchte ich natürlich solche Abrisse nicht generell gutheißen, sondern nur darlegen, dass die Sache unter sozialen Gesichtspunkten teilweise vielleicht auch nachvollziehbar ist.

    Diese Nostalgie für alte Häuser, die wir heute haben, ist wahrscheinlich ja auch eher relativ jung, ich kann mir gut vorstellen, dass man im 19. Jh überwiegend pragmatisch an das Thema Wohnen heranging und es erstens um Komfort und zweitens um Repräsentation ging, nicht um die Bewahrung von altem Kulturgut.

    Ich möchte zum sogenannten Zerstörungsgrad noch etwas sagen. Die Zerstörungs- oder Schadenskarten sind leider sehr mit Vorsicht zu genießen, weil sie naturgemäß recht oberflächlich bleiben müssen. Die Anzahl der zerstörten Wohnungen ist dabei zwar sicherlich akkurat, bildet für unser städtebauliches Interesse aber keine entscheidende Kenngröße, weil erstens die meisten Wohnungen nicht in den architektonisch besonders wertvollen Innenstädten lagen (die schon lange vor dem 2. Weltkrieg einer starken City-Bildung ausgesetzt waren), sondern in den Vorstädten, und zweitens vor allem, weil die Feststellung einer zerstörten Wohnung noch lange nicht bedeutet, dass das ganze Haus unwiederbringlich zerstört war.
    Ich besitze einige hochaufgelöste, von den Amerikanern angefertigte Luftbilder der Münchner Altstadt aus der Stunde Null, d.h. von Ende April bis Anfang Juni 1945 und habe diese mit den offiziellen Schadenskarten für München verglichen. Dabei fällt auf, dass die Kategorisierungen der Schadenskarten in "gering beschädigt", "mittlere Schäden", "schwere Schäden" und "sehr schwere und Totalschäden" völlig unzureichend sind, um die Realität abzubilden, die man auf den Luftbildern und natürlich auch auf einzelnen Straßenansichten sehen kann: als "sehr schwere und Totalschäden" werden gleichermaßen Häuser bezeichnet, von denen wirklich gar nichts mehr stand, als auch Häuser, von denen die Fassade oder auch das restliche Mauerwerk noch stehengeblieben war und die somit grundsätzlich wiederaufbaufähig waren. In einigen Fällen wurde eine solche stehengebliebene Fassade neu hinterbaut und somit das Haus im Stadtbild erhalten, in vielen anderen wurde die stehengebliebene Fassade abgerissen und ein neues Haus gebaut. In manchen Fällen setzte man die stehengebliebene Fassade auch zuerst jahrelang ungeschützt Regen, Schnee und Eis aus und riss sie schließlich aufgrund nicht mehr behebbarer Schäden ab: in vielen dieser Fälle war den Eigentümern ein Neubau lieber, weil dieser mehr Geschoße haben konnte und somit mehr wirtschaftlich verwertbare Fläche aufwies; in manchen Fällen war vielleicht auch eine Rettung der Fassade in Betracht gezogen worden, konnte aber aus Geldmangel nicht sofort angegangen werden, während in der Zwischenzeit das Mauerwerk witterungsbedingt irreparable Schäden erlitt. Wie bewertet man nun die Frage, was im Krieg "zerstört" und was nachher "unnötigerweise" abgerissen wurde? Diese Frage ist ohne eingehende Untersuchung jedes Einzelfalls nicht zu beantworten. Im Falle Münchens hätte bei sofortigen Sicherungsmaßnahmen auf jeden Fall wesentlich mehr gerettet werden können - bloß wer kann im Nachhinein mit Sicherheit behaupten, dass eine Wiederherstellung zumutbar gewesen wäre? Wir Nachgeborenen tun uns leicht darin, die damaligen Eigentümer zu beschuldigen, nicht genügend für die Rettung der alten Bausubstanz getan zu haben, verkennen aber oft die damalige Notlage und die daraus folgenden Prioritäten. Gleichwohl wurden viele, auch eher mittelschwer beschädigte Gebäude nach dem Krieg abgerissen, welche wiederhergestellt hätten werden können.
    Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Frage nach der effektiven Kriegszerstörung einerseits und dem Verlust durch vermeidbare Abrisse nach dem Krieg andererseits sehr schwer zu beantworten ist und die Schadenskarten hierfür höchstens eine grobe Orientierung geben.

    Ich denke, dass beste ist, wenn der Bestandsbau bleibt. Er ist erstens, wie Du richtig feststellst, als positives Beispiel für den Münchener Wiederaufbau erhaltenswert. Und es ist zweitens, wie Du ebenfalls richtig feststellst, überhaupt nicht gesagt, dass der Nöferbau auch wirklich so gebaut würde wie auf der Visualisierung dargestellt: einerseits aufgrund möglicher Einsparungen, andererseits aufgrund der dezidierten Vorliebe für moderne Architektur, die in der Münchner Gestaltungskommission vorherrscht. Und der Max-Joseph-Platz ist nunmal wirklich kein Platz für Experimente.

    Tja, den Keller gibt's leider nicht mehr, weswegen politische Diskussionen, die letztendlich bei so einem Thema unvermeidlich sind, halt jetzt direkt in den einzelnen Themensträngen stattfinden.

    Ja, für München ist dieses Längsoval etwas Außergewöhnliches, mir fällt im Moment auch kein anderes Beispiel eines solchen Raumes in München ein. J. M. Fischer zog ja als Geselle zwischen 1712−1717 durch Mähren und Böhmen und nahm diverse Anregungen der böhmischen Barockarchitektur in sein Repertoire auf; St. Anna ist zudem vom Grundriss der Schlosskirche in Smiřice von Christoph Dientzenhofer inspiriert.

    Das Leichte und weniger Pathetische in den bayerischen Kirchenausstattungen im Vergleich zu Wien ist auffällig und auch überraschend, eigentlich sind wir Bayern ja eher ein schwerfälliges Volk ;) aber Wien hat sich wahrscheinlich mehr am italienisch-barocken Ausstattungsstil orientiert und vielleicht auch wenig wirklich Eigenständiges kreiert, während Bayern hier einen eigenen Weg gegangen ist, der mehr vom französischen Regence- und später Rokokostil inspiriert war. Ich mag beides :)

    Etwas komplizierter ist die Situation mit der Kirchenfassade. Die ursprüngliche von Fischer gebaute Fassade ist nicht hundertprozentig überliefert: es gibt zwar einen Aufriss, von dem aber nicht klar ist, ob er eine frühe Fassung oder eine spätere Revision darstellt; gebaut wurde bis 1754 auf jeden Fall eine veränderte Version mit u.a. hinzugefügter Attika und verkleinertem Giebel, wie in zwei Zeichnungen von 1807 und 1840 zu sehen ist. Allerdings widersprechen sich die beiden Zeichnungen bzgl. einiger Details, vor allem im Giebel, weswegen der originale Zustand der Fassade leider nicht ganz klar ist.

    Der Aufriss von Fischer:

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    Die Zeichnung von 1807 von Häusler:

    Zeichnung-Hausler-1807.jpeg

    Die Zeichnung von 1840 von Lebschée:

    Zeichnung-Lebschee-1840.jpeg

    1849 formierte sich unter den Bürgern des Lehels ein Turmbauverein, welcher der als zu wenig imposant empfundenen Kirche wenigstens einen Turm samt Uhr und Geläut an die Seite stellen wollte. Schließlich entschloss man sich sogar dazu, der Kirche eine ganz neue, dem Zeitgeschmack entsprechende, repräsentative Fassade vorzublenden: 1852/53 wurde durch August von Voit eine neoromanische Zweiturmfassade errichtet, die sichtlich von der wenige Jahre zuvor durch Voits Lehrmeister Friedrich von Gärtner gebauten Ludwigskirche an der Ludwigstraße inspiriert war. Die neue Fassade war zwar viel größer und „imposanter” als die alte, passte aber weder stilistisch noch atmosphärisch zur bestehenden Kirche: die unverputzten und - abgesehen von der durch Haustein akzentuierten Gliederung - dekorlosen Ziegelstein-Mauerflächen schufen eine eher asketische Ausstrahlung, die in scharfem Kontrast stand zum barocken, festlichen Innenraum.

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    (Wikimedia Commons, gemeinfrei)

    Weiteres Foto der neoromanischen Fassade: https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=676590

    So ist es kein Wunder, dass nach den Beschädigungen des 2. Weltkriegs schnell die Idee aufkam, diese geschmackliche Verirrung wieder zu beseitigen und die barocke Fassade zu rekonstruieren: nicht nur vonseiten Erwin Schleichs, der die Wiederherstellung der Kirche leitete und schließlich 1965/66 die Barockfassade rekonstruierte, sondern schon zuvor von Richard Steidle, der als Architekt den Wiederaufbau des zur Kirche gehörigen und im Krieg zerstörten Franziskanerklosters geplant hatte. Schleich interpretierte die vorhandene und, wie oben bereits beschrieben, unklare Quellenlage zur Fassade auf eigene Weise und hielt sich, was den Giebel betrifft, dabei eher an die Zeichnung von 1840 von Lebschée. Das Vorhaben sah sich aufgrund des Mangels an sicheren Quellen und der daraus folgenden, etwas kreativen Herangehensweise natürlich einer gewissen Kritik ausgesetzt und wird in der Denkmaltopographie als „gewagte Nachschöpfung” bezeichnet. Die neoromanische Fassade war bis auf die zerstörten Turmhelme eigentlich recht glimpflich durch den Krieg gekommen und hätte mit relativ geringem Aufwand wiederhergestellt werden können; nichtsdestotrotz trug man bereits 1946 die Türme bis auf die Höhe des Fassadengiebels ab und 1965 schließlich auch noch bis auf Traufhöhe des Klosters, um darauf die barocke Fassade rekonstruieren zu können.

    Foto nach der Beschädigung:

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    (https://www.erzbistum-muenchen.de/pfarrei/st-ann…chen/cont/64328)

    Nach der Abtragung der Türme:

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    (https://hdbg.eu/wiederaufbau/g…na-im-lehel/348)

    Diese Entscheidung zum Abbruch ging wie schon erwähnt bereits auf Steidle zurück, dessen Wiederaufbauplan des Klosters direkt nach dem Krieg auch die Rekonstruktion der barocken Kirchenfassade vorsah, und war wahrscheinlich der damals weitverbreiteten Abneigung gegenüber historistischer Architektur geschuldet. Aus denkmalpflegerischer Sicht mag man diese Entscheidung vielleicht bedauern, aus ästhetischer und städtebaulicher Sicht hingegen muss man sie meines Erachtens unbedingt gutheißen: eine neoromanische Fassade braucht an dieser Stelle niemand - direkt gegenüber der Klosterkirche St. Anna befindet sich die gleichnamige neoromanische Pfarrkirche St. Anna von 1887-92.

    Was man hingegen kritisieren kann, ist, dass die barocke Fassade dem verbliebenen Torso der neoromanischen Fassade vorgeblendet wurde und somit nicht mehr wie ursprünglich auf einer Linie mit den flankierenden Klostertrakten liegt; diese Lösung wurde wahrscheinlich gewählt, weil sie erstens einfacher und kostengünstiger zu realisieren war und zweitens die erweiterte Vorhalle so beließ, wie sie seit 1853 bestand. Um diese etwas “zusammengebastelte” Lösung zu kaschieren, bekam der Torso sowohl links und rechts neben der Fassade als auch an den vorspringenden Seiten jeweils eine Fensterachse im Aussehen der Klostertrakte, d.h. ein rustiziertes Erdgeschoß mit Stichbogenblenden um die Fenster, darüber ein Gurtgesims, profilierte Fensterrahmungen mit stuckierten Brüstungsfeldern unter den Fenstern des 1. Stocks sowie als Abschluss ein Traufgesims. Diese Fassadengestaltung wurde den Bauaufnahmen von 1807 entnommen und ebenfalls beim Wiederaufbau des Klosters angewendet.

    Rekonstruierte Barockfassade auf dem Torso der neoromanischen Fassade mit angrenzendem Kloster:

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    Insgesamt ist die Wiederherstellung von St. Anna ein Paradebeispiel für die von Schleich angestrebte schöpferische Denkmalpflege: einerseits wird mit größtmöglicher Akribie rekonstruiert, was verloren gegangen ist und wovon es genaue Quellen gibt; andererseits werden Teile, von denen nicht genau bekannt ist, wie sie ausgesehen haben, mit künstlerischer Kreativität und einer gewissen Unbekümmertheit so nachgeschöpft, dass sich in der Summe ein möglichst lückenloses und künstlerisch einheitliches Bild ergibt. Bezogen auf St. Anna bedeutet dies, dass die auf Fotos überlieferten Teile der Innenausstattung vollständig und so perfekt wie möglich rekonstruiert wurden, weil anders als etwa im Alten Peter, der Heiliggeistkirche oder der Damenstiftkirche hier keinerlei bauliche oder kunsthandwerkliche Kompromisse eingegangen werden mussten, die nicht vollständig bekannten Teile der Innenausstattung wie die beiden mittleren Seitenaltäre und vor allem die Fassade hingegen mit einem gewissen Pragmatismus und schöpferischer Eigenständigkeit nachempfunden wurden. Was den Innenraum betrifft, so wird heute niemand, ausgenommen vielleicht ein Experte für Malerei, erkennen, dass die Ausstattung nahezu vollständig neu ist und auch der neoromanische Torso ist hinter der vorgeblendeten Barockfassade so gut versteckt, dass die im Grunde etwas ungeschmeidige Art, wie die Kirchenfassade mit den Klostertrakten verbunden ist, kaum jemandem auffallen dürfte.

    Weitere Fotos der Klosterkirche St. Anna hier: https://www.flickr.com/photos/1619455…177720315209691


    Wenn man aus der Klosterkirche hinaustritt, sieht man direkt gegenüber die neoromanische Pfarrkirche St. Anna von 1887-92, der wir uns als nächstes widmen werden:

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    Weitere Fotos der Kirche:

    Der bis auf den Tabernakel von J. B. Straub und die beiden Heiligenfiguren links und rechts komplett rekonstruierte Hochaltar (incl. des ebenfalls von Manninger geschaffenen Altarblatts):

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    Auf der linken blauen Tafel ist auf Latein die Rekonstruktion der Kirche vermerkt:

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    Seite links:

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    Seite rechts:

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    Das herrliche, ebenfalls rekonstruierte bayerisch-österreichische Allianzwappen über dem Altarraum:

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    Zwei Schrägansichten des Kirchenraums:

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    Das Fresko über dem Altarrraum mit der Verherrlichung des Namens Anna:

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    Original:

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    (Deutsche Fotothek, gemeinfrei)

    Das Fresko über der Orgelempore mit dem Tod Annas (davon hab ich leider keine bessere Aufnahme):

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    Original:

    Fresko-Orgelempore.jpeg
    (Deutsche Fotothek, gemeinfrei)

    Die alte Signatur von C. D. Asam:

    Signatur-Asam.jpeg

    (Deutsche Fotothek, gemeinfrei)

    Die neue von Manninger:

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    Weitere Farbaufnahmen der originalen Fresken von Asam hier: https://www.deutschefotothek.de/gallery/encode…_ry8RGRZAORCGiw

    Für meine laienhaften Augen hat Manninger die Fresken der Annakirche herausragend gut hinbekommen, nicht nur als großes Ganzes, sondern auch in den meisten Details; viele Gesichter stimmen geradezu unglaublich überein. Er hat aber eine etwas weichere und "lieblichere" Malart als der scharfkantigere und schwungvollere Asam, ein bisschen "Charakter" geht Manninger im direkten Vergleich vielleicht ab. Das ist aber auch nicht verwunderlich angesichts der immens schwierigen Aufgabe, ein Werk eines anderen Künstlers so genau wie möglich zu kopieren. Insgesamt würde ich diese Fresko-Rekonstruktionen zu den besten zählen, die in Deutschland nach dem Krieg geschaffen wurden.

    Wenden wir uns nun den drei im Krieg zerstörten und danach von Karl Manninger rekonstruierten Deckenfresken zu.

    Zunächst eine Übersicht über das gesamte Gewölbe, auf dem man schön die tief in das Gewölbe einschneidenden Kalotten der Konchen sieht:

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    Eine Farbaufnahme des originalen zentralen Freskos von C. D. Asam von 1943/44, die Aufnahme der hl. Anna in den Himmel darstellend:

    Zentrales-Deckenfresko.jpeg
    (Deutsche Fotothek, gemeinfrei)

    Das von Karl Manninger 1972 rekonstruierte Fresko:

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    Einige Ausschnitte:

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    Original:

    Ausschnitt-Deckenfresko-2.jpeg
    (Deutsche Fotothek, gemeinfrei)
    Ausschnitt-Deckenfresko-3.jpeg
    (Deutsche Fotothek, gemeinfrei)

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    Original:

    Ausschnitt-Deckenfresko-1.jpeg
    (Deutsche Fotothek, gemeinfrei)

    Als erste Kirche außerhalb der Altstadt möchte ich die Klosterkirche St. Anna im Lehel (münchnerisch "Lechl") vorstellen.

    Klosterkirche St. Anna im Lehel

    St.-Anna-Straße 19

    Erbaut 1727-39

    Typus: längsovaler, von seitlichen Konchen umgebener Zentralraum mit rundem Presbyterium und querovalem Orgelchor

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    Baugeschichte:

    - 1725 Baugenehmigung durch Kurfürst Max Emanuel: die Vorstadt Lehel hatte damals noch keine eigene Kirche, weswegen die Bewohner den Kurfürsten baten, dort eine Kirche zu errichten; der Kurfürst verband den Bau der gewünschten Kirche mit der Ansiedlung des Hieronymiten-Ordens im Lehel, die an ihrem bisherigen Standort am Walchensee nicht zufrieden waren und eine neue Niederlassung suchten.

    - 1727 Grundsteinlegung durch Kurfürstin Maria Amalia, der Gemahlin des neuen Kurfürsten Karl Albrecht (dessen Vater Max Emanuel 1726 verstorben war) und Ernennung des Kirchenbaus als Votivkirche anlässlich der Geburt des Kurprinzen Max III. Joseph.

    - 1727-33 Bau der Kirche nach Plänen von Johann Michael Fischer; 1729/30 Deckenfresken von Cosmas Damian Asam; 1730 vorläufige Benediktion der Kirche; 1734 Altarblätter von C. D. Asam; 1737 Weihe; 1738/39 Errichtung des Hochaltars und der beiden Haupt-Seitenaltäre durch Egid Quirin und Cosmas Damian Asam. Die Altaraufbauten, Plastiken und Stuckaturen der Kirche schafft Egid Quirin Asam, die Fresken und Altarblätter Cosmas Damian Asam, den Tabernakel mit den beiden Engeln sowie die Kanzel Johann Baptist Straub.

    - 1753/54 Fertigstellung der Fassade

    - 1802 Säkularisation und Aufhebung des Ordens, 1807 Auszug der Hieronymiten; ab diesem Zeitpunkt dient St. Anna als Pfarrkirche des Lehels.

    - In das Kloster, das seit 1807 als Magazin und Kaserne gedient hatte, ziehen 1827 die Franziskaner ein, die ihrerseits 1802 von ihrem angestammten Kloster am Max-Joseph-Platz vertrieben worden waren und nun im Zuge der kirchlichen Rehabilitationspolitik Ludwigs I. wieder nach München geholt werden.

    - 1845 Renovierung

    - 1852/53 wird, nachdem der alte Chorturm baufällig geworden war, der Kirche eine neue Vorhalle mit zwei flankierenden Türmen vorgelagert (Architekt August von Voit); diese neoromanische Fassade, die sich an St. Ludwig in der Ludwigstraße orientiert, soll dem Kirchenvorplatz einen zeitgemäßeren und repräsentativeren Charakter geben.

    - 1893 Umgestaltung einiger Teile der Ausstattung im Sinne der damals populären Nazarenerkunst, wobei einige wertvolle Altarblätter von C. D. Asam verloren gehen.

    - 1934 Renovierung des Innenraums, 1935 neues Relief an der Korbbrüstung der Kanzel mit der Darstellung der Stigmatisation des hl. Franziskus von Konrad Ritter von Hofmann

    - 1944 Zerstörung des Dachstuhls und laut Karlheinz Hemmeter in “Bayerische Baudenkmäler im Zweiten Weltkrieg” auch des Gewölbes; in der Denkmaltopographie steht allerdings nichts von einer Zerstörung des Gewölbes (lediglich von einem Absenken desselben um 25cm) und Fotos von 1946 zeigen ein zwar ausgebranntes, aber baulich intaktes Gewölbe; allerdings ist auf den Fotos auch nicht das gesamte Gewölbe zu sehen. Die Türme und der Innenraum brennen aufgrund von Brandbomben völlig aus: Deckenfresken, Stuckaturen, Orgelempore und ein Großteil der Ausstattung werden vernichtet.

    - 1946 Abtragung der neoromanischen Türme bis auf Höhe des Fassadengiebels, neuer Dachstuhl, Stabilisierung des Gewölbes samt weißem Anstrich, Nachguss der zerstörten Stuck-Kapitelle, Errichtung von provisorischen Altären aus übriggebliebenen Resten; in dieser sehr einfach wiederhergestellten Form wird die Kirche 1951 wiedereröffnet.

    - 1965/66 Rekonstruktion der Barockfassade durch Erwin Schleich unter Einbeziehung der um ein weiteres Geschoß reduzierten Turmstümpfe und der erweiterten Vorhalle von 1853

    - 1967-79 Rekonstruktion der kompletten Innenausstattung unter Leitung von Erwin Schleich: 1967 Stuckierung der Kirche, Rekonstruktion des Allianzwappens über dem Chorbogen und des Freskos im Presbyterium; 1970 Wiederherstellung des Hochaltars (dessen Tabernakel den Krieg überstanden hatte); 1972 Rekonstruktion des großen Freskos im Mittelraum (anhand von Farbdias von 1942); 1973 Restaurierung der beiden vorderen Seitenaltäre (die Altarblätter von C. D. Asam waren vor der Bombardierung gerettet worden); 1974 Wiederherstellung der Kanzel; 1975 Rekonstruktion des Hochaltarbildes (anhand eines Schwarzweißfotos) und Neukonzeption des Antoniusaltars; 1976 Wiederherstellung des Kreuzaltars und des Freskos über der Orgelempore, Stuckierung der Emporenbrüstung; 1978 Erneuerung des letzten Seitenaltars links mit neuem Altarblatt 1979. Die Künstler und Kunsthandwerker des Wiederaufbaus: Karl Manninger, Maler (Deckenfresken, Hochaltarbild, Altarblatt letzter Seitenaltar links); Hermann Rösner, Bildhauer (Hauptportal, St. Annafigur im Giebel der Fassade, Hl. Franziskus und Hl. Antonius in der Vorhalle, Putti am Kreuzaltar, linker Engel am Antoniusaltar); Robert Auer, Maler (Bildtafeln Antoniusaltar); Joseph und Jakob Schnitzer (sämtliche Stuckarbeiten); Firma Kunze (Maler- und Vergolderarbeiten); Albert Knestele & Franz Schreiner (Rekonstruktion verschiedener Großplastiken).

    - 1999 Einweihung der neuen Orgel mit neuem neobarocken Orgelgehäuse der Firma Hermann Mathis (Näfels/Schweiz), Schnitzarbeiten von Bildhauer Wieland Graf.


    St. Anna im Lehel ist ein Frühwerk von Johann Michael Fischer, einem der bedeutendsten barocken Kirchenbaumeister Süddeutschlands: zu seinen Werken gehören u.a. die Klosterkirchen von Ottobeuren, Zwiefalten, Rott am Inn, Fürstenzell und Dießen am Ammersee sowie St. Michael in Berg am Laim in München.

    Bernhard Schütz schrieb über St. Anna im Lehel:

    Fischer gab hier auf Weltenburg, wovon das Konzept für St. Anna gerne abgeleitet wird, eine eigenständige, erfindungsreiche Antwort. Schon der Grundriss bietet zum Weltenburger Längsoval eine ganz besondere Alternative, weil das Oval auf der Querachse ein wenig eingezogen ist. Die Grundrissfigur erinnert an die Form einer Geige. Das ist im Kirchenbau etwas sehr Seltenes. Angeschlossen ist der Chor in Form einer Rotunde. Fischer griff bei der Gesamtdisposition des Grundrisses nicht auf Weltenburg zurück, sondern auf einen Musterbau in Böhmen: die wohl von Christoph Dientzenhofer entworfene Schlosskirche in Smiřice, bei der die Geigenform noch viel deutlicher in Erscheinung tritt und wo in der Gewölbezone ein überall einschwingendes Bogenachteck ausgebildet ist. Die böhmische Präzision der Form ist bei Fischer zurückgenommen; sie ist ein wenig abgeschliffen, doch bleibt das böhmische Muster, nicht zuletzt auch bei der Chorrotunde, immer noch erkennbar. Für die Anschauung bleibt der Raum freilich eine längsovale Rotunde. Die ovale Form wird durch die Einschwünge nicht aufgehoben, sondern - typisch für den frühen Fischer - mit feinem Bewegungsspiel belebt. Vollends konträr zu Weltenburg ist die Wandform, die Fischer in St. Anna erprobte. Während der Aufbau in Weltenburg, festen Schalen vergleichbar, von Travéen mit ungemein gewichtiger Ordnung bestimmt wird, umkleidete Fischer in St. Anna den Raum an den Längsseiten jeweils mit drei Abseiten in Form von Konchen. Die Konchen sind eine frei modellierte Umformung des althergebrachten Motivs rektangulärer Wandpfeilerabseiten, und entsprechend sind die Konchenwände, zum Kernraum hin, mit Hilfe der Pilasterordnung zu festen Pfeilerköpfen verfestigt. Zum Kernraum öffnen sich die Konchen durch ihre Stirnarkaden, die zusammen mit den Öffnungsarkaden zum Chor und Eingangsraum einen den Raum umschließenden Arkadenkranz bilden.”

    Kurz gesagt: Fischer nimmt das eigentlich longitudinale Wandpfeilerschema, zentralisiert es und bringt es zum Schwingen.

    Im Gegensatz zu diesem klar strukturierten Unterbau ist die Gewölbezone ohne weiteres Stützensystem aufgesetzt, Bernhard Schütz schreibt hierzu: “Hier verschneiden sich die Kalotten der Konchen und die Flachkuppel des Kernraums ohne jeden Gurt einfach nur mit einer Gratlinie, die dann der Stukkateur als Profilleiste hervorgehoben hat. Ohne ein konsequentes Stützen-Bogen-System ist die Wölbung wie von Hand aufmodelliert. Fischer rechnete von vornherein mit der Ausstattung und ließ ihr an der Decke ein ideales freies Feld.” Vor allem dieses Ineinanderfließen der Raumteile ist der Grund, weswegen St. Anna im Lehel die erste Rokokokirche in Altbayern genannt wurde: in dem bis dahin vorherrschenden italienisch-österreichischen Ovalkirchentypus war hingegen eine deutlich artikulierte Abgrenzung zwischen Unterbau und Kuppel üblich, meistens ein Tambour mit Gebälk. Hinzu kommt das Lichte und Leichte, das vor allem im Vergleich zur mehr oder weniger gleichzeitig entstandenen Asamkirche auffällt, die mit ihren Hell-Dunkel-Kontrasten und dem schweren, marmorierten und vergoldeten Ornat noch klar in der römischen Barocktradition steht. Trotzdem würde ich St. Anna insgesamt noch als spätbarock bezeichnen: die Asamsche Ausstattung besitzt noch keine Rokokoelemente (lediglich die wahrscheinlich erst um 1756 entstandene Kanzel von J. B. Straub) und rein architektonisch ist eine Unterscheidung zwischen Barock und Rokoko im altbayrischen Kirchenbau sowieso schwierig bis unmöglich, da sich die Charakteristiken des Rokokostils hier kaum architektonisch manifestierten (mit wenigen Ausnahmen wie der Wieskirche), sondern auf Dekoration und Ausstattung beschränkten.

    Bernhard Schütz abschließend zur Architektur von St. Anna: “St. Anna im Lehel ist ein Musterbeispiel für Fischers Fähigkeit, mit modellierten Wand- und Wölbflächen zu arbeiten, denen die Pilaster und Pilasterpfeiler als Ordnungsmacht entgegengestellt sind. Die Flächen umschließen als Schalen den Raum, die Pilaster aber weisen den Zusammenhang vor, in welchem die Teile zu sehen sind.”

    Was die Ausstattung betrifft, so überrascht die höfische Eleganz und Festlichkeit, die eigentlich einer Vorstadtkirche bzw. der Klosterkirche eines Eremitenordens unangemessen erscheint: nicht nur das große, aufwändige Deckenfresko, die elegant geschwungene Kanzel oder die insgesamt sieben reich geschmückten Altäre fallen dabei ins Auge, sondern vor allem auch das prächtige bayerisch-österreichische Allianzwappen über dem Altarraum, welches die Verbindung zwischen Kurfürst Karl Albrecht von Bayern und seiner Gemahlin Maria Amalia von Österreich symbolisiert. Der Grund für die reiche Ausstattung war die Förderung des Kirchenbaus seitens des kurfürstlichen Hauses als Votivkirche anlässlich der Geburt des Kurprinzen Max III. Joseph, weswegen Maria Amalia auch den Grundstein gelegt hatte.

    Im 2. Weltkrieg brannte die Kirche nahezu vollständig aus und die Ausstattung incl. Fresken und Stuck wurde bis auf wenige Reste zerstört. Übrig blieben Teile der Seitenaltäre, Teile der Kanzel, die beiden Stuckfiguren der hll. Pius und Augustinus sowie der Tabernakel des Hochaltars. Die verlorengegangene Ausstattung wurde unter der Leitung von Erwin Schleich 1967-79 vollständig und originalgetreu rekonstruiert, wobei man die Leistung des Malers Karl Manninger besonders hervorheben muss: er rekonstruierte nicht nur die drei Asamschen Deckenfresken, sondern auch das Hochaltargemälde und das Altarblatt des hinteren linken Altars. Besonders das große zentrale Deckenfresko mit der Einführung der hl. Anna in den Himmel ist ihm herausragend geglückt und stellt vielleicht Manningers beste Arbeit in München dar. Auch insgesamt ist die Rekonstruktion der Ausstattung von St. Anna hervorragend gelungen und wirkt absolut authentisch und stimmig: auch neu entworfene Teile wie die Orgel von 1999 oder die teilweise neu ausgestatteten beiden mittleren Seitenaltäre fügen sich ohne stilistische oder qualitative Brüche ein.

    Innenansicht vor der Zerstörung:

    Alte-Innenansicht.jpeg

    Weitere Innenansichten vor der Zerstörung:

    - https://www.bildindex.de/document/obj20…m340409/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…m606278/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…2244b10/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…m606279/?part=0

    Zustand nach der Zerstörung durch Brandbomben:

    - https://www.bildindex.de/document/obj20…m202016/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…2244c13/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…m202015/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…2244c11/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…2244c12/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…2244c05/?part=0

    Zustand nach der ersten, rein konservierenden Instandsetzung (Foto von 1955):

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    Auf dem obigen Foto sieht man, wie traurig die Kirche aussehen würde, hätten sich danach nicht die traditionalistischen Kräfte um Erwin Schleich und Norbert Lieb durchgesetzt und die Innenausstattung komplett rekonstruiert.

    Heute:

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    Zum Vergleich nochmal die Rückseite nach den Zerstörungen: https://www.bildindex.de/document/obj20…m202015/?part=0

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    Edit: nachdem der Beitrag, auf den sich mein folgender Beitrag bezieht, gelöscht wurde, hängt dieser leider sinnbefreit in der Luft...

    Ganz so einfach kann man sich das nicht machen, vor allem wenn man noch nicht so lange dabei ist und die verschiedenen Charaktere nicht gut genug kennt. Dieses Forum hat als Grundthema das "Antlitz unserer Städte", das in vielen Fällen aus bekannten Gründen entweder verloren gegangen ist oder zumindest so stark beschädigt wurde, dass die Identität vieler Städte in Gefahr ist. Dieses Thema ist deshalb für viele, die eine starke Bindung zur Umgebung, in der sie leben, und zu ihrer angestammten Kultur haben, ein sehr emotionales. Städtebau ist für viele hier keine Frage der Funktionalität oder gar eine experimentelle Spielwiese, sondern eine Frage der Identifikation und des "sich zu Hause fühlen können". Daraus erklären sich gewisse persönliche und subjektive Animositäten, weil es eben keine rein vernunftgesteuerte Angelegenheit ist und weil außerdem die meisten der Diskutanten nicht vom Fach sind. Das macht ihre Gefühle und Ansichten aber nicht weniger wichtig und wertvoll, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Leute und Institutionen, die sich eigentlich um das Thema Städtebau und Lebensumgebung von Berufs wegen kümmern sollten, diese menschlichen Aspekte oft genug mit Füßen treten. Dieses Forum ist sozusagen ein Sprachrohr der unzufriedenen Menschen, die sich - jeder auf seine Weise - Luft verschaffen im Kampf gegen die omnipräsente Hässlichkeit unserer Städte. Von daher: bitte ein bisserl mehr Nachsicht und Großzügigkeit in der Beurteilung von uns armen Seelen :)

    Übrigens, ich würde von Neoklassik auch nicht unbedingt erwarten, dass sie sich von den Vorbildern emanzipiert, sondern dass sie zumindest annähernd an die Qualität der alten Vorbilder herankommt. Etwas wirklich Neues erwarte ich mir in diesem Zusammenhang gar nicht, sondern nur etwas gut gemachtes, was den Vergleich mit den alten Vorbildern aushält, ohne gleich "genial" sein zu müssen. Das müsste mit genügend Sensibilität und Erfahrung doch zu schaffen sein, oder nicht?

    Die Kritik des Feuilletons richtet sich aber nicht gegen die fehlende Qualität der Werke (der man sich durchaus anschließen kann), sondern vor allem gegen den Umstand, dass Komponisten es wagen, den Weg der atonalen "Moderne" zu verlassen. Also im Prinzip die gleiche grundsätzliche Abwehrhaltung der Modernisten wie in der Architektur. So muss man das betrachten.

    Ich hab nur den Artikel im Standard gelesen und dort kam's mir nicht so vor, als wie wenn gegen tonale Musik per se gewettert worden wäre, sondern es wurde die mangelnde musikalische Qualität der Neoklassik und die Degradierung von Musik zu "Kaminfeuersounds" (herrlicher Ausdruck!) kritisiert.

    Tut mir leid, aber ich finde diesen Satz:

    Dieses Elitäre, das Menschen bei etwas ausschließt, wo sie doch zumindest grundlegend gute Antennen bei sich tragen und was so bereichernd im eigenen Leben sein kann, wenn man Zugang gewinnt,

    schon deutlich übertrieben... man muss erstens nicht alles respektieren oder gut finden, bloß weil es der Allgemeinheit gefällt und zweitens wird niemand von irgendetwas ausgeschlossen. Niemand wird davon abgehalten, sich ein bisschen zu bilden und den eklatanten qualitativen Unterschied zwischen z.B. Einaudi und Chopin selbst zu hören. Warum sollte man darauf nicht hinweisen dürfen? Nicht alles, was einem auf Anhieb gefällt, muss gut sein und es gehört manchmal ein bisschen Anstrengung dazu, sich in etwas einzuhören. Ich empfinde die limitierte und oberflächliche Ausdrucksart dieser sogenannten Neoklassik auf jeden Fall als gewaltigen Rückschritt im Vergleich zu den klassischen Komponisten der vergangenen Jahrhunderte und könnte dies auch einigermaßen objektiv anhand musikalischer Kriterien belegen. Von daher müssen solche Musiker, wenn sie ihre Musik schon als "Neoklassik" bezeichnen, auch damit leben können, wenn man ihre Musik mit den alten Meistern vergleicht und substanziell kritisiert. Ich muss mich in meinem Berufsleben auf jeden Fall viel genug mit Einaudi und Co. herumschlagen und kann's größtenteils nicht "derpacken", tut mir leid.

    Aber es soll sich natürlich jeder gerne anhören, was er möchte und wenn jemand über Einaudi zu Schubert oder Chopin findet, dann freu ich mich auch.

    Bzgl. Vergleichbarkeit von Neoklassik und neuer traditioneller Architektur: wenn neue traditionelle Architektur ähnlich oberflächlich und primitiv wie weite Teile der Neoklassik ausfallen sollte, dann bin ich nicht sicher, ob ich sie wirklich lieber hätte als moderne...

    Dem Artikel vom Standard ist ausnahmsweise mal zuzustimmen, vor allem der Überschrift: "Kitsch von atmosphärischen Dienstleistern". Die Primitivität und Oberflächlichkeit von Einaudi und Co. ist größtenteils nicht auszuhalten und ihre Klavierstücke sind ein gigantischer Rückschritt im Vergleich zu den Höhepunkten des 19. Jhs - jedes Nocturne von Chopin besitzt mehr Ideen, mehr Raffinesse, mehr Tiefgang und mehr Seele. Diese Musik scheint aber einen Nerv der Zeit getroffen zu haben, sie ist unglaublich populär. Honi soit qui mal y pense...

    Wobei ich auch finde, dass der frühere Zustand eine gewisse Qualität hatte - hätte dieser nicht diesen Prachtbau verdrängt, würde ich sein Verschwinden bedauern.

    Ich bin mir sicher, wenn der vorherige Bau in irgendeiner wiederaufgebauten deutschen Stadt stünde, würdest Du ihn arg kritisieren ;)

    Es gibt noch einige weitere abgegangene Kirchen und Kapellen in der Altstadt Münchens, hier eine Aufzählung:

    - Kirche des Püttrich-Regelhauses St. Christophorus Ecke Residenz-/Perusastraße (14. Jh, Abbruch 1806)

    - Wieskapelle St. Salvator am Petersbergl (14. Jh, Abbruch 1880)

    - Nikolauskapelle am Petersbergl (14. Jh, 1807 profaniert und überbaut, 1898 entfernt)

    - Kirche des Ridler-Regelhauses St. Johann Baptist und Evangelist am Max-Joseph-Platz (14. Jh, Abbruch 1803)

    - Gruft- oder Neu-Stiftkirche “Unsere Liebe Frau in der Gruft” in der Gruftstraße (heute Marienhof; 14. Jh, 1806 profaniert, 1944 zerstört)

    - Hofkapelle St. Georg in der Neuveste (von 1559, 1750 beim großen Residenzbrand vernichtet)

    - Wartenbergische Kapelle St. Sebastian im Rosental (von 1588, Abbruch 1807)

    - Hofkapelle der Wilhelminischen Veste (spätere Herzog-Max-Burg) Maria Immaculata (von 1593; 1944 zerstört)

    - Spitalkirche St. Rochus in der Rochusgasse (von 1603, Abbruch Anfang des 19. Jhs)

    - Kapelle des Gregoriushauses St. Maria und Gregorius in der Neuhauser Straße (von 1645, Abbruch 1806)

    - Kapelle St. Joseph im Appartement der Kurfürstin Henriette Adelaide in der Residenz (von 1665; 1944 zerstört)

    - Kapelle St. Katharina in der Residenz (von 1669; 1750 beim Residenzbrand zerstört)

    - Cäcilienkapelle in der Residenz (1757; 1944 Vernichtung der Ausstattung)

    Dies soll es aber mit den Kirchen der Altstadt gewesen sein. Ab jetzt werden wir uns den Kirchen der Vorstädte widmen, die ebenfalls aus verschiedensten Epochen stammen und zum Teil sehr prächtig und wertvoll sind. Dies wird allerdings noch einige Zeit dauern, da ich erst einmal die bereits gemachten Fotos sortieren und nachbearbeiten, von vielen Kirchen überhaupt noch Fotos machen und dann die dazugehörige Baugeschichte recherchieren muss. Aber peu à peu werde ich hier weitermachen, allerdings nicht mehr in chronologischer Reihenfolge, sondern so, wie es mir gerade gefällt :) Ich bedanke mich schon einmal für das bisher gezeigte große Interesse!