Pfarrkirche St. Anna im Lehel
St.-Anna-Platz 5
Erbaut 1887-92
Typus: dreischiffige, überkuppelte Pfeilerbasilika mit zwei Querhäusern und Apsis
Baugeschichte:
- 1885 Ausschreibung eines auf Münchner Architekten beschränkten Wettbewerbs mit Gabriel von Seidl als Gewinner
- 1887 Grundsteinlegung, 1889 Hochführen der Mauern, 1890 Einwölbung, 1891 Dachstuhl
- 1892 Weihe, Vollendung des Tympanonreliefs, Aufstellung des Brunnens (Bildhauer Anton Pruska)
- 1892 Apsisgemälde (Darstellung der Heiligsten Dreifaltigkeit, der Apostel und Engel sowie Maria und deren Mutter Anna) von Rudolf von Seitz, 1894 Tympanonrelief am Hauptportal (Christus in der Mandorla zwischen Engeln) von Anton Pruska, 1898 Kreuzwegbilder in den Seitenschiffen von Martin Feuerstein,1903 Heiligenstatuen und Rosenkranztondi an den Schildwänden des Querschiffs über den Altären von Anton Pruska, 1907/08 Gemälde an der Ostseite des Querschiffs über den Altären von Becker-Gundahl, 1909/10 acht Reliefdarstellungen der vier griechischen und der vier lateinischen Kirchenväter von Anton Pruska an den Hochwänden des Mittelschiffs, 1910 Reiterstandbild aus Bronze über der Portalädikula der Westfassade von Ferdinand von Miller, 1912 Türsturz und Gewändefiguren am Hauptportal von Anton Pruska
Sonstige Ausstattung: Hochaltar: Evangelistensymbole von Pruska, Tabernakel von Otto Hupp; Antoniusaltar: Gemälde von Feuerstein, Figuren von Georg Beyrer und Kaspar Ruppert; Marienaltar: Statue von Pruska; Kanzel: Bildhauerarbeiten von Pruska. Alle Entwürfe von Gabriel v. Seidl.
- 1913/14 farbige Raumfassung mit Dekorationsmalerei vor allem an den Pfeilerarkaden, Gewölbegurten und in der Vierungskuppel (Sternenhimmel)
- 1917 Mosaiken am Marienaltar, 1925/26 acht Prophetenfiguren von Pruska für die Blendarkaden der Apsis des nördlichen Querarms, 1928 Mosaiken am Herz-Jesu-Altar
- 1944/45 vergleichsweise geringe Kriegsschäden: Verlust des Turmhelms am Westturm, Beschädigung des linken Seitenschiffs, Destabilisierungen und Risse an Mauerwerk und Gewölben
- 1948-55 Behebung der Kriegsschäden, 1954 Beseitigung der Dekorationsmalereien und der Reliefs der Kirchenväter an den Hochwänden des Mittelschiffs
- 1971/72 purifizierende Innenrenovierung und liturgische Neuordnung mit Altarinsel in der Vierung: Volksaltar und Ambo von Max Faller, Zusammenfassung des Gestühls zu einem Block (Leitung der Renovierung: Armin Dietrich)
- 1980 neue Orgel (Gestaltung Arthur Kneer) und Auffindung und Wiederanbringung von zwei der 1954 beseitigten Kirchenväterreliefs an den Hochschiffwänden
- 1989 Wiederfreilegung der Mosaiken am Marienaltar und Herz-Jesu-Altar
- 1995/96 Rekonstruktion der sechs fehlenden Reliefs der acht Kirchenväter an den Hochschiffwänden, die zu den zwei erhaltenen und bereits wiederangebrachten Reliefs hinzugefügt werden
- 1996 Freilegung und Restaurierung des Uhrenfreskos unter der Orgelempore
Durch den Bau der Maximilianstraße Mitte des 19. Jhs erfuhr die östlich der Altstadt gelegene Vorstadt Lehel eine deutliche Aufwertung und wurde als Wohnviertel attraktiv, so dass ihre Bevölkerung bis 1880 auf 17000 Einwohner anwuchs. Die bisher als Pfarrkirche genutzte Klosterkirche St. Anna wurde für die stark anwachsende Gemeinde zu klein, weswegen eine neue, größere Pfarrkirche mit gleichem Patrozinium gebaut werden sollte; zu diesem Zweck wurde schließlich ein auf Münchner Architekten beschränkter Wettbewerb ausgeschrieben, den Gabriel von Seidl gewann. Der Bauplatz direkt östlich der alten Klosterkirche ergab sich durch die testamentarische Schenkung des Gartens eines Bürgers im Jahre 1880 und wurde in den folgenden Jahren durch den Aufkauf weiterer angrenzender Grundstücke erweitert.
Für die Wahl der Neo-Romanik als Baustil der neuen Kirche gab es mehrere Beweggründe: erstens galt die Romanik nach der Reichseinigung und der Schaffung eines neuen deutschen Kaiserreiches 1871 als besonders prägend für die Idee des deutschen Kaisertums, da die romanischen Dome in Mainz, Worms und Speyer im Heiligen Römischen Reich eine herausragende Rolle gespielt hatten; zweitens war die Romanik in München bis dato nicht wirklich vertreten (abgesehen von einigen wenigen, eher unbedeutenden Resten sowie der gegenüberliegenden, 1852/53 geschaffenen neoromanischen Zweiturmfront der barocken Klosterkirche); drittens wollte man mit der Wiederaufnahme der Romanik an die als beispielhaft empfundene Frömmigkeit des Mittelalters anknüpfen und viertens mag vielleicht auch gerade die damalige, direkt gegenüberliegende neoromanische Zweiturmfront der Klosterkirche als Inspiration gedient haben. Die Pfarrkirche St. Anna war jedenfalls die erste vollständig neoromanische Kirche in München, die zwar grundsätzlich auf einem strengen, d.h. historisch korrekten Historismus basierte, sich aber gleichzeitig auch auf spielerisch-malerische Weise gewisse Freiheiten in der Stilauslegung erlaubte, die sich z.B. in der vielgliedrig-kleinteiligen, auf malerischen Effekt getrimmten Komposition des Ostteils zeigen - eine Herangehensweise, wie sie typisch für die Gebrüder Seidl und München war: „Somit ist St. Anna ein frühes Hauptbeispiel des sich von der strengen Kühle kopistischer Routine ablösenden, die Münchner Architekturszene der Jahrhundertwende positiv im Sinne künstlerischer Qualität, wenn auch retrospektiv prägenden »Seidl-Stils«.“ (Bayer. Denkmaltopographie)
Auch insgesamt ist das Äußere der Kirche nicht auf eine einheitliche Perspektive hin entworfen, sondern so in seine Umgebung hineingebettet, dass sich ständig wechselnde Ansichten ergeben: „Die Kirche ist so eingebettet in ihr Stadtviertel, dass sie sich nicht von weitem schon als Fernbild zeigt. Sie wird erst dann sichtbar, wenn man den Kirchplatz selber betritt. Und von allen Seiten, woher man immer kommt, ergibt sich dann ein Schrägblick, der nie als geschlossenes Bild erscheint, sondern weiterverweist auf andere Ansichten und den Betrachter auffordert, weiterzugehen und um das Gotteshaus herumzuwandern. Dieses Arbeiten mit ständig wechselnden Ansichten, die sich jeweils als ein reiches »malerisches« Bild offenbaren, ist ein hervorragendes Merkmal der Architektur Seidls.“ (Hans Lehmbruch)
Der Innenraum ist wesentlich einfacher angelegt, als es das teilweise verspielte und verschachtelte Äußere glauben ließe: eine dreischiffige, überkuppelte Pfeilerbasilika mit zwei Querbauten und Apsis, wobei der westliche Querbau durch die darüber liegende Orgelempore innen kaum zur Geltung kommt, sondern wie ein Vorraum wirkt. Der interessanteste Teil ist sicher der östliche Bereich mit östlichem Querhaus, Vierung, Kuppel und Apsis, der für den beim westlichen Hauptportal Eintretenden allerdings erst recht weit vorne, d.h. östlich, einsehbar wird. Der Kirchenraum hat in seiner heutigen Gestalt ein deutlich wahrnehmbares Ungleichgewicht zwischen „hinten“ und „vorne“, was einigen ungünstigen Nachkriegsentscheidungen geschuldet ist: die 1913/14 entstandene üppige Dekorationsmalerei des Innenraums an den Pfeilerarkaden und Gewölbegurten sowie der Sternenhimmel in der Vierungskuppel - Ausschmückungen, die angeblich nicht das volle Wohlgefallen Gabriel v. Seidls gefunden hatten - wurden leider 1954 entfernt, als man für das Pittoreske der Jahrhundertwende nicht mehr viel übrig hatte. Zusätzlich entfernte man bei der Renovierung 1971/72 weitere Ausstattungsgegenstände und ersetzte die vormals in der Mitte geteilten Kirchenbänke, die ein Fortschreiten in der Mitte zuließen, durch ungeteilte Bänke, so dass man sich seitdem fast nur noch seitlich der Vierung nähern kann. Seit Beginn der 1980er Jahre wurden zwar einige dieser Entscheidungen revidiert, der Kirchenraum präsentiert sich seitdem (mit Ausnahme des Chors) aber trotzdem eher nüchtern und leer und drückt auf diese Weise umso mehr das Dilemma jeglicher purifizierter Historismusarchitektur aus: auf der einen Seite fehlt die Aura des Echten, auf der anderen aber auch die künstlerische Überzeugungskraft, die nur in der Qualität eines künstlerischen Konzeptes und seiner kunsthandwerklich gelungenen Umsetzung liegen kann. Anders ausgedrückt: die Purifizierungen zielten darauf ab, den historistischen Bauten ihre „unechten“ und „übertriebenen“ Stilelemente zu nehmen und betonten damit paradoxerweise nur ihre Künstlichkeit.
„Durch den heutigen gleichmäßig weißen Anstrich der Wände ist die Einbindung der allein noch teilweise in alter Farbigkeit erhaltenen Altarnischen in die Architektur verlorengegangen; in ihrer Isolierung wirken sie fast wie autonome Kunstwerke, die in mehr oder weniger zufälliger Ordnung auf der neutralen Wandfläche angebracht sind. Die ursprüngliche Konzentration der bildlichen Motive auf die Ostteile der Kirche wurde zu einer puren Anhäufung von Ausstattungsstücken. Die intendierte Steigerung der Architektur zum Allerheiligsten hin - Auftakt, rhythmisches Fortschreiten, Höhepunkt -, bei der Farbe und Bild eine wohldurchdachte Rolle spielten, wurde dadurch eines ihrer wesentlichen Momente beraubt. Es blieb die überragende Wirkung der Ausgestaltung der Hauptapsis, die unmittelbar vom Eingang im Westen her als vorrangiges Gestaltungselement des Raumeindrucks noch vor der Architektur zur Geltung kommt. Der Raum verliert im Blick auf das Hauptbild an Tiefe. Man kann sich davon überzeugen: beim Rückblick von der Apsis zum Eingang gewinnt das Langhaus auf geradezu überraschende Weise an Räumlichkeit und Plastizität. Der Architekt hat sich in dieser Hinsicht vermutlich an Vorbildern der ersten Hälfte seines Jahrhunderts inspiriert, etwa an der Ludwigskirche, deren Architektur allerdings in noch stärkerem Maße auf das Gemälde an der Altarwand konzentriert ist.“ (Hans Lehmbruch)
Lehmbruch zum Apsisbild von Seitz: „Dargestellt ist die Dreifaltigkeit, angebetet in der oberen, als Himmel bezeichneten Zone von einer Engelsschar, in der unteren von Maria und Anna. Beide Frauengestalten - besonders die der Kirchenpatronin - sind durch ihre Größe und die Farbe der Gewänder aus der Reihe der Apostel hervorgehoben, die nach dem Vorbild einer Sacra Conversazione im unteren, terrestrischen Bereich des Gemäldes der Darstellung beigeordnet sind. Die überlebensgroßen Figuren stehen als geschlossene Umrißformen vor dem Grunde. Die Farbgestaltung ihrer Binnenformen ist wenig nuanciert und vor allem durch kräftige Schattierungen modelliert. Der Eindruck ist auf die Fernwirkung berechnet und nimmt auch Rücksicht auf die nur dämmerige Beleuchtung, die in der Apsis herrscht. (…) Das Gemälde ist daher auf den Lichteinfall vom Langhaus angewiesen. Es bedarf heller, sonniger Tage, besser noch der hinter dem Eingangsbogen zur Apsis angebrachten künstlichen Beleuchtung, damit das Bild seine volle Wirkung entfalten kann. Auch der Altar darunter kommt erst voll zur Geltung, wenn bei einem Gottesdienst die Kerzen auf ihm angezündet sind und das Gold des Altaraufsatzes mit warmem Schimmer den Baldachin aus weißem Marmor zu füllen scheint und die vergoldeten Schmuckformen zum Leuchten bringt. Ersetzt durch den neuen Altar unter der Vierung, hat der alte mit seiner Funktion auch einen Teil seiner künstlerischen Wirkung eingebüßt.“
So ist der im Krieg kaum beschädigte Kirchenraum durch unsensible Nachkriegsentscheidungen leider in seiner Wirkung beeinträchtigt.
Ansichten vor 1954:
(https://www.erzbistum-muenchen.de/pfarrei/st-ann…chen/cont/64328)
(https://www.erzbistum-muenchen.de/pfarrei/st-ann…chen/cont/64328)