Posts by East_Clintwood

    Dem würde ich letztlich widersprechen. An Musikakademien zumindest wird diese Ansicht entschieden nicht gelehrt. Kunst muss an objektiven Kriterien dingfest gemacht werden bzw einer objektiven Analyse zugänglich sein.

    Das ist der große Unterschied zwischen Musik und Malerei. Musik hat ein klares Regelwerk, das bereits bei der Kunde der Notenschrift anfängt und fast schon wissenschaftliche Präzision erfordert. Malerei hingegen ist freierer Ausdruck, lässt sich sogar autodidaktisch erlernen. Ähnlich auch wie die Schriftstellerei. Deswegen ist es so schwierig, objektive Regeln zu formulieren. Hier muss man also die ästhetischen Vorlieben der Rezipienten ungleich höher gewichten als verbindliche Regeln. Man kann vielleicht sagen, dass der geschützte Raum des Museums und der Galerie Kunst von Nicht-Kunst unterscheidet. Oder eben, wie in diesem Fall, die Haltung des Museums, an dessen Fassade das Werk angebracht wurde. Das macht das Gebiet der bildenden Kunst so weit. Es gibt sozusagen keine Grenzen, sowohl der Medien als auch des Ausdrucks. Diesen Unterschied halte ich für äußerst wichtig.

    Kommt drauf an, was man unter Bewertungsmaßstab versteht. Letztlich führt die rigorose Verneinung von objektiv dingfest zu machenden Qualitätskriterien ins Nichts.

    Schwierig. Ich bringe ein Beispiel: Mark Rothko. Schlechter Maler nach klassisch-konservativer Auslegung. Dennoch finde ich seine Seelenlandschaften, so einfach sie sind, brillant und sie vermitteln mir fast schon meditative Ruhe. Die Farbkomposition entschädigt für die „Nichtsichtbarkeit“ eines eigentlichen Motivs. Hier widersprechen sich für mich „Können“ und Wirkung. Letztere ist eben nicht „Nichts“. Sie ist da. Und damit ist für mich ein Werk auch gerechtfertigt. Ich habe bei jedem Bild immer eine Weile, bis ich einen Zugang finde, ob traditionell oder modern. Manchmal verschließt es sich mir gänzlich (wie bei Naegeli, aber gleichzeitig kann ich viel mit Basquiat anfangen, der ursprünglich auch aus dieser Szene kam). Und manchmal kann ich tatsächlich eins mit einem Gemälde werden, sogar mit abstrakten. Für mich ist vieles sogar eine fast schon „metaphysische“ Erfahrung. Kunstbetrachtung bedarf auch einer gewissen Übung. Auch ein innerer Kampf gegen allzu vorschnelle Urteile kommt öfters vor, das gehört zur Auseinandersetzung. Aber dafür muss man sich eben öffnen. Ich spreche immer von Malerei, weil das eben mein bevorzugtes Medium ist. Mit Installationen, Aktionskunst etc. kann ich persönlich nichts anfangen, aber andere finden darin irgendetwas Interessantes und dann ist das für mich auch okay.

    Ich glaube hier hat das weniger mit dem "Fremdeln" dem 19. Jahrhundert gegenüber zu tun, sondern eher mit der Schwierigkeit, Malerei zu rekonstruieren.

    Das ist immer problematisch. In solchen Fällen plädiere ich dafür, einen zeitgenössischen (figurativen) Künstler zu engagieren, der die Auflage hat, den ursprünglichen Farbklang zu berücksichtigen und ihm ansonsten gewisse Freiheiten zuzugestehen. Sachsen hat eine große Tradition in figurativer Malerei, die bis ins 21. Jahrhundert anhält. Und ja, mag eine gewagte Haltung sein, aber ich sehe darin immerhin einen Weg, der nicht bloß Kopien anfertigen lässt (immer äußerst schwierig, weil die Spontanität flöten geht und man viel zu sehr à la „Malen nach Zahlen“ vorgeht), sondern den künstlerischen Impuls mitberücksichtigt und damit sogar fast näher an der ursprünglichen Herangehensweise ist als ein 1:1-Nachmalen. Das wäre ja vielleicht ein Weg.

    Ein Linksradikaler, der das Schloss für seine (täglich gescheitertere) Multikulti-Ideologie instrumentalisieren möchte. Aber er liest wahrscheinlich auch nur die „richtigen“ Zeitungen und bekommt daher nur die „richtigen“ Nachrichten in seine warme Stube- oder verdrängt allen Sprengstoff, der mit seiner „offenen Gesellschaft“ zusammenhängt. Dieser Hass ist einfach pathologisch. Ich verwende das Wort immer vorsichtig, aber wenn eine Reaktion in keinem Verhältnis mehr zum Anlass steht und man fast schon automatisch allerlei absurde Dinge hineinliest, die wesentlich mehr über einen selbst als über diesen Anlass aussagen (das Schloss sozusagen als Rorschach-Test), dann stimmt etwas einfach nicht mehr. Wir sprechen hier von einem Schloss, wie es sie in vielen Hauptstädten gibt. Herr Zimmerer spricht von seinen Projektionen. Er projiziert seine fast schon dystopischen Albträume in das Schloss hinein und seine feuchten Träume hinsichtlich einer „offenen Gesellschaft“, die natürlich Herr Zimmerer definiert. Wer an seiner Definition Anstoß nimmt, gehört von seiner „offenen Gesellschaft“ selbstredend ausgeschlossen. Ich bin sicher, dass er glaubt, der gesellschaftlichen Spaltung entgegenzuwirken. Das wäre ein weiterer Wahn solcher Figuren, die alles dafür machen, zu polarisieren und in jedes Mikrofon einen neuen Spaltpilz (und sei er auch noch so abwegig, das spielt für sie keine Rolle) hinausposaunen, um diese Spaltung zusätzlich zu zementieren oder gar zu potenzieren. Mir tun solche von Ideologien getriebenen Leute ehrlich gesagt fast schon leid. Dieser deutsche Selbsthass (es ist ein abgrundtiefer Hass auf die gesamte deutsche Vergangenheit, wie er auch in diesem Interview durchschimmert) ist einfach nur noch, ja, krank. Die Haltung, dass das Schloss für Deutschland „zu deutsch“ ist, halte ich für nicht mehr gesund. Kein Hahn krähte mehr nach der Schlossrekonstruktion, sie steht jetzt und wird vom Volk und den Touristen angenommen. Nun muss man wieder von der fast ausschließlich (!) nur leidvollen und bösen deutschen Geschichte fabulieren und das Schloss zur ideologischen Spielwiese linkradikaler und am besten noch islamischer Kräfte umwandeln (das nennen die Zimmerers dann „offene Gesellschaft“, die unfreiwillige Komik fällt diesen Personen gar nicht mehr auf), um die eigene Relevanz zu steigern.

    Aber sich dann als "liberal" hinstellen ist für mich der größte Knüller. Entweder man akzeptiert die "Engstirnigkeit" der anderen und geht trotzdem seiner "Lust" nach, oder man lässt es ...

    Die Diskussion dreht sich ja nicht darum, ob dieses oder jenes Kunstwerk uns zu gefallen weiß oder nicht- das sei doch jedem unbenommen und ich denke, wir sind alle liberal genug, das zu akzeptieren. Sondern um die Zerstörung eines Werks, die auch noch höhnisch begleitet wird (Schmiererei, „Normal“ usw). Wenn es um Geschmacksfragen geht, bin ich in Teilen ja bei dir, für mich ist vieles keine Kunst mehr- aber eben: FÜR MICH. Ich war dieses Jahr an der ART Basel und regte mich unglaublich auf. Gleichzeitig geht es aber darum, die Kunst und den Geschmack der Anderen (egal wie klein diese Gruppe sein mag) zu akzeptieren und nicht zu zerstören. Ansonsten kann man die Kunstfreiheit begraben und ein Reglement einführen, das dem Volksempfinden entspricht. „Handwerklich hat es so zu sein und inhaltlich so, ansonsten stört sich das gesunde Volk daran“. Ob das ein guter Weg ist, sei mal dahingestellt.

    sowie die bildende Kunst bereits seit 1905 ist seit diesen Zeiträumen nicht mehr für die Ästhetik da und will einen Bruch mit der gewachsenen Vergangenheit, den wir ablehnen!

    Kann ich so nicht stehenlassen. Es gibt fantastische Kunst nach 1905. Da wird ein Großteil des Jugendstils, des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit einfach mal weggewischt. Und eine Unmenge an einzelnen großartigen Künstlern, die sich keiner eigentlichen Schule zuordnen lassen. Auch im 19. Jahrhundert gab es massiven Streit zwischen der Akademie und den nach Freiheit dürstenden Künstlern (eine „Gegenausstellung“ nach der anderen entstand, der ganze Impressionismus ist Protest gegen tradierte Formensprache). Den Traditionsbruch sieht man m.E. eher nach 1945, aus bekannten Gründen. Hinzukommt die Erweiterung der Medien und -ja, da bin ich elitär- eine Demokratisierung des Kunstbegriffs, sodass diese Erweiterung der Medien in meinen Augen leider auch viele Unberufene auf den Plan rief. Aber das gehört nun eben auch zur Kunstgeschichte und es gibt auch heute noch viele Künstler, die den tradierten Medien treu bleiben. Den eigentlichen Bruch gab es aber schon bereits in der Renaissance und beim Vormarsch humanistischer Ideale, als Künstler anfingen, ihre Gemälde zu signieren, ganz extrem bei Dürer. Plötzlich war das Individuum entscheidender als die Traditionslinie oder gar das Dargestellte. Man sieht: einfach nur schöne Bildchen zu malen verkennt den eigentlichen Impetus des Künstlers. Gefälligkeit und das Korsett der gesellschaftlichen Erwartungshaltung ist schon lange kein Qualitätskriterium mehr. Und ich möchte sagen: zum Glück.

    Das Problem ist, dass wir unser subjektives Geschmacksempfinden zum kollektiven Imperativ erheben wollen. Mag ich persönlich das Kunstwerk? Nein. Kann ich deswegen ableiten, dass auch andere das Kunstwerk nicht mögen dürfen? Ebenfalls nein. Hier muss man anerkennen, dass Kunst eben nicht vom eigenen subjektiven Geschmack abhängt. Es gibt Menschen, die dieses Werk mögen und sich dafür einsetzen, dass es erhalten bleibt. Weil es ihnen gefällt. Das gilt es einfach zu akzeptieren. Diese Akzeptanz gehört auch zur kulturellen Reife. Kunst ist immer Streitthema und es ist ja gut, dass wir diese Diskussion führen. Sie führt uns an die Kernfragen, die ich für wichtig halte, und ist damit auch gerechtfertigt. Ich plädiere nur dafür: Aufpassen, was man sich wünscht und darauf achten, die momentane Wut (ja, ich verstehe sie teils ja, aber sie taugt nicht für seriöse Kunstdebatten) nicht zu sehr zum gesellschaftlichen Maßstab zu machen. Es kann ganz ordentlich in die Hose gehen. Neugierig bleiben und Kunst nicht auf den eigenen Geschmack einengen. Das halte ich als freiheitlicher Mensch für elementar.

    Kunstfreiheit ist in freiheitlichen Gesellschaften und aufgrund historischer Erfahrungen, die für ganz Europa prägend waren, ein hohes Gut, an das man nicht die Axt legen sollte. Unter keinen Umständen. Irgendwann trifft es ansonsten auch jene Kunst, die -auch von mir- als qualitativ hochwertiger betrachtet wird. Man muss mit einem Werk nicht einverstanden sein, um dessen Existenzrecht zu respektieren. Wenn wir anfangen, Kunst nach „gutem Geschmack“ und „gesundem Volksempfinden“ zu bewerten und abzuwerten, ist der Schritt zur kulturellen Barbarei in letzter Konsequenz nur noch ein kleiner. Man kann über die Qualität immer diskutieren, aber in dieser Diskussion wird zunehmend das Fundament der Kunstfreiheit in Frage gestellt. Zumindest ist das meine Ansicht, mir ist es in diesem Fall auch egal, ob ich zu sehr anecke.

    Vielleicht kann man sich ja dahingehend einigen, dass die Diskussion gefährlich und überflüssig ist und den Anliegen tatsächlich schadet. Man muss immer die Folgen sehen. Womit ich nicht die Außenwahrnehmung meine, sondern die Folgen solcher Denkmuster für die Kunst. Du hast schon recht mit deinen Einwänden. Wo fängt Kunst an? Wo hört sie auf? Hat der Staat ein Mitspracherecht? Oder das gefühlte und gesunde Volksempfinden? Oder ist sie frei? Wer setzt die Grenzen? Wer die zulässigen Inhalte? Gilt das Verdikt des Zeitgeists? Oder kann Kunst auch über ihn hinausweisen? Usw. Dieses Fass hätte man nicht auftun sollen, weil ein ganzer Rattenschwanz an Problemen entsteht. Zumindest meiner Meinung nach. Verbannt man einen einzigen Künstler, stellt man die gesamte Kunstfreiheit in Frage. Deswegen solidarisiere ich mich prinzipiell mit meinen „Kollegen“, selbst wenn ich deren Intentionen ablehne. Über den Ort kann und muss man diskutieren. Aber eben nicht über die Zulässigkeit eines Werks.

    tegula Schwieriges Thema. Ja, die Kunst soll frei bleiben. Unbedingt sogar. Gleichzeitig bedarf es der Sensibilität für den öffentlichen Raum, da letzterer uns alle betrifft. Es ist keine Kunst mehr im geschlossenen Bereich des Museums, man ist damit konfrontiert, ob man will oder nicht. Und das halte ich für problematisch. Also ist Kritik durchaus zulässig (bewusst provozierende Kunst setzt die negative Reaktion immer voraus, dieses Wechselspiel ist elementar für sie und letztlich auch gewollt). Hier in Basel wird über Ähnliches mitunter abgestimmt (vor allem über Architektur, so wurde ein Bau von Zaha Hadid an prominenter Stelle abgelehnt). Das gilt es dann zu akzeptieren. Dass aber Künstler nicht mehr die Freiheit haben sollen, sich nach eigenem Können und eigenen ästhetischen Prinzipien auszutoben, halte ich dagegen für falsch. Aber eben das „Wo“ ist das entscheidende hierbei.

    Dennoch: mich persönlich stört das Graffiti nicht, aber ich bin ja auch kein Kölner. Meinetwegen kann man es lassen, da ja bei vielen sicherlich auch Gewohnheit eine Rolle spielt. Hier in Basel gibt es eine gesprayte Banane an einem Altstadthaus (bekannter Graffitikünstler, dessen Name mir entfallen ist). Auch da habe ich eine gewisse Toleranz. Das gehört halt jetzt zur Stadt dazu. Diesen ganzen Wirbel verstehe ich auch nicht ganz. Da gäbe es wortwörtlich in Köln ganz andere „Baustellen“, die relevanter sind.

    Und du hast ja recht, Diskussionen à la „Ist das noch Kunst?“ können gefährlich enden. Nicht umsonst hat die Kunst auch in Deutschland große verfassungsrechtliche Freiheiten, die über bloße „Meinungsfreiheit“ hinausgehen. Man lernte aus den oben genannten Diskussionen und das halte ich in freiheitlichen Gesellschaften für äußerst wichtig. Auch wenn ich mit einem Werk nicht einverstanden bin. Und das bin ich hier ausdrücklich nicht. Das ist FÜR MICH keine Kunst. Deswegen kann ich der Zeichnung dennoch nicht ihre künstlerische Legitimation absprechen.

    Aber ich bin dennoch der Meinung, dass sobald ein Werk den öffentlichen Raum betritt, die Gesellschaft ein Mitspracherecht hat und eine Diskussion zulässig ist. Wogegen ich mich aber vehement wehre, ist, wenn man plötzlich anfängt, in Museen und Galerien zu wildern und „gute von schlechter Kunst“ zu säubern beginnt. Diesen zivilisatorischen Tabubruch würde ich nicht mehr mitmachen. Aber das sehe ich hier auch ausdrücklich nicht. Der Fokus liegt hier auf dem öffentlichen Raum und nicht auf der Kunstfreiheit.


    Wie gesagt: ein schwieriges Thema.

    Ich selbst habe sowohl den lebensalltäglichen und den „touristischen“ Blick für meine Stadt. Das widerspricht sich in meinen Augen nicht. Auch als Basler versuche ich stets, Eindrücke neuer Facetten oder einen neuen Blick auf Ensembles zu gewinnen. Und natürlich denke ich mir dann, mit dieser oder jener architektonischen Perle kann man „angeben“, sie stellt ein Alleinstellungsmerkmal meiner Stadt dar, auf das ich stolz bin. Dieses Gefühl des „Stolzes“ auf seine Stadt, darf man eben auch nicht unterschätzen. Je mehr schöne Ecken und je mehr historisch gewachsenes und unverwechselbares Flair eine Stadt hat (ob rekonstruiert oder „echt“ ist hierbei für mich sekundär), desto verbundener mit ihr sind ihre Bewohner. Ich weiß noch in Wien, ein Taxifahrer, dem ich sagte, wie wunderschön seine Stadt ist. Seine Antwort war nicht „Danke“, sondern: „Ich weiß“. Das ist (unter uns Ästheten) nicht zwingend ein Widerspruch. Schönheit, Stadthistorie und Leben können miteinander in Einklang kommen, das sollte eigentlich sogar das oberste Ziel von gelungenem Städtebau sein. Natürlich gibt es hier auch eine Unzahl an Hässlichkeit, Basel ist berüchtigt für seine Abrisspolitik. Das akzeptiere ich teils, weil es eben meine Heimatstadt ist und das dazugehört. Dennoch gibt es sehr viele Ecken, die ich Besuchern sehr gerne zeige (und auch für mich selbst aufsuche). Aber dass Schönheit nur für Touristen relevant sein soll, sehe ich deshalb nicht.

    Das noch als kleiner Einsprengsel zu dieser grundsätzlichen Frage, nun zurück zur Carolabrücke.

    »Der Stein ist mehr Stein als früher. - Wir verstehen im Allgemeinen Architektur nicht mehr, wenigstens lange nicht in der Weise, wie wir Musik verstehen. Wir sind aus der Symbolik der Linien und Figuren herausgewachsen, wie wir der Klangwirkungen der Rhetorik entwöhnt sind, und haben diese Art von Muttermilch der Bildung nicht mehr vom ersten Augenblick unseres Lebens an eingesogen. An einem griechischen oder christlichen Gebäude bedeutete ursprünglich Alles Etwas, und zwar in Hinsicht auf eine höhere Ordnung der Dinge: diese Stimmung einer unausschöpflichen Bedeutsamkeit lag um das Gebäude gleich einem zauberhaften Schleier. Schönheit kam nur nebenbei in das System hinein, ohne die Grundempfindung des Unheimlich-Erhabenen, des durch Götternähe und Magie Geweihten, wesentlich zu beeinträchtigen; Schönheit milderte höchstens das Grauen, — aber dieses Grauen war überall die Voraussetzung. - Was ist uns jetzt die Schönheit eines Gebäudes? Das Selbe wie das schöne Gesicht einer geistlosen Frau: etwas Maskenhaftes.«


    Nietzsche in Menschliches/Allzumenschliches.


    Er spricht hier m.E. einen wichtigen Punkt an, nämlich unsere Unfähigkeit, vergangene Formen zu imitieren oder ihren Geist ins Heute zu transportieren. Zwar spricht er hier nur die Wahrnehmung von Kunsterzeugnissen vergangener Epochen an, aber ich übertrage es jetzt auch auf den aktiven Versuch, diese Epochen wiederbeleben zu wollen. Hier denke ich vor allem an Jakriborg und Poundbury. Ich sagte dazu mal, wir sind heute Betende, die insgeheim nicht mehr an unser Gebet glauben. Das gilt auch in der Imitation vergangener Formensprache. Daher halte ich die Rekonstruktion für wichtiger als sogenanntes „schönes Bauen“. Die Rekonstruktion imitiert nicht im Sinne eines Versuchs, Vergangenes zu adaptieren und stilistisch neu zu deuten, sondern ist eher einer Partitur vergleichbar, an der nichts geändert und „neu interpretiert“ wird. Ja, Nietzsche spricht hier unser ganzes Dilemma an. Wie gerne wären wir noch vom Geist beseelt, der gotische Kathedralen schuf oder die Renaissance einläutete. Nur ist das unmöglich. Halten wir uns daher lieber an die Partituren. Ein zweiter Punkt wird ebenfalls angesprochen, nämlich dass Schönheit einst ein kompensatorisches Mittel war, das „Grauen“ abzumildern. Hier sehen wir natürlich Nietzsches dionysische Weltsicht. Dennoch trifft er auch hier einen Punkt: nämlich dass Schönheit und Stilentwicklung nie ein gefälliges Muster ist, um nette Häuschen zu bauen, sondern aus einer weltanschaulichen und gesellschaftsübergreifenden Tiefe wirkt, die sich ebenfalls nicht künstlich erzeugen lässt. Ansonsten würde es, wie er abschließend sagte, etwas „Maskenhaftes“.

    Solche Rankings führen in der Regel zu nichts, weil sie zwangsläufig subjektiv bleiben müssen. Es gibt eine Unzahl an deutschen Städten, die ich schätze. Oder Ensembles, auch da bleibt es eine Sache der persönlichen Vorlieben. Deswegen mag ich solche Rankings nicht. Wir hatten ja glaub sogar mal den länderübergreifenden Vergleich Dresden/Siena. Völlig absurd. Siena hat keinen Neumarkt und Dresden keinen Piazza del Campo. Vergleiche also völlig überflüssig. So auch Celle/Quedlinburg. Ich war in keiner der beiden Städte, aber fände sicherlich in beiden Ensembles, die einmalig und ortstypisch sind. Ohne sie gegeneinander auszuspielen. Und Diskussionen wie „Diese Stadt ist größer als jene“ hat -man entschuldige mir den obszönen Vergleich- den Geschmack von „Der hat den Längeren als jener“. Womit wir bei pubertärem Kräftemessen wären.

    Jedesmal, wenn ich in Versailles bin, werde ich zum Royalisten und rufe laut, es lebe die Monarchie. Vor allem im königlichen Schlafzimmer kann ich nicht mehr an mich halten. Ich mache vor dem Schloss auch stets Fotos mit einer Krone auf (bei manchen Schlössern und Burgen trage ich auch nur ein Wams und Schnabelschuhe, damit die Würde des Ortes gewahrt wird), um ein Zeichen gegen die Demokratie zu setzen. Das halte ich -wie diese Initiative- für völlig normal, wenn man solche Orte besucht. Wer etwas anderes behauptet, macht sich des geschichtsvergessenen Relativismus schuldig.

    Ein Wohlklang im Orchester sächsischer Städte, der einen zum ehrfürchtigen Innehalten nötigt und - musengleich- wie ein Kuss auf modernistisch arg geschundenes Seelentum anmutet. Eine Stadt, die ich unbedingt noch besuchen möchte, wenngleich der Götterthron (wo bleibt Apolls schützender Schild, der uns Ästheten Obdach gewährt?) uns gnadenlos in Bedrängnis und Pein versetzt mit Temperaturen weit über 30 Grad. Aber ich nehme es mir vor.

    Kommt immer auf die jeweilige Ausgangslage an. So wäre das deutsche links in meinem Land (also der Schweiz) linksextrem. Und das deutsche rechtsextrem wäre hierzulande schlichtweg rechts. Hier muss man also differenzieren und das jeweilige Koordinatensystem berücksichtigen. Ich ging von meinem aus.

    Und nun zurück zum eigentlichen Thema.

    Was erwartet man von einer bekennend linksextremen Zeitung auch anderes. Die Argumentation bleibt dennoch abenteuerlich. Florenz, Rom, Krakau, Prag, Wien- alle rückwärtsgewandt, weil sie ihr historisches Stadtbild pflegen? Paris weiß nicht, wohin es steuern soll, weil es Notre-Dame 1:1 rekonstruiert? Eben, abenteuerlich.

    Man hat naturbelassene Steine genommen und sie vorher nicht künstlich geschwärzt und ggf sogar destabilisiert, was vollkommen richtig ist. Das Material ist jedoch das gleiche. Hier besteht also nicht der geringste Unterschied zum Original, wenn man es beispielsweise mit der Alten Pinakothek in München vergleicht, wo die zerstörten Bereiche ganz bewusst durch ein anderes Material und eine vereinfachte Bauweise betont wurden. Und wie du sagtest: der Kontrast wird im Laufe der Zeit auf natürlichem Wege nachlassen. Hier sehe ich gar nichts „kritisches“. Es ist eine 1:1 Reko, ohne gewollte Brüche. Die Alternative wäre gewesen, die Ruine abzutragen und gänzlich neu zu bauen. Oder eben die Steine künstlich zu schwärzen. Beides halte ich für Unsinn.

    Es gibt wenige Rekonstruktionen, die die Rekonstruktion so vergessen lassen, wie die Frauenkirche. Vergleichbar vielleicht nur noch mit den Paraderäumen, ebenfalls in Dresden. Während der lange Gang dagegen bewusst ausspart, Lücken zeigt und damit „kritisch“ ist. Und der Riesensaal nur noch die Kubatur berücksichtigt und andeutet. Wie bereits gesagt wurde, verstehe auch ich unter „kritischer Rekonstruktion“ eine bewusste Reduktion, die Sichtbarkeit einer modernen „Interpretation“, bis hin zu einer gewollten und die ursprüngliche Bebauung konterkarierenden Kritik. Nichts davon erkenne ich in der Frauenkirche. Es sei denn, dass man jeder Rekonstruktion unterstellt, sie sei kritisch. Dann können wir unsere Anliegen auch gleich begraben.