Berlin - Karstadt am Hermannplatz

  • Ich verfolge das Thema rundum die Reko-Wünsche "Karstadt" eine Weile und muss mal zwischenhaken, weil ich mir noch immer nicht die Frage beantworten kann, was die Gründe für diese "Begeisterung" sind. Für mich entspricht dieser Stil den einfallslosen Bauten aus heutiger Zeit und es wirkt allumfassend als Fremdkörper für die anliegenden Gründerzeitfassaden.

    Kurzum: Hier scheinen alle so verzaubert für etwas zu sein, das sonst im Grundtenor abgelehnt wird. Oder habe ich ein relevantes Detail übersehen?

  • Ich verfolge das Thema rundum die Reko-Wünsche "Karstadt" eine Weile und muss mal zwischenhaken, weil ich mir noch immer nicht die Frage beantworten kann, was die Gründe für diese "Begeisterung" sind. Für mich entspricht dieser Stil den einfallslosen Bauten aus heutiger Zeit und es wirkt allumfassend als Fremdkörper für die anliegenden Gründerzeitfassaden.

    Kurzum: Hier scheinen alle so verzaubert für etwas zu sein, das sonst im Grundtenor abgelehnt wird. Oder habe ich ein relevantes Detail übersehen?

    Ja, eine Kleinigkeit. Es war ein stilprägender Bau der Kaufhausarchitektur der 1920er mit ähnlichen Bauten auch in anderen Städten. Seitens der Bevölkerung wurde der Bau vor allem wegen seiner Dachterrasse sehr gerne besucht.
    Ein basierend im Stil ähnliches Gebäude von Philipp Schäfer, dem Hausarchitekten der Karstadt Warenhäuser, steht in der Otto-Braun-Straße am Alexanderplatz. Durch Teilzerstörung im Zweiten Weltkrieg ist der ursprünglich symmetrische Bau mit ehemals mittigen Treppenturm im Westflügel heute deutlich verkürzt.
    Ehemalige Hauptverwaltung der Karstadt AG Berlin
    Ehemalige Hauptverwaltung der Karstadt AG mit Historie und Aufnahmen der 1930er

  • Am Alexanderplatz stehen zwei Gebäude die über eine Dachterrasse verfügen. Einmal das Park Inn und einmal das schräg gegenüberliegende, in dem ganz oben das Weekend ansässig ist. Gerade in letzterem hatte ich wunderbare Sommerabende über den Dächern Berlins und die Fassaden sind beide "stilprägend" für einen der hässlichsten Stile der DDR-Geschichte. Daher kann ich den Aspekt der Dachbebauung und -nutzung verstehen, aber die Fassade? Was begeistert euch daran?

    Auch das Gebäude in der Bernhard-Weiß-Straße, an dem ich oft schon vorbei gefahren bin, bestehend aus monotonen, geradlinigen, kantigen und immer wiederkehrenden Elementen.

    Und bitte versteht mich nicht falsch, ich will niemandem etwas schlecht reden. Sicher war das Kaufhaus imposant, aber dass in einem Vereinsforum, in dem solche Bauten eher ablehnt werden, würde ich gern die Begeisterung verstehen.

  • Ein basierend im Stil ähnliches Gebäude von Philipp Schäfer, dem Hausarchitekten der Karstadt Warenhäuser, steht in der Otto-Braun-Straße am Alexanderplatz. Durch Teilzerstörung im Zweiten Weltkrieg ist der ursprünglich symmetrische Bau mit ehemals mittigen Treppenturm im Westflügel heute deutlich verkürzt.
    Ehemalige Hauptverwaltung der Karstadt AG Berlin
    Ehemalige Hauptverwaltung der Karstadt AG mit Historie und Aufnahmen der 1930er

    Zu DDR-Zeiten als Polizeipräsidium mit eigenem Zellenbau gefürchtet. Ging es um politische Haft, dem Verschwinden von Oppositionellen, hieß es "Keibelstraße".
    Gleichzeitig befand sich in dem Gebäude die Straßenverkehrs- Zulassungsbehörde mit regelmäßig (kilometer)langen Schlangen. Im Parkdeck die Schadensermittlungsstelle der staatlichen Versicherung. Da es nur diese eine Versicherung für KFZ-Schäden gab, erschienen immer beide Unfallbeteiligten - ließen die Schäden dort kalkulieren und sich die Schadenssumme gleich dort an der Kasse auszahlen. Die Schuldfrage wurde nur verkehrsrechtlich behandelt.

  • Die positive Stimmung gegenüber dem Karstadt-Bau liegt sicherlich darin begründet, dass es zu seiner Erbauung und bis zur Zerstörung so etwas wie ein Wahrzeichen Berlins war und sinnbildlich für den Fortschrittsglaube der 20er und den Übergang Berlins zu einer modernen Weltmetropole stand. Ein Kaufhaus auch für die in Neukölln und Kreuzberg lebenden Arbeiter und Mittelständler. Ein Hauch Übersee in der Stadt und durch seine Lichtsäulen auf den Türmen beeindruckend mondän, aber eben doch für den "Otto-normal-Verbraucher". Auch ein Gebäude, dass in kaum einem Berlinbuch fehlt und von dem man immer noch Postkarten kaufen kann - insofern befürworte ich den Wiederaufbau sehr - mit originaler Muschelkalkfassade wäre es mir allerdings noch lieber gewesen.

  • Ich habe den Widerstand ehrlichgesagt schon befürchtet und habe mich gewundert, dass der Aufschrei nicht schon früher kam. Berlin ist voll auf grünem Askesetrip, da passen solche Bauten nicht rein.

    Einmal editiert, zuletzt von Fasolt (2. September 2019 um 21:07)

  • Könne wir bitte dieses Grünen-bashing lassen - man kann sich für Klimaschutz und vernünftigen Umgang mit Ressourcen einsetzen und dennoch für den Wiederaufbau guter Architektur sein - das schließt sich in keiner Weise aus.

  • Ich verfolge das Thema rundum die Reko-Wünsche "Karstadt" eine Weile und muss mal zwischenhaken, weil ich mir noch immer nicht die Frage beantworten kann, was die Gründe für diese "Begeisterung" sind. Für mich entspricht dieser Stil den einfallslosen Bauten aus heutiger Zeit und es wirkt allumfassend als Fremdkörper für die anliegenden Gründerzeitfassaden.

    Kurzum: Hier scheinen alle so verzaubert für etwas zu sein, das sonst im Grundtenor abgelehnt wird. Oder habe ich ein relevantes Detail übersehen?

    Das alte Karstadt ist allemal ein schönerer Bau, als der Schrott, der heute produziert wird.
    Er repräsentiert die "roaring twenties", mit ihren Widersprüchen, wie kaum ein anderer.
    Ein Stück "Empire-State-Building" in Berlin.
    Fritz Langs Metropolis und Charly-Chaplins "Moderne Zeiten"...
    Warum nicht also besser dieses Kaufhaus, als irgenteins?
    Außerdem ist es ein Zeitzeuge der frühen Moderne, die auch die Berliner Baugeschichte beeinflußt hat. Niemand hier in diesem Forum wird so einseitig auf den Historismus oder andere Epochen der Baugeschichte fixiert sein, daß er den Wiederaufbau von Karstadt komplett ablehnen wird.
    Denn das wäre die ideologische Verbohrtheit der grünen Kleingärtner, die nichts von Geschichte und ihrem architektonischen Ausdruck verstehen.
    Das Projekt Karstadt ist sehr lehrreich, es stellt aktuell den Kulturkampf dar zwischen modernistischen Ideologen, die unsere Geschichte zum x-ten Mal umschreiben wollen - und deren Gegnern, die verstehen, daß unsere Geschichte unsere Identität ist, die man nicht auslöschen kann!
    Der grüne Baustadtrat Florian Schmidt ist nur ein Fußnote der Geschichte.
    Er wird irgentwann eingehen - aber nicht in die Geschichte!
    Meine Privatmeinung.

  • @ Friedenau

    zu Grünenbashing
    ich könnte zahlreiche Beispiele aufführen, die hauptsächlich durch grün angefaerbte Laiendarsteller in den letzten Jahren verhindert wurden und immer noch verhindert werden ! :blah:


    Karstadtkaufhaus mit nächtliche Beleuchtung 30- iger Jahre


  • reschbanner hat oben einen sehr interessanten Punkt angesprochen: Das alte Karstadt-Gebäude am Herrmannplatz ist weder ein Bau jener Zeit, die mit Preußentum und Kaiser verquickt werden kann, noch steht es qua Baujahr im Verdacht, eine protofaschistische Architektur darzustellen.
    Der Aufbruch jener 20er Jahre manifestiert sich in diesem Bau wie kaum in einem anderen jener Zeit, vielleicht mit Ausnahme des Empire-State-Buildings, weshalb auch eine ungeheure Faszination von dem Gebäude auszugehen scheint.

    Ausgerechnet dies versucht ein Baustadtrat Schmidt zu verhindern, der eben für alles steht, außer für Aufbruch, Gründer- oder gar Weltgeist. Ein Zugezogener, der die Stadt vor weiterem Zuzug bewahren möchte, ein lebender innerer Widerspruch, der sich in seiner Angst vor jeglicher Veränderung äußert. Damit hat er mehr mit jenen gemein, die aufgrund ihres beschränkten Horizonts nur im Heute (oder Gestern) leben können als mit denen, denen die Zukunft der Hauptstadt am Herzen liegt.

    Einmal editiert, zuletzt von Novaearion (3. September 2019 um 21:01)

  • Habe ebenfalls die Petition für den Wiederaufbau unterschrieben. Danke @Snork für den Hinweis und den entsprechenden Link! Hoffentlich finden sich genug Gleichgesinnte, die sich an dem Wiederaufbau erfreuen würden.

  • Der Tagesspiegel berichtet, dass der regierende Bürgermeister Michael Müller sich im Hinblick auf das Karstadt-Projekt heute dahingehend geäußert habe, dass der Senat notfalls eingreifen würde, kämen die Bezirke der notwendigen gesamtstädtischen Sicht auf Bauvorhaben und Investitionen nicht nach.
    Die rechtliche Möglichkeit jedenfalls würde bestehen. Hoffen wir, dass Müller hier einmal das Rückgrat gegenüber seinen Koalitionspartnern zeigt, welches er sonst oft genug hat vermissen lassen.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Sieht man sich die Leserkommentare an, erkennt man, in welche Richtung es geht. Der Bau wird zum "Schicki-Micki", zum "Disneyland" und als "rechter Raum" hochstilisiert. So kann eine bestimmte Szene, die sich z.B. nicht an das Thema Clans und Drogenkriminalität heranwagen möchte, ihre dringend benötigten Feindbilder konstruieren.

    Einige Zitate:

    Zitat

    Retro-Fassaden mit Schrott dahinter haben wir mittlerweile mehr als genug.

    Zitat

    historisierende Disneylandfassade

    Zitat

    Karstadt gehört unter anderem René Benko.

    Benko soll an die FPÖ gespendet haben.
    Wer also nicht will, dass Benko in Berlin Geld macht das er dann in die rechtspopulistische FPÖ stecken kann, der versucht sich gegen den Typen zu wehren!

    Und diejenigen, die für den Bau sind, machen dies ebenfalls mit "antifaschistischen" Argumenten:

    Zitat

    Ich bin schon erstaunt bis erschrocken, dass diese afd´sche Verunglimpfung Andersdenkender- wenn auch unter anderen Vorzeichen- mittlerweile auch hier im Forum immer stärker um sich greift.


    Deutschland 2019. Alle(s) gaga... eye:):aufdenkopf:baby2000:):zungeorange:ablachen:):--)

  • Es gibt einen neuen Artikel und vielleicht etwas Hoffnung: https://www.google.de/amp/s/www.rbb2…tm/alt=amp.html
    Demnach könnte der Senat entscheiden und somit das Veto gegen die Rekonstruktion aufheben. Ist es möglich, dass im Namen des Vereins eine Mail an den Senat geschrieben wird? Ich meine, dass dies bezüglich des Dessauer Schlossplatzes bereits geschehen ist (wenn auch unter dem Umstand, dass es dort eine knapp gescheiterte Petition gab; die online-Petition für den Neubau Karstadt Hermannplatz hat gerade einmal etwas über 400..)
    Lg