Berlin - Reichstagsgebäude und Spreebogen

  • Danke VanWuerzburg - hätte ich mir eigentlich denken können.

    BTW - was für eine unglaubliche Arbeit in so einem Gebäude steckt - auch wenn man die Innengestaltung noch dazu berücksichtigt. Das kann man doch auch vorher so genau alles gar nicht planen - da ist sicher eine Menge Abstimmung der Baufachleute vor Ort nötig gewesen.

    Mein voller Respekt....

  • Wir haben zwar CAD und Betondrucker - müssen uns aber eingestehen - das können wir wahrscheinlich nicht mehr.

    Vielleicht kommt der Hass auf solch eine Architektur daher....

  • Wer kann denn die ganzen Details deuten? Was sieht man auf dem Bild? Wofür stehen die Figuren? Was sind das für Köpfe? Was ist das für eine Krone? Warum ein Adler mit Schlange? Was steht dort geschrieben? Bayer, Hessen und? Warum Löwenköpfe?

    volle Auflösung

    Quelle: "Das Reichstagsgebäude in Berlin von Paul Wallot" (1897)

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Mantikor So gute Architekturbeschreibungen bekommen heute die wenigsten Kunsthistoriker hin.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Vielleicht habt ihr folgende Aussage ja auch schon mal gehört oder gar wiedergegeben: Die vier Ecktürme des Reichstagsgebäudes stehen symbolisch für die vier Königreiche des Reiches.

    Kann man so auf Wikipedia und sogar der Website des Bundestages lesen. Ich habs auch mal von einem Politikprofessor gehört. Aber ich glaube das diese Aussage überhaupt keine Grundlage hat. Ich kenne mich in der Literatur zum Reichstag relativ gut aus und habe nichts derartiges gelesen. Pagentorn hat vor einigen Jahren ja mal einige hervorragende Beiträge zum allegorischen und heraldischen Bauschmuck in diesen Thread eingestellt. Auch aus diesen geht nichts dergleichen hervor. Ich glaube aber den Urheber dieses Irrtums gefunden zu haben. In der zeitgenössischen Publikation zum Reichstagsgebäude des Kunsthistorikers (?) Maximilian Rapsilber findet sich dieser Vergleich, der aber eher literarischer Natur zu sein scheint.

    Die Facaden
    Das Reichstagsgebäude / Rapsilber, Maximilian (Public Domain)
    digital.zlb.de

    Weiß jemand mehr und kann mich vielleicht falsifizieren?

  • Vor vielen Jahrzehnten, als ich noch als Stadtführer unterwegs war und auf Basis einer Mappe des damals existierenden Informationsamtes Berlin meine Kenntnisse erworben habe, um vom Verkehrsamt als Guide

    bestellt zu werden, habe ich auch die Erklärung der Symbolik mit den vier Königreichen vermittelt bekommen. Ist natürlich kein Beweis, aber immerhin waren Verkehrsamt und Informationsamt Einrichtungen des Senats.

  • Vielleicht gibt es dazu irgendwo Aufzeichnungen von Paul Wallot? Er könnte sich das ja so gedacht haben. Wie auch immer: es ist eine charmante Deutung, ob nun belegbar oder nicht.

    "Mens agitat molem!" "Der Geist bewegt die Materie!"

  • Die Deutung der Ecktürme als Anspielung auf die Königreiche ist, soweit ich weiß, Allgemeingut. Sie ergibt auch Sinn. Das Reichstagsgebäude ist eine architektonische Verkörperung der Reichseinheit bzw. des als Reich gegründeten Bundesstaates, in dem die vier Königreiche als Freistaaten eine Sonderstellung mit besonderen Hoheitsrechten (eigenes Militär, eigene Münzprägung, eigene Staatsbahn etc.) einnahmen. Schließlich kann man einen König auch nicht ohne Weiteres einem Kaiser unterordnen, jedenfalls schlechter als einen Großherzog oder Herzog. Insofern liegt es nahe, dass die Königreiche am Reichstagsgebäude als eigenständige Baukörper hervortraten, so wie sie ja auch eigene Staatskörper bildeten. Die anderen Staaten und die wichtigsten Städte wurden dagegen durch ihre Wappen repräsentiert (die Staaten besonders prominent zu Seiten des Haupteingangs). Zusammengefasst wurden alle Staaten unter der Kuppel, die als Sinnbild der Reichseinheit die heraldische Kaiserkrone trug. Des weiteren spielte die Germaniagruppe von Reinhold Begas auf die Reichseinheit an.

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  • Dann wäre es ja interessant für den Bau geworden, wenn Napoleon auch z. B. Oldenburg oder Mecklenburg-Schwerin zum Königreich gemacht hätte. Ein historistischer Vorläufer des Pentagon mit Türmen hätte entstehen können...

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    (Immanuel Kant)

  • Ich bleibe da sehr kritisch. Natürlich war das Gebäude ein Monument der Reichseinheit und die Deutung der Türme dazu ist retrospektiv ja ganz nett, aber dann müsste es doch dennoch irgendweine Quelle dafür geben. Entweder das heraldische Programm selber -die Königreiche wurden jedoch an anderer Stelle gewürdigt- oder eine entsprechende Aussage von Wallot.

    Ich bin auch deswegen so kritisch weil der Entwurf zwischen Wettbewerb und Fertigstellung ja radikal verändert worden ist. Eine Kuppel wurde zwischenzeitlich sogar ganz in Frage gestellt. Wäre eine derart expliziete Metaebene wirklich Allgemeingut gewesen, hätte man die Integrität der Baukonzeption viel stärker wahren müssen. Die Türme lassen sich ja eigentlich auch einfach damit erklären, dass man vier Fassaden mit entsprechenden "Eckrisaliten" gliedern musste. Ähnliche Lösungen finden sich bei zahlreichen anderen Wettbewerbsteilnehmern. Ob Pavillon oder Eckturm ist für diese Deutung ja letztlich beliebig.

  • Ich bin ebenfalls sehr skeptisch hinsichtlich einer solchen Interpretation. Was liegt denn näher, als einen vierflügeligen Bau aus ästhetischen und kompositorischen Gründen mit vier Türmen an den Ecken zu versehen? Solche Konstruktion sind zuhauf zu finden, ohne dass daraus eine Programmatik abzuleiten ist. Unzählige Burg- und Schlossanlagen folgen diesem Konzept, bei dem exponierten Gebäudekanten optisch und statisch verstärkt werden. Hierin einen Bezug zu den deutschen Königreichen zu ziehen, halte ich für eine Überinterpretation, solange diese Intention nicht schriftlich belegt ist.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Die klassische Staats- wie die Sakralarchitektur tendierte grundsätzlich dazu, Funktion, Konstruktion, Gestalt und Idee als eine Einheit zu begreifen und daraus eine ikonographisch aufgeladene Typologie zu entwickeln, wobei die gedankliche Aufladung in der Regel weit umfangreicher war, als es uns heute bewusst ist.

    Ecktürme sind in dieser Zeit eigentlich eher ungewöhnlich, üblich sind eher Eckrisalite oder Eckpavillons - man denke an das Reichsgericht in Leipzig (das ehem. Amtsgericht Berlin-Mitte in der Grunerstraße mit seinen geradezu campanileartigen Ecktürmen war die Ausnahme).

    Wallots Ecktürme haben zum einen etwas Wehrhaftes - das war durchaus beabsichtigt. Darüber hinaus waren sie an Schlossbauten eher eine deutsche Erscheinung (Schloss Johannisburg in Aschaffenburg), was Wallots Bemühen entsprach, einen deutschen Reichsstil zu schaffen.

    Dass Elemente ursprünglich nicht vorgesehen waren, ist kein Beweis dafür, dass sie keine Bedeutung hatten. Auch die inhaltliche Konzeption eines Gebäudes kann im Lauf eines Planungsverfahrens abgeändert oder ergänzt werden.

    Ebenso muss der Architekt längst nicht alles, was er sich gedacht hat, auch zu Papier bringen. Die hochkomplexe Ikonographie barocker Kirchen und Schlösser beispielsweise ist in den seltensten Fällen vollständig dokumentiert, am wenigsten vom Architekten selbst. Und doch gibt es ikonographische Kodes, die sich entschlüsseln lassen, weil innerhalb eines bestimmten Gebäudetypus oder innerhalb einer gewissen Stilrichtung dieselben Motive immer wieder im selben Sinnzusammenhang auftreten.

    Und dann gibt es, Ernst Gombrich hat das einmal schön am Beispiel des Amor auf dem Picadilly Circus nachgewiesen, Bedeutungen, die ein Objekt durch die Rezeption erlangt. Diese Bedeutung kann der Bauherr sich auch nachträglich zu eigen machen. Bisweilen kann sie sogar eine neue ikonographische Tradition begründen.

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  • Darüber hinaus waren sie an Schlossbauten eher eine deutsche Erscheinung

    Dem muss ich widersprechen. Es ist ein gesamteuropäisches Phänomen mit unzähligen Beispielen. Deutschland spielt da keine herausragende Rolle. Hier nur Beispiele pars pro toto aus Schweden, Dänemark, Italien und Frankreich. Ecktürme sind zunächst Teil der Fortifikation an den besonders gefährdeten Eckbereichen einer Anlage. Zudem lassen Türme an dieser Stelle eine besonders effiziente Verteidigung zu. Spätestens im Laufe des 17. Jahrhunderts wurden sie an Schlossbauten wehrtechnisch überflüssig, wurden aber in symbolischer Intention als Zeichen des herrschaftlichen Machtanspruchs weiterhin zitiert. In der Raumgestaltung wurden hier fortan gerne Kabinette mit unterschiedlicher Funktion eingerichtet.

    Skokloster, Schweden

    Helsingör, Dänemark

    Castel del Monte, Italien

    Schloss Chambord, Frankreich

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  • Fakt ist: das Reichstaggebäude Wallots hat fast alle Ornamenten, Schmuck und Figuren der Deutsche Geschichte verloren äusserlich und am Innenseite. Mit dem neuen Kuppel ohne Laterne (genau wie auch der Dom) wirkt das Gebäude entstellt, niedriger und "plumper". Es is heute ein Haufen Steinen ohne viel Pathos oder Character. Ist aber auch symbolisch für fast alle noch existierende Gebäuden der Gründerzeit in Berlin.

  • Ein bauzeitliche und illustrierte Schilderung des Reichstagsgebäudes aus dem Kunstgewerbeblatt des Jahres 1895.

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    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Ein bauzeitliche und illustrierte Schilderung des Reichstagsgebäudes aus dem Kunstgewerbeblatt des Jahres 1895.

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    Vielen Dank Mantikor für diese Abbildungen!

    Auf Seite 80 ist folgendes zu den vier Ecktürmen des Reichstages festgehalten:

    Zitat von Kunstgewerbeblatt (1895, S.80)

    Geistvoll und allgemein verständlich ist im Bau symbolisirt worden, was die Kraft und den Reiz des deutschen Lebens ausmacht. Über dem Reiche mit seinem Reichstage die Kaiserkrone, ihre Stützen die vier Königreiche, unsere Ecktürme, und im übrigen zahlreiche Hinweise auf die anderen Glieder des Reiches, auf die staatserhaltenden Kräfte, auf die Städte und das emsig schaffende Bürgertum.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Ich finde die Dekoration des alten Reichstages sehr üppig, sehr überladen und für heutige Generationen, mich selbst eingeschlossen, nicht immer verständlich und überholt. Was nicht bedeutet, das ich den Verlust begrüße. Vieles wurde ja erst nach dem Krieg bewusst zerstört und entfernt. Die Germaniagruppe zum Beispiel. Dieser leere Sockel fällt sofort auf. Auch die Sockel der Herolde und der Reichsadler sind leer und einsam. Wird denn gar nicht versucht, diese Standbilder / Figuren neu zu erschaffen und wieder aufzustellen? Ach ja, das Geld... Aber auch die Symbolik ist ja so schwierig. Obwohl - beim Schloß - äh Humboldtforum war ja auch vieles sehr umstritten ( Kuppel mit Kreuz, umlaufende Kuppelinschrift!!!) und wurde trotzdem gebaut. Ist nicht eine behutsame Reparatur des historischen Figurenprogramms beim Reichstag - äh Bundestag auch möglich?

    In der Architektur muß sich ausdrücken, was eine Stadt zu sagen hat.
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten

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  • Ist nicht eine behutsame Reparatur des historischen Figurenprogramms beim Reichstag - äh Bundestag auch möglich?

    Auch für mich ist der Wallotbau eine Ikone des Historismus, die ich eigentlich gerne mal persönlich erleben würde. Und auch empfinde ich den heutigen Reichstag als ästhetisch unbefriedigend, weil die Proportionen nicht mehr funktionieren. Dennoch wäre eine Rekonstruktion schwierig. Zum einem muss man beachten, dass vielleicht kein anderes Gebäude so eng mit der Geschichte des modernen Deutschlands verknüpft ist, wie dieses. Hieraus leitet sich schon ein besonders hoher Denkmalwert ab, der zu wohl überlegtem Handeln verpflichtet. Wenn man nun wieder den Bauschmuck anbringen würde, dann wäre der Baumgarten-Umbau von 1961 -der heute kritisch zu betrachten ist- quasi nicht mehr ablesbar. Und auch der Forster-Umbau wäre unter diesen veränderten Vorzeichen nicht mehr als ästhetische Einheit zu erkennen.

    Darüberhinaus würde ein "behustames" Vorgehen auf der ästehtischen Ebende eigentlich per se wenig Sinn ergeben, da die Plastizität des Bauschmucks mit der nüchternen Forsterkuppel nicht zu vereinbaren wäre. Man müsste also auch die Kuppel rekonstruieren. Und das wäre -abgesehen davon, dass es völlig unrealistisch ist- auch schwierig, da diese inzwischen selber eine geliebte Ikone der Berliner Republik geworden ist.

  • Ich finde überhaupt nicht, dass die Foster-Kuppel eine minimalistische Gestaltung des restlichen Baukörpers bedingt.
    Im Gegenteil würde sie durch die Wiederherstellung weiterer Figuren eher gewinnen. Und auf die Ablesbarkeit des 1961er Umbaus kann ich außen sehr gut verzichten, im Inneren ist der Bau überwiegend eh viel zu minimalistisch und dröge.