Und auch ich bin wieder auf's Kaiserreich gestoßen (ohne danach konkret zu suchen) Ausgelöst durch die Diskussion Autogerechte Stadt die mich brennend interessiert.
Mir war es gar nicht bewusst, welch ein großes Eisenbahnparadies das dt. Kaiserreich gewesen sein musste. Während dieser Zeit wurden die Hauptbahnen der Städte und Regionen miteinander vernetzt. Aber auch verästelte Neben- und Kleinbahnen, abgelegene Dörfer sowie touristische Zentren mit den Hauptlinien verbunden. Es wurden damals so viele Bahnknotenpunkte geschaffen wie in keinem anderen europäischen Land.
Betrug die deutsche Streckenlänge im Jahre 1840 circa fünfhundert Kilometer, waren es 1870 schon mehr als 20 000.
1873 rief Otto von Bismarck wurde das Reichs-Eisenbahnamt ins Leben. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, mit dieser Behörde ein einheitliches Eisenbahnnetz, nebst einheitlicher Staatseisenbahn aufzubauen. Der Versuch, den Ländern ihre Staats- und Privateisenbahnen abzukaufen, scheiterte jedoch am Widerstand von Baden, Bayern, Sachsen, Württemberg, Hessen, Elsass-Lothringen, Mecklenburg und Oldenburg. Nichtsdestotrotz, 1911 hatte das Eisenbahnnetz Deutschlands – einschließlich der nebenbahnähnlichen Kleinlängen – eine Gesamtlänge von 72 400 Kilometer. Eine Engmaschigkeit von 134 km Bahnen auf tausend Quadratkilometern. Die Beförderungsleistung der deutschen Eisenbahnen wuchs nicht minder beeindruckend– zwischen 1840 und 1913 allein im Personentransport von 62 Millionen auf knapp 41 Milliarden Personenkilometer. (Quelle: Winfried Wolf, Eisenbahn und Autowahn).
Zwischen 1850 – 1890 – also in nur vier Jahrzehnten wurden mit über 200 000 Schienenkilometern gut neunzig Prozent des europäischen Gesamtnetzes fertig . Das deutsche Kaiserreich erwies sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als absolut vorbildliche Eisenbahnnation. So verfügen die überwiegend effektiv geführten Zügen ausgestatteten deutschen Bahnen bei weitem den größten Überschuss in Relation zu dem verwendeten Anlagekapital bei im europäischen Vergleich außerordentliche günstigen Tarifen und standen generell für die ökonomische Leistungsfähigkeit und die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft, der deutschen Industrie, die sich anschickte England zu überflügeln. (Lothar Gall und Manfred Pohl: Die Eisenbahn in Dschl.)
Werner Somart pries das Geschehen als größte produktive Tat wohl aller Geschichte – im Wortlaut: Was nun aber den Nationalökoomen, der sich in das Problem der Eisenbahnen versenkt, immer wieder zum Nachsinnen anregen wird, ist die Frage: wie war es denn überhaupt möglich, dass in der kurzen Spanne Zeit von zwei Menschenaltern so etwas unglaublich Riesenhaftes entstehen konnte, wie das Eisenbahnsystem in einem modernen Kulturstaat. Als größte produktive Tat nicht nur des neunzehnten Jahrhunderts, sondern, wie mir scheint, aller Geschichte sollten die Eisenbahnen immer in erster Linie gewürdigt werden. Machen wir uns einen Augenblick klar, was sie an Arbeitsleistung darstellen! Die deutschen Eisenbahnen haben bis zum Schlusse des Jahres 1910 rund 17 Milliarden Mark gekostet. Rechnen wir davon auf Arbeitslohn auch nur drei Viertel (…), so würden wir auf eine Arbeitsleistung von rund 25 Millionen Arbeitsjahren oder etwas 7 ½ Milliarden Arbeitstagen kommen (..) Auf die geschichtliche Zeit berechnet: in den 70 Arbeitsjahren sind jährlich 100 Millionen Arbeitstage auf den Bau von Eisenbahnen verwendet worden, eine Drittelmillion Menschen hat Jahr für Jahr nichts anderes getan, als Eisenbahnen gebaut oder hergestellt, was zum Eisenbahnbetrieb gehört: Bahnhöfe, rollendes Material usw. Das setzt einen sehr hohen Produktivitätsgrad der nationalen Arbeit voraus, der sich selbst wiederum nur erklärt aus der beständigen Produktivitätssteigerung, die die Eisenbahnen selbst im Gefolge hatten.
Nicht zu vergessen, die herrlichen Bahnhöfe, die damals gebaut wurden.
Ulrich Land über den 1894 eingeweihten Kölner Hauptbahnhof, in dessen gigantischer Bahnsteighalle ein zweistöckiges Wartesaalgebäude entstand: Die mittleren Gleise stoppten vor einem orientalisch anmutenden Palast: bunt gekachelt, mit Stuckschmuck, Türmchen und Erkern ausstaffiert, bekrönt von zahllosen Kuppeln, eröffnet von opulenten Portalen, verziert mit glasierten Terrakotten und farbigen Glasrosetten. Oben unter der Dachzone die Wappen all jener Städte, die man Anfang der 1890 Jahre von Köln aus erreichen konnte. Ein Taj Mahal des Wartens in der Tag für Tag, Zug um Zug rußiger werdenden Bahnsteighalle. Und unter den großen Oberlichtern aus Kathedralglas mit mattierten Verzierungen, unter den Agrafffen und Fruchtgehängen in Stuck: ein nicht weniger erlesenes Salonmobiliar.
Nach dem 2. Weltkrieg musste durch den Versailler- Friedensvertrag, die dt. Eisenbahnen einen heftigen Aderlass hinnehmen. Einzug von 8000 Lokomotiven, 13 000 Personenwagen, 280 000 Güterwagen – die mehr als vierzig Prozent des Bestandes abforderten. Da Reparationsverpflichtungen nicht termingerecht erfüllt wurden, besetzten 1923 französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet und entzogen der Reichsbahnverwaltung mehr als fünftausend Kilometer hochfrequentierter und ertragreicher Strecken. 1924 setzte die Reperationskommission die dt Staatsbahn Schachmatt, durch Umwandlung in eine Reichsbahn-Gesellschaft mit privatwirtschaftlichen Charakter (DRG). Mitglieder des Parlaments wurden im Verwaltungsrat nicht zu gelassen. Die DRG musste den Großteil der verlangten Reparationen beschaffen, welche sich in sieben Jahren auf fünf Milliarden Mark summierte. Durch die hohen jährlichen Geldabflüsse waren keine notwendigen Investitionen möglich. Gewinner am Bedeutungsverlust war die Automobilindustrie, die keinen Pfennig für die Reparationsverpflichtungen zu entrichten hatten. Zumal der Staat schon damals außerordentlich den Straßenbau subventionierte. Mit dem Diktator H. und der Autobahn nahm dann alles seinen Lauf…