Die "Großmannssucht" Wilhelms II. war nicht größer als die anderer Könige deren Paläste und die jeweiligen Umgebungen schon viel früher prachtvoll gestaltet worden waren.
Guten Morgen.
In der sehr kurzen Geschichte des zweiten Kaisertums, nach dem Reichsdeputationshauptschluss endete dies ja eigentlich, war die Legitimation des Titel Deutscher Kaiser (dann auch für WII) gerade unter den damaligen Zeitgenossen nicht unumstritten und keineswegs so selbstverständlich, wie heute in der Rückschau von ihm als Kaiser gesprochen wird. Nicht nur wegen der diversen Attentatsversuche auf die Kaiser ab 1871, auch weil Monarchisten am anderen Ende des politischen Spektrums mitunter mehr auf ihre regionalen Monarchien hielten. In bürgerlichen Kreisen erschien Berlin als "Kostgänger der Länder", so eine häufige Formulierung der Zeit, als anachronistischer Wasserkopf. Breite Sympathie, wie die britische Monarchie sie bis heute im Volk genießt, hatten die Kaiser ab 1871 nie, nicht einmal durch die rosaroteste Brille betrachtet.
Auch die sehr selbstbewussten Bayern, Sachsen oder auch Bürgerstädte, wie Hamburg, wurden nicht besonders warm damit. Daher setzte ja ein ungeheurer Bauboom repräsentativer WII Architektur ein, die deswegen auch zeitgenössisch mitunter als Großmannssucht verspottet wurde, als solle da etwas kompensiert werden. Dazu passte auch die Vorliebe für aufwändige Fantasieuniformen von WII oder der Fantasietitel Imperator Rex, mit dem er sich bevorzugt - gegen das offizielle Protokoll - bezeichnen lassen wollte, was nochmal besonders bombastisch klang.
Daher umweht die Gebäude des Wilhelminismus oft eine Aura der Großmannssucht, mehr Schein als Sein. Und seien wir einmal ehrlich, es sind die prä-WII Elemente des Schlosses, welche daraus ein fantastisches Gebäude machen. Ein riesiger Komplex, der es dennoch schafft menschlichen Maßstab zu bewahren. Ganz anders das Nationaldenkmal, davor konnte sich ein Betrachter nur klein fühlen und zum Götzen auf dem Sockel hinauf blicken.
Das ist nachträgliche Programmarchitektur, die dem Stadtschloss gegenüber gestellt wurde. Mir gefällt das geplante neue Einheitsdenkmal ebenso wenig und ich meine, man sollte die vorhandene Restsubstanz konservieren und die Mosaike belassen wo sie immer waren. Bürgerlicher Denkmalschutz und gut. Es braucht an dieser Stelle kein Denkmal. Schon gar nicht für die Einheit. Besonders absurd ist der oft hergestellte Bezug zum Plenum der Volkskammer im Multiplex Urban Entertainment Center der DDR (PDR). Das Gebäude hat man abgerissen, aber ein komplett neues Gebäude auf einem alten Denkmalsockel vor einem rekonstruierten Barockschloss soll an die Einheit erinnern? Absurd.
Moderationshinweis: Aus dem Thema Berliner Stadtschloss - Umfeld (Schlossplatz, Schlossfreiheit, Lustgarten & Spreeufer) herausgelöst, da die nachfolgende Diskussion nicht mehr wirklich viel mit dem Schlossumfeld zu tun hat. [Centralbahnhof]