Ist zwar schon vom Mai, aber höchstwahrscheinlich noch genauso aktuell:
Zitat von NZZ.chAlles anzeigenZürich verschandelt sich selbst
In Zeiten der Globalisierung sollten Städte wie Zürich durch unverwechselbares Aussehen punkten. Leider tut die Limmatstadt das Gegenteil: Historische Häuser werden abgerissen, seelenlose Neubauten wie nun jener der Swiss Re entstehen.
Versprochen wurde uns ein Meisterwerk mit flimmernd silbergrünen Glasfassaden. Wie tanzende Fontänen sollten sie vor dem Hintergrund des Üetlibergs die Blicke auf sich ziehen. Das Rendering war so verführerisch, dass der Versicherungskonzern Swiss Re im Jahr 2008 nach der Verkündigung der Wettbewerbsergebnisse seinen neuen Hauptsitz am See schon als Zürcher Wahrzeichen des 21. Jahrhunderts sah.
[...]Ein Virus greift um sich
An Roger Dieners Neubau hätte man sich widerstrebend gewöhnen können. Doch nun droht das Virus der Suburbanisierung und Anonymisierung von ihm auf das Mythenschloss überzuspringen. Der von Arminio Cristofari konzipierte Prachtsbau – ein in Zürich rares Beispiel eines grossbürgerlichen Wohnpalastes mit u-förmigem Ehrenhof – setzte seit 1927 einen vornehmen Akzent beim Hafen Enge. Dennoch wurde er 1982 abgebrochen, wobei aus Gründen des Denkmal- und Ortsbildschutzes die seeseitigen Gebäudeteile in ihrer neuklassizistischen Form rekonstruiert werden mussten. Umso mehr erstaunt es, dass die Swiss Re nach dem Stücheli-Bau nun auch das Mythenschloss ersetzen darf – und zwar durch einen vom Zürcher Büro Meili Peter geplanten Neubau.
Dazu hat der Stadtrat den seeseitigen Bauteil aus dem Inventar der schützenswerten Bauten entlassen – mit der Begründung, es handle sich nur um eine Rekonstruktion. Für das Ortsbild können aber auch Rekonstruktionen wichtig sein. Das beweisen zahllose Gebäude in München oder Wien, die nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs ebenso neu errichtet wurden wie jüngst das barocke Zentrum Dresdens oder die Häuserzeile am Markt beim Mainzer Dom. Aber auch das Berliner Stadtschloss oder die «Altstadt» von Frankfurt, die derzeit aus dem Nichts erstehen, veranschaulichen die Bedeutung rekonstruierter Bauten für die Befindlichkeit der Menschen. Da kann ein puristisches Denkmalverständnis sich noch so sehr dagegen sträuben. [hervorgehoben durch mich]Grassierende Abrisswut
Auch Zürich hat mehr Rekonstruktionen, als man denkt, darunter so prominente wie das «Savoy» am Paradeplatz oder den «Raben» am Hechtplatz. Dennoch würde niemand deren Abriss akzeptieren, obwohl sie zur selben Zeit neu erstellt wurden wie das Mythenschloss. Warum aber soll dieses kein Existenzrecht haben? Zumal sein Abriss eine unvergleichliche städtebauliche Komposition an Zürichs Seeufer unwiederbringlich zerstören würde. Dass dies weder der Stadtrat noch die Denkmalpflegekommission erkennen wollten, zeigt, wie unsensibel man im boomenden Zürich geworden ist, wo die Interessen der Hausbesitzer höher gewichtet werden als das einzigartige Stadtbild.
Nun mag man einwenden, dies sei anderswo kaum besser. Etwa in Lugano, wo hässliche Spekulationsbauten in Paradiso wie Pilze aus dem Boden schiessen. Das macht die Sache aber nicht besser. Deshalb sollten Grossfirmen, und seien sie für die Stadt noch so wichtig, zum sorgfältigen Umgang mit ihren Gebäuden angehalten werden – und zwar durch Überzeugungskraft. Dies wäre gerade für die Häuserzeilen an See und Limmat wichtig, wo Zürichs baukünstlerische Schönheit und Besonderheit von Einheimischen und Touristen auf einen Blick erfasst werden kann.
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