Alsfeld in der Topographia Hassiae, Matthäus Merian d.J. 1655
Kleine Einführung
Alsfeld ist eine der wichtigsten Fachwerkstädte in Hessen. Die rund 17.000 Einwohner kleine Stadt hat mit rund 400 Bauten einen relativ überschaubaren Bestand, der sich, durch die Stadtmauer vorgegeben, innerhalb eines Ovals von etwa 370 x 430 Meter befindet. Doch schon die Tatsache, dass rund 25 Häuser noch Ständerbauten bzw. identifizierte Reste solcher sind, ist ungewöhnlich.
Noch wesentlich wichtiger ist die Stadt jedoch durch eine Handvoll Einzelbauten, die auf ganz herausragende Weise die Entwicklung des hessisch-fränkischen Fachwerks vom Mittelalter bis in die Neuzeit dokumentieren. Dadurch ist die Stadt in einem Atemzug mit Limburg oder Marburg zu nenen, was die Bedeutung für die Hausforschung angeht.
All dies ist ein Wunder, bedenkt man, dass die Stadt im Dreißigjährigen Krieg aufs allerübelste gebeutelt wurde, man vermag sich kaum auszumalen, wie es hier heute ohne diese Zerstörungen des 17. Jahrhunderts aussähe – aber dies ist zweifelsfrei eine dieser sinnlosen "was wäre wenn"-Fragen.
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Alsfeld in der frühen Neuzeit mit mittelalterlicher Befestigung, Modell des Regionalmuseums Alsfeld
Kurzer geschichtlicher Abriss
? im 9. Jahrhundert Gründung wohl als karolingischer Hofsitz mit eigener, mittlerweile ergrabener romanischer Kirche
? 1069 Ersterwähnung als "Adelesfelt"
? Ende des 12. Jahrhunderts Besitz der Landgrafen von Thüringen, unter ihnen Erhebung zur Stadt
? im 13. Jahrhundert Aufblühen durch Lage an einer wichtigen Straße des Mittelalters (genannt "durch die kurzen Hessen", heute etwa entsprechend der Autobahn Alsfeld - Eisenach)
? 1247 Stadt fällt an die Landgrafschaft Hessen
? 1254 Beitritt zum Rheinischen Städtebund
? Ende des 14. Jahrhunderts Bau des ersten Rathauses, der Kirche in ihrem heute zu sehenden Außenzustand sowie des landgräflichen Schlosses (nicht mehr erhalten) und der bis in die Neuzeit maßgeblichen Stadtummauerung mit Befestigung (Stadtfläche 12 Hektar)
? 1525 Einführung der Reformation
? 1567 Stadt fällt an die reformierte Landgrafenschaft Hessen-Marburg
? 1604 Stadt fällt an die kaisertreue Landgrafenschaft Hessen-Darmstadt
? im 16. Jahrhundert letzte große Blüte der Stadt, bedeutende Leistungen im Bereich der Architektur
? 1643–1648 schwerste Zerstörungen im Dreißigjährigen Krieg, 226 Wohnhäuser und 80 Scheunen werden vernichtet (wohl über 50 % des damaligen Gebäudebestandes), 1648 leben nur noch 1.120 Menschen in der Stadt
? im 17. und 18. Jahrhundert zunehmender Niedergang durch die Kämpfe zwischen dem kaisertreuen Hessen-Darmstadt und der reformierten Hessen-Kassel
? ab 1829 wieder zaghafter Aufschwung durch die Erhebung zur Kreisstadt und die Folgen der Industrialisierung, dennoch nur wenige Abbrüche zugunsten gründerzeitlicher Häuser
? 1870 Eisenbahnanschluss
? 1938 Autobahnanschluss
? 1945 Bombardierung der Stadt, 120 Sprengbomben zerstören einige Häuser ganz, 130 werden schwer beschädigt, 8 Menschen sterben, 14 werden verwundet, die kostbare Altstadt liegt glücklicherweise außerhalb des bombardierten Gebietes, die Stadt wird am 30. März besetzt
? 1975 Erhebung zur "Europäischen Modellstadt" durch den Europarat mit anschließender Stadtsanierung, die gerade noch rechtzeitig kam und den heute, trotz einiger Abbrüche, äußerst guten Erhaltungszustand des Stadtbildes erklärt
Topographischer Überblick
Das Zentrum der Stadtanlage ist der Markt mit seiner zumeist öffentlichen Bebauung, dem Rathaus, dem Weinhaus oder dem Hochzeitshaus. Einer privaten, nobilitierten Bauherrschafft bot der Marktplatz in dem Stumpf- oder Bückinghaus Platz zur Darstellung, in der benachbarten Rittergasse entstanden ebenfalls große herrschaftliche Häuser. Zugang zum Marktplatz ermöglichten die Fuldergasse aus südlicher Richtung, die Obergasse von Norden und die Mainzer Gasse aus westlicher Richtung. Die dem Markplatz benachbarte städtische Freifläche ist der Kirchplatz, ein ovales Gebilde mit der Kirche im Zentrum, die von einer Bebauung unterschiedlichen Alters umstanden wird. Der Platz wird von der Hersfelder Straße aus östlicher Richtung erschlossen. Weitere größere Freiflächen finden sich östlich vom Grabbrunnen an der Stelle, wo sich die ehemalige Burg erhob sowie im Verlauf der Steinborngasse. Das Ende des Schnepfenhains ist ebenfalls von einer Freifläche geprägt: es handelt sich um ein in den 70er Jahren entstandenes Parkdeck, das an Stelle des historischen Scheunenviertels der Stadt errichtet wurde. Mit in die Gesamtanlage Altstadt wurde der Grüngürtel südlich der Stadtmauer einbezogen.
Der neunte Nachtrag zum Ortsbaustatut für die Stadt Alsfeld vom 15.2.1936 untersagte die Bebauung dieses Grünstreifens, der bis heute freigeblieben ist. Neben dem Markplatz befinden sich im Verlauf der südlich davon verlaufenden Gassen - Roßmarkt, Am Kreuz, Untergasse - besonders repräsentative Wohnhäuser, die sich dem Betrachter mit bemerkenswertem Schmuck präsentieren. Im südlichen Abschnitt der Gesamtanlage findet sich - in der Steinborngasse, der Badergasse oder der Schäfergasse - eine kleinteilige Wohnbebauung, die von wenigen erhaltenen Wirtschaftsgebäuden durchsetzt ist. Im Norden sind im Bereich des Schnepfenhains Strukturen von größeren Hofanlagen konstruierbar.
Die Umwehrung der Stadt, die eine fortifikatorische Grenzsituation darstellte, hatte auf die Ausbildung der Haustypen besonderen Einfluß. Noch heute finden sich zahlreiche Doppelhäuser, die giebelständig zur Straße ausgerichtet, die Tiefe der Parzelle weiträumig erschließen, wie etwa in der Untergasse. Die Häuser sind durch schmale Zwischenräume getrennt. Die Traufenhäuser - etwa Untere Fulder Gasse 41/43 - erheben sich in einer beachtlichen Breitenausdehnung, ohne in die Tiefe der Parzelle auszustrahlen. Sie stehen ohne einen Zwischenraum dicht beieinander.
Alsfeld lehnt sich an einen leicht ansteigenden Hang am westlichen Rand der Schwalmniederung. Bevor die Thüringer Landgrafen die Stadt im 13. Jahrhundert ausbauten, befanden sich schon alle erforderlichen Bestandteile einer Ansiedlung an Ort und Stelle. Im Osten, etwa zwischen Metzgergasse und Blaupfütze gelegen, erhob sich die Burg, die im 14. Jahrhundert zur landgräflichen Schloßanlage umgebaut und 1847 abgebrochen wurde. Im westlichen Vorfeld der Burg hatte sich die frühe Siedlung entwickelt, deren Umfang in etwa der Kirchplatz und die Bebauung des Amthofes markieren. Der Vorgängerbau der Kirche und der Marktplatz mit seinem Rathaus waren an gleicher Stelle wie heute angesiedelt.
Für den planmäßigen Stadtgrundriß des frühen 13. Jahrhunderts war der schon erwähnte Handelsweg maßgebend, der sich der Siedlung aus südlicher Richtung näherte. Die Straße führte durch das Mainzer Tor in die Stadt und teilte sich gleich darauf in zwei Stränge. Der obere Weg, die heutige Mainzer Gasse, mündete in den Marktplatz und führte an der Kirche vorbei. Sie trifft auf der Hersfelder Straße wieder auf den unteren Strang des Weges, der über den Roßmarkt, Am Kreuz und die Untergasse verläuft. Daraufhin verläßt die Straße in östlicher Richtung die Stadt.
Im Verlauf des 12. Jahrhunderts wurde die Baulücke zwischen Burg, Markt und der Kirche allmählich aufgefüllt, die entstehenden Parzellen wurden durch Stich- und Nebengassen in kleine Einheiten geteilt. Parallel dazu erfolgte die Stadterweiterung in südlicher Richtung, wo um die 1280/90 erbaute Kirche der Augustinereremiten die Neustadt entstand. Im Nordwesten erweiterte sich das Stadtgebiet in mehreren Quartieren, die sich, Zwiebelschalen gleich, am leicht ansteigenden Terrain aneinanderlegten.
Die Ortschaft war nun eine funktionsfähige Stadt des späten Mittelalters. Es fehlte die Ummauerung, die, um 1380 vollendet, den ovalen Stadtgrundriß bewehren sollte. Zugang durch die Mauer gewährten das Ober, das Mainzer-, das Fulder- und Hersfelder Tor. Von der Stadtmauer haben sich jenseits des Augustiner-Kirchhofes lediglich geringe Reste erhalten. Der Leonardsturm aus dem Jahr 1386 ist übriggebliebener Teil der Bewehrung des Fulder Tores, dessen Größe auch heute noch dem Betrachter einen Eindruck von der Bedeutung der Stadt Alsfeld im Mittelalter vermittelt.
Zu den Bildern und zur Reise
Alle Bilder entstanden in einer schon länger geplanten Reise im Sommer letzten Jahres, ich hatte praktischerweise – oder leider, wie man's nimmt – die heißesten Tage Ende Juni / Anfang Juli erwischt. Ingesamt hatte ich volle zwei Tage Zeit, in denen ich alle wesentlichen Kulturdenkmäler abklappern und studieren konnte, einzig bei der Kirche gab's beim Fotografieren mal wieder Probleme mit störischen Pfarrern. Hier und wo nötig, ggf. zu historischen Gegenüberstellungen, verweise ich auf Wikipedia oder Bildindex, kunsthistorische Angaben basieren zumeist auf dem brandneuen Hessen-Dehio von 2008, im Falle der Profanbauten weitestgehend auf der einschlägigen Fachwerkliteratur.
Zur Ausrüstung, wen(n)'s interessiert: Canon EOS 1D Mark IIN entweder mit einem Sigma AF 12-24mm f/4.5-5.6 HSM EX DG oder dem Canon EF 24-70mm 2.8 L USM, in den Abendstunden hat mir ein Manfrotto 055 PROB mit Manfrotto 329RC4-Kopf als Stativ gute Dienste geleistet.