Berliner Schloss - architektur- und kunstgeschichtliche Aspekte

  • Auch hier ein doppelter Hinweis für alle Freunde des Baufortschritts, alle die es nicht interessiert können den Beitrag ja einfach ignorieren ;):P

    Portal II ist nun bis auf EG abgerüstet. Die Bilder von Mantikor kündigten es gestern ja bereits an und die Portale sind wirklich spektakulär geworden. Ich hatte es ja bereits besagt, dass ich die Südfassade deutlich schöner finde wie die Lustgartenseite, viel monumentaler und repräsentativer. Dies zeigt aber auch, dass die Bedeutung dieser Schlossseite früher eine ganz andere war, denn sie war ja auf die Altstadt Berlins ausgerichtet. Mit dem Neptunbrunnen bildete sie eines der Fotomotive schlechthin. Ich hoffe, dass diese Schlossseite wieder den Stellenwert bekommt, der ihr auch gebührt. Dazu muss man aber seitens des Senats in die Gänge kommen!

    https://cam03.berlinerschloss-webcam.de/

    Und auch auf der Westseite ist die erste Teilfassade jetzt komplett frei

    https://cam01.berlinerschloss-webcam.de/

    Ich finde die Unterschiede schon enorm, was die Ausarbeitung und den Detailreichtum der Fassade angeht. Verglichen mit der Nord- und Südfassade ist hier wirklich Sparprogramm angesagt. Portal III wird das natürlich in ihrer Opulenz wieder deutlich korrigieren, die reine Fassade ist aber sehr einfach. Mir war das von den histrisschen Aufnahmen nie so krass aufgefallen, aber hier hat man dann den preußischen Sparfuchs ausgepackt.

    Trotz der überwältigenden Wirkung der Fassade was Plastizität und Detailreichtum angeht, so bin ich mit der Farbkonzeption nicht zufrieden. Ich weiß auch nicht warum, es ist mir zu gedeckt, zu uniform und trotz der angeblich historischen Korrektheit finde ich, dass genau dieser Effekt eben nicht eintritt. Ich finde die Wirkung irgendwie ahistorisch :unsure:

    APH - am Puls der Zeit

    Einmal editiert, zuletzt von Apollo (1. November 2018 um 13:35)

  • @ApolloEs gibt Situationen, das sind "gedeckte Töne" sehr gefragt: (Minute 4:44).

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    Was mich am meisten stört, ist auch hier die atektonische Farbgebung. Die Fenster des ersten OG hängen in der Luft, die Brüstung darunter müsste gleichfalls grau sein, um sie optisch tragen zu können.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Mir ist übrigens aufgefallen, dass wohl beim Streichen der Westfassade die Farbe knapp wurde und ein Maler offenbar das letzte Stück links neben dem letzten Fenster im 2 OG und dem Eosanderportal mit etwas verdünnter Farbe fertiggemalert hat... :whistling: das Stückchen ist deutlich heller als der Rest... ?(

    Gut zu sehen z.B. im Archiv am 01.11. um 9 Uhr.

  • @Konstantindegeer An der Kellertorwache ist das ja dank sachkundiger Beratung vorbildlich gelöst worden - einschließlich der nachträglich farblich angeglichenen Trophäen auf dem Gebälk. cheers:)

    @campus solis Stimmt! Da wird man denn nochmal mit dem Hubkran ranmüssen.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • @ Seinsheim: Ja finden denn die von kompetenter Seite vorgetragenen Einwendungen und Verbesserungsvorschläge zur Farbgebung der Schloßfassaden kein Gehör bei den Verantwortlichen!? Wenn nachher alle Gerüste abgebaut sind unddie Eröffnung stattgefunden hat, ist es zu spät noch was zu ändern!? Neben den "groben Fehlern" stellen wir ja zusätzlich an allen Fassaden unterschiedliche Farbnuancen fest.
    Schon lustig wie da rumprobiert wird. Na ja, macht es lebendig. Villa Kunterbunt!? :love::rolleyes::D:koenig:

  • Als Beipsiel einer nur einige Jahre alten Neufassung einer Barockfassade möchte ich die Fassaden der Abtei Neresheim zeigen. Wie ist denn hier die farbliche Betonung der Tektonik gelöst worden? Was kann dazu festgestellt werden? Ist das hier gut gemacht worden. Zuvor waren die alten abbröckelneden Fassaden ziemlich einheitlich mit einem verwaschenen Okergelb getüncht, der jetzt am Berliner Schloß gewählten Farbe ähnlich.



    Eigene Fotos

  • Danke SchortschiBähr.

    Auf dem ersten der beiden Bilder vom Kloster Neresheim ist über der Dachkante gerade noch der romanische Fries des Turmes zu erkennen. Während die beiden obersten Geschosse des Turms barock gestaltet sind, ist der übrige Schaft des Turms „romanisch“, zeigt also den Stil der Vorgängerkirche.

    Ob Balthasar Neumann oder ein früherer Baumeister des Barock, die Historiker sind sich nicht ganz einig: Fest steht, der Turm wurde nach dem Abbruch der romanischen Kirche in der Zeit des Barock in romanischem Stil errichtet - nicht als Rekonstruktion, sondern als stilistisch romanische Neuschöpfung des längst vergangenen Stils, um zumindest künftige Generationen an die jahrhundertealte Geschichte des Klosters und seiner Bauten zu erinnern. Viele Besucher glauben daher wirklich, es handle sich noch um einen erhaltenen romanischen Klosterturm.

    So viel zu den ständig wiederholten Behauptungen, zu allen Zeiten hätten die Baumeister ausschließlich im Stil ihrer Zeit gebaut. Deshalb dürfe auch heute nur modern gebaut werden.

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

  • Wenn ich mich recht erinnere wurde der neue Turm im 17.Jahrhundert errichtet, als die alte romanische Kirche noch stand. Also eine hochbarocke Reminisenz an die romanische Kirche! Die alte Kirche stand südlich des Turmes. Die heutige Kirche steht nördlich des Turmes. an der Südwand der heutigen Abteikriche haben sich im Putz die Hochschiffarkaden der romanischen Kirche "abgedrückt"!
    Aber Neresheim sollte ja als Beispiel herhalten, wie die Farbgebung zwischen Rücklagen und Lisenen/Pilastern, Gesimsen, Fenstergewänden und Spiegeln, usw. tektonisch richtig angewendet wird. Ich glaube, das ist in Neresheim im Sinne der Fassadenstruktur gut gelöst worden, oder Seinsheim!?

  • @SchortschiBähr Prinzipiell finde ich den Anstrich von Neresheim besser gelungen als am Berliner Schloss. Sehr gut allein, dass man - unabhängig von der Materialität - die Pilaster und Gesimse einheitlich gefasst hat. Gut auch, dass die Fenstersockel dieselbe Farben wie die Fensterrahmen haben, also gleichfalls Teile des tektonischen Systems sind - -schließlich tragen sie ja die Fenster. Allerdings stehen Fenster und Fenstersockel auf einer recht dünnen Gesimsleiste. Daher hätte ich vielleicht die die Brüstungen durchgehend weiß gestrichen. Auf diese Weise wären weiße Bänder entstanden, die das Ganze optisch stabilisiert hätten.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • @Bentele Ich bin früher auch immer auf die Neresheimer Neo-/Post-Romanik hereingefallen. Gewisse Vergleichsbeispiele sind die gotisierenden Marktschranken des Straßburger Münsters um 1770, die Dehio so gar nicht gefallen haben (wobei man sich fragen muss, ob er spätbarocke oder klassizistische bevorzugt hätte), die spätgotisierenden Chorschranken des Freiburger Münsters (gleichfalls 18. Jh.), das romanisierende Langhaus des Speyrer Doms (Ignaz Michael Neumann) und die Jesuitenkirche Mariä Himmelfahrt in Köln (gotisierendes Westfenster, drei romanisierende Türme).

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  • Ich hätte noch einen Nachtrag zu den Toren des Schlosses. Zwar war dasjenige am Portal I natürlich nicht so mächtig wie die drei Tore gegenüber der Schloßfreiheit. Aber dennoch gewährte es pittoreske 'Durchblicke' und nahm so eine Verbindung zum umliegenden Stadtraum auf. Ob wir diesen jedoch je wieder so sehen werden, wie er sich auf der beiliegenden historischen Postkarte präsentiert, dürfte wohl leider zweifelhaft sein...
    (Sofern diese Ansicht hier im Strang schon einmal publiziert worden sein sollte, bitte ich insofern um Entschuldigung.)

  • Ein sehr schönes Photo, vielen Dank! Man sieht an ihm aber auch, wie die architektonische Struktur verändert wird. Im Eingangsbereich stehen ja jeweils nach hingen ausgerichtete Säulenpaare. Die vorderen Säulen (auf dem Foto durch die Gitter verdeckt) sind Teile der die Risalit-Fassade durchziehenden Supraposition von Dorisch-Ionisch-Korinthisch. Die hinteren Säulen sind - bei Portal I und V noch mehr als bei II und IV - Ausläufer von die Durchfahrt durchziehenden Säulenkorridoren. Also haben die Gitter die Gelenkstelle zwischen Fassaden- und Durchfahrtarchitektur zerschnitten - was sich bei den Portalen I und V noch mehr auswirkte, weil die Säulenkorridore der Durchfahrten sich dort in den Kolonnaden des Schlüterhofs fortsetzten.

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  • Erstaunliche Nähe

    In der Tat ist hier die Stringenz des Schlüter’schen Baugedankens durchbrochen worden. Aber wie sonst hätte man die Ansprüche auf Sicherheit der hohen Herrschaften – die wohl weniger von diesen selber, als von den die Verantwortung tragenden Stellen der Königlichen Geheimpolizei kamen – denn sonst befriedigen können ? Und der gewählte Kompromiß ist geradezu minimalinvasiv zu nennen. Wenn man nämlich bedenkt, wie man andernorts das Winterpalais, den Kreml, den Buckingham Palace und das Weiße Haus mit einem auf Abstand haltenden, umfangreichen Sicherheits-Vorfeld umgeben hat, so ist es geradezu erstaunlich, wie nah, die Hohenzollern (und im Übrigen auch die Habsburger mit der Hofburg am Michaelerplatz) die Bauten des Bürgertums und auch den Fußgängerverkehr an ihre Wohnräume heranließen. Aus den Fenstern der Geschäftshäuser am Schlossplatz / Ecke Brüderstraße und auch vom Schlossplatz selber hätte ein geübter Schütze nämlich ziemlich leicht in das Arbeitszimmer des Kaisers schießen können. Die königliche Familie muß da wohl einiges Vertrauen in ‚ihre’ Berliner gehabt haben…

  • Darf ich auch mal "frech" oder geradezu "ungebühlich" sein ?
    Falls ja, sag ich jetzt mal allerseits "sleep well in your Bettgestell".

    In diesem Sinne eine gute Nacht.

  • Selbst die Zufahrt zu Downingstreet 10 wurde ja mittlerweile durch ein pompös-massives Gitter gesichert; als Schüler stand ich noch unmittelbar gegenüber an der anderen Straßenseite.
    Nun könnte man sagen: je selbstverständlicher eine Herrschaftsform ist, desto weniger Sicherheitsvorkehrungen braucht sie.
    Im Mittelalter war das Schloss eine Zwingburg; nach der Etablierung der Landesherrschaft und erst Recht nach der Ausbildung der Territorialherrschaft bedurfte es fast fast gar keiner Sicherung mehr. Nach der französischen Revolution, dem Vormärz und 1848 hingegen schon eher, und erst recht nach dem Aufkommen des Kommunismus und des Anarchismus Ende des 19. Jhs. Man denke nur an die Attentate auf Wilhelm I. und Bismarck. Man stelle sich vor, Wilhelm II. hätte die Novemberrevolution überstanden und sich wie sein Großvater ins Kronprinzenpalais zurückgezogen. Das hätte keinesfalls funktioniert.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.