Rom, die ewige Stadt (Galerie)

  • https://www.icomelli.com/erleben-sie-un…friaul/?lang=de

    Ja, diese omnipräsenten und immergleichen italienischen Häuseln...

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Rom ist eine der wertvollsten und bedeutendsten Städte der Welt, keine Frage. Aber der subjektive Geschmack wurde hier bereits erwähnt. Auch ich war natürlich schon dort, für mich persönlich ist die Stadt jedoch zu rustikal, zu museal und zu kleinteilig in ihrer Gesamtheit, um mich langfristig zu fesseln. Ich bevorzuge Großstädte im Hier und Jetzt, so wie London, Paris, Madrid oder Berlin. Pulsierende Metropolen in Bewegung. Nach Rom fährt man aus Interesse am geschichtlichen und künstlerischen Reichtum, nach London wegen der weltstädtischen Gegenwart.

    In dubio pro reko

  • Diese Häuser sind ja aber nicht einmal nur etwas Italienisches, sondern lassen sich so generell in weiten Teilen der romanischen Welt finden. Da ist die Annahme einer gewissen baulichen Kontinuität seit der Antike sicherlich nicht abwegig.

  • Rom ist eine der wertvollsten und bedeutendsten Städte der Welt, keine Frage. Aber der subjektive Geschmack wurde hier bereits erwähnt. Auch ich war natürlich schon dort, für mich persönlich ist die Stadt jedoch zu rustikal, zu museal und zu kleinteilig in ihrer Gesamtheit, um mich langfristig zu fesseln. Ich bevorzuge Großstädte im Hier und Jetzt, so wie London, Paris, Madrid oder Berlin. Pulsierende Metropolen in Bewegung. Nach Rom fährt man aus Interesse am geschichtlichen und künstlerischen Reichtum, nach London wegen der weltstädtischen Gegenwart.

    Und die genannte Stadten sind auch Stadten ohne richtige Altstadten :)

    Aber was bedeutet wirklich rustikal, zu museal und zu kleinteilig? Im vergleich mit London ist Roma wirklich Lebendig - in London Innenstadt regiert heute fast nur Ketten and Musicals. Ich habe schone erlebt wie die meiste intressante Laden aus Soho verschwinden - jetzt muss man nach die massige Dalston fahren. Was ist dann ein Stadterlebnis?

  • Es fällt mir immer sehr schwer, die sehr einfachen römischen (wie alle übrigen italienischen) Häuser irgendwie zeitlich einzordnen. Im Prinzip sehen, wenn nicht irgendwelche verräterischen Details existieren, fast alle stilistisch gleich aus, vom Spätmittelalter, über die Renaissance, bis hin zum Historismus.
    Liegt das einfach in der Natur der Sache oder gibt es (außer eben jene offensichtlichen Details) Dinge auf die man als Indizien achten kann? Gibt es Literatur zu dem Themengebiet?

    Ja, diese omnipräsenten und immergleichen italienischen Häuseln...


    Das ist eine sehr interessante Frage, die ich mir auch schon gestellt habe und auf die ich versucht habe, eine Antwort zu finden...

    Allgemein kann man sicher feststellen, dass die Fassaden in Rom (und eigentlich ganz Italien) wesentlich weniger dekoriert sind als in Mitteleuropa, wo es seit dem Mittelalter üblich war, die Fassaden großflächig zu bemalen oder später im Barock und Rokoko zu stuckieren und wo das Vorhandensein einer möglichst opulenten Dekoration ein Zeichen von Wohlstand und gesellschaftlichem Status war, womit man sich von ärmeren Bürgern (oder anderen Adeligen) absetzen wollte.
    In Italien drückt sich das Bedürfnis nach Repräsentation hingegen nicht so sehr in externem Schmuck aus, sondern vielmehr in den architektonischen Dimensionen und der Innenausstattung. Das was an Fassadenschmuck fehlt, wird dafür innen umso bombastischer wieder aufgeholt, sowohl in den Innenhöfen und Gärten (hauptsächlich mit Skulpturen, oft antik) als auch in den Sälen (mit opulenten geschnitzten und vergoldeten Kassettendecken in der Renaissance und überbordenden Fresken im Barock sowie großen Gemälde- und Skulptursammlungen). Die Herangehensweise und Wertschätzung ist also ein andere, dieser Punkt ist wichtig!
    Das betrifft nicht nur die Adelspaläste sondern auch die Bürgerhäuser, in denen man die oben genannten Ausstattungsmerkmale ebenso finden kann, wenn auch in kleinerem Maßstab. In vielen Innenhöfen der römischen Häuser findet man kunstvolle Springbrunnen und kleine Statuen und auch Fresken an den Zimmerdecken oder alte Kassettendecken sind keine Seltenheit. Soweit ich weiß, geht diese Konzentration auf den Innenbereich schon auf den Typus des antiken Domus zurück, bei dem die Außenfassade häufig nur eine schützende Mauer ohne Fenster war und das Licht über den offenen Innenhof (Atrium) in die Zimmer kam. Die Fassadengestaltung war also lange Zeit sekundär und ein Palazzo sollte von außen möglichst burgartig und abweisend sein, um die Bewohner vor Überfällen und Plünderungen zu schützen (Stichwort zum Beispiel "Sacco di Roma"!). Dazu kommt noch die Tatsache, dass es in Rom im Sommer extrem heiß ist und man sich so gut es geht vor der Hitze schützen muss, weswegen es fast überall Fensterläden gibt, welche uns Mitteleuropäern im urbanen Umfeld eher fremd und unelegant vorkommen, weil man sie eigentlich nur im ländlichen Umfeld verwendet. In Rom hingegen gibt es sogar Adelspaläste mit Fensterläden... Bei den Bürgerhäusern führt das Vorhandensein der Fensterläden aber dazu, dass ein nicht geringer Teil der Fassade eben von diesen Läden bedeckt ist (wenn sie offen sind) und dass somit wenig Platz für eine flächenfüllende Dekoration der Fassade übrig bleiben würde. Der Hauptgrund für die simplen Fassaden dürfte aber schlicht sein, dass es in Italien (und eigentlich allen Mittelmeerkulturen, siehe auch die maurische Kultur mit ihren unglaublichen Innendekorationen aber schroffen Außenformen wie z.B. die Alhambra) eben keine Tradition für das reichhaltige Verzieren der Außenbereiche gibt und dass es nicht in ihrem Wesen liegt. Die Nordeuropäer hingegen haben, aus welchem Grund auch immer, es seit jeher vorgezogen, ihre Fassaden möglichst aufwendig und fantasiereich zu schmücken, angefangen von den Fassadenmalereien der Gotik und Renaissance über die barocken Stuckaturen und Lüftlmalereien bis hin zur "Zuckerbäckerei" im Historismus und Jugendstil.
    (Interessanterweise stammen einige der Hauptmeister des römischen Barocks, und zwar die Vertreter der ausladenderen und fantasiereicheren Richtung, aus dem schweizerischen Tessin, also aus dem Grenzbereich zwischen Nord- und Südeuropa: Maderno, Borromini und Fontana, letzterer war Lehrmeister von Johann Lucas von Hildebrandt.)


    Nun zu deiner Frage, Kaoru:

    Bzgl. der genauen Merkmale des römischen Bürgerhauses kann ich leider wenig sagen, über die Fassadengestaltung des römischen Palastbaus weiß ich aber ein bisserl was:
    Die Paläste der Renaissance besitzen oft bossierte oder rustizierte Steinfassaden und eine ausgeprägte Horizontalreihung gleichartiger Elemente, klare geometrische Formen und kaum oder keine vertikale Gliederung (das ist übrigens einer der Hauptunterschiede zwischen der italienischen und nordischen Renaissance, welche vor allem eine starke Vertikaltendenz aufweist! Ein Überbleibsel der gotischen, himmelstürmenden Tradition.). Dazu recht einfache, oft ebenfalls rustizierte Fensterverdachungen und weit auskragende Gesimse, diese oft mit Konsolen oder Mustern geschmückt, manchmal auch mit einem Fries darunter. Die Portale sind nicht sonderlich hervorgehoben und, du ahnst es, ebenfalls rustiziert. Insgesamt ergibt sich so ein nüchterner, austerer und durch die großen Dimensionen dieser Paläste eher einschüchternder Gesamteindruck ähnlich einer Festung. Eines der besten Beispiele für diesen Stil ist der Palazzo Medici Riccardi in Florenz (erbaut um 1450):


    (Wikimedia Commons, Author: sailko https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pala…by_night_01.JPG)



    Hier einige römische Beispiele der Renaissance:

    Palazzo della Cancelleria von ca. 1485:

    (Wikimedia Commons, Author: Lalupa https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pari…_nuova_1628.JPG)

    Hier noch ein Foto mit der gesamten Fassade, wo man schön die breite Horizontalwirkung sieht:


    (Wikimedia Commons, Author Peter1936F: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pano…Cancelleria.jpg)

    Das große, für die eigentliche italienische Renaissance atypisch plastische Portal ist eine spätere, manieristisch-frühbarocke Hinzufügung (von Domenico Fontana).


    Palazzo Farnese von 1517: der Archetyp des römischen Renaissancepalastes, wie er unendlich oft kopiert wurde (übrigens auch eines der wichtigsten Vorbilder des Neoklassizismus, siehe Leuchtenbergpalais und Odeon von Klenze in München). Gleichförmige Reihung der Fensterachsen mit einfachen Fensterverdachungen, horizontale Gesimse zwischen den Geschossen, ausladendes Konsolgesims mit Fries, rustizierte Ecklisenen (wie man sie an jeder Ecke in Rom findet) und ebenfalls rustiziertes Eingangsportal. Die atypische Betonung der Portalachse mit Balkon, breiterem Fenster und großem Wappen der Familie Farnese ist wiederum eine nachträgliche Hinzufügung der späteren manieristischen Zeit, diesesmal von Michelangelo.


    (Wikimedia Commons, Author: Myrabella https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Palais_Farnese.jpg)


    Palazzo Spada von 1550: der am reichsten geschmückte Renaissancepalast Roms. Die Grundeigenschaften, vor allem die starke Horizontalität und die Rustizierung, sind die gleichen wie bei den vorherigen Renaissancepalästen, neu hinzugekommen ist allerdings ein reicherer Fassadenschmuck mit Statuen in Nischen sowie erstmals Stuckdekoration im Stil des frühen Manierismus. (Übrigens befindet sich im Innenhof dieses Palastes die berühmte Galleria prospettica von Borromini, die um 1640 eingebaut wurde.)


    (Wikimedia Commons, Author: Geobia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:942RomaPalazzoSpada.JPG)


    Hier noch ein schönes Beispiel für ein reich verziertes Gesims (links):


    Kommen wir zum Barock:

    Grundsätzlich baut der römische Barockpalast auf dem Renaissancepalast auf, es ergeben sich aber einige Unterschiede:
    Die Fassaden werden zunehmend verputzt, die Rustizierung beschränkt sich zunehmend auf die Ecklisenen und die ausschließliche Horizontalausrichtung wird aufgegeben, indem ein Mittelrisalit betont wird - zuerst nur durch die Hinzufügung großer Säulenportale mit Balkon und plastischem Wappen darüber, später durch eine wirkliche plastische Hervorhebung der mittleren Fassadenachsen. Die Vertikaltendenz wird dabei oft durch Lisenen und Pilaster betont. Zusätzlich werden die Fensterverdachungen stärker geschwungen und reicher ornamentiert sowie barocke Skulpturen auf die Portale und Balustraden gesetzt. Somit ergibt sich ein schwungvollerer, plastischerer und rhythmisierter Gesamteindruck. Die Fassade öffnet sich und wirkt festlicher und einladender, nicht mehr wie eine Trutzburg.


    Hier einige Beispiele:

    Palazzo Barberini von 1625-1633, erster wirklich barocker Palast Roms. Er ist nicht mehr vollkommen geschlossen, sondern besitzt einen Ehrenhof mit Springbrunnen und zum ersten Mal offene Arkaden, durch die man in den Palast und in den dahinter liegenden Hof und Garten gehen kann. Er besitzt große luftige Fenster und betont die Mittelachse durch ein Säulenportal, Balkon und Wappen. Durch die weit aus der Fassade herausragenden Pilaster besitzt er eine größere plastische Wirkung. Es ist eine Gesamtanlage aus Palast, Hof und Garten, die wesentlich einladender wirkt als die bisher geschlossenen Renaissancepaläste und somit zukünftige barocke Fürstenresidenzen vorausnimmt.


    (Wikimedia Commons, Author: Vlad Lesnov https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pala….jpg?uselang=it)


    Palazzo Madama: ein Beispiel für einen umgebauten Barockpalast. Ursprünglich ein Renaissancepalast, wird die Fassade um 1642 barockisiert, indem ein Säulenportal mit Balkon davorgesetzt und aufwendigere Fensterverdachungen und -umrahmungen sowie ein Fries eingesetzt werden. Man erkennt aber noch deutlich die Renaissance-Vergangenheit des Palastes. Die Fassade ist ab dem 1. Stock verputzt.


    (Wikimedia Commons, Author: Howcheng https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pala…dama_-_Roma.jpg)


    Palazzo Pamphilj an der Piazza Navona, erbaut zwischen 1644-50, Hochbarock. Deutliche Hervorhebung des Mittelrisalits durch leichte Versetzung nach vorne sowie vor allem Erhöhung im Vergleich zu den Seitenachsen. Vertikalgliederung durch Pilaster, Rhythmisierung durch verschieden große Fenster sowie geschwungene Stuckaturen unter den Fensterverdachungen. Portal mit 4 Säulen, Balkon, Wappen, Fassade verputzt mit nur leichten Rustizierungen im Erdgeschoss.


    (Wikimedia Commons, Author: Blackcat https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Roma….jpg?uselang=de)


    Palazzo Altieri von 1650 (neben der Chiesa del Gesù): ein Beispiel für einen äußerlich einfacheren Barockpalast, wie man ihn oft in Rom findet. Putzfassade, vorstehender Mittelrisalit aus 5 Achsen, Säulenportal, Balkon, plastisches Wappen. Trotzdem beeindruckend groß, wenn man davorsteht, dazu zwei große Innenhöfe und grandioses Stiegenhaus.


    (Wikimedia Commons, Author Lalupa: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pign….JPG?uselang=de)


    Palazzo Doria-Pamphilj an der Via del Corso: weiteres Beispiel für einen älteren Renaissancepalast, der barockisiert wurde. Die Fassade stammt von ca. 1730 und besitzt bereits stärker dekorierte, etwas vom Rokoko beeinflußte Elemente, z.B. die sehr stark geschwungenen Fensterverdachungen und immer wiederkehrende Stuckfelder. Wahrscheinlich bedingt durch die Enge der Straße und aufgrund der Tatsache, dass es sich eigentlich um einen alten Renaissancepalast handelt, war kein Nachvornetreten eines Mittelrisalits möglich, dafür Hervorhebung der mittleren 9 Achsen durch rustizierte Lisenen und das rund hervortretende Portal mit der rustizierten Fensterachse darüber.


    (Wikimedia Commons, Author: Lalupa https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pign…ili_1000419.JPG)


    Palazzo Nuovo von 1663: starke Vertikaltendenz durch die durchgehenden Pilaster und die zierlichen Attikafiguren, offene Arkaden im Erdgeschoss.


    (Wikimedia Commons, Author: Dguendel https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rom,…lazzo_Nuovo.JPG)


    Palazzo della Consulta, erbaut um 1732: der durch seine üppigen Figuren auf den Portalen und auf der Attika-Balustrade am meisten "wienerisch" anmutende römische Barockpalast :) (vgl. Winterpalast Prinz Eugen oder Böhmische Hofkanzlei, was die Durchsetzung mit Figuren und die plastische Wirkung betrifft)


    (Wikimedia Commons, Author: Jastrow https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pala…a_Roma_2006.jpg)


    Das wären so ungefähr die typischen Erscheinungsformen von Renaissance und Barock in der Altstadt von Rom, was Paläste betrifft. Die normalen Stadthäuser spielen natürlich eine oder mehrere Ligen darunter und haben vor allem kleinere Dimensionen und noch weniger Schmuck.
    Im 19. Jahrhundert wurde im Zuge des Neo-Klassizismus europaweit sowohl der antike Stil als auch der Renaissancestil (der sich ja seinerseits bereits auf die antiken Formen bezogen hatte) wiederaufgegriffen, somit unterscheiden sich die römischen Bauten des 19. Jahrhunderts nicht sehr von den alten Renaissancebauten. Im 20. Jahrhundert das gleiche Spiel, der faschistische Baustil Mussolinis orientiert sich ja auch an antiken Formen, monumentalisiert diese aber zusätzlich. Dies nur ganz kurz skizziert.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

    Einmal editiert, zuletzt von Leonhard (8. September 2017 um 23:39)

  • Einige kleine Beispiele für normale Renaissance-Stadthäuser in Rom:


    (Fotos von mir)


    Einige kleine Beispiele für normale Barock-Stadthäuser in Rom:


    (Fotos von mir)

    Noch eine abschließende Bemerkung: vor kurzem waren zwei römische Freunde bei mir in München und ich hab Ihnen ein bissl die Stadt gezeigt. Als ich Ihnen Häuser wie das Palais Preysing (Bild), Palais Holnstein (Bild) oder das Asamhaus (Bild) gezeigt hab, waren sie eher befremdet ob der übermäßigen Dekoration, als dass es ihnen gefallen hätte - es hat jedenfalls keinen positiven Eindruck auf sie gemacht. Das Gleiche ist mir auch schon mal mit anderen italienischen Freunden passiert, als ich Ihnen einige besonders farbenprächtige Jugendstilhäuser in Schwabing gezeigt hab und ebenso mit einer früheren italienischen Freundin, mit der ich in Wien war und die die kilometerlangen opulenten Historismusfassaden auch als schlechten und unnoblen Neureichen-Stil empfand. Alle diese Personen sind aber keinesfalls Kulturbanausen, sie interessieren sich sehr für klassische Kunst und kennen sich recht gut aus. Ich will damit nur sagen, dass die Italiener übermäßige Fassadendekorationen bei Häusern nicht gewohnt sind und sie es auch nicht schätzen, es ist für sie eher schlechter Geschmack. Das ist ein kultureller Unterschied, den man einfach akzeptieren muss. Auf der anderen Seite sollten wir Mitteleuropäer nicht den Fehler machen, die relativ einfachen italienischen Fassaden für einen Mangel an Kultur zu halten, denn wer einmal in die alten italienischen Häuser und Paläste - gerade in Rom, aber auch in Florenz, Mantua, Venedig, Bologna, Siena, Neapel und viele mehr - hineingeht, wird normalerweise tief beeindruckt sein, sie haben eine künstlerische Größe und Aura, die man selten findet.


    P.S.
    Ich hab versucht, die Dinge so korrekt wie möglich zu erläutern, bin aber kein Profi, sondern nur leidenschaftlicher Laie, der sehr viel über historische Architektur liest. Meine Beschreibungen müssten schon mehr oder weniger stimmen, sind aber natürlich stark verkürzt. Ich wollte haupsächlich die Merkmale der römischen Palastfassaden aus der Zeit von Renaissance und Barock darstellen, die zwei Epochen, die in der Altstadt Roms am meisten präsent sind, um davon ausgehend das Erscheinungsbild dieser Stadt besser vestehen zu lernen. Ich hoffe, dies ist mir ein bisschen gelungen. Wenn jemand Korrekturen hat, bitte schreiben, ich freue mich!
    Danke für die Aufmerksamkeit :)

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

    Einmal editiert, zuletzt von Leonhard (21. März 2018 um 13:58)

  • @Leonhard sehr gut, wie Du den Unterschied zwischen der “germanischen“ und der “romanischen“ Architekturwelt im Detail analysier hast. Ich kann dies nur bestätigen, da ich genau an der Schnittstelle zwischen der Germania und der Romania lebe! Im französischsprachigen Lothringen fiel mir sofort die Schmucklosigkeit der traditionellen Häuser auf, die jedoch hier mehr in grau “gestrichen“ waren oder in Naturstein belassen . Man sieht sehr wohl, dass auch hier der deutsche, pompöse Barock, “Rokoko“ total fremd ist. Die Bauten aus der Zeit des Barocks sind viel schlichter und orientieren sich an der klassischen Antike. Daher verwenden die Franzosen auch eher weniger das Wort “baroque“, sondern reden von “classique“. Als Deutscher, der eher die farbenfroheren und schmuckreicheren Fassaden gewöhnt ist, war ich anfangs auch sehr enttäuscht von diesem Baustil. Ich empfand ihm als zu kalt und zu schlicht. Doch dieses “Raue“ hat mit dem längeren Aufenthalt mir plötzlich gefallen, ja es hatte einen Charme, dem man in “Nordeuropa“ eher nicht so findet. Trotzdem sind die Häuser in den romanischen Ländern stärker patiniert (es geht teilweise in Richtung Verwahrlosung) als bei uns! Kann bei Interesse einige Galerien zu lothringischen Städten eröffnen! Das mit den Klappläden trifft auch in Frankreich zu: es wird sehr viel Wert drauf gelegt, auch wenn die Sommer viel weniger heiß sind. Dies wiederrum finde ich schade, dass man in Deutschland diese Läden abgebaut hatte während des Modernisierungswahns der Nachkriegszeit :weinen: Denn die Augen eines Hauses sind neben den Fenstern auch die Läden! In Rom und Italien selbst war ich zwar noch nie, werde es aber bald nachholen, da diese Galerie schon Appetit bei mir erregt hat :daumenoben:

  • Hallo Leonhard,

    ganz herzlichen Dank für deine so anschaulichen Ausführungen und überaus interessanten Erläuterungen zur Baukunst Roms in der Renaissanve und im Barock. Was ich noch anfügen möchte ist beileibe keine Korrektur, vielmehr lediglich eine Fußnote. In den romanischen Ländern Italien und Spanien ist mir aufgefallen, dass die Dächer gernerell, aber eben auch aus der Zeit der Renaissance und des des Barock, nur eine sehr geringe Dachneigung haben. Von der Straße aus sind auf den von dir eingestellten eingefügten Bildern aus Rom eigentlich irgends Dächer auch nur ansatzweise zu erkennen, was aber auch, zumindest teilweise, den engen Gassen und den relativ hohen Häusern geschuldet ist. Frankreich, als ebenfalls romanisch geprägtes Land ist insoweit ein Sonderfall, als es zur Zeit der Renaissance auch steile Dächer gab, andererseits ab dem Barock, Frankreich mit dem vom Baumeister Mansard erfundene Mansard-Dach Europa ein großes Geschenk machte, das zwar auf Deutschland, insbesondere im 18. Jh. einen großen Einfluss hatte, aber offenbar nicht auf Italien.

    In Mitteleuropa und vor allem in Deutschland wiesen die in der Renaissance erbauten Häuser sehr viel steilere Dächer auf, als etwa in Italien, ganz unabhängig davon, ob es sich nun um Fachwerkhäuser oder Steinbauten handelte. In der Renaissance waren z. B. in Deutschland hohe Giebel gang und gäbe, hohe Schweifgiebel, mit Rollwerk, Obelisken, Figuren etc. Dazu kamen in Deutschland noch die Erker, welche mir in Italien bisher nicht bekannt sind. Vor allem in Mitteldeutschland, aber nicht nur dort, hatten viele Häuser an der Traufseite Zwerchgiebel (z. B. Schloss Plötzkau, das, wenn ich mich recht erinnere, über 20 Zwerchgiebel aufweist und damit ein äußerst malerisches Bild über der Elbe abgibt). Schon in der Gotik hatten die Häuser in Deutschland wesentlich höhere und steilere Dächer als in Italien. Mit oft sehr hohen Giebeln und mehreren Dachböden über mehrere Stockwerke. Völlig unterschiedlich zu Italien. Dort gelten die flach geneigten Dächer ebenso für die Dächer der Kirchenbauten. Man vergleiche nur einmal das Dach des Domes zu Mailand (auf dem wegen seiner geringen Neigung sogar gut spazieren gehen kann) mit dem steilen Dachdes Kölner Domes, auf dem ein "spazieren gehen" absolut unmöglich wäre. Letzlich führe ich das Phänomen der hohen und steilen Dächer in Deutschland gegenüber den recht flach geneigten Dächern in Italien auf Folgendes zurück:

    In Mitteleuropa, z. B. in Deutschland fallen im Jahresdurchschnitt wesentlich mehr Niederschläge als in etwa in Italien oder eben in Rom. Das Wasser muss von den Häusern nördlich der Alpen sehr viel schneller abfließen können, soll es auf Dauer am Gebäude keinen Schaden anrichten.

    Ab dem Bauhaus mit seinen Flachdächern sehen das viele Architekten leider bis auf den heutigen Tag völlig anders. Dies wiederum halte ich für einen von vielen Irrwegen der Moderne.

    Bei den Lehmkuben-Häusern im Rande oder in Oasen der Sahara-Wüste Afrikas machen Flachdächer vielleicht einen Sinn, aber meines Erachtens ganz und gar nicht in Mitteleuropa. Man möge mir bitte nachsehen, dass ich mit den vorstehenden Äußerungen etwas vom Thema abgeschweift bin.

    Als Argument für die in Mitteleuropa und Deutschland viel steileren Dächer als in Italien dürfte wohl hinzu kommen, dass man in Mitteleuropa immer unter dem Dach der Häuser zusätzlichen Stauraum im eigenen Hause haben wollte, sei es nun in den Kaufmannshäusern, um dort auf den Dachböden, den sog. "Speichern", Waren speichern zu können, oder aber in den Bauernhäusern, um auf den Dachböden oder "Speichern" die Körner des geernteten Getreide zu lagern.

    Es ist mir bekannt, dass in Altbayern die Dächer alter Häuser oft nicht so stark geneigt sind, wie dies etwa in fränkisch besiedelten Gegenden der Fall ist. Dies bezeichnet manchmal bis in die heutige Zeit noch die uralten "Stammesgrenzen". Diese unterschiedlich steilen Dächer und damit auch letztlich die daraus resultierende unterschiedliche Dachhöhe führe ich jedoch in erster Linie darauf zurück, dass in Altbayern, oder etwa im Inn-Salzach-Gebiet, der Einfluss und die Ausstrahlung Italiens zur Zeit der Renaissance und des Barocks naturgemäß durch die räumlich viel größere Nähe zu Italien eben auch wesentlich stärker und größer war, als dies etwa an Main und Tauber oder in Oberfranken der Fall war.

    7 Mal editiert, zuletzt von Villa1895 (9. September 2017 um 23:35)

  • @ Leonhard
    Vielen Dank für diese "kurze" und sehr gut lesbare Abhandlung über die Entwicklung der Fassaden in Italien. Ich musste während des Lesens immer wieder an Bologna (siehe Galerie) denken, eine Stadt, die ich sehr gut kenne. Was Du geschrieben hast, kann man 1:1 auch auf letzteres anwenden. Die Einfachheit und Einheitlichkeit der "bürgerlichen" Fassaden findet man bis nach Nizza und in die Südschweiz (Kanton Tessin), die alle auch Teil des italienischen Kulturraums sind.

    Die Fortsetzung deiner Beschreibung würde jetzt noch den Historismus behandeln, den Du zwar am Schluss kurz gestreift hast. Wie ich schon geschrieben habe, empfinde ich die barocken kirchlichen Innenräume meist als sehr schwer, im Gegensatz zu jenen nördlich der Alpen. Dasselbe empfinde ich auch bei den Historismusbauten. Dies hat wohl damit zu tun, dass diese meistens einen sehr kräftigen oberen, fast übertriebenen Fassadenabschluss haben, was durch die Renaissance- und Barockpaläste schon vorgegeben war. Die "Schwere" der Historismusbauten wird aber auch dadurch hervorgerufen, dass die Italiener diese viel weniger pflegen und daher oft sehr düster dunkelgrau und dunkelbraun erscheinen. In der riesigen Altstadt von Bologna wurden um 1900 lediglich drei "Insulae" komplett historistisch neubebaut, und sie sind mir sofort als Fremdkörper aufgefallen. Es sind halt lediglich Mietskomplexe und keine Paläste, auch wenn sie die Formensprache von letzteren übernommen haben (>>siehe Vogelschauansicht, und dann in die Strassen und Gassen zoomen).

  • Danke, Leonhard, für die ausführlichen Erläuterungen, die ich sehr gerne gelesen habe.
    Eine Ergänzung: Die Betonung des Inneren, die Du als typisch italienisch beschreibst und auf das römische Atriumhaus zurückführst, war auch charakteristisch für die römische Tempelarchitektur: Der griechische Peripteros mit dem umlaufenden Säulengang wirkte nach außen und dabei nach allen Seiten gleich. Die Etrusker und Römer entwickelten dagegen den Prostylos weiter, der nur an der Eingangsseite freistehende Säulen hat, hoben ihn auf ein Podium mit frontseitiger Freitreppe und gaben ihm eine klare Richtung, nach innen, zur Cella hin. Allgemein wurden die Innenräume – auch der Palast- und Bürgerbauten – betont und reich mit Freskenmalerei geschmückt.

    Bei einem Aspekt konnte ich Dir aber noch nicht ganz folgen: Ja, der italienische Renaissance- und Barock-Palast ist schlichter, „klassischer“, als z. B. der flandrische. Auch zeigen mitteleuropäische Wohnhäuser allein durch das Fachwerk mehr Wanddekor als mediterrane Putzbauten. Aber dieser Satz…

    Die Nordeuropäer hingegen haben, aus welchem Grund auch immer, es seit jeher vorgezogen, ihre Fassaden möglichst aufwendig und fantasiereich zu schmücken, angefangen von den Fassadenmalereien der Gotik und Renaissance über die barocken Stuckaturen und Lüftlmalereien bis hin zur "Zuckerbäckerei" im Historismus und Jugendstil.

    …erscheint mir zu pauschal. Was ist mit der Backsteingotik? Mit der nordischen Kühle, Strenge und Askese gegen die südländische Üppigkeit, Verschwendung und Lebensfreude?

  • Erstmal vielen Dank für die netten Antworten, die Wertschätzung meines Beitrages und die interessanten Ergänzungen! So macht das Forum Spaß, wenn man Eindrücke austauscht und diskutiert!

    Bei einem Aspekt konnte ich Dir aber noch nicht ganz folgen: Ja, der italienische Renaissance- und Barock-Palast ist schlichter, „klassischer“, als z. B. der flandrische. Auch zeigen mitteleuropäische Wohnhäuser allein durch das Fachwerk mehr Wanddekor als mediterrane Putzbauten. Aber dieser Satz…

    Zitat von Leonhard

    Die Nordeuropäer hingegen haben, aus welchem Grund auch immer, es seit jeher vorgezogen, ihre Fassaden möglichst aufwendig und fantasiereich zu schmücken, angefangen von den Fassadenmalereien der Gotik und Renaissance über die barocken Stuckaturen und Lüftlmalereien bis hin zur "Zuckerbäckerei" im Historismus und Jugendstil.

    …erscheint mir zu pauschal. Was ist mit der Backsteingotik? Mit der nordischen Kühle, Strenge und Askese gegen die südländische Üppigkeit, Verschwendung und Lebensfreude?

    Natürlich hab ich pauschalisiert, weil das Thema sonst zu komplex wird. Du hast recht, gewisse "nordische" Traditionen und Eigenschaften passen nicht zu dem von mir gezeichneten Bild, ich hätte wohl besser "Mitteleuropa" statt Nordeuropa geschrieben. Der Ausdruck "Nordeuropa" war aus südeuropäischer Sicht gemeint, d.h. alles jenseits der Alpen.
    Die von dir beschriebenen Eigenschaften "Kühle, Strenge und Askese" sind ja eindeutig protestantische Eigenschaften und mögen sich auch in der dortigen Architektur, d.h. in rein protestantisch geprägten Gebieten ausgewirkt haben, nur leider kenne ich mich da zu wenig aus. Es gibt aber genügend Beispiele für dekorative Fassaden auch im "höheren" Norden, z.B. die typischen Bürgerhäuser in Danzig, was ja - soweit ich weiß - eine überwiegend protestantisch geprägte Stadt war (dazu können aber sicher andere Experten hier im Forum mehr sagen). Oder, anderes Beispiel, in Lübeck.
    Mit Backsteingotik kenne ich mich leider auch nicht aus, nach einer kurzen Internetrecherche diesbezüglich kommt mir aber vor, dass es erstens in den z.B. auf Wikipedia gezeigten Beispielen durchaus dekorative Tendenzen gibt und dass zweitens der Begriff an sich nicht sehr sinnvoll erscheint, da hier ein Stil nur aufgrund des verwendeten Baumaterials definiert und auf eine bestimmte Region (Nord- und Ostsseeraum) festgelegt wird, es aber in der Realität sehr verschiedene Ausprägungen von gotischen, mit Backstein gefertigten Bauwerken gibt, die sich darüber hinaus auch nicht auf die oben genannte Region beschränken, sondern in fast ganz Europa existieren, siehe die Frauenkirche in München, die Kathedrale von Albi in Südfrankreich, die Basilika San Petronio in Bologna oder den Palazzo Pubblico in Siena.
    Dass natürlich die Üppigkeit der Fassadendekorationen in katholischen, d.h. süddeutsch-böhmisch-österreichischen Gegenden zunimmt, kommt sicher einerseits aus einer uralten Empfänglichkeit für Theatralik und möglichst bildhaftem und oft exzessivem Ausdruck der Gefühle (siehe z.B. heidnische Bräuche wie die alpenländischen Perchtenläufe mit ihren schauderhaften Masken) sowie andererseits aus der Absicht der Kirche, sich diese Empfänglichkeit zunutze zu machen, um ihre Glaubensinhalte möglichst überwältigend und überzeugend darzustellen und so die Gläubigen an sich zu binden (viele der alten katholischen Bräuche beruhen ursprünglich auf heidnischen Bräuchen, die in den neuen Glauben integriert worden sind). Vieles in der katholischen Volksfrömmigkeit beruht auf der Empfänglichkeit für bildhafte Riten, das Kirchenjahr war früher (teilweise auch jetzt noch) voll von Festen, Umzügen und Wallfahrten, welche der Bevölkerung Halt und Rhythmus im Alltag gaben.* Der Höhepunkt dieser Volksfrömmigkeit war Anfang und Mitte des 18. Jahrhunderts, also die Zeit des farbenfrohesten und opulentesten Spätbarocks und Rokoko, welche Ausdruck dieses sinnlichen Lebens des katholischen Glaubens waren. Unter diesen Gesichtspunkten muss man Bauwerke wie die innen völlig exaltierte und sich nur über den sinnlichen Exzess mitteilende Asamkirche in München sowie überreich dekorierte Fassaden wie die des danebenliegenden Asamhauses verstehen.

    Wer hat weitere Gedanken dazu?


    * Das ging so weit, dass auf dem Land immer weniger gearbeitet und produziert wurde, weil man unter dem Deckmantel von häufigen Feiertagen und tagelangen Wallfahrten eine tolle Rechtfertigung hatte, um nicht zu arbeiten. Da Bayern aber nach der Herrschaft von Max Emanuel und Karl Albrecht mit ihren hochtrabenden Kaiserträumen, Kriegen und aufwendigen Schlossbauten pleite war und dringend Geld brauchte, schaffte die kurfürstliche Verwaltung unter Max III. Joseph und unter Karl Theodor am Ende des 18. Jahrhunderts (unter Rücksprache und Genehmigung mit dem Papst) viele Feiertage ab und verpflichtete die Bauern und Handwerksmeister, ihre Knechte und Arbeiter zu mehr Arbeit zu zwingen. Das klappte allerdings nicht sehr gut und es gab breiten und langjährigen Widerstand, der dazu führte, dass im Laufe der Zeit einige der abgeschafften Feiertage wieder eingeführt wurden. Zusätzlich wurden die Klöster enteignet und ihr Vermögen verstaatlicht (Säkularisation), womit der bayrische Staat seine prekäre finanzielle Situation endlich einigermaßen in den Griff bekam (bis dann Ludwig der I. wenig später das Geld wieder für seine riesigen Bauprojekte ausgab, haha!)

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

    Einmal editiert, zuletzt von Leonhard (9. September 2017 um 17:57)

  • Geht mir absolut genauso wie Deinen italienischen Freunden. In meinen Augen stellen diese opulenten Häuser eine Störung dar. Ich hasse die Dekoration, wenn sie solche Ausmaße annimmt. Das Palais Holnstein kenne ich auch überhaupt nicht. Kein Wunder, dass es gleich beim Promenadenplatz steht, den ich seit jeher meide. Schon als Kind habe ich solche Häuser als Bausünden empfunden. Auch die Asamkirche habe ich noch nie leiden können; ihre beiden Nachbarhäuser besitzen wenigstens vernünftige Proportionen.

    Offenbar denke und fühle ich da italienisch und römisch. Insoweit kein Wunder, als wir bei uns ja in Rätien sind.

    Kann ich verstehen. Bei mir persönlich ist es so, dass mein Leben zwar durch einen starken italienischen Einfluss geprägt ist, ich aber trotzdem kunstvoll verzierte Fassaden und Innenraumdekorationen als Ur-Kennzeichen meiner bayrisch-österreichischen Heimat fühle und liebe und dass ich glücklich bin, wenn ich z.B. vor dem Palais Preysing in München oder vor dem Palais Kinsky in Wien stehe oder in eine kunstvoll ausgestattete Rokokokirche gehe wie z.B. Rott am Inn oder die Anastasiakapelle in Benediktbeuern, in der ich erst vor ein paar Tagen war. Es spricht mir einfach aus der Seele und zieht mich nach oben, ich habe das Gefühl, wirklich zuhause zu sein. Wenn ich hingegen in einen riesigen römischen Palast gehe, bin ich zutiefst beeindruckt und spüre eine Art Ehrfurcht ob der gewaltigen Dimensionen und der selbstverständlichen, in sich ruhenden Aura. Es ist, wie wenn das alles immer schon da gewesen wäre und ich spüre, dass dies der Ursprung unserer europäischen Kultur ist, aus der sich alles andere entwickelt hat. Ich fühle mich klein.
    Ein Palazzo Farnese oder Barberini braucht keine großflächigen Stuckverzierungen, weder außen noch innen, sie wären lächerlich. Die Paläste wirken durch ihre pure Architektur.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Eine Webseite möchte ich sehr empfehlen: Romeartlover.it Dort hat ein gebildeter Römer namens Roberto Piperno eine unglaubliche Menge von Bildern und Informationen zur Architektur Roms (und anderer Städte) zusammengetragen. Er orientiert sich an den Romansichten von Giuseppe Vasi aus der Mitte des 18. Jahrhunderts und vergleicht sie mit der heutigen Situation. Hier z.B. die Seite zum Palazzo Colonna, hier zur Porta Maggiore. Die Seite ist labyrinthisch, doch ein guter Startpunkt ist die Übersicht über das Werk Vasis.

  • Also zunächst Leonhard hast du meinen kurzen Beitrag falsch zitiert bzw verstanden. Ich bezog mich nicht auf die von dir präsentierten Beispiele, die wohl allesamt Werke namentlich bekannter Architekten darstellen, sondern auf den italienischen städtebaulichen "Normalfall" - die vielen schmuck- wie namenlosen eher Zins- als Bürgerhäuser, die egal ob im Norden oder Süden ziemlich gleich ausschauen und in deren Meer diese architektonischen Werke eingebettet sind. Ich denke, auch Kaoru ist von diesen ausgegangen.
    Ich denke, dass Vicenza deshalb meine italienische Lieblingsstadt ist, weil dort die Palazzi so häufig sind, dass sie den "Normalfall" bilden.
    Deine Beispiele - nun ja - was soll man dazu sagen - große, edle, noble Architektur, die den Prototyp vieler Bauten bei uns von Renaissance bis Historismus bilden. Im Übrigen habe ich sie niemals als "einfach" empfunden, únd deine Beispiele bestätigen meine Meinung.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Palais_Pa…pt_2006_001.jpg

    Diese Reduktion eines röm. Palazzos steht etwa es bei uns in Wien.
    Dass der heutige italienischen Geschmack Zurückhaltung so sehr liebt, kann ich in keiner Weise nachvollziehen. Warum wären dann Wien und seit 1990 Prag so beliebte italienische Reiseziele geworden, wo doch die Italiener eher nicht besonders reisefreudig sind? Und Vorliebe für Überladenheit kann man einigen italienischen Bauten doch keineswegs absprechen,
    http://www.enkiri.com/europe/italy/e…ferrara915.html

    vor allem nicht röm. Innenräumen. Viel war halt Materialbedingt, echter Mamor ist schwerer als unser künstlicher Marmor oder gar Stuck, sowohl was Gewicht als auch Handhabung betrifft, und abgesehen davon darf man nicht vergessen, dass Italien seiner Zeit immer voraus war und so niemals Spätstile kreieren konnte. Die Entwicklung ging eben vom Barock zum Klassizismus, das Rokoko war eine kleine französisch- deutsche Verirrung, die am stets progressiven Italien ziemlich vorbeigehen musste (das überdies bereits für eine Art Proto-Rokoko gesorgt hatte bzw mit Guarini den Grundstein für die sakralen Raumschöpfungen der Dientzenhoferischen und Neumanns gelegt hatte).


    Zitat von Zeno

    Ich hasse die Dekoration, wenn sie solche Ausmaße annimmt.


    Hm, Zeno, da hätt ich einiges für dich:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Looshaus


    Zitat von ders.

    Das Palais Holnstein kenne ich auch überhaupt nicht. Kein Wunder, dass es gleich beim Promenadenplatz steht, den ich seit jeher meide. Schon als Kind habe ich solche Häuser als Bausünden empfunden.

    Gottseidank sind Bausünden dieser Art im heutigen Minga sehr selten. Hier in der ganz bausündenfreien Neuhauser Straße

    https://www.google.at/search?q=m%C3%…f=1504988949661

    solltest du auf deine Rechnung kommen.

    Zitat von ebender

    Auch die Asamkirche habe ich noch nie leiden können; ihre beiden Nachbarhäuser besitzen wenigstens vernünftige Proportionen.

    Wirklich komm zu uns nach Wien, das ist das Richtige für dich.
    Da reißt man formlos überladene Barockkirchen ab und baut stattdessen Kirchen mit vernünftigen Proportionen:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Pfarrkirc…rianikirche.JPG

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

    Einmal editiert, zuletzt von ursus carpaticus (9. September 2017 um 23:13)

  • Hallo Ursus, ich hatte dich schon richtig verstanden, gebe aber zu, in meiner Antwort etwas abgeschweift zu sein bzw. wollte ich auf die Frage Kaorus antworten, wie man denn die verschiedenen in Rom vorkommenden Stile auseinanderhalten könnte und welche Indizien es dafür gebe. Da ich zur spezifischen Entwicklung des römischen Bürgerhauses leider wenig sagen kann, habe ich versucht, die Entwicklung der römischen Palastfassaden zu skizzieren, um ihm wenigstens die stilistischen Unterschiede der einzelnen Epochen bezogen auf Rom zu erläutern. Daraus denke ich kann man auch gewisse Charakteristika des normalen römischen Stadthauses ableiten, da die Bürger normalerweise immer das nachgemacht haben, was der Adel vorgemacht hat, natürlich in viel bescheidenerem Ausmaß. Tatsächlich findet man einige Merkmale des römischen Palastbaues auch an normalen römischen Stadthäusern wieder, wie ich auf ein paar Bildern gezeigt habe. (Übrigens gibt es in der eigentlichen Altstadt Roms recht wenig Zinshäuser, weil diese eher eine Erfindung späterer Zeiten sind; es überwiegen Adelspaläste und Bürgerhäuser und natürlich viele Kirchen.)
    Mein Gedanke war: wenn schon die Adelspaläste im Vergleich zu ihren mitteleuropäischen Pendants relativ wenig Fassadenschmuck haben, dann ist es auch logisch, wenn die bescheideneren Bürgerhäuser noch weniger haben. Ich weiß, dass du allgemein von den einfachen italienischen Fassaden gesprochen hast, aber da Rom als alte antike Hauptstadt und Sitz des Papstes sicher einen maßgeblichen Einfluss auf ganz Italien hatte und von dort eben kein Anstoß zu üppigeren Fassadendekorationen kam, kann man verstehen, dass auch woanders kein Anlass dazu bestand, das Hauptaugenmerk darauf zu legen. Das ist jetzt natürlich sehr pauschal gedacht, ist aber meines Erachtens nicht falsch. Die neuen Moden verbreiten sich immer von den großen Städten aus; der mitteleuropäische Barock hat sich auch von Wien aus in die übrigen mitteleuropäischen Städte verbreitet, nachdem er aus Rom importiert worden war, um der weltlichen Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches ein würdiges Gesicht zu geben und um Rom, der antiken und nunmehr geistlichen Hauptstadt, möglichst ebenbürtig zu sein.

    Die Tendenz zu üppigerer Fassadendekoration findet man in Wien (nach ein paar eher imitatorischen Bauten wie z.B. dem Stadtpalais Liechtenstein von Martinelli) ziemlich bald: Böhmische Hofkanzlei, Winterpalais Prinz Eugen, Palais Kinsky oder Neue Aula der Alten Universität, die allesamt wesentlich mehr Dekoration aufweisen als das meiste, was in Rom steht. Davon ausstrahlend werden auch die barocken Bürgerbauten Wiens reicher geschmückt, ein Haus wie Am Hof 12 wirst du in Rom nicht finden, auch nicht bei zur selben Zeit entstandenen Häusern Roms. Du kannst jetzt sagen, dass es sich hierbei eben um spätbarocke Bauten handelt, ich würde sagen, dass hier die mitteleuropäische Natur durchschlägt. Und wieso haben die Italiener keine vertiefenden Spätstile? Ich würde sagen, weil es nicht in ihrer Natur liegt, weil sie keinen Grund dafür gesehen haben, sie hätten es ja sonst machen können. Die ganze Energie, die sie auf opulente Innenausstattungen angewandt haben, hätten sie ja auch auf die Fassaden lenken können, nur haben sie es nicht gemacht. (Übrigens habe ich mich in meinen obenstehenden Posts immer nur auf die Fassadengestaltung bezogen und ausdrücklich betont, dass die Römer (und eigentlich alle Italiener) das Innere ihrer Häuser und Paläste durchaus üppig schmücken.)


    Bzgl. den vielen italienischen Touristen in Wien und Prag: das stimmt natürlich, meine Anekdoten bezogen sich nur auf einzelne Erfahrungen mit Italienern, mit denen ich darüber gesprochen habe. Es kann sein, dass sich der Geschmack bei der breiten Masse der italienischen Touristen inzwischen geändert hat, ich weiß nicht. Übrigens reisen die Italiener inzwischen sehr viel, das ist auch nicht mehr so wie früher ;)

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Wirklich komm zu uns nach Wien, das ist das Richtige für dich.
    Da reißt man formlos überladene Barockkirchen ab und baut stattdessen Kirchen mit vernünftigen Proportionen:

    de.wikipedia.org/wiki/Pfarrkir…Wien_-_Florianikirche.JPG

    Das ist ja auch eine "Jugendkirche", die wird, wenn sie älter wird, schon noch üppiger und - wie soll ich sagen - barocker :D

    Schmäh olé ;)

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Gut, dann wäre dieser wichtige Punkt geklärt.
    Zu deiner Erklärung

    Zitat

    Mein Gedanke war: wenn schon die Adelspaläste im Vergleich zu ihren mitteleuropäischen Pendants relativ wenig Fassadenschmuck haben, dann ist es auch logisch, wenn die bescheideneren Bürgerhäuser noch weniger haben

    ist zu sagen, dass ich die Prämisse schlicht ablehne.
    Die von dir gezeigten Beispiele - zur Veranschaulichung des glatten Gegenteiles deiner These fehlt nur noch der Trevi-Brunnen - sind nichts weniger als schlicht, und überall in Mitteleuropa wirst du viele Beispiele finden, die diese unterbieten.

    https://www.linz.at/archiv/denkmal…aldetail&id=704

    http://www.kirchen-privilegien.at/vermoegen/mens…is_fassade_web/

    https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96ffe…eresianum_a.jpg

    mE ist es ein sogar schwerer Fehler, die formale Souveränität des borrominesken Roms mit "Schlichtkeit", "Zurücknahme" etc zu verwechseln, nur weil es im mitteleuropäischen Norden etliche spätere mehr um Reichhaltigkeit bemühte Beispiele gibt.
    Gerade der römische Barock schreckte nicht vor Monumentalität, Üppigkeit und Schwere zurück.
    Es war mW Triforium, der diese Debatte mit Schwerpunkt der röm Barockkirchen angefangen hat, wobei in diesem Bereich die These der röm. Eleganz, Leichtigkeit und Einfachheit versus teutonische Überladenheit noch weit weniger aufrechtzuerhalten ist.
    Wie hat Wissen zum Petersdom geschrieben? Eine wahre imposante Anlage. Und nicht: ein Werk von ungetrübter italienische Lebensfreude und Eleganz. Man schaue sich die üppigen Fassaden von Maria della Pace, Maria de Loreto, M.della Vittoria an, oder gar San Carlo de quattro Fontana. Auch Santa Maria Maggiore ist vom Fassadenschmuck nicht so ohne. Wo gibt es im Norden Vergleichbares?
    Abgesehen von ein paar Starobjekten wie der Asamkirche, die Zeno deshalb so verabscheut? Man beachte die Schlichtheit der Fassaden der späten Neumannkirchen Vierzehnheiligen und Neresheim bzw der innen so opulenten Wieskirche gegen die reichhaltigen röm. Vorbilder.

    Dann diese ewig stereotype Herabwürdigung unserer Bauten als weniger elegant. In Wahrheit ist doch viel eher das Gegenteil der Fall. Hat nicht der Spätbarock (incl Rokoko) nicht das schwere röm. Kollossalschema aufgelockert, zum Schwingen gebracht, ja aufgelöst? Ist der Wiener, Prager oder noch mehr Dresdener nicht der Gipfelpunkt an Eleganz, zumindest diesbezüglich dem schweren röm. Prototyp überlegen (was auch immer sonst dessen Vorzüge sein mögen, die herabzuwürdigen ich nicht im Schlaf denke?) Und bevor hier einer einhakt: Natürlich gibt es AUCH in Rom unsagbar elegante Bauwerke, die den Vergleich mit dem Norden nicht scheuen müssen, die neben Guarinis Turiner Kirche geradezu prototypisch für den Neumannschen Rokoko erscheinen. Das berühmteste Beispiel ist allerdings hier noch nicht erwähnt worden, kein Wunder, denn es wirft alles hier getroffenen Klassifizierungen über den Haufen:
    http://stadtbesichtigungen.de/rom-erleben/kuenstler/borromini

    Ist das vielleicht weniger überladen als Neresheim von außen?

    Im Ganzen erscheint diese Diskussion ein wenig auf Gemeinplätzen gegründet, die kein konkreter Befund erhärten kann. Man kann die Wahrheit nicht auf so einfache Formeln herabbrechen, muss gerade was die Vielschichtigkeit Roms betrifft, mehr wissen, als es wir hier alle miteinander tun. Außer man ist gegenüber dem Hoch- und Spätbarock so ignorant wie Zeno, der kein Problem damit hat, gewisse Spätstile pauschal zu verwerfen. Dann braucht man sich mit Sant Ivo ebensowenig zu befassen wie mit Cuvillies Mingener Bausünden.

    PS Wissen hat sich mit dem Barock eigentlich nur am Rande beschäftig, dh außer Petersdom und einigen wichtigen Kirchen Barockgebäude nur am Rande, sozusagen nebenbei abgelichtet. Es ist lustig und entspricht durchaus auch meiner Schwerkpunktsetzung, wie sich gerade darüber die Diskussion entzündet. Wissens Schwerpunkt der röm. Bauten scheinen einigen hier so gleichgültig zu sein wie mir.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

    2 Mal editiert, zuletzt von ursus carpaticus (10. September 2017 um 13:38)