Um mich jetzt einmal unbeliebt zu machen: Ich muss sogar sagen, dass ich Teile des Nürnberger Zentrums zum schlimmsten zähle, was wir in Deutschland städtebaulich vorzuweisen haben. Und zwar gerade deshalb, weil man sich in Nürnberg darum bemühte, architektonisch an die zerstörte Altstadt anzuknüpfen. Denn aufgrund der gleichzeitigen Weigerung, wirklich zu rekonstruieren oder wenigstens einen tatsächlich historisierenden Stil zu verwirklichen, kam dabei eine ganz schauderhafte Mischung zustande. Gerade dieser Ansatz an Traditionalismus sorgt dafür, dass eine unglaubliche Tristesse entsteht, die ich mir auf keine Weise irgendwie schönreden kann. Wenn ich beispielsweise durch ... sagen wir ... Köln gehe, dann gelingt es mir, einen positiven Bezug zu der dortigen Nachkriegsarchitektur herzustellen, indem ich sie eben mit der Großstadterfahrung verknüpfe. Ja, die Betonklötze sind hässlich, aber wenigstens sind sie kantig und wuchtig und darin irgendwie auch beeindruckend. Sie haben wieder etwas für sich. Bitte nicht falsch verstehen, natürlich würde ich schöne, also historische oder historisierende Bauten präferieren. Aber wenn nicht schön, dann eben wenigstens monumental, großstädtisch, tatsächlich modern. Diese Architektur stellt immerhin etwas dar, lässt an Wiederaufbau und Wirtschaftswunder denken, an das erste pulsierende Leben nach den Schrecken des Krieges, an den Rausch der aufkeimenden Konsumgesellschaft, ohne sich irgendwie zurückzunehmen.
In Nürnberg dagegen ... praktisch der ganze Altstadtbereich östlich vom Hauptmarkt hat so etwas unglaublich Vorstädtisches, Miefiges. Nein, wenn man da durchspaziert, dann ist man geistig nicht bei der großartigen Altstadt, die sich hier einst erstreckte, auch wenn man hin und wieder statt den typischen Flachdächern einen Giebel sieht, auch wenn die Häuser nicht die typische Wuchtigkeit und Eckigkeit der Nachkriegsarchitektur zeigen. Nein, man kann sich überhaupt nicht in ein historisches Ambiente hineinkuscheln, denn dafür ist alles zu modern. Aber man kann eben auch nicht den anderen Weg gehen und die Moderne als Moderne irgendwie in ein gehaltvolles Narrativ einflechten, denn dafür ist es nicht modern genug, nicht "kalt", nicht großstädtisch genug. An die Stelle eines der großartigsten Stadtbilder, das jemals geschaffen worden ist, hat man etwas gesetzt, das irgendwie so feige und halb und (auf negative Art und Weise) provinziell wirkt. Ich meine Ansichten wie die folgende:
https://www.google.com/maps/@49.45446…!7i13312!8i6656
Sowas kann man sich in der Peripherie eines 10.000-Einwohner-Fleckens vorstellen, aber nicht im Zentrum einer DER Metropolen des deutschen Mittelalters, einer Stadt, die früher locker an Prag, Florenz oder Venedig heranreichte. Ich weiß nicht, wo denn da die Urbanität sein soll, die viele so gerne beschwören. Ja, es ist eng bebaut, und? Wirkt das wie das Zentrum einer 500.000-Einwohner-Stadt? Da sehe ich lieber Ansichten wie die folgende aus Köln:
https://www.google.com/maps/@50.93796…!7i13312!8i6656
Ja, es mag minimal hässlicher sein, aber diese klitzekleine zusätzliche Hässlichkeit ermöglicht es mir, dieses Stadtbild als "großstädisch" zu registrieren und damit doch wieder ansatzweise positiv zu besetzen.
Ich möchte Nürnberg nun nicht voll miesreden, insgesamt würde ich die Stadt trotzdem irgendwo in der oberen Mitte der deutschen Großstädte ansiedeln. Aber das liegt nicht an dem Wiederaufbau, sondern einfach daran, dass doch relativ viel frühere Bausubstanz den Krieg überdauert hat, sodass die glorreiche Geschichte der Reichsstadt doch noch gut erfahrbar ist. Wenn genügend Historisches vorhanden ist, kann mir sogar der Nürnberger Wiederaufbaustil gefallen, denn in Kombination mit tatsächlich Traditionellem schlägt das Pendel des Minimaltraditionalismus mehr in Richtung Traditionalismus aus. Dann können diese Gebäude sogar wirklich gemütlich und romantisch wirken, nicht (auf eine negative Weise) provinziell und dörflich, sondern tatsächlich altstädtisch.