• Es gibt keinen Grund, dieses einmalige geniale Kunstwerk nicht wiederherzustellen, wenn das finanziell und technisch machbar ist. Die übrigen Nürnberger Denkmäler wie die Burg und die Kirchen waren nach dem Krieg in großen Teilen genauso verschwunden bzw. kaputt (nur nicht ganz restlos) und sind jetzt wieder anerkannte Denkmäler. Und weshalb dürfte man nur das wiederherstellen, wovon noch ein Stumpf oder Fetzen vorhanden ist? Das war der grundlegende Denkfehler des Nürnberger Wiederaufbaus, den man der Stadt allenthalben ansieht.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Ich stimme meinen Vorschreibern zu. Die Machbarkeit ist nun aber wohl außer Frage, denn es ist machbar. Die Frage am 27. Mai wird sein, ob es die Ausmalung geben wird oder nicht. Und dies wird das Volk im Zuge der Europawahl entscheiden. Bis dahin gibt es wohl einiges an Aufklärungsarbeit zu tun. Zwar waren die Wünsche nach einer Bemalung des Saales (manche wollten Dürer, Prechtl oder was ganz modernes) nach der Diaschau vor zwei Jahren groß, aber Gegner in der Bevölkerung gibt es nunmal ebenso. Das Geschreie um "wer zahlt?" "man sollte das Geld für sinnvolleres wie Kitaausbau etc. ausgeben" etc. kennt man ja.

    So positiv das Ganze ist, hege ich immer noch eine kleine Befürchtung, daß die Leute dagegen stimmen könnten, was dann sicherlich die Frage der Ausmalung für die nächsten Jahrzehnte beerdigen wird. Sicherlich ist die demokratische Abstimmung zu loben, aber eine Bekenntnis der Stadt Nürnberg zu seinem kulturellen Erbe würde mir ehrlich gesagt mehr zusagen.

  • Haarig wird es dann, wenn argumentiert wird, dass Verluste zum Nürnberger Erbe gehören, und damit der weisse Saal seine Berichtigung erfährt. Und dieses Gegenüberstellen von Kita-Plätzen gegen den Rathaussaal ist ebenso grotesk, aber es wird kommen. Ich selbst bspw. würde für die Ausmalung sehr gerne spenden. Für Kitaplätze dagegen spende ich garnichts, dafür werde ich sowieso zur Kasse gebeten wenn ich sie brauche. Das sind völlig unterschiedliche öffentliche Töpfe.

    Wie dem auch sei, mir wäre es eigentlich am liebsten, wenn die Abstimmung unter dem Stern stünde, dass für die Ausmalung ausschließlich Spendengelder genutzt werden, denn dann hätte man diese Nörgeleien vom Tisch. Ich glaube das würde auch klappen.

  • Zitat

    Kurz vor 19.30 Uhr waren nach Angaben der Stadt 391 von 495 Stimmbezirken ausgezählt. Die Gegner der Bemalung liegen weiter klar vorne: Mit Nein stimmten 66,6 Prozent, mit Ja 33,4 Prozent.

    Damit ist das Projekt wohl leider gestorben. Schade, für Architektur und traditionelle Kunst besteht derzeit offenbar wenig Bewusstsein. Im Urlaub, bei der Italien-Reise, schon, aber zu hause überwiegen Abwehr von der eigenen Geschichte, Ängste vor Einbußen an Finanzkraft und Konsumfreiheit. Es ist eben eine entheiligte Zeit, die weitenteils kein Staunen, keine Sinnlichkeit sucht.

  • Es ist sehr, sehr schlimm, daß auch hier so ein Projekt offenbar abgewählt wird. Die Stadt wirbt gerne mit Dürer, hat aber für das alte Stadtbild - abgesehen von privaten Initiativen, die hier außergewöhnlich viel machen - so gut wie nichts übrig.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • wirklich schade :sad:

    ein guter Kommentar findet sich auf der Seite der Nürnberger Zeitung:

    Zitat

    Rathaussaal-Entscheid: Warum die Altstadtfreunde gescheitert sind
    [...]Stadträte und Fachleute sollten in solchen polarisierenden Fragen nicht das letzte Wort haben. Die zum Teil heftig, bisweilen überheblich geführte Debatte über Authentizität und Stadtgeschichte hat Wunden geschlagen, denn es entstand das Gefühl, dass der ganze Wiederaufbau Nürnbergs nur eine minderwertige Kulisse hervorgebracht haben soll. Das haben die Stadt und ihre Bürger nicht verdient. Die Sehnsucht nach Rekonstruktion sollte nicht lächerlich gemacht werden: Auch der Wiederaufbau verlangt Respekt. Er ist Geschichte und gehört inzwischen zur Historie der Stadt.
    [...]

    http://www.nordbayern.de/nuernberger-ze…-sind-1.3668355

  • Danke für den Artikel!

    Ich persönlich frage mich zwar, wer bitteschön überhaupt und generell gegen eine Reko dieser schönen Sache stimmen kann, aber das Ergebnis ist nun einmal zu akzeptieren.

    Jetzt sollten sich die AF einmal fragen, woran das liegen mag? Haben die AF Ihre Klientel nicht mobilisiert oder ging in der Berichterstattung im Vorfeld einiges schief... . Wie auch immer, hier ist es nun in erster Linie notwendig diese Gründe zu hinterfragen und bei zukünftigen Projekten zu berücksichtigen.

    Wenn schon etwas rekonstruiert gehört, dann sind das in erster Linie wichtige Fassaden in der ansonsten leider wirklich nicht schönen und weitgehend entstellten Altstadt.. Die AF sollten sich von diesem Ergebnis aber nun bitte nicht entmutigen lassen. Es gibt in N tatsächlich wichtigere Rekoprioritäten.

    Einmal editiert, zuletzt von Exilwiener (26. Mai 2014 um 13:19)

  • Hallo,
    ich schließe mich meinem Vorredner an.
    Es gibt in Nürnberg wesentlich wichtigere Rekoprojekte als den Rathaussaal, so etwa die Strassenfassade des pellerhauses, das Topplerhaus, uvm.Trotzdem ist ist es schade.

  • Die Zeit ist einfach nicht die passende gewesen. Unter der heutigen Stadtverwaltung, die mit der letzten Kommunalwahl um weitere 5 Jahre bestätigt wurde, die aber wiederum schon Jahrzehnte!!! am Ruder sitzt, sind solche bahnbrechenden Dinge nicht zu machen. Oberbürgermeister Maly sagte neulich öffentlich, er habe jedesmal Bauchschmerzen, wenn er an die Rekonstruktion des Pellerhofes denke. Eigentlich ein kultureller Affront. Aber nicht in Nürnberg. Die Zeit für solche Projekte ist noch nicht reif. Ich persönlich denke ja, dass der bald fertige Pellerhof hier ein Umdenken bewirken kann, wenn nämlich jeder sehen und anfassen kann, was lange Zeit als unwiderbringlich verloren galt. Es geht alles. Man muss es nur wollen, und man muss es richtig machen.

    Übrigens darf man den Altstadtfreunden nicht unbedingt ein Scheitern vorwerfen. Sie haben jeden 3. Nürnberger begeistern können um dafür zu stimmen. Das muss erstmal ein einzelner Altstadtverein schaffen! Schade ist nur das Ergebnis, aber das würde ich der Berichterstattung im Vorfeld anlasten. Plötzlich ging es nur noch um Dürer, Originalität und Kosten. Das man einen echten Dürer nicht wiedererschaffen kann, das denke ich auch. Aber hier ist es kein originaler Dürer gewesen, sondern lediglich seine Idee, sein Konzept, seine Inspiration. Natürlich kann man versuchen, das mit heutigen Mitteln wiederauferstehen zu lassen. So wie es mit dem übrigen Saal bereits geschehen ist, und diesen Saal nennt die Stadtverwaltung ironischer Weise "wunderschön". Eigentlich ein Treppenwitz. Nur wenn eben die Stadtverwaltung sagt, es sei unmöglich, sehr teuer und kulturell fragwürdig, ja wen wundert es da wenn die meisten Menschen sich dem anschließen? Hierzu muss man ja ersteinmal eine eigene Meinung entwickeln.

    Dass die Altstadtfreunde den Weg der Bürgerbefragung gegangen sind, ist für das Projekt also nicht ganz glücklich gewesen. Es hat vor 20 Jahren im Augustinerhof geklappt, aber eben diesmal nicht. Etwas zu verhindern ist auch leichter, als etwas zu bewirken. Vorallem dann, wenn die Gegner einer Verwirklichung mit den Totschlagargumenten der Kosten und Originalität anfangen Stimmung zu machen. Gewissermaßen waren hier also die Rollen vertauscht ;)

    Ich würde das Projekt nicht abschreiben. Solange die Wände weiss bleiben, wird man darüber nachdenken.

  • Sehr schöne und absolut treffende Worte.
    Ich habe den Saal erstmals vor haargenau 30 Jahren gesehen kurz vor der Fertigstellung des jetzigen Zustands.
    Schon damals fehlte mir etwas. "Da beschloss ich Rekonstrukteur zu werden" :)
    Schade drum....

  • Ich bin ja eigentlich ein Rekofanatiker, das dürfte bekannt sein, bloß hier fehlen die Originalpläne!?

    Von daher bin ich über das Abstimmungsergebnis nicht sonderlich traurig.Ich hatte von dem Vorkriegszustand eher den Eindruck, dass der Saal frei gründerzeitlich gestaltet gewesen ist. Wie ist denn derzeit eigentlich der Befund unter den nunmehr weissen Wänden ??? oder sind diese bei dem Wiederaufbau neu aufgemauert worden ?

    In diesem Zusammenhang fällt mir schemenhaft ein, dass Dürer auch die Außenwände des Rathauses gestaltet hätte, was zwischenzeitig ebenfalls verlorenging, dann aber an Regentagen bis zu der Zerstörung des Rathauses zu sehen gewesen sein soll, gibt es darüber Befunde ???

    Wäre vielleicht mal was .

    Einmal editiert, zuletzt von Der Herzog (26. Mai 2014 um 18:33)

  • Wenn schon die Originalpläne fehlen, mag das als Grund für eine Nicht-Rekonstruktion durchgehen, schön und gut - schlimm nur, dass man es nicht einmals wagt, zu versuchen, die Wände einfach anderweitig zu verzieren. Ich meine: es ist doch schlichtweg bescheuert, Annäherungen an überlieferte Nürnberger Bautypologien abzulehnen, mit der Begründung, man müsse der vermeintlichen "eigenen Epoche" Rechnung tragen - und gleichzeitig denkt man man nichtmals daran, den Rathaussaal zeitgenössisch auszumalen, der heutigen Generation die Möglichkeit zum Wettbewerb mit ihren Ahnen einzuräumen? Anscheinend wissen die Stadtväter doch, dass diese Zeit nicht so fähig ist, wie sie es gerne hätten. Heraus kommt letzten Endes doch nur elendes Kompromissgewinsel. Zu verbohrt, der Legende Nürnberg angemessenen Tribut zu zollen, und zu feige, parallel Zukunftsvisionen eine passende Freiheit einzuräumen.

    Und so entsteht sowohl unter Sebaldts und Lorenz' goldenen Türmen als auch in den Innovationszentren vor den Toren billiger Einheitsbrei, der nirgends hingehört.

    Form is Function.

    "Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Veränderungen der alten Bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim Alten. Denn die Wahrheit, und sei sie hunderte von Jahren alt, hat mit uns mehr Zusammenhang als die Lüge, die neben uns schreitet."

    Adolf Loos (Ja, genau der.)

  • Der Entscheid ging ganz klar um die am besten dokumentierte Saalsituation, die 1905 entstanden und zuletzt 1944 dokumentiert worden ist. Nun ist ein 400 jahre altes Kunstwerk sicherlich keine Kleinigkeit, aber hier muss man doch aufpassen, dass man dessen Geschichte mit den mehrfach notwendigen Restaurierungen nicht zu seinem Todesurteil werden lässt. Natürlich kann man darüber diskutieren, über welchen Zustand man hier redet. Doch dann zu sagen, dass vom Ursprungszustand am wenigsten überliefert ist, diskreditiert jede konservatorische und restauratorische Anstrengung der nachfolgenden Generationen die zweifellos in dessen Totalverlust münden muss. So sollte man aber bei Architektur und Raumgestaltung nicht argumentieren. Gedankenspiel: Wie würden wir denn ohne die Kriegszerstörungen heute argumentieren? Die Restaurierung von 1905 hätte sicherlich wieder erneuert werden müssen. Die Fotodokumentation hätte es ohne Krieg noch später gegeben. Der Saal würde früher oder später saniert werden müssen. Wie würde man das dann angehen?

    Zu deinen Fragen: Unter den weißen Wänden ist mehrheitlich nichts, die Wände sind wieder aufgebaut. Die Restaurierung von 1905 war bereits eine Neuschöpfung, weil die verrußten Originale hierfür großteilig abgenommen wurden. Angeblich liegen davon noch Teile in städtischen Depots, die aber niemand zu Gesicht bekommt. Im Prinzip kann sich die Wissenschaft also aussuchen, wann die Wandgemälde verloren gingen: 1630, 1905 oder erst 1945. Das zeigt aber inwieweit die Diskussion um die Echtheit das eigentliche Kunstwerk, nämlich den Saal als Gesamtkunstwert aus dem Geiste Dürers, ausblendet. Man reduziert den Saal damit auf einzelne Steine und Putzabschnitte, die schon so oder so lange dort gewesen sein müssen. Inwieweit der Saal als Gesamtkonzept und damit als Kunstwerk erfahrbar war, ist oder sein könnte, spielt keine Rolle. Es geht um Steine, Farbpigmente und Kalkputzbrocken.
    An der Südwand blieben noch einige Steine auf den anderen, dort haben sich auch noch "Original"-Bemalungen erhalten, die aber vermutlich auch nur von 1905 stammen. Die sind aber nie wirklich restauriert worden und heute eher grauschwarze Flecken.

  • Dieser sehr fundierten Antwort ist nichts hinzuzufügen.
    Es ist eine Schande für diese herrliche Stadt - aber die Bürger waren m. E. auch einfach zu wenig informiert.
    Information und Wissen ist bei dem Reko-Thema das A&O

  • @ Mattheiser:

    Das wurde in den 80'er Jahren versucht. Ein Nürnberger Künstler hat einen Entwurf vorgelegt, der Dürers Idee in die Neuzeit transferieren versuchte. Hier hab ich 2012 einige Bilder davon machen können:

    http://www.deutsches-architektur-forum.de/forum/showthread.php?t=11624

    Man erkennt aber ziemlich schnell, worin hier das kaum überwindbare Problem liegt: Der Saal ist ein an sonsten ausgezeichnet rekonstruierter historischer Rahmen aus Elementen der Reniassance, des Barock und einigen gotischen Elementen. Alles Stilepochen, die für sich jeweils mehrere Jahrzehnte State-of-the-Art waren in der abendländischen Kultur. Sie haben dem Saal ihr unverwechselbares Gepräge gegeben und waren immer Rahmen für die dürersche Wandgestaltung. Und jetzt stelle man sich den armen Künster in der heutigen, schnelllebigen Zeit vor, der etwas adäquates schaffen soll, das nicht nur in diesen Rahmen hineinpasst, sondern das auch einen würdigen Ersatz für Dürers Entwurf darstellt. Wenn man sich dann vergegenwärtigt, dass sich die Fachwelt darin einig ist, dass das Wandbild nicht von Dürer persönlich gemalt wurde, sondern von "Sub-Unternehmern" verwirklicht wurde, muss man sich schon fragen wieso man nun diesen Bruch unbedingt will. Die Argumente gegen die Ausmalung sind dann nicht mehr einleuchtend.

  • Was wirklich schlimm erscheint, ist die abgrundtiefe Blödheit der Menschen. Merken die nicht, was abläuft? Was mit ihrem Geld geschieht, wie dieses vernichtet bzw in ihre eigene Vernichtung gesteckt wird? Sagen sie nicht bei jeder Wahl artig Ja und Amen dazu?
    Aber wehe, es geht einmal um ureigene Interessen, um die eigene Identität und Kultur, dann wird objektiviert, jedes Haar in der Suppe aufgebläht, bis es heißt: "das kann ich nicht gutheißen, dafür kann ich einfach nicht sein, dafür kann ich mich nicht hergeben."
    Was glauben die so klugen und besonnenen Nürnberger, was wird mit ihrem so verantwortungsbewusst gesparten Geld passieren? Wieviel wird in fünf Jahren davon noch zu merken sein?
    Aber Hauptsache, werden sie sich sagen, dass wir damals vor fünf Jahren so verantwortungsvoll abgestimmt haben. Das wiegt doch mehr als der ganze Rathaussaal.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • In den Nachrichten konnte man soeben lesen, daß es heute nacht in der Nürnberger St. Martha-Kirche einen Dachstuhlbrand gab, bei dem der aus dem 14. Jhd. stammende Dachstuhl komplett zerstört wurde und teilweise in das Mittelschiff hinabstürzte. Auch das Kircheninnere ist stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Da die Kirche gerade renoviert wurde, seien wohl die wichtigsten sakralen Kunstgegenstände ausgelagert, so auch die mittelalterlichen Chorfenster. Man wird ja in naher Zukunft noch einiges darüber lesen, aber natürlich keimt schon jetzt die Frage nach der Form des Wiederaufbaus.