Hamburg - Kriegszerstörungen und Wiederaufbau

  • Diese Eindrücke sind in der Tat typisch für den Hamburger Wiederaufbau im Osten der Stadt, darüberhinaus auch in anderen kriegsversehrten Stadtteilen. Vor allem aber der Hamburger Osten, der die umfangreichsten Flächenzerstörungen in ganz Deutschland erlitten hat, hinterlässt bei dem Betrachter, der eine Vorstellung von dem Vorkriegszustand hat, geradezu traumatische Empfindungen. Man kann den Hamburger Wiederaufbau nicht als gelungen bezeichnen, die Stadt hat nur insoweit Glück gehabt, als die Bombenteppiche vor allem Osten der Stadt niedergegangen sind, wo es die Besucher der Stadt selten hinverschlägt, während die Innenstadt um die Alster herum glimpflich davongekommen ist. Der Osten der Stadt wird im öffentlichen Bewusstsein ausgeklammert Darum ist diese größte Stadtzerstörung in der Geschichte Europas so wenis bekannt und wird kaum je in den Medien thematisiert.

    Man muss dem Hamburger Wiederaufbau eine stark ieologische Ausrichtung bescheinigen. Er galt grundsätzlich als Fanal einer neuen "demokratischen" Wohnweise mit schlichter, ja biederer Architektur, ja einer Architektur der Selbstverleugnung, welche die überkommenen Gründerzeit- und Jugendstilbauten als letztlich zu beseitigende Relikte einer überholten Stadtkonzeption behandelte. Dass sie das Erscheinungsbild der niedriger gehaltenen Wiederaufbauviertel störten, nahm man in Kauf - sie würden in absehbarer Frist ohnehin verschwinden.

    Ich war indessen Zeuge, dass sich diese Bewertung des Neuen gegenüber dem Kriegszerstörten schon in den sechziger Jahren wandelte. Schon damals entstanden Bürgerbewegungen, die das unmögliche und in Deutschland einmalige Erscheinungsbild der Wiederaufbauviertel anprangerten. Schon damals bahnte sich eine Neubewertung von Gründerzeit und Jugendstil an, und die Stadtbürger lernten die erhaltenen Reste der alten Stadt mit ihren gro0zügig geschnittenen Wohnungen wieder wertzuschätzen. Aber da war die Stadt schon verhunzt, und die von Heinzer eingestellten Fotos zeigen, dass sich bis heute an diesem Stadteindruck kaum etwas geändert hat.

  • Ja aber die gewaltige Zerstörung kommt die Besucher deswegen auch nicht so stark vor. Wer die Innenstadt, die Orten im Western wie Blankenese oder die nördliche Stadteilen wie Eppendorf besucht kommit ja Hamburg sogar ziemlich angenehm vor. Aber wäre es wirklich besser dass die RAF Feuersturm die andere Stadtvierteln getroffen hätte? Dadurch gibt es Kontorhausviertel und Speicherstadt immer noch? Berlin hat ja im Gegenzug sehr viel von ihre Wohnbauten erhalten aber kein Stadtkern wie Hamburg. Deswegen besuche ich lieber Hamburg statt Bremen oder Hannover.

    2 Mal editiert, zuletzt von johan v2 (6. Oktober 2019 um 21:35)

  • Der Wiederaufbau des Hamburger Osten ist manchmal ganz gut, manchmal hässlich. Im Grunde erinnert er entfernt an den Zeilenbauten der Dresdner Innenstadt. Nur fühle ich mich in Teilen des Hamburger Ostens deutlich besser als in Dresden. Warum?
    - Weil es sich oft um - einfache - Backsteinbauten mit Ziegeldächer handelt, weil es sehr viel Grün gibt, und weil es allem in allen abwechslungsreicher ist. Man hat zumindest viele der 20er und 30er Jahre Bauten wiederhergestellt und eine gewisse Kleinteiligkeit erhalten. Siehe z.B. ein zufälliges Beispiel, die Hinrichsenstrasse:

    Hinrichsenstrasse

    Perfekt is es natürlich nicht, vor allem Hammerbrook ist eine katestrofe.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • @Heinzer

    Da sind wir uns einig. Die Zeilenbauten und die niedrige Bauhöhe ist ganz klar eine Reaktion auf den Feuersturm. Dichtbebaute Blockrandbauten waren nach 1943 nicht erwünscht - was man ja auch gut verstehen kann.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Die Gebäude auf den obigen Fotos befinden sich allerdings nicht in Wandsbek oder Eilbek,wie angegeben, sondern in Hohenfelde (Güntherstraße)- damals einem der reichsten Stadtteile Hamburgs- bzw. Barmbek (Beethovenstraße). Aber ansonsten stimme ich Deinen Ausführungen zu, Heinzer, insbesondere, was die architektonische Qualität dieser Gründerzeitbauten angeht

  • johan v2: Du hast vollkommen recht mit Deiner Beobachtung in Bezug auf die Innenstadt: Hamburg ist in dieser Hinsicht eine absolute Anomalie in Deutschland. Es gibt sogar eine Karte, in der die Zerstörungsgrade der Innenstädte und der Gesamtstadt getrennt angezeigt werden (also weitergehend als die üblichen über eine simple Googlesuche zu findenden; entsprechend finde ich eine solche auch gerade nicht) - und diese zeigen genau das, was Du sagst: Hamburg ist eine der wenigen (und unter den großen die einzige) deutschen Städte, deren Zerstörungsgrad der Innenstadt unter dem der Gesamtstadt lag


    So schwer eigentlich nicht zu finden: http://archiv.nationalatlas.de/wp-content/art…8-91_archiv.pdf

  • Ok, da bin ich wohl etwas weit von meinem Ziel weggekommen ;), hatte aber zu meiner Verteidigung auch nur "Eilbek, Wandsbek etc." geschrieben - bin da natürlich ein wenig hin- und her "gewandert" auf der Karte und kenne die Stadtteilgrenzen nun auch nicht genau. Im Hamburger Osten liegt es aber. In Eilbek, von dem es dieses sehr bekannte Luftbild nach dem Feuersturm gibt, scheint wirklich fast gar kein Vorkriegshaus mehr zu stehen, aber die Gerippe auf besagtem Bild (z.B. bei Wikipedia) sehen so aus, als hätten diese Häuser ziemlich so wie die gezeigten ausgesehen.

    Ich stimme Deiner Einschätzung zu.In Eilbek und Wandsbek standen (und stehen teilweise noch) Häuser, die den auf Deinen Bildern gezeigten Haustypen durchaus entsprechen. In Eilbek existieren in der Tat nicht mehr sehr viele Gründerzeitbauten. Allerdings gibt es noch einige (zum Teil sehr schöne) Häuser(gruppen) im Bereich Hasselbrookstraße/Hirschgraben und im Auenviertel (Blumenau, Eilenau, Hagenau).

    Einmal editiert, zuletzt von Barmbeker (7. Oktober 2019 um 00:20)

  • Mir ging es mehr um die Fallhöhe,

    Der Begriff "Fallhöhe" versucht in der Literaturbetrachtung plausibel zu machen, warum vornehmlich Fürsten und Könige in Tragödien als tragische Helden dargestellt werden. Anscheinend eignet sich dieser Begriff auch dazu, dem Phänomen des Verfalls der Baukultur im Nachkriegsdeutschland nachzuspüren, wobei allerdings an die Stelle künstlerischer Absicht das sich als Bußübung verstehende Unvermögen getreten war.

    Hier ist allerdings eine Differenzierung geboten. Während in den übrigen deutschen Städten nach 1945 zunächst ein integrierender Wiederaufbau versucht wurde, das Bestreben nämlich, die Wunden des Bombenkriegs möglichst unauffällig durch Anpassung des Neuen an das Überkommene hinsichtlich Materialien und Formen zu heilen, ehe die rüde Moderne auf Auflösung des traditionellen Stadtbilds drängte, verlief die Entwicklung in Hamburg eher umgekehrt. Die Moderne - wenn auch in biederem Heimatstil auftretend - verachtete das Überkommene, distanzierte sich von ihm, versuchte gar, es als Gestriges bloßzustellen; erst später fand man sich Hamburg hier und da bereit, auf integrierende Manier kriegsbedingte Lücken zu schließen.

    Ich habe - aufgrund meines Alters - noch erlebt, wie Bürgerversammlungen über Stadtbauthemen in den sechziger Jahren verliefen. Da wurde viel Unverständnis vorgebracht über das "komische" Ersccheinungsbild wichtiger Straßen im Hamburger Osten (Begrriffe wie "antiurban" hatte man nicht zur Verfügung), und der Vertreter der Baubehörde verwies etwas verlegen darauf, dass Hamburg ziemlich früh den Wiederaufbau in Gang gesetzt hatte. gewissermaßen in einer Zeit, in der radikale Vorschläge im Städtebau noch ungehemmt verwirklicht werden konnten. Darüberhinaus ist aus heutiger Sicht begreiflich, dass die großflächigen Zerstörungen im Hamburger Osten dazu herausforderten. Sie boten die Möglichkeit, radikal umzusteuern und konsequent die Backsteinstadt in Verbindung zur Stadtlandschaftsidee zu verwirklichen. Man suchte natürlich die Anknüpfung an die hervorragenden Großsiedungen der Schumacherr-Ära, allerdings ohne deren Qualitätsstandard auch nur annähernd zu erreichen.

  • Vielleicht sind meine Betrachtungen zum Wiederaufbau Hamburgs hier besser aufgehoben, wir haben mit Philoikódomos ja hier sogar einen ausgemachten Hamburg-Experten. Ich möchte ausgehend von folgendem bekannten Luftbild nach dem Feuersturm vom Stadtteil Eilbek ein paar Bilder zeigen und v.a. den Vorher-Nachherkontrast mit einzelnen Relikten

    (Quelle: wikimedia/gemeinfrei - ursprüngliches Bild: https://www.iwm.org.uk/collections/item/object/205023601)

    Mit dem roten Pfeil markiert ist das einzige wie durch ein Wunder weitgehend unzerstörte Haus Seumestraße 44, auch hier im Schrägbild von Apple Karten mit einer möglichst ähnlichen Perspektive zu erkennen (leider klappt das nicht sehr gut, weil der Winkel deutlich steiler als bei dem Tiefflug über den Stadtteil ist):


    Man erkennt wieder die Minderwertigkeit des Wiederaufbaues, das Haus ist viel höher und tiefer als seine Nachbarn, die ebenfalls 4 Stockwerke haben. Im Hintergrund ("oben links") sind auf beiden Bildern die einzigen anderen (teil)erhaltenen Gebäude zu erkennen: Die Versöhnungskirche und daneben die ehemalige Volksschule Eilbek.

    Das Haus Seumestraße 44 heute:

    Das Haus alleine ist nun keine Offenbarung und hat wahrscheinlich einiges an Dachlandschaft verloren, aber man stelle sich mal den heute äußerst biederen Stadtteil Eilbek ohne Kriegszerstörungen vor.

  • Ja, ich hatte noch überlegt, die Vergangenheitsform zu nutzen, weil ich lange nichts von ihm gelesen hatte, aber da er noch als "Team-Mitglied" geführt wird, dachte ich, er schreibe einfach nur weniger, hatte er ja auch in den vergangenen Jahren schon. Ist er "nur" ausgestiegen oder Schlimmeres geschehen?

  • Die Kölner Innenstadt war dem Erdboden gleichgemacht, das Zentrum von Hamburg überstand den Bombenkrieg wesentlich besser. Das ist der bis heute sichtbare Unterschied.

    In dubio pro reko

  • Das ist der entscheidende Unterschied: Hamburgs Innenstadt hat den Bombenkrieg vergleichsweise gut überstanden, die übelsten Zerstörungen gab es im Osten/Südosten der Stadt. Außerdem hatte die Hamburger Innenstadt das "Glück", nahezu vollständig aus Architektur aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert zu bestehen, die natürlich wesentlich robuster war als etwa eine Fachwerkaltstadt.

    Richtig viel besser gemacht hat Hamburg eigentlich nicht, außer vielleicht einer Art Minimalkonsens, dass das wirkliche Herz der Stadt um den Rathausmarkt möglichst restauriert und nicht neubebaut werden sollte. Zu Gute kam zumindest der östlichen Innenstadt zwischen Hauptbahnhof, Mönckebergstraße und Kontorhausviertel auch, dass die Gegend praktisch historismusfrei war und die dort vorherrschenden Stile zwischen Jugendstil und Expressionismus auch noch/schon 1950 einen Denkmalwert hatten bzw. sogar noch als "zeitgemäß" galten. Weiter westlich in Bereichen mit historistischer Bebauung/Bebauung eher aus dem 19. Jahrhundert wurde selbst im Innenstadtbereich genauso gewütet wie in anderen deutschen Städten (z.B. Esplanade).

    Hinzu kommen wirklich ausgedehnte Bereiche mit nur geringen Kriegszerstörungen im Westen und Norden der Stadt, solche Gebiete gibt es in vielen NRW-Städten schlicht nicht mehr. Dass Hamburg im Kern weiterhin eine "schöne" Stadt ist (auch wenn das mit der schönsten Stadt Deutschlands natürlich Kokolores bzw. überbordender Lokalpatriotismus ist), liegt neben den in erhaltenen Bereichen wirklich ordentlichen Architektur auch an den naturräumlichen Besonderheiten mit einem großen See mitten in der Stadt und dem Hafen-/Elbpanorama ebenfalls direkt angrenzend an das Zentrum.

  • Das ist der entscheidende Unterschied: Hamburgs Innenstadt hat den Bombenkrieg vergleichsweise gut überstanden, die übelsten Zerstörungen gab es im Osten/Südosten der Stadt. Außerdem hatte die Hamburger Innenstadt das "Glück", nahezu vollständig aus Architektur aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert zu bestehen, die natürlich wesentlich robuster war als etwa eine Fachwerkaltstadt.

    Das finde ich sehr interessant, könntest Du das näher ausführen?

    Bei einer Suche nach den Schäden fand ich eine große Aufstellung von Schadenskarten in Form einer PDF, die durch Googeln nach "Hamburg III-1 – III-20" auffindbar ist.

    Auf Seite 17 und 18 gibt es eine Übersicht mit Stand Frühjahr 1946, auf der ich nach längerem Suchen tatsächlich zwei kleinere Areale mit "keine Schäden, leichte Schäden bis mittlere Schäden" (offensichtlich so wenig, daß eine Unterscheidung gar nicht lohnt) gefunden habe:

    Mönckebergstraße nach Süden Burchardstraße

    Großneumarkt nach Nordosten bis Kaiser-Wilhelm-Straße

    Ansonsten ist die Innenstadt zu mindestens 90 % in gelb eingezeichnet, und das steht für "unbedingter Totalschaden".

    Easy does it.

  • Also hier kann man die Schäden in der Innenstadt Stand Januar 1944 (also nach dem Feuersturm) sehr gut sehen:

    Quelle: https://www.degruyter.com/document/doi/1…625011-013/html

    Im Osten nur angeschnitten die Gebiete mit totaler Zerstörung durch den Feuersturm im Juli 1943.

    Weiter unten in dem Buch befindet sich auch noch eine Schadenskarte aus dem Jahr 1946, in dem man erneut gut erkennen kann, dass der Kernbereich der Innenstadt gut davongekommen ist, auch wenn es danach noch einige Treffer gegeben hat. Die Gebiete mit den übelsten Schäden im Innenstadtbereich befinden sich ungefähr dort, wo auch heute noch Nachkriegstristesse herrscht in der Innenstadt (v.a. in dem zentralen Ost-West-Korridor um die Willy-Brandt-Straße):

    Hier sieht man das auch ganz gut: Das eigentliche Geschäftszentrum Hamburgs zwischen Jungfernstieg, Rathausmarkt und Mönckebergstraße ist NICHT flächig zerstört worden. Schlimmste Zerstörung im westlichen/südlichen Bereich der Innenstadt, der auch heute noch über weite Strecken hässlich ist.

    Es gibt auch eine schöne Karte mit diesen Ringdiagrammen, die aber zwischen Zerstörung Innenstadt und Vorstädte unterscheidet, da ist Hamburg eine der wenigen Städte in Deutschland, in der die Innenstadt einen geringeren Zerstörungsgrad aufweist als die äußeren Stadtteile. Die ist auch hier im Forum schonmal verlinkt worden, leider kann ich sie nicht auf die Schnelle finden.

    Insgesamt bleibt meine Aussage mit den vergleichsweise geringen Zerstörungen der Innenstadt aufgrund einer recht soliden Bauweise und einfachem Glück korrekt. Sowohl das innere Zentrum um den Rathausmarkt als auch die einmaligen Ensembles des Kontorhausviertels und der Speicherstadt sind recht glimpflich davongekommen. Wie hoch der Anteil eines historisierenden Wiederaufbaus ist, kann ich nicht beurteilen (glaube eher, dass der gering sein dürfte), aber ich habe Augen und kann erkennen, dass Hamburg im Zentrum einen überraschend hohen Anteil an Vorkriegsfassaden aufweist.

  • Das Thema hatten wir in den Hamburg-Threads schon öfter. In Summe wurde Hamburg schwerst getroffen. Aber ausgerechnet die für das Stadtbild wichtigsten Bereiche rings um Rathaus und Binnenalster sind vergleichsweise glimpflich davongekommen.

    Der Grund liegt darin, dass bei mehreren Großangriffen der Westwind stärker war als kalkuliert und die Markierungsbomben nach Osten verdriftet hat. Die riesigen gründerzeitlichen Wohngebiete östlich der Innenstadt wurden so praktisch ausradiert, während das Rathaus, das eigentlich Mittelpunkt der Bombardements werden sollte, den Krieg ohne einen einzigen Treffer überstand.