Zunächst einmal „Rechte Räume“ ist als beschreibenden Begriff natürlich Unfug. Trotzdem lassen wir diesen Begriff mal stehen, denn wenn es bei Architektur und Städtebau um Rechte Netzwerke, oder um größenwahnsinnige Stadtplanungsprojekte im NS-Zeitgeist steht, dann wird man besonders in der Wiederaufbaumoderne fündig. Die bewusste Verdrängung dieser Thematik ist enorm. Es herrscht immer noch eine weit verbreitete Geschichtsvergessenheit, Verherrlichung und falsch verstandene Verharmlosung von bedeutenden Nachkriegsarchitekten und Stadtplanern, die bereits in der Nazizeit Karriere machten. In diesem Sinne sollte man „Rechte Räume“ bzw. „Rechte Architekten“ in der Moderne und in der Nachkriegsarchitektur identifizieren und benennen und kein Schluss mit den Erinnern machen.
Allmachtsanspruch der Modernisten
Bereits die klassische Moderne von Le Corbusier, Mies van der Rohe, Gropius gewann ihre Kraft aus der Stadtfeindschaft. Wo immer die Stadt von diesen modernistischen Führungsgestalten beschrieben wurde, galt sie als verschmutztes Übel, das zu hygienisieren und aufzuräumen galt. Der Moloch Großstadt sollte sollte von der historisch gewachsenen Struktur geheilt werden und durch Ordnung in übersichtliche, funktionell getrennte Nachbarschaften gegliedert werden. Vielfach leitete sich daraus ein Allmachtsanspruch der „Lichtgestalten der Moderne“ ab, der bei Le Corbusier z. B. teilweise schon faschistische Züge annahm.
Die Rationalisierung der Bauformen der Moderne führte in Deutschland zu teilweise erschreckenden Auswüchsen. Bauhausschüler Fritz Ertl, der im KZ Auschwitz als stellvertretender Leiter der SS-Zentralbauleitung tätig war, plante die kaltblütige bauliche Gestaltung des Vernichtungslagers. Bauhäusler Mies van der Rohe trat bereits 1934 trat in die Reichskulturkammer ein, im selben Jahr unterzeichnete er einen Aufruf von Kulturschaffenden zur Unterstützung Hitlers und nahm an der Ausstellung "Deutsches Volk - Deutsche Arbeit" teil. Als nützliche Gehilfen im 3. Reich gab es unter den führenden Architekten und Stadtplanern die üblichen Mitläufer, viele Karrieristen aber auch stramme Nazis. Doch was alle miteinander Verband, war der Wille zur Machterhaltung unabhängig vom herrschenden politischen System. Ziel war es offensichtlich mit allen Mitteln das neue, moderne Bauen und Planen durchzusetzen.
Rechte Räume beim Wiederaufbau und in der Nachkriegsmoderne
Während sich die zeitgenössische Architekturforschung vor allem an so genannte, angebliche „Rechte Räume“ bei Rekonstruktionsprojekten abarbeitet, ist das Wirken der Nachkriegsplaner mit einem regelrechten Tabu behaftet. Die Wissenschaft bleibt bei diesem Thema weitgehend stumm. Ausnahmen sind Winfried Nerdinger (Buch "Architektur und Verbrechen") und der Architekturgelehrte Werner Durth, der das Thema in den Fokus seiner Forschung nahm. Seine Bücher dazu sind mittlerweile sogar im Antiquariatsbereich rar geworden. Seiner Ansicht nach gab es keine "Stunde Null" bei Kriegsende, denn die Mehrzahl der Architekten, die bereits zur Zeit des Nationalsozialismus geplant und gebaut hatten, besetzten auch nach 1945 wieder entscheidende Ämter und knüpften an die modernistischen Vorkriegsplanungen an.
Netzwerkarbeit - z. B. das Anholter Treffen
Ein großes Netzwerk modernistisch geprägter Architekten und Stadtplaner entstand in der NS-Zeit, als Albert Speer nach einem Erlaß Hitlers einen Arbeitsstab zum Wiederaufbau bombenbeschädigter Städte einrichtete. Rudolf Wolters wurde dabei am 1. Januar 1944 zum Leiter des „Arbeitsstabes zur Wiederaufbauplanung zerstörter Städte“. Im Arbeitsstab wurden u.a. Richtlinien für den Wiederaufbau entwickelt, die nach 1945 teilweise übernommen und realisiert wurden. Im Arbeitsstab entwickelte sich ein Geflecht von persönlichen und sachlichen Beziehungen, das nach dem Ende des Regimes in den Jahren des Wiederaufbaus in Westdeutschland weiterhin sorgsam gepflegt wurde. Rudolf Wolters war nach dem Krieg Stadtplaner in Coesfeld und rief seine Arbeitsstabskollegen aus der NS-Zeit bereits 1947 zum so genannten, regelmäßig stattfindenden Anholter Treffen auf der Burg Anhalt zusammen. Mit Blick auf Deutschlands Zukunft – und die eigene – sollte nun auf künftige Entwicklungen Einfluss genommen und sollten Schlüsselpositionen besetzt werden. Unter den Teilnehmern war u.a. Friedrich Tamms, Ernst Neufert (1936 Standardwerk Bauentwurfslehre, 1943 Reichsbeauftragter für Baunormung) und Konstanty Gutschow.
Der Düsseldorfer Architektenstreit
Wie in den meisten Städten Westdeutschlands bestimmten nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Düsseldorf Architekten den Wiederaufbau, die bereits im Dritten Reich eine führende Rolle gespielt hatten. 1948 bis 1954 war der auch im 3. Reich im Wiederaufbaustab von Speer tätige Friedrich Tamms Leiter des Stadtplanungsamtes in Düsseldorf. Seine Wiederaufbaupläne waren angelehnt an die Pläne von 1944 von Hanns Dustmann, ehemals "Reichsarchitekt der Hitlerjugend" und Mitglied im Wiederaufstab um Albert Speer. Sie sahen u.a. einen Straßendurchbruch parallel zur Königsallee vor. Tamms bevorzugte eine Personalpolitik, die ehemals hochgestellte Freunde von ihm wie Konstanty Gutschow oder Rudolf Wolters begünstigte, was zum "Düsseldorfer Architektenstreit" führte. Der Streit eskalierte, als Julius Schulte-Frohlinde (ehemals Reichsarchitekt der Deutschen Arbeitsfront, in Speers Arbeitsstab für den Wiederaufbau und Mitglied in Hitlers Gottbegnadeten-Liste der wichtigsten Architekten), auf Betreiben von Tamms 1952 zum Leiter des Düsseldorfer Hochbauamtes berufen wurde. Doch der Protest von Architekten, die nicht beim Wiederaufbau zum Zuge kamen, verpuffte. An der Vergabepraxis in Düsseldorf durch Tamms änderte sich nichts. Düsseldorf ist damit ein gutes Beispiel für die Seilschaften und Begünstigungsmentalität von NS-Karrieristen nach dem Krieg.
Berlin - einfach weiter machen wie bisher...
Der Architekt Hans Stephan wurde vom nach dem Krieg verurteilten Kriegsverbrecher Albert Speer 1937 zum Generalbauinspektor der Reichshauptstadt ernannt. Neben Rudolf Wolters und Willi Schelkes konzipierte Stephan als Abteilungsleiter die Neugestaltung Berlins und plante u.a. die Ost-West-Achse. 1943 wurde er in Speers Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte berufen. Nach dem Krieg ging seine Karriere munter weiter. Ab 1948 arbeitete er - trotz einiger Proteste wieder in Berlin. Zunächst in der Magistratsbauverwaltung beschäftigt, übernahm er 1953 die Leitung der Landes- und Stadtplanung beim Senator für Bau- und Wohnungswesen in West-Berlin und stieg 1956 sogar zum Senatsbaudirektor auf. In dieser Funktion war er auch planend an der Interbau 1957 beteiligt und zeigte seine zerstörerischen Pläne für Berlin-Wedding. Erst 1960 trat "Speer Erbe" auf politischen Druck von seinem Amt als Senatsbaudirektor zurück.
Hamburg - Karrieren enden nicht
Von 1925 bis 1929 war Werner Hebebrand Mitarbeiter beim Frankfurter Hochbauamt und war in dieser Stellung am Projekt Neues Frankfurt unter Ernst May beteiligt. Während der NS-Zeit war Hebebrand an der Planung der „Stadt der Hermann-Göring-Werke“, dem späteren Salzgitter, beteiligt und wurde 1944 in Albert Speers Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte berufen. Nach dem Krieg war er 1946 auf Vorschlag seines ehemaligen Kollegen und Leiters des Hochbauamts Eugen Blanck zum Leiter des Stadtplanungsamts von Frankfurt am Main ernannt wurde. Von 1952 bis 1964 war er dann Oberbaudirektor in Hamburg. Mit seinem Aufbauplan von 1960 zeigte er einen rigorosen Umgang mit der historischen Baubestand und propagierte die autogerechte Stadt. Hebebrand hatte maßgeblichen Anteil daran, dass die zuvor unter Denkmalschutz stehenden, im Krieg nur leicht beschädigten klassizistischen Häuser an der Hamburger Esplanade im Jahr 1958 abgerissen wurden, um sie durch Hochhausbauten zu ersetzen. Nach dem Stadtzerstörer Werner Hebebrand sind bis heute Straßen und Brücken in Hamburg benannt.
Hannover- die Stadtzerstörer
Rudolf Hillebrecht (Ehrenmitglied des Werkbundes ) 1939 vom Hamburger Gauleiter mit der Aufstellung eines Generalbebauungsplans für die „Führerstadt“ Hamburg beauftragt. Ab 1944 war er in Albert Speers Wiederaufbaustab tätig. Ab 1948 als Stadtbaurat in Hannover führte Hillebrecht mit Unterstützung von Konstanty Gutschow (einst organisatorische Leitungsfunktion in Speers Wiederaufbaustab) die im 3. Reich entwickelten Konzepte in Hannover fort und avancierte mit seinem radikalen Stadtumbau („Neu“ - statt „Wiederaufbau“) zum gefeierten Planer mit Vorbildcharakter im Nachkriegsdeutschland. Als einer der größten Stadtzerstörer und Verfechter der autogerechten Stadt ließ Hillebrecht zahlreiche historische Gebäude nach dem Krieg abreißen (u.a. Flusswasserkunst und das Friederikenschlösschen). Zur Seite standen Hillebrecht weitere Architektengrößen des 3. Reichs: Hans Stosberg 1941 bis 1943 Sonderbevollmächtigter für den Bebauungsplan der Stadt Auschwitz als „germanische Mustersiedlung“. 1948 bis 1968 war er Leiter des Stadtplanungsamtes Hannover. Desweiteren war der Bremer Architekt Wilhelm Wortmann unter Hillebrecht tätig, der auch in Speers Wiederaufbaustab war und der nach dem Krieg 1951 den Flächennutzungsplan für Hannover entwickelte.
Frankfurt am Main - irrsinnige Verpflechtungen
Wer im 3. Reich an den Schalthebeln saß, der machte auch nach dem Krieg in Frankfurt am Main beim modernen Wiederaufbau Karriere. Eugen Blanck (Planungs- und Baudezernent 1946-48) gehörte im modernistisch geprägten „Neuen Frankfurt“ dem Planungsstab von Ernst May an. Im Dritten Reich war Blanck u.a. Mitglied im Wiederaufbaustab des Reichsministers Albert Speer. Auf Vorschlag von Blanck gelangte dann Werner Hebebrand (einst im Wiederaufbaustab von Speer) in das Amt des Leiters des Stadtplanungsamtes. Nachfolger von Hebebrand wurde Herbert Boehm. Er war als Leiter des Stadtplanungsamtes bis zu seinem Tod 1954 tätig. Auch er legte im Dritten Reich eine beachtliche Karriere hin. Boehm war auch einer der Protagonisten des Neuen Bauens unter Ernst May im Frankfurter Stadtbauamt in den 20iger Jahren. Brisant auch die Rolle von Adolf Miersch, Frankfurter Planungs- und Baudezernent von 1954 bis 1955. Miersch stand nicht nur für unsägliche Straßendurchbrüche wie die Berliner Straße und für rücksichtslose Nachkriegsabrisse, sondern auch für eine beispiellose Amtstreue während der NS-Zeit. Er war für die Frankfurter Arisierungsliste zuständig. Miersch war übrigens auch einer der Stellvertreter von Ernst May in den zwanziger Jahren im Siedlungsamt von Frankfurt am Main und begeisterter Anhänger des „Neuen Bauens“. Miersch hatte zudem in der NS-Zeit die Umbauplanungen für Frankfurt als „Stadt des Deutschen Handwerks“ mitbestimmt. Adolf Miersch ist u.a. Ehrenbürger der Frankfurter Universität und hat eine Ehrengrabstätte auf dem Frankfurter Südfriedhof.
Fazit: Wiederaufbaumodernisten taugen nicht als Vorbild
Bei allen aufgeführten Beispielen sieht man die Durchlässigkeit der Karrieren in verschieden Systemen, mutmaßliche Seilschaften und Beziehungsnetzwerke und die bruchlose Verfolgung der modernistischen Ideen der Stadtplaner von der Vorkriegszeit, über die Kriegszeit bis hin zur Wiederaufbauzeit. Es wird schnell klar: Die Werke der Nachkriegsarchitekten taugen nicht als moralisch vorbildliche Beispiele für unbelastete Aufbauleistungen. Die aufgeführten Stadtplaner und Baudezernenten waren in wichtigen Positionen im Dritten Reich tätig und bestimmten mit ihren Planungen und Bauten die Zeit des modernen Wiederaufbaus. Als „Vertreter der Moderne“ stehen diese Personen scheinbar bis heute außerhalb jeglicher Kritik und werden von den Städten und hohen Institutionen bis heute verehrt. Man möchte bestimmt keine Hexenjagd auf die längst verstorbenen Architekten und Stadtplaner veranstalten – trotzdem ist es etwas irritierend, wenn bis heute das Thema vielfach verschwiegen wird. Ausgerechnet die Modernisten aus einer Kollektivschuld auszusparen ist geradezu grotesk. Es ist zudem befremdlich, dass bei Rekonstruktionen immer wieder eine Verbindung zum Dritten Reich gesucht wird und dagegen das Vorleben der modernen Nachkriegsplaner offensichtlich keine kritische Untersuchung wert ist. Es liegt der Verdacht nahe, dass die Anhänger traditioneller Architektur mit allen Mitteln diskreditiert werden sollen, während die modernistischen Wiederaufbauarchitekten und Planer mit ihrem Lebenslauf und Wirken außerhalb jeglicher Kritik stehen.