„Rechte Räume“ in der Wiederaufbaumoderne

  • Zunächst einmal „Rechte Räume“ ist als beschreibenden Begriff natürlich Unfug. Trotzdem lassen wir diesen Begriff mal stehen, denn wenn es bei Architektur und Städtebau um Rechte Netzwerke, oder um größenwahnsinnige Stadtplanungsprojekte im NS-Zeitgeist steht, dann wird man besonders in der Wiederaufbaumoderne fündig. Die bewusste Verdrängung dieser Thematik ist enorm. Es herrscht immer noch eine weit verbreitete Geschichtsvergessenheit, Verherrlichung und falsch verstandene Verharmlosung von bedeutenden Nachkriegsarchitekten und Stadtplanern, die bereits in der Nazizeit Karriere machten. In diesem Sinne sollte man „Rechte Räume“ bzw. „Rechte Architekten“ in der Moderne und in der Nachkriegsarchitektur identifizieren und benennen und kein Schluss mit den Erinnern machen.

    Allmachtsanspruch der Modernisten

    Bereits die klassische Moderne von Le Corbusier, Mies van der Rohe, Gropius gewann ihre Kraft aus der Stadtfeindschaft. Wo immer die Stadt von diesen modernistischen Führungsgestalten beschrieben wurde, galt sie als verschmutztes Übel, das zu hygienisieren und aufzuräumen galt. Der Moloch Großstadt sollte sollte von der historisch gewachsenen Struktur geheilt werden und durch Ordnung in übersichtliche, funktionell getrennte Nachbarschaften gegliedert werden. Vielfach leitete sich daraus ein Allmachtsanspruch der „Lichtgestalten der Moderne“ ab, der bei Le Corbusier z. B. teilweise schon faschistische Züge annahm.

    Die Rationalisierung der Bauformen der Moderne führte in Deutschland zu teilweise erschreckenden Auswüchsen. Bauhausschüler Fritz Ertl, der im KZ Auschwitz als stellvertretender Leiter der SS-Zentralbauleitung tätig war, plante die kaltblütige bauliche Gestaltung des Vernichtungslagers. Bauhäusler Mies van der Rohe trat bereits 1934 trat in die Reichskulturkammer ein, im selben Jahr unterzeichnete er einen Aufruf von Kulturschaffenden zur Unterstützung Hitlers und nahm an der Ausstellung "Deutsches Volk - Deutsche Arbeit" teil. Als nützliche Gehilfen im 3. Reich gab es unter den führenden Architekten und Stadtplanern die üblichen Mitläufer, viele Karrieristen aber auch stramme Nazis. Doch was alle miteinander Verband, war der Wille zur Machterhaltung unabhängig vom herrschenden politischen System. Ziel war es offensichtlich mit allen Mitteln das neue, moderne Bauen und Planen durchzusetzen.

    Rechte Räume beim Wiederaufbau und in der Nachkriegsmoderne

    Während sich die zeitgenössische Architekturforschung vor allem an so genannte, angebliche „Rechte Räume“ bei Rekonstruktionsprojekten abarbeitet, ist das Wirken der Nachkriegsplaner mit einem regelrechten Tabu behaftet. Die Wissenschaft bleibt bei diesem Thema weitgehend stumm. Ausnahmen sind Winfried Nerdinger (Buch "Architektur und Verbrechen") und der Architekturgelehrte Werner Durth, der das Thema in den Fokus seiner Forschung nahm. Seine Bücher dazu sind mittlerweile sogar im Antiquariatsbereich rar geworden. Seiner Ansicht nach gab es keine "Stunde Null" bei Kriegsende, denn die Mehrzahl der Architekten, die bereits zur Zeit des Nationalsozialismus geplant und gebaut hatten, besetzten auch nach 1945 wieder entscheidende Ämter und knüpften an die modernistischen Vorkriegsplanungen an.

    Netzwerkarbeit - z. B. das Anholter Treffen

    Ein großes Netzwerk modernistisch geprägter Architekten und Stadtplaner entstand in der NS-Zeit, als Albert Speer nach einem Erlaß Hitlers einen Arbeitsstab zum Wiederaufbau bombenbeschädigter Städte einrichtete. Rudolf Wolters wurde dabei am 1. Januar 1944 zum Leiter des „Arbeitsstabes zur Wiederaufbauplanung zerstörter Städte“. Im Arbeitsstab wurden u.a. Richtlinien für den Wiederaufbau entwickelt, die nach 1945 teilweise übernommen und realisiert wurden. Im Arbeitsstab entwickelte sich ein Geflecht von persönlichen und sachlichen Beziehungen, das nach dem Ende des Regimes in den Jahren des Wiederaufbaus in Westdeutschland weiterhin sorgsam gepflegt wurde. Rudolf Wolters war nach dem Krieg Stadtplaner in Coesfeld und rief seine Arbeitsstabskollegen aus der NS-Zeit bereits 1947 zum so genannten, regelmäßig stattfindenden Anholter Treffen auf der Burg Anhalt zusammen. Mit Blick auf Deutschlands Zukunft – und die eigene – sollte nun auf künftige Entwicklungen Einfluss genommen und sollten Schlüsselpositionen besetzt werden. Unter den Teilnehmern war u.a. Friedrich Tamms, Ernst Neufert (1936 Standardwerk Bauentwurfslehre, 1943 Reichsbeauftragter für Baunormung) und Konstanty Gutschow.

    Der Düsseldorfer Architektenstreit

    Wie in den meisten Städten Westdeutschlands bestimmten nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Düsseldorf Architekten den Wiederaufbau, die bereits im Dritten Reich eine führende Rolle gespielt hatten. 1948 bis 1954 war der auch im 3. Reich im Wiederaufbaustab von Speer tätige Friedrich Tamms Leiter des Stadtplanungsamtes in Düsseldorf. Seine Wiederaufbaupläne waren angelehnt an die Pläne von 1944 von Hanns Dustmann, ehemals "Reichsarchitekt der Hitlerjugend" und Mitglied im Wiederaufstab um Albert Speer. Sie sahen u.a. einen Straßendurchbruch parallel zur Königsallee vor. Tamms bevorzugte eine Personalpolitik, die ehemals hochgestellte Freunde von ihm wie Konstanty Gutschow oder Rudolf Wolters begünstigte, was zum "Düsseldorfer Architektenstreit" führte. Der Streit eskalierte, als Julius Schulte-Frohlinde (ehemals Reichsarchitekt der Deutschen Arbeitsfront, in Speers Arbeitsstab für den Wiederaufbau und Mitglied in Hitlers Gottbegnadeten-Liste der wichtigsten Architekten), auf Betreiben von Tamms 1952 zum Leiter des Düsseldorfer Hochbauamtes berufen wurde. Doch der Protest von Architekten, die nicht beim Wiederaufbau zum Zuge kamen, verpuffte. An der Vergabepraxis in Düsseldorf durch Tamms änderte sich nichts. Düsseldorf ist damit ein gutes Beispiel für die Seilschaften und Begünstigungsmentalität von NS-Karrieristen nach dem Krieg.

    Berlin - einfach weiter machen wie bisher...

    Der Architekt Hans Stephan wurde vom nach dem Krieg verurteilten Kriegsverbrecher Albert Speer 1937 zum Generalbauinspektor der Reichshauptstadt ernannt. Neben Rudolf Wolters und Willi Schelkes konzipierte Stephan als Abteilungsleiter die Neugestaltung Berlins und plante u.a. die Ost-West-Achse. 1943 wurde er in Speers Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte berufen. Nach dem Krieg ging seine Karriere munter weiter. Ab 1948 arbeitete er - trotz einiger Proteste wieder in Berlin. Zunächst in der Magistratsbauverwaltung beschäftigt, übernahm er 1953 die Leitung der Landes- und Stadtplanung beim Senator für Bau- und Wohnungswesen in West-Berlin und stieg 1956 sogar zum Senatsbaudirektor auf. In dieser Funktion war er auch planend an der Interbau 1957 beteiligt und zeigte seine zerstörerischen Pläne für Berlin-Wedding. Erst 1960 trat "Speer Erbe" auf politischen Druck von seinem Amt als Senatsbaudirektor zurück.

    Hamburg - Karrieren enden nicht

    Von 1925 bis 1929 war Werner Hebebrand Mitarbeiter beim Frankfurter Hochbauamt und war in dieser Stellung am Projekt Neues Frankfurt unter Ernst May beteiligt. Während der NS-Zeit war Hebebrand an der Planung der „Stadt der Hermann-Göring-Werke“, dem späteren Salzgitter, beteiligt und wurde 1944 in Albert Speers Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte berufen. Nach dem Krieg war er 1946 auf Vorschlag seines ehemaligen Kollegen und Leiters des Hochbauamts Eugen Blanck zum Leiter des Stadtplanungsamts von Frankfurt am Main ernannt wurde. Von 1952 bis 1964 war er dann Oberbaudirektor in Hamburg. Mit seinem Aufbauplan von 1960 zeigte er einen rigorosen Umgang mit der historischen Baubestand und propagierte die autogerechte Stadt. Hebebrand hatte maßgeblichen Anteil daran, dass die zuvor unter Denkmalschutz stehenden, im Krieg nur leicht beschädigten klassizistischen Häuser an der Hamburger Esplanade im Jahr 1958 abgerissen wurden, um sie durch Hochhausbauten zu ersetzen. Nach dem Stadtzerstörer Werner Hebebrand sind bis heute Straßen und Brücken in Hamburg benannt.

    Hannover- die Stadtzerstörer

    Rudolf Hillebrecht (Ehrenmitglied des Werkbundes ) 1939 vom Hamburger Gauleiter mit der Aufstellung eines Generalbebauungsplans für die „Führerstadt“ Hamburg beauftragt. Ab 1944 war er in Albert Speers Wiederaufbaustab tätig. Ab 1948 als Stadtbaurat in Hannover führte Hillebrecht mit Unterstützung von Konstanty Gutschow (einst organisatorische Leitungsfunktion in Speers Wiederaufbaustab) die im 3. Reich entwickelten Konzepte in Hannover fort und avancierte mit seinem radikalen Stadtumbau („Neu“ - statt „Wiederaufbau“) zum gefeierten Planer mit Vorbildcharakter im Nachkriegsdeutschland. Als einer der größten Stadtzerstörer und Verfechter der autogerechten Stadt ließ Hillebrecht zahlreiche historische Gebäude nach dem Krieg abreißen (u.a. Flusswasserkunst und das Friederikenschlösschen). Zur Seite standen Hillebrecht weitere Architektengrößen des 3. Reichs: Hans Stosberg 1941 bis 1943 Sonderbevollmächtigter für den Bebauungsplan der Stadt Auschwitz als „germanische Mustersiedlung“. 1948 bis 1968 war er Leiter des Stadtplanungsamtes Hannover. Desweiteren war der Bremer Architekt Wilhelm Wortmann unter Hillebrecht tätig, der auch in Speers Wiederaufbaustab war und der nach dem Krieg 1951 den Flächennutzungsplan für Hannover entwickelte.

    Frankfurt am Main - irrsinnige Verpflechtungen

    Wer im 3. Reich an den Schalthebeln saß, der machte auch nach dem Krieg in Frankfurt am Main beim modernen Wiederaufbau Karriere. Eugen Blanck (Planungs- und Baudezernent 1946-48) gehörte im modernistisch geprägten „Neuen Frankfurt“ dem Planungsstab von Ernst May an. Im Dritten Reich war Blanck u.a. Mitglied im Wiederaufbaustab des Reichsministers Albert Speer. Auf Vorschlag von Blanck gelangte dann Werner Hebebrand (einst im Wiederaufbaustab von Speer) in das Amt des Leiters des Stadtplanungsamtes. Nachfolger von Hebebrand wurde Herbert Boehm. Er war als Leiter des Stadtplanungsamtes bis zu seinem Tod 1954 tätig. Auch er legte im Dritten Reich eine beachtliche Karriere hin. Boehm war auch einer der Protagonisten des Neuen Bauens unter Ernst May im Frankfurter Stadtbauamt in den 20iger Jahren. Brisant auch die Rolle von Adolf Miersch, Frankfurter Planungs- und Baudezernent von 1954 bis 1955. Miersch stand nicht nur für unsägliche Straßendurchbrüche wie die Berliner Straße und für rücksichtslose Nachkriegsabrisse, sondern auch für eine beispiellose Amtstreue während der NS-Zeit. Er war für die Frankfurter Arisierungsliste zuständig. Miersch war übrigens auch einer der Stellvertreter von Ernst May in den zwanziger Jahren im Siedlungsamt von Frankfurt am Main und begeisterter Anhänger des „Neuen Bauens“. Miersch hatte zudem in der NS-Zeit die Umbauplanungen für Frankfurt als „Stadt des Deutschen Handwerks“ mitbestimmt. Adolf Miersch ist u.a. Ehrenbürger der Frankfurter Universität und hat eine Ehrengrabstätte auf dem Frankfurter Südfriedhof.

    Fazit: Wiederaufbaumodernisten taugen nicht als Vorbild

    Bei allen aufgeführten Beispielen sieht man die Durchlässigkeit der Karrieren in verschieden Systemen, mutmaßliche Seilschaften und Beziehungsnetzwerke und die bruchlose Verfolgung der modernistischen Ideen der Stadtplaner von der Vorkriegszeit, über die Kriegszeit bis hin zur Wiederaufbauzeit. Es wird schnell klar: Die Werke der Nachkriegsarchitekten taugen nicht als moralisch vorbildliche Beispiele für unbelastete Aufbauleistungen. Die aufgeführten Stadtplaner und Baudezernenten waren in wichtigen Positionen im Dritten Reich tätig und bestimmten mit ihren Planungen und Bauten die Zeit des modernen Wiederaufbaus. Als „Vertreter der Moderne“ stehen diese Personen scheinbar bis heute außerhalb jeglicher Kritik und werden von den Städten und hohen Institutionen bis heute verehrt. Man möchte bestimmt keine Hexenjagd auf die längst verstorbenen Architekten und Stadtplaner veranstalten – trotzdem ist es etwas irritierend, wenn bis heute das Thema vielfach verschwiegen wird. Ausgerechnet die Modernisten aus einer Kollektivschuld auszusparen ist geradezu grotesk. Es ist zudem befremdlich, dass bei Rekonstruktionen immer wieder eine Verbindung zum Dritten Reich gesucht wird und dagegen das Vorleben der modernen Nachkriegsplaner offensichtlich keine kritische Untersuchung wert ist. Es liegt der Verdacht nahe, dass die Anhänger traditioneller Architektur mit allen Mitteln diskreditiert werden sollen, während die modernistischen Wiederaufbauarchitekten und Planer mit ihrem Lebenslauf und Wirken außerhalb jeglicher Kritik stehen.

    ...

  • Zuerst hab ich mir gedacht - um Gottes Willen, was kommt jetzt, nicht schon wieder dieser Rechtfertigungsdruck...

    Aber dann ... ein Super-Beitrag.

    Man könnte sogar noch weiter ausholen - NS-Ansätze zur Stadtzerstörung (viel Zeit hatten sie ja nicht in Friedenszeiten, va nicht in Ö) die Inkaufnahme des Bombenkriegs, dh aktive Mitschuld, bzw Zeugnisse, dass das gar nicht so ungern gesehen wurde, sodann gegenüberstellend den "linken Wiederaufbau" im Sinne des sowjetischen Realismus beleuchten, der dem westlichen aus NS-Quellen gespeisten Zugang zunächst entgegengesetzt war...

    und daraus eigentlich schließen, dass unser Zugang zur Stadtbildreparatur eigentlich ein linker ist.

    Problem: Das diesbezügliche Narrativ ist nicht in unserer Hand. Aber für alle, die um eine schlechte Forumsreputation fürchten, ist das sicher ein gutes Thema und ein vernünftiger Versuch. Ja, warum nicht.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Vielleicht sollte ich daraus ein Video machen :/

    Das Thema ist ein Wespennest und leider möchten sich die Anhänger der Nachkriegsmoderne damit nicht auseinander setzen. Die Architekten selbst haben nach dem Krieg alles verneint und sind ungeschoren davon gekommen wie z. B. der nach dem Krieg in Mainz und Wiesbaden tätige Herbert Rimpl.

    ...

  • Dann erst recht ein eindrückliches, reich bebildertes Video herstellen! Vielleicht könnt/wollt Ihr zusammen arbeiten!? Bin gespannt, was dabei heraus kommt. Die werte Forengemeinschaft dient Euch dann sicher mit Freuden als Rezensenten ...

  • Wo bleibt das Arch+ Titelthema dazu? Wo das Studentenprojekt von Oswalt und der kritische Artikel von Trüby dazu?

    ...

  • Beziehungsnetzwerke und die bruchlose Verfolgung der modernistischen Ideen der Stadtplaner von der Vorkriegszeit, über die Kriegszeit bis hin zur Wiederaufbauzeit.

    Sie fordern ständig Brüche und sind nichts weiter als die Enkel eines Albert Speer. Nun fügt sich endlich das Bild zusammen!

  • Anbei eine Magisterarbeit, in der am Beispiel der Stadt Hamburg die Kontinuität zwischen NS-Planung und Nachkriegsmoderne untersucht und belegt wird.

    Die Stadtplanung während der NS-Zeit war nicht konservativ, sondern lag im globalen zeitgenössischen Mainstream. Sie blieb die 12 Jahre von 1933 bis 1945 auch nicht konstant, sondern entwickelte sich in Richtung der typischen Nachkriegsmoderne weiter, wie sie nach 45 umgesetzt wurde.

    Das Bestreben nach mehr Rekos in die rechte Ecke zu schieben, ist sachlich absurd. Die Nazis wollten keine traditionelle Architektur, sondern die gewachsene europäische Stadt eliminieren.

  • Es gibt definitiv einen Zusammenhang zwischen NS-Planungen und der Nachkriegsmoderne. Dennoch muss ich sagen, dass mir einige Bauten der Nachkriegsmoderne in Hannover außerordentlich gut gefallen. Besonders der Altbau der Nord-LB und die ehemalige Preussag Hauptverwaltung (Preussag ist heute TUI) haben es mir angetan. So viel Selbstreflektion muss sein.
    Andererseits ist mit "Rechte Räume" ja nicht ausschließlich die NS-Zeit gemeint. "Autoritäre Architektur" meint ja auch repräsentative Bauten aus der Zeit des Kolonialismus. Und wenn man anfängt Architektur nach der Gesinnung zu bewerten, unter der sie entstanden ist, dann kann man auch unfassbar viele "Rechte Räume" in Frankreich, England, Portugal, Spanien, den Niederlanden und wer weiß wo finden. Das ist eine wirklich blödsinnige Art zu argumentieren, denn man muss ja immer bedenken, dass die Menschen damals ganz anders sozialisiert waren als heute. Damals gab es weder das Internet noch moderne Aufklärung. Aber da fällt es vielen leicht, den moralischen Zeigefinger zu heben.

    Zum Beispiel: In Hannover wird jetzt der Trammplatz in "Platz der Menschenrechte" umbenannt. Denn der Trammplatz ist nach Herrn Heinrich Tramm benannt, der unlängst als angeblich völkischer Ideologe in Ungnade gefallen ist. Verstorbene können sich ja nicht mehr wehren.
    Aber Herr Tramm ist nun mal Teil der Vergangenheit dieser Stadt - zugegeben, möglicherweise nicht der glanzvollste Teil davon. Immerhin war er lediglich Verwaltungsbeamter und kein Feldmarschall. Aber Personen wie Herrn Tramm kann man nach genug vergangener Zeit bequem unter den Teppich kehren. Aber sein bedeutendstes Vermächtnis, das repräsentative Neue Rathaus nämlich, das behält man dann doch ganz gerne. Wäre man konsequent, müsste man es parallel zur Umbenennung abreißen!
    Und die Bezeichnung "Platz der Menschenrechte“ ist schon derart überzeichnet, dass es schon peinlich ist. Ach was sind wir heute nicht alles geläuterte, saubere, makellose, gründliche deutsche Menschen. Unsere Weste ist so weiß, da könnte man fast erblinden!

    Und dasselbe gilt für die Bezeichnung "Rechte Räume". Eine schöne Möglichkeit sich zu profilieren und die eigenen Interessen zu vertreten. Wie gesagt: Verstorbene können sich nicht mehr wehren. Das gilt auch für Architekten.


  • Andererseits ist mit "Rechten Räumen" ja nicht ausschließlich die NS-Zeit gemeint. "Autoritäre Architektur" meint ja auch repräsentative Bauten aus der Zeit des Kolonialismus. Und wenn man anfängt Architektur nach der Gesinnung zu bewerten, unter der sie entstanden ist, dann kann man auch unfassbar viele "Rechte Räume" in Frankreich, England, Portugal, Spanien, den Niederlanden und wer weiß wo finden. Das ist eine wirklich blödsinnige Art zu argumentieren, denn man muss ja immer bedenken, dass die Menschen damals ganz anders sozialisiert waren als heute. Damals gab es weder das Internet noch moderne Aufklärung. Aber da fällt es vielen leicht, den moralischen Zeigefinger zu heben.

    Dem kann ich grundsätzlich nur zustimmen - wobei man zwischen Stadtplanung und Architektur differenzieren muss.

    Die Architektur der 30er bis 50er Jahre war zum Teil recht ansehnlich, und ist rein äußerlich oft kaum von der "politisch unbedenklichen" Architektur der 20er Jahre zu unterscheiden.

    Bezüglich Stadtplanung fällt mein Urteil sehr viel negativer aus. Die Zerstörung der Städte durch die Luftangriffe der Aliierten wurden schon während des Krieges als Chance begriffen, die Altstädte abzuräumen.

  • Ich fürchte ihr beschreibt da aber damit auch das einfachste Argument, um die ,,Nazi-Verbindung" aus den Angeln zu heben: Indem man sagt, dass es einfach eine Kontinuität gab, sind die Stadtplaner und Architekten in derselben Rolle, wie andere Berufsgruppen, die vor, während, und nach dem Nationalsozialismus ihre Berufe ausgeübt haben. Da müsste man eben doch noch mehr ins Detail einsteigen, inwiefern diese Berufsgruppe und im Besonderen Einzelne (womöglich die avantgardistischeren (?)) die nationalsozialistische Ideologie eingenommen und gestützt haben (wie es auch in der oben verlinkten Magisterarbeit auch herausgearbeitet wird). Da wäre im Prinzip ein deutscher oder maximal europäischer Sonderweg auszumachen in der Architektur oder im Städtebau.

  • Der Punkt ist, dass mit einem riesigen Pathos bei Rekoprojekten Geschichtskittung, identitätsstiftende Architektur und Nähe zur rechten Ideologie angeprangert werden. Dabei sind diese Punkte eher bei Bauten/Umbauten aus der Nachkriegsmoderne zu sehen, wie beim 1960-63 modern überbauten Frankfurter Schauspielhaus.

    Mit keinem Satz wird in Oswalts Petition zum Erhalt des modernen Schauspielhauses erwähnt, dass der Leitende Nachkriegsarchitekt Otto Apel einst Mitarbeiter von Speer beim Bau der Reichskanzlei war. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass Apel 1960-63 die erhaltene historische Fassade des Schauspielhaus brutal verstümmelt und überbaut hat. Der Architekt des historischen Schauspielhauses von 1902 Heinrich Seeling, gestorben 1932, hatte dagegen keinerlei Verbindungen zum NS-Staat. Auf diese Punkte muss man immer wieder hinweisen, wenn ein Nachkriegsbauwerk als Ikone und deren Architekten als demokratische Lichtgestalten der Nachkriegsdemokratie hochstilisiert werden.

    ...

  • Das gehört ganz zu Recht alles aufgearbeitet und publik gemacht. Allerdings frage ich mich, ob es als Argumentation in unserem Sinne hilfreich ist, mit "man kehre zuvörderst vor der eignen Thüre" zu kommen. Man akzeptiert dann nämlich, dass die historisch-politische Komponente überhaupt so relevant für das Thema ist, wie Oswalt & Co. es darstellen wollen.

    Das ist aus meiner Sicht nämlich der Knackpunkt: der Verein ist nicht ohne Grund qua Satzung unpolitisch. Man sollte zwar auf jeden Fall falschen Verdächtigungen widersprechen und kann offensichtliche ähnliche Verstrickungen der Modernisten dann nebenbei als Spitze mit erwähnen, aber sollte nicht von selbst ein allzu großes Fass aufmachen. Denn dann streiten wir, statt über Architektur und Städtebau, nur noch über politische Aspekte. Und davon haben wir schon genug. Die Wahrheit ist doch, dass dort, wo entschieden wird - in den Ausschüssen, Gemeindevertretungen und Stadträten - oftmals überparteiliche Allianzen entstehen, wenn es um Bebauungspläne, Gestaltungssatzungen, etc. geht. Da sind doch ganz andere Themen wichtig. Wenn dort nun auch noch in alle Richtungen die Nazikeule geschwungen wird, kann das meiner Meinung nach nicht förderlich sein.

  • Das gehört ganz zu Recht alles aufgearbeitet und publik gemacht. Allerdings frage ich mich, ob es als Argumentation in unserem Sinne hilfreich ist, mit "man kehre zuvörderst vor der eignen Thüre" zu kommen. Man akzeptiert dann nämlich, dass die historisch-politische Komponente überhaupt so relevant für das Thema ist, wie Oswalt & Co. es darstellen wollen.

    ...

    Das ist richtig. Allerdings ist es schon erlaubt faktenbasierte Antworten zu liefern. Wenn die Neue Frankfurter Altstadt als ewiggestrige, geschichtsvergessene, rechtslastiges Projekt bezeichnet wird und im gleichen Atemzug die Nachkriegsbauten mit dem demokratischen Aufbruch gleichgesetzt werden dann ist dort einzugreifen und aufzuklären.

    ...

  • Der NS-Geist war natürlich antibarock und vor allem antigründerzeitlich. Letztlich war er modernistisch, wobei hier keine spezifische Sonderstellung dingfest zu machen ist. Wäre zB das Breslauer Hochhaus ein paar Jahre später errichtet worden, würde man es ganz klar als NS-Bau hinstellen, und die Polen hätten es wohl oder übel abgerissen. So fällt es halt unter "demokratische Zwischenkriegsmoderne".

    Typisch NS ist hingegen der Linzer Brückenkopf, der eine seit dem Mittelalter gewachsene Bebauung rigoros abräumte, weil sie von gründerzeitlichem Phänotyp war. Die Neubebauung hat eher mit dem sowjetischen Realismus was gemeinsam. So wäre wohl auch ein kommunistisches Linz nach seiner fiktiven Zerstörung wiederaufgebaut worden. Letztlich war die NS-Zeit eher antiurban, was sich aus verschiedenen, zT gleichgesetzen Quellen speiste. Die bürgerliche Kultur des fin de siècle war dubios bis verfemt. Daher sah man, so ist es zu vermuten, und es gibt diesbezügliche Belege, die Zerstörung der dt. Stadtlandschaft auch mit einem lachenden Auge.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Allerdings ist es schon erlaubt faktenbasierte Antworten zu liefern.

    Meine Rede:

    Man sollte zwar auf jeden Fall falschen Verdächtigungen widersprechen

    Ich habe mir nur vorgestellt, dass ich die aktuelle Stadtplanung der Verwaltung für die Pirnaische Vorstadt in Dresden öffentlich als Fortsetzung der Pläne für ein Gauforum aus dem Dritten Reich bezeichne und was das für unsere Argumentation vor Ort bringen würde: nämlich nichts. Außerhalb architekturtheoretischer Diskussionen geht's dann eben doch eher um praktische Argumente. Von daher: gerne recherchieren, veröffentlichen, aufklären, und den entsprechenden Leuten den Spiegel vorhalten. Das ist richtig und wichtig! Aber bloß, weil man glaubt, jetzt auch mal jemanden diskreditieren zu können, überall aus allen Rohren zu schießen, finde ich nicht sinnvoll, vor allem nicht im Namen des Vereins. Das hat zwar keiner in der Diskussion hier so explizit gefordert, aber das wollte ich zu bedenken geben.