Deine durchaus legitime Meinung fußt auf einer ganzen Latte von modernistischen Plattitüden, die gegen Rekonstruktionen immer wieder vorgebracht werden und dadurch nicht wahrer werden: Rekonstruktionen wären nicht authentisch, "oberflächliche Schönheit" wäre nicht von einer Mehrheit gewollt, Rekonstruktionen würden so tun, "als hätte es den Krieg nie gegeben" ...
Ich habe explizit gesagt, dass ich den Wunsch nach Rekonstruktionen respektiere. D.h., ich würde mich keiner Rekonstruktion mit Wort oder Tat entgegen stellen. Und natürlich können Rekonstruktionen vernünftig altern. Nur ich persönlich bevorzuge halt den mühsamen Weg neuer besserer Architektur um auf diese Weise ein neues Stadtbild zu erlangen, welches nicht auf Repliken aufbaut. Und mit "oberflächlicher Schönheit" war nicht gemeint, dass Rekonstruktionen oberflächlich aussehen würden. Mir ging es eher darum, dass diese häufig in Beton ausgeführt werden und sich auf die Fassade beschränken. Die Gebäude sind halt nicht wirklich alt und original. Mir persönlich behagt dieser Mangel an Authentizität meistens nicht und ich sehe Rekonstruktionen deshalb mit gemischten Gefühlen. Ihrer rein optischen Schönheit kann ich mich natürlich nicht verschließen.
Das sich eine wirklich größere Zahl an Menschen umfangreiche Rekonstruktionen wünscht, mag ich allerdings bezweifeln. Die meisten Menschen nehmen ja kaum zur Kenntnis, dass Monat für Monat weitere Altbausubstanz verschwindet.
Und zum Thema Rekonstruktionen würden so tun als hätte es den Krieg nie gegeben: Das Gründerviertel z.B. fügt sich in die Stadt ein, ohne die Spuren der Zeit gänzlich zu verwischen. Der Krieg ist Teil der Geschichte der Stadt. Ich finde die Folgen optisch gänzlich unkenntlich zu machen, würde Lübeck in seiner geschichtlichen Erlebbarkeit ganz massiv schaden. Ein Lübeck voller Rekonstruktionen wäre nicht mehr das echte Lübeck, sondern ein ... was auch immer. Mit Architektur ist es wie mit Zwiebelschalen. Jede Epoche hinterlässt ihre Spuren und drückt einer Stadt ihren Stempel auf. Das verstehe ich unter Authentizität. Wünschenswert ist, dass Viertel wie das Gründerviertel Schule machen, und dass mögliche zukünftige Viertel dieser oder ähnlicher Art dann differenzierter ausfallen. Dann wäre meiner Meinung nach eine Menge gewonnen.
Dieses Forum darf sich gerne lauter Rekonstruktionen erträumen. Klar sollte nur sein: bis auf einige wenige Projekte, von auf irgendeiner Weise übergeordneten Interesse, werden es Träume bleiben. Eine fundamentale Kehrtwende in der Architektur hin zu rein klassischem Bauen bedarf einer ebenso fundamentalen Veränderung unserer gesamten Gesellschaft. Und so ein Transformationsprozess dauert Jahrzehnte, wenn damit überhaupt jemals zu rechnen ist. Auch wenn es hart ist: Formulierungen wie "Modernistische Plattitüden" sind einfach nur ein Ausdruck von Hilflosigkeit gegenüber der Realität.