Auch in Wiesbaden werden Abrißbirne und Maurerkelle geschwungen - und beides nicht immer zum Vorteil des Stadtbilds.
Nachdem ich schon in einzelnen Themen über städtebauliche Entwicklungen und Fehlentwicklungen in der hessischen Landeshauptstadt berichtet hatte, habe ich jetzt mal einen allgemeinen Strang aufgemacht, der von dem handelt, was sich in Wiesbaden in letzter Zeit getan hat und was sich in nächster Zeit tun wird - also eine Auswahl der Neubauten, Sanierungen, Umbauten und Abrisse in den letzten drei, vier Jahren, gegenwärtig und in naher Zukunft.
Wir beginnen mit dem ehemaligen Polizeipräsidium in der Friedrichstraße:
Hier der Altbau aus dem Jahr 1904:
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Und das ist der Nachkriegsflügel aus den 50er Jahren, der den im Krieg zerstörten Gebäudeteil ersetzte. Er wird gerade abgerissen. Obwohl ich nun wirklich kein großer Freund der 50er-Jahre-Architektur bin, fand ich diese Fassade zwar nicht gerade schön, aber für diese Epoche gar nicht mal so schlecht.
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Etwas näher ran: Die Fassade ist immerhin markant, mit einigen Feinheiten - da gibt es meines Erachtens wesentlich banalere und schlechtere Bauten aus dieser Zeit.
Ich hätte allerdings gegen einen Abriß keine Bedenken, wenn - an eine Reko des alten Flügels (Bild) ist sowieso nicht zu denken - stattdessen etwas schöneres gebaut würde, etwas, was sich stilistisch wenigstens ansatzweise und zaghaft an den Altbau anlehnt.
Wenn dann aber der Neubau wie ein moderner Klon des 50er-Jahre-Baus daherkommt, dann hätte man letzteren auch stehenlassen können.
Seit dem Erfolg der Hackeschen Höfe in Berlin nennt man einen Komplex mit Büros und Läden gern "Höfe". Der einfallsreiche Name bezieht sich auf das Dernsche Gelände, den Platz, an den der Komplex grenzt.
Wie man an der Grafik sieht, bleibt auch die Fassade des Altbaus nicht ganz von Eingriffen verschont: Seltsame, viel zu hohe Gauben kommen auf das Dach, und die Fenster des Hochparterres werden zu Arkaden heruntergezogen. Andererseits wird die seit dem Krieg fehlende kleine Kuppel rekonstruiert.
Soweit die Ankündigung auf dem Plakat.
Im Vorbeigehen an der Rückseite zur Mauergasse bekam ich dann einen Schrecken, denn es scheint auch dem Altbau an den Kragen zu gehen.
Klärung brachte ein paar Tage später ein Blick in die Zeitung und ein weiterer Blick auf die Abrißstelle: Nur der Zellentrakt wird abgerissen (daher auch die Wetterschutz-Plane). Natürlich stand er wie der Rest des Gebäudes unter Denkmalschutz, aber der Abriß sei genehmigt worden, heißt es, da man die Zellen ja schlecht anders nutzen könne. Außerdem gebe es noch ähnliche Zellengebäude unter anderem in Frankfurt. Das Frankfurter Gerichtsgefängnis wird damit wohl nicht gemeint sein - denn das soll ja ebenfalls abgerissen werden.
Abgerissen wird auch das folgende, in der Kirchgasse (Haupt-Einkaufsstraße Wiesbadens) gelegene Haus. Und das, obwohl der Beirat für Städtebau und Architektur vor Jahren darauf hingewiesen hatte, daß sich hinter der häßlichen Verkleidung sicher eine tolle historische Fassade verberge, die vermutlich nicht ganz abgeschlagen sei. Angeblich ist das Haus völlig marode.
Die herausguckende Säule läßt zumindest erahnen, daß sich unter den Platten ein Kleinod verbergen könnte.
Falls jemandem die Ecke irgendwie bekannt vorkommt: Das Haus steht an der Ecke zur Kleinen Schwalbacher Straße, über die es einen Extra-Strang gibt. http://www.architekturforum.net/viewtopic.php?f=3&t=1801 Ausgerechnet die Stadtentwicklungsgesellschaft Wiesbaden (SEG), die ich für das Engagement in der Kleinen Schwalbacher gelobt hatte, hat dieses Haus nun zum Abbruch erworben. "Auch der Denkmalschutz war involviert", heißt es in der Presse - was auch immer "involviert" hier heißen mag. Man will anstelle des Abrißgebäudes, wie es weiter heißt, mit einer "pfiffigen Architektur" die Leute in der Kleine Schwalbacher locken. Was "pfiffig" wohl heißen wird? Auf jeden Fall von mir ein Pfui an die SEG.
Ebenfalls in der Kirchgasse wurde letztes Jahr ein Gründerzeitler abgerissen. Daß ich das nicht hier im Forum gemeldet und groß angeprangert habe, liegt daran, daß es sich um ein entstucktes und entstelltes, zuletzt unscheinbares Haus handelte und ich mir blöd vorgekommen wäre angesichts der wunderschönen Prachtbauten in anderen Städten, über deren Abriß hier leider immer wieder berichtet wird.
Immerhin scheint der Neubau, der gerade entsteht, für Wiesbadener Verhältnisse akzeptabel zu werden.
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Zum Glück nicht vom Abriß bedroht, aber in einem ziemlich desolaten Zustand ist das Schenksche Haus aus dem Jahre 1817 (was für Wiesbaden ziemlich alt ist) in der Friedrichstraße.
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Wie man sieht, geht hier regelmäßig Wiesbadens geistige Elite vorbei. Man beachte dabei, wer in diesem Gebäude drinsitzt.
Beim Vorbeigehen erschließt sich ein großzügiger rückwärtiger Bereich...
...dem man seine Sanierungsbedürftigkeit ansieht. Daß das Gebäude dem Land Hessen gehört, ist in diesem Zusammenhang nicht gerade ein Ruhmesblatt. Nach dem bevorstehenden Auszug der Polizei soll das Gebäude, das allgemein als wertvolles Baudenkmal anerkannt ist, an die Stadt Wiesbaden verkauft werden, die noch eine neue Nutzung sucht.
Die Polizei zieht demnächst in das fast fertiggestellte "City-Revier" am Platz der Deutschen Einheit. In die Obergeschosse kommen auch Wohnungen. Zu gut, um es zu hassen - zu schlecht, um es zu mögen. Immerhin kein Flachdach.
Dafür abgerissen wurde ein einst repräsentatives, aber völlig heruntergekommenes Gründerzeithaus, das zuletzt eine Teestube für Obachlose beherbergte sowie ein altes Polizeigebäude, das jedoch keinerlei Fassadenzierat (mehr) aufwies und eher unscheinbar war - sowie marode und im Innern extrem von Schimmel befallen. Was natürlich auch nicht aus heiterem Himmel kommt, sondern durch mangelnde Bauunterhaltung. Kritik am Abriß gab es nur deshalb, weil damit ein ehemaliger Folterkeller der Gestapo (und damit Geschichte) entsorgt wurde.
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Wir bleiben am Platz der Deutschen Einheit. Aber besser nicht zu lang, da er zwar einen schönen Namen trägt, aber ansonsten als Pennertreff und Drogenumschlagplatz gilt. Und in städtebaulicher Hinsicht - naja.
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Aufwerten soll den Platz zunächst das City-Revier, ferner eine neue Bebauung, unter anderem eine Sporthalle, deren Wettbewerbsentwürfe hier zu sehen sind. Dafür soll das folgende Gebäude abgerissen werden. Kein wertvolles, aber ein relativ ansehnliches Gebäude, dessen Baujahr ich schwer einschätzen kann (30er Jahre?) wird für weitere modernistische Auswüchse geopfert, die nicht einmal spektakulär sein werden.
[URL=http://g.imageshack.us/img7/dscf6191.
Szenenwechsel: Das sogenannte Luisenforum, ein letztes Jahr eröffnetes Einkaufszentrum, das aus einem bis auf den Betonrohbau auseinandergepflückten und halb abgerissenen Karstadt-Kaufhaus entstand. Bei längerem Betrachten Fassade vor Ort droht Pupillenkrebs. Die grelle Fassade kann man nur dann sportlich nehmen, wenn man weiß, daß der alte Karstadtbau noch häßlicher aussah, nämlich [url=http://i3.photobucket.com/albums/y91/pps…ex-karstadt.jpg]so (Bild)[/url]. Knallorange gegen Kackbraun - ganz knapper Sieg.
Innendrin kam, was kommen mußte: Eine Einkaufspassage, die nicht direkt schlecht geworden ist, aber auch nichts besonderes ist - eben eine von vielen. Könnte in so ziemlich jeder Großstadt stehen.
Keine besonders schöne Farbe hat auch das Gebäude gegenüber - aber das soll die Originalfarbe des 1828 errichteten klassizistischen Baudenkmals sein, die man bei der Sanierung wiederentdeckt hat. Das Gebäude diente einst als Militärhospital, Casino, Millitärschule, später als Sitz der Volkshochschule, und zuletzt - als leerstehende Bruchbude - als Fläche für offizielle Graffiti. So seltsam (Bild) sah es in dieser Zeit aus. Vom Abriß bedroht war es ebenfalls. Nun ist es gerettet, saniert und wird künftig als Kantine einer benachbarten Schule dienen (und offiziell wieder "Casino" heißen).
Das ist das alte Amts- und Landgericht. Seine Tage sind gezählt.
Nein, keine Angst - nicht das Gebäude selbst ist am Ende, sondern seine Nutzung als Gerichtsgebäude.
Im Herbst werden die Gerichte umziehen in das neue, zur Zeit noch im Bau befindliche Justiz- und Verwaltungszentrum in der Mainzer Straße.
So wird es ausehen:
Und so sieht das Gebäude (bislang) in echt aus. Was soll man sagen - Wiesbadener Bausituation...
Auf dieser Höhe ist die Mainzer Straße eine Ausfallstraße in Richtung Autobahn. In Laufnähe befinden sich einige Autohändler, Fastfood-Ketten, Fitness-Center und ein Puff. Ob das eine angemessene Umgebung für die Justiz ist, darüber kann man streiten.
Wenden wir uns lieber ab und wieder dem alten Gerichtsgebäude zu.
Wer hier mal eine zeitlang ein- und aus gegangen ist, wird das Gebäude vermissen - ebenso die Umgebung. Hier gibt es alles um die Ecke, die Fußgängerzone ist in wenigen Minuten zu Fuß erreichbar, und man befindet sich in einem gewachsenen Viertel mit allem drum und dran - während man künftig an einer unwirtlichen Autopiste ausgesetzt wird. Die Inhaber der Geschäfte und Lokale in der angrenzenden Moritzstraße waren natürlich auch nicht gerade begeistert über die Umzugspläne.
Natürlich suchte man nach einem angemessenen Nachnutzer für das schöne Gebäude, den man nun wohl gefunden hat. Die European Business School (EBS) wird hier voraussichtlich mit 800 Studenten ihre neue Law School eröffnen. Die Stadt Wiesbaden unterstützt dieses Vorhaben natürlich nach Kräften, denn durch die Schaffung einer zweiten Fakultät würde die EBS Universitätsstatus erreichen. Und damit wäre Wiesbaden (bisher nur FH-Standort) erstmals in seiner Geschichte Universitätstadt. Daß mit einer Privatuni studentische Kultur im Sinne von "rostigen Fahrrädern vor dem Haus" in Wiesbaden einziehen wird, glaubt natürlich niemand - aber einer Bereicherung wäre das sicherlich. Und vor allem eine würdige Nachnutzung für das Gerichtsgebäude.
Irgendein Einzelhandelspräsident wurde mal in der Presse mit dem Vorschlag zitiert, man könne das Gebäude "entkernen und ein Einkaufszentrum daraus machen".
Um so etwas ernsthaft vorzuschlagen, muß man schon im Kopf entkernt sein, wie die nachfolgenden Bilder verdeutlichen:
Bessere Bilder macht mein Handy leider nicht - dafür ist das Fotografieren damit schön unauffällig.
Abgerissen wird der Anbau des Gerichts aus dem Jahr 1953. Und das zu Recht - denn es handelt sich um einen besseren Plattenbau, dem niemand eine Träne nachweinen wird.
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Vom Umzug betroffen ist auch das in der Adolfsallee gelegene Arbeitsgericht. Das wiederum kann man von mir aus gerne bis auf die Fassade entkernen. Denn - das seltsame Dach verrät es - hinter den beiden schönen Fassaden (und der häßlichen, die rechts angeschnitten ist) verbirgt sich ein muffiger 60er-Jahre Beamtenbau, der mit den stehengebliebenen Gründerzeitfassaden nur die Deckenhöhe gemeinsam hat.
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Fortsetzung folgt...