Entstellende Dachgeschosse

  • Dieser Themenstrang soll dazu einladen, Beispiele entstellender Dachgeschoss-Aufbauten zu dokumentieren. Vielleicht kann dies dazu beitragen, die baugeschichtliche Einordnung dieses Phänomens zu erleichtern, die Wahrnehmung dieser weiterhin relevanten Bedrohung des Erscheinungsbildes unserer Städte zu schärfen und gegebenenfalls in einigen Fällen eine öffentliche Wirkung unseres Anliegens zu fördern.
    Es ist immer wieder ein besonders schmerzlicher Moment, einem Altbau mit erhaltener Fassade gegenüberzustehen, dessen ursprüngliche, vom Architekten sorgfältig komponierte Gesamterscheinung und Harmonie durch ein entstellendes Dachgeschoss verloren gegangen ist. Gerade in Zeiten des Wohnungsmangels in den großen Städten gehört der Ausbau von Dachgeschossen zu den oft genannten Forderungen und Zielen der Politik. Wer hier Einwände erhebt und gar mit vermeintlich subjektiven, wirtschaftlich kaum zu untermauernden Ansichten wie einem ursprünglichen, schützenswerten Erscheinungsbild kommt, gerät argumentativ schnell in eine schwierige Position. Man kann in Deutschland auch kaum darauf hoffen, hier den Denkmalschutz auf seiner Seite zu haben, denn die entstellenden Dachgeschossaufbauten betreffen in den allermeisten Fällen gründerzeitliche Bauten in innerstädtischen Straßen ohne besonderen Ensemble- oder gar Einzel-Denkmalschutz. Teilweise stehen entstellende Dachaufbauten der Nachkriegszeit sogar selbst unter Denkmalschutz als Zeugnisse des Wiederaufbaus.
    Dachgeschoss-Auf- und Ausbauten gab und gibt es historisch und räumlich in recht unterschiedlicher Ausprägung. In den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg wurden gründerzeitliche Dachaufbauten nur in den seltensten Fällen entsprechend ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild, sondern meist in vereinfachter, bestenfalls noch in Materialität und Proportion halbwegs passender Form wiederhergestellt. Solche bis heute unverändert erhaltenen "Notdächer" sind mir beispielsweise in Frankfurt am Main aufgefallen. Oft sind dort Häuser mit besonders schöner Natursteinfassade betroffen, die durch die unpassenden Dachaufbauten leider stark entstellt worden sind.
    Das Beispiel der Frankfurter Rathausdächer ist allgemein bekannt und wurde hier im Forum bereits vorgestellt und diskutiert.
    In Berlin sind nachkriegszeitliche Notdächer, oft auch in Kombination mit Fassadenentstuckungen bei Putzbauten, ebenfalls häufig anzutreffen. Hier gab es bereits in den 1990er Jahren eine Zeit des Wohnungsmangels, in der Dachgeschoss-Ausbauten gezielt gefördert wurden. In der Zeit von 2000 bis ca. 2009 entspannte sich der Wohnungsmarkt, so dass Dachgeschoss-Ausbauten eher seltener durchgeführt wurden. Seit einigen Jahren, mit der erneut verschärften Wohnungsnot, sind aber diesbezüglich wieder häufig Forderungen zu hören. Für viele gründerzeitliche Mietshäuser, die nicht gerade im Bereich des Kurfürstendamms liegen, verheißt das wohl (aus unserer Sicht) nichts Gutes.

    Ein paar Beispiele:
    Hotel Frankfurter Hof in Frankfurt/Main, 1876 fertiggestellt, 1944 Bombenschäden, bis 1953 in vereinfachter Form wiederaufgebaut:

    Hier das bauzeitliche Mansarddach

    Nachfolgend zwei Frankfurter Gründerzeitler mit in Material bzw Farbe halbwegs angepassten doppelstöckigen Dachgeschossen, die gleichwohl den Gesamteindruck deutlich beeinträchtigen:

    Hier zwei weitere Negativbeispiele aus Frankfurt - schade um den schönen und qualitätvollen Gesamteindruck:

    Hier hat man sich deutlich mehr Mühe gegeben:

    Das bekannte Beispiel des Frankfurter Rathauses. Kaum ein Anblick eines entstellten Altbaus hat mich je so deprimiert:

    Und damit niemand denkt, ich habe es hier speziell auf Frankfurt/Main abgesehen... hier ein besonders übles Beispiel eines durch einen Dachausbau quasi ruinierten Gründerzeitlers aus Berlin-Mitte, Torstraße:

    Weitere Beispiele von anderen Forumsteilnehmern sind in diesem Strang ausdrücklich erwünscht!
    Gerne zeige ich demnächst auch noch weitere Exemplare, falls Eure Nerven dem standhalten... eye:)

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Bei den Gründerzeitlern der Frankfurter Kaiserstraße habe ich Hoffnung, dass der eine oder andere Investor in Zukunft für eine Rehistorisierung der Dachlandschaften sorgt.

    In dubio pro reko

  • Interessanter Gruselbahn-Strang!

    Wer Wien von seiner hässlichsten Seite mit seinen vor allem entstellenden Nachkriegsgebäuden und Dach"geschoss"en, die meiner Meinung nach zu den übelsten in ganz Europa zählen, kennenlernen bzw sich ergruseln möchte, dem empfehle ich nachfolgende Touristentour:

    Ugly-Tour durch Wiens Architekturekel

    Auszug:


    :biggrin::biggrin::biggrin:

  • Exilwiener, wenn diese verlinkte Gruseltour das Schlimmste in Wien zeigt, seid ihr immer noch vom Glück verwöhnt - im Vergleich zu dem, was deutsche Städte en masse zu bieten haben. :)
    Was mir allerdings auffällt, dass die "moderne" Architektur in Österreich um einiges provokativer auftritt als in Deutschland, wo eher das eintönige Raster dominiert. Die Beispiele die ich aus unserem Nachbarland kenne (z.B. Bregenz, Wien) fordern geradezu Unverständnis und Empörung heraus. Als ob die Architekten es bewusst darauf anlegten.

    In dubio pro reko

  • Sicher, Wien hat ein Maszl gehabt, dass es so weit von den Alliierten Bomberverbänden und der Lage im äußersten Osten des Reiches entfernt war, aber das was die Bomber im 2. WK nicht zerstört haben und das war zum Glück eine ganze Menge, das zerstören "unsere" kulturfernen Stadtpolitiker seit dem Krieg in großer Masse - sei es nach wie vor durch Abrisse gut erhaltener Gründerzeithäuser oder Entstellung dieser durch "gewagte" Ausbauten... . Das muss man sich einmal vor Augen halten: Wien hat nach dem Krieg mehr Altbausubstanz verloren als während des Krieges (sic!).

    Einmal editiert, zuletzt von Exilwiener (10. Oktober 2019 um 18:54)

  • Der mehrstöckige Aufbau an der Wassergassenseite des Hauses am Köllnischen Park kann hier auch genannt werden.

    Alt- und Neubau kommen in diesem Seitengebäude von METROPOL PARK geschickt zusammen und gehen eine zeitgemäße Symbiose mit harmonischer Gesamtwirkung ein.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

    Einmal editiert, zuletzt von Mantikor (26. Oktober 2019 um 20:27)

  • Im Wettbewerb zwischen alter traditioneller Architektur und neuer moderne Architektur gewinnt wieder Altbau.

    Wie immer.

    Das Beispiel sieht aus wie Plattenbau aus Bratislava gebaut auf historische Chile Haus in Hamburg. Rote Karte und Platzverweis fuer Architekt.

  • Trefflich formuliert, Exil-Radomer!

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Berlin-Wilmersdorf, Lietzenburger Straße 93 (=Südseite), Ecke Emser Straße...
    Hier würde mich der Originalzustand interessieren. Leider bin ich im Netz nicht fündig geworden, wobei mir auch etwas die Expertise im Auffinden historischer Fotos fehlt. Vielleicht kann ein begabteres Forumsmitglied hier aushelfen? :wie:

    Sieht ein wenig so aus, als wäre der Bau im Krieg arg getroffen worden und dann zumindest die unteren Stockwerke leidlich wiederhergestellt. Die Fenster sind ja lobenswert, ebenso die Fensterrahmungen und das einfache Gesims.
    Nördlicher Nachbar vom Ralf-Schmitz-Projekt "Alexander", siehe Wilmersdorf-Strang.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Dem Humboldt-Carrée in der Behrenstraße, nahe dem Gendarmenmarkt, im Hauptgebäude 1901 fertiggestellt, wurde 2007 dieser wirklich schlimme zweigeschossige Aufbau raufgesetzt:

    Hier wäre es doch relativ einfach gewesen, dem Dachaufbau mithilfe von Schrägen zumindest eine historisch anmutende Kubatur zu verleihen. Im letzten Bild sieht man links angeschnitten ein Beispiel für ein wenigstens in der Formgebung halbwegs angepasstes Dach. Aber nein! Zugleich wirbt man auf der Homepage mit der langen Geschichte des Standorts, den Humboldts etc. Und dann so einen groben Klotz obendrauf gehauen, der in seiner monströsen Dysproportionalität eigentlich den ganzen Bau versaut... Aua. :kopfschuetteln:

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Vorbemerkung: Ist alles in Berlin.

    Schönhauser Allee N°126/Gaudystraße N°1

    Ich finde die Gestaltung zwar nicht so toll, aber damit kann ich durchaus leben.

    Blöder ist so etwas Albernes in Form und Material - Pappelallee N°23.

    Spreetunnel hatte es schon einmal (ohne Bilder) erwähnt, Potsdamer Straße N°98 - zum Fremdschämen und Ärgern!

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Letztes Bild: sehr küriös ist das abgesehen vom unpassenden obersten Stockwerk, die beiden Erker ganz verschieden sind: rund versus gerade; 2 SW hoch versus 1. Einer davon ist nicht original, weil ALLE Erker am originalen Bauten immer gleich gestalltet wurden.

  • Es handelt sich hier um 2 separate Gebäude, die immer schon zwei verschiedene Erker hatten. Der Baumeister dürfte allerdings derselbe sein. Die Gebäude stehen nicht auf der Denkmalliste. Der Stuck dürfte in neuerer Zeit angepasst worden sein, aber die Erker waren immer schon unterschiedlich. Ich kenne das Gebäude seit 1970. Da sah es noch anders aus, aber die Erker waren damals auch so.

  • Ich habe gerade dieses Foto gefunden:

    Potsdamer Straße 38-42

    Es stellt den entsprechenden Abschnitt der Potsdamer Straße dar. Damals mit anderen Hausnummern 38-42. Im linken Teil kann man gut erkennen, dass die Erker schon immer unterschiedlich waren. Auch deutet die Traufenhöhe auf einen Baumeister hin. Auch der Stuck war ein anderer, der bei einem der Häuser ganz abgeschlagen wurde, soweit ich mich erinnern kann.

  • Warum nur tut man Altehrwürdigen Häusern so etwas an? Daß Maurer mitunter ganz gern einen über den Durst trinken, ist nix unbekanntes - aber so besoffen kann man doch garnicht sein. um Bauten derart zu verunstalten %-)