• Allerdings stellt sich mir hier die Frage, ob dieser grüne Vorstoß allein auf den Bau neuer Einfamillienhäuser in Ballungsgebieten zielt oder grundsätzlich gegen diese Art des Wohnens/Lebens gerichtet ist.

    Wenn ich das Klischee bedienen darf, die wohnen doch selbst meist in EFHern, als Partei der älteren Gutverdiener leiden da wohl die wenigsten unter beengten Wohnverhältnissen. Da bin ich sicher, dass zumindest in Süddeutschland keiner grundsätzlich diese Wohnform ablehnt. Ist halt wie mit dem Fliegen, die Vielflieger wählen grün. Und das ist jetzt kein politisches Bashing, war so in zahlreichen Zeitungen.

  • Das ist mE ein sehr interessanter Aspekt, insbesondere vor dem Hintergrund zur zunehmenden Popularität des "Home Workings".

    Ja - es ist populär geworden vor dem Hintergrund der Epidemielage und neuerdings sogar gesetzlich geregelt.

    Daß damit gleichzeitig eine Büchse der Pandora geöffnet wurde, ist den meisten nicht bewusst. Denn... nun erkennen die Arbeitgeber, daß, wenn sie den Mitarbeiter schon außerhalb der Betriebsräume beschäftigen, diese Arbeit dann auch gut und gerne im billigen Ausland machen lassen können.

    Dies könnte über sieben Ecken dazu führen, daß sich die nun Beschäftigungslosen kein EFH mehr leisten können.

  • Österreich hat einen Urbanisierungsgrad von 58,5 % zu Deutschland von 77,4 % (2019).

    Wobei die Statistik eventuell nur Äpfel mit Birnen vergleichen kann. Wir haben keine Stadt > 2 Mio, und keine Stadt < 1,8 Mio und > 300.000. Alles über 50.' kann man an zwei Händen abzählen. Dh der Urbanisierungsgrad wird in vielen Fällen weitaus geringer ausfallen als bei euch.

    Ich bin alles in allem zu sehr "Zivilisationsverweigerer". Dh ich würde es für gut halten, große Landstriche einfach "aufzugeben", dh sich selbst zu überlassen. Es muss einfach Landstriche geben, die schwer zu erreichen sind, und wo nur (wenige) Leute leben, die dort ihr Auskommen finden ohne Anspruch auf all die heutigen "Errungenschaften". Es geht halt nicht an, dass jeder in einer schönen ruhigen, intakt gebliebenen Landschaft leben will, und dafür schnelle Erreichbarkeit und Verfügbarkeit aller urbanen Angebote in Anspruch nimmt. So gesehen bin ich "Corona-Optimist". Ein wichtiges Beispiel: die sog. Waldviertel-Autobahn, ein Wahnsinnsprojekt, das nur kranken Hirnen entsprungen sein konnte, ist gestoppt worden. Einfach von heute auf morgen, nach intensiver Propagierung, und ganz ohne Angabe von Gründen. Zwischen der österr, A1 und der tschech. D1 wird somit weiterhin eine erfreuliche Lücke klaffen, größer als jene in D um Stendal oder Jüterbog etc. Argumentiert wurde für eine raschere Erschließung einer ärmeren Region mit traditioneller Abwanderung (was nicht dazu geführt hätte, dass die Bevölkerung sehr zurückgegangen wäre). Schon dieser Zweck ist idiotisch, denn im Waldviertel gibt es nix zu fördern außer biologischer Landwirtschaft. In Wahrheit wäre es gegangen um eine Ausweichroute von Bayern nach Mähren und Polen unter Umfahrung der Ballungszentren um Wien und Preßburg. Noch schlimmer also. Ich kann diese Mottenkistenphrasen "Erschließung", "Anbindung", "Standortaufwertung" nicht mehr hören.

    Sie sind schlimmer als hohl oder nicht zutreffend, sondern heimtückisch verlogen.

    Man wird sehen, wie es weitergeht. Aber "Corona" gibt auch Anlass zu vorsichtiger Hoffnung. Home- und Teleworking ist eine prinzipiell gute Sache, weil sie Verkehrsströme verhindert und sogar ein Leben auf dem Lande ohne Schaffung neuer (schädlicher) Infrastruktur ("Arbeitsplätze") ermöglicht. Und dass in Wien-Schwechat die 3. Flughafenpiste "auf Eis gelegt" wird, ist so eine sensationell gute Nachricht, dass man davon nicht einmal hätte träumen können.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Es gibt sicher Argumente für und wider das Arbeiten von zu Hause, genauso, wie es Argumente für und wider den fortgesetzten Bau großer EFH-Siedlungen gibt. Das Arbeiten von zu Hause hat sicherlich das Potenzial, dem ländlichen Raum wieder eine Perspektive zu geben. Ich denke, dass alle, die das jetzt tlw. über Monate gemacht haben, auch wissen, was es für Nachtteile hat, aber umgekehrt würde es für viele Menschen ja schon etwas bringen, wenn sie z.B. statt 5x die Woche nur 2x die Woche ins Büro fahren müssten. Und danach kann man dann auch andere Lebensmittelpunktentscheidungen treffen und längere Pendelwege in Kauf nehmen.

    Zum Thema Disparitäten der Lebensverhältnisse/Wachstumsregionen: Ich denke weiterhin, dass Deutschland da ziemlich gut aufgestellt ist für ein Land dieser Größe. Seine Multizentralität hat es bislang verhindert, dass ein oder zwei Ballungsräume allzu dominant wurden, das ist in den meisten unserer (vergleichbar großen) Nachbarländer z.B. ein Riesenproblem. Auch das Thema Landflucht ist deshalb hier weniger stark ausgeprägt, die ländlichen Räume entleeren sich in vielen Nachbarländern viel rapider und brutaler als in Deutschland. Es wurde also insgesamt viel getan, um Regionen mit Strukturproblemen nicht sich selbst zu überlassen - nur werden eben diese Maßnahmen dann hier und anderswo gerne als "Subventionitis" oder nutzlose Milliardengräber bezeichnet.

    Bis zu einem gewissen Grade sind Boom- und Schwundregionen einfach kaum aufzuhalten oder zumindest nicht, ohne ganz massiv insgesamt das Wachstum/den Wohlstand zu gefährden aufgrund von allzu starken staatlichen Eingriffen. Jede einzelne Maßnahme zugunsten schwächerer Regionen wird von den starken Regionen mit Argusaugen betrachtet, sowohl innerhalb von Bundesländern (Oberbayern vs. Franken z.B) als auch innerhalb des Landes (meinetwegen Baden-Württemberg vs. NRW oder MVP) und das ist im Prinzip auch richtig so.

    Diese Balance zu finden, ist wie überall in der Politik extrem schwer. Es gibt starke Beharrungskräfte, es gibt Partikularinteressen, die als Interessen der Allgemeinheit getarnt werden, es gibt auch ganz offene Interessen- und Zielkonflikte, bei denen die Politik eben Kompromisse finden muss, Kompromisse, die dann wiederum vielen im Detail nicht gefallen. Für simplistische Generalabrechnungen oder reflexhafte Kritik an Ideen, nur weil sie aus einem anderen politischen Lager kommen, halte ich das Thema für ungeeignet und zu wichtig. Manchmal hat man den Eindruck, dass hier nur auf eine Äußerungen eines Politikers einer bestimmten Partei geachtet wird, um sich -weitgehend befreit von der Sache- empören zu können in den üblichen Sprechblasen.

    Das ist der Weg, den die USA gegangen sind in den letzten 15 Jahren und ich halte ihn gelinde gesagt nicht für einen guten.

  • Es ist zwar richtig, dass Deutschland viel tut oberflächlich, um die Entleerung ländlicher Räume und das Davonlaufen großer Städte zu verhindern. Jedoch sehe ich da dann doch erhebliche Versäumnisse. Das ist nicht mein Fachgebiet, aber die ehemalige DDR wurde schon ziemlich in der Fläche ausbluten gelassen. Auch hier in Bayern sehe ich hoch problematische Anzeichen, z.B. wurden zwar alle Dörfer und Kleinstädte mit Sanierungsprogrammen überzogen, gleichzeitig zog sich die staatliche Infrastruktur in den letzten 30 Jahren enorm stark zurück. Keine Ortspolizei mehr, Schließung von Krankenhäusern, Schließen von Bahnhöfen oder gleich ganzer Gleisabschnitte, Zusammenlegen von Bürgerämtern, Schließung der Post- und Bankfilialen, eine Ärzteversorgung auf dem Zahnfleisch, Verlust von Zentralitätsfunktionen, wie Feuerwehr, Gastronomie. Das sind alles Dinge, die eigentlich keine grundsätzliche Nachfrageeinbuße haben, aber dennoch rückgebaut, verloren, zentralisiert wurden und wo es aber eigentlich keinen übergroßen Sinn macht zu zentralisieren.

    Gleichzeitig erlebt man wie München im südlichen Bayern alles überstrahlt und das ganze Land ringsum Attraktivität absaugt. Nehmen wir die 3. größte Stadt Bayerns Augsburg: Augsburg ist seit Jahrzehnten in keiner guten Verfassung, es ist zum geflügelten Satz geworden, das beste in Augsburg ist der ICE nach München. Augsburg leidet unter dem Einzug Münchens, liegt dieser mittlerweile zu nah und doch zu fern. Die Mietpreise sind niedrig, also gibt es keine wirklichen Gewinne durch die Nähe aber sehr wohl schon Verluste, z.B. Verlust von großen Arbeitgebern. Und das nun bei einer Großstadt, im ländlicheren Raum ist es nochmal klarer, da gibt es dann in größeren Städten weder Kino noch andere Ausgehmöglichkeiten oder aber die Gemeindefinanzen sind im Ungleichgewicht weil ausgependelt wird.

  • Das ist nicht mein Fachgebiet, aber die ehemalige DDR wurde schon ziemlich in der Fläche ausbluten gelassen. Auch hier in Bayern sehe ich hoch problematische Anzeichen, z.B. wurden zwar alle Dörfer und Kleinstädte mit Sanierungsprogrammen überzogen, gleichzeitig zog sich die staatliche Infrastruktur in den letzten 30 Jahren enorm stark zurück. Keine Ortspolizei mehr, Schließung von Krankenhäusern, Schließen von Bahnhöfen oder gleich ganzer Gleisabschnitte, Zusammenlegen von Bürgerämtern, Schließung der Post- und Bankfilialen, eine Ärzteversorgung auf dem Zahnfleisch,

    Vor knapp 30 Jahren studierte ich drei Semester in der schönen Stadt Zittau, die damals 34.000 Einwohner zählte (1988 waren es noch 38.000). Mittlerweile sind es trotz Vergrösserung des Stadtgebietes nur mehr 25.000 Einwohner und das ist ein Bestand, den die Stadt bereits um 1890 aufwies.

    Berücksichtigt man das heute grössere Stadtgebiet, so ist die Einwohnerzahl Zittaus nicht mehr weit vom vor-industrialisierten Zustand entfernt, 1867: 15.600 Einwohner. Um 1910 zählte Zittau 37.000 Einwohner (das waren zu diesem Zeitpunkt 13.000 Einwohner mehr als in Ingolstadt lebten).

    Es ist ein Charakteristikum der Bundesrepublik unserer Zeit, dass sie historische Mittelzentren wie Zittau abgehängt sein lässt. Es ist halt alternativlos - so lautete lange Zeit das Credo, welches schulterzuckend kommuniziert wurde und wird - sollen die Leute halt nach Dresden, Leipzig ("Leuchttürme des Wachstums") oder am besten gleich in die westdeutschen Ballungszentren oder gar ins Ausland ziehen.

    Wenn man bedenkt, welche enormen Aufbauleistungen in Deutschland in der Zeit von 1871 bis 1914 auf verschiedenen Feldern vollzogen wurden: Städtebau, Strassen- und Brückenbau, Bau von Schienenwegen und Bahnhöfen etc. pp. und dies alles zudem noch auf einer viel grösseren Fläche als im heutigen Deutschland - und eben nicht nur in und zwischen den Metropolen - so stellt sich mir dieser Zustand der aktiven Nichtbeachtung historisch gewachsener Mittelzentren als ein absoluter zivilisatorischer Niedergang dar.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Außerdem, ein Nebenaspekt, die Stilllegungen vieler Bahnstrecken und Bahnhöfe. Und das in einer Zeit, in der es heißt, die Leute sollen nicht mit dem Auto fahren, sondern ÖPNV nutzen.

  • Ja, es ist immer leicht, so etwas zu schreiben, Niedergang, im Stich-Lassen, ok. Aber gerade der Osten hat einfach zwei riesige Abwanderungswellen hinter sich, eine von 1945 bis zur endgültigen Grenzschließung und eine ab in den 1990ern. Wie hätte man das denn bitte verhindern sollen? Hinzu liegen Städte wie Zittau wirklich so dermaßen dezentral, dass es kein Wunder ist, dass die Leute abwandern. Der einzige Hoffnungsschimmer für diese Region im Dreiländereck ist ironischerweise die EU und Schengen mit seinen offenen Grenzen, das in den letzten 10 Jahren auch zu einem kleinen Boom geführt hat in den Orten entlang der polnischen und tschechischen Grenze da zumindest dieses "Ende der Welt-Gefühl" dort deutlich rückläufig war.

    Das Problem ist aber, dass sich ganz Ostmitteleuropa mit erschütternder Geschwindigkeit entleert, Polen etwa hat mittlerweile noch halb so viele jährliche Geburten wie in den 1980er Jahren, wo soll also da Wachstum herkommen? Demografisch hält sich Osteuropa zur Zeit gerade noch so mit Ukrainern über Wasser, die dort im großen Stil das sind, was man bei uns mal "Gastarbeiter" nannte, aber in Russland und der Ukraine ist die demografische Lage sogar noch schlechter.

    Die Frage ist einfach, welche Instrumente man zur Verfügung hat, Wachstum zu steuern. Es wurde mit Milliardensubventionen versucht (siehe Ruhrgebiet, siehe Aufbau Ost und diverse gescheiterte Großprojekte wie Cargolifter etc.), es wurde mit Steuervorteilen versucht, es wird mit regionalen Fonds versucht - aber am Ende zieht es junge Leute eben immer dorthin, wo schon andere junge Leute sind. Das Romantisieren vom Landleben und Landjugenden macht auch nur der, der in der Stadt aufgewachsen ist, spätestens mit 15 wollen eben die meisten weg und das war auch schon vor 20 oder 40, sogar 100 Jahren so. Vor hundert Jahren hatten aber alle eben mindestens 3-5 Kinder, so dass zwei oder drei Kinder, die in die Stadt zogen kein Problem waren. Bei den heutigen Ein- oder Zweikindfamilien reicht schon ein weggezogenes Kind pro Familie für die Halbierung der Bevölkerungszahl in jeder Generation. Und nach drei Generationen gibt es dann eben statt 100 Kinder nur noch 12 Kinder im Dorf. Dann macht die Schule zu und die weiteren Familien ziehen auch noch weg.

    Wie genau wollt Ihr denn solche Dynamiken ändern? Und zwar ohne Milliarden zu verplempern in sterbenden Dörfern? Ohne Aufstand derjenigen in den Städten und Wachstumzentren, die das ganze bezahlen? Klar, man kann sich zum Beispiel Einkommersteuererlässe für Familien, die auf dem Dorf bleiben überlegen. Aber zu Ende gedacht bedeutet das, dass der Stadtbewohner, der mit seinen 2 Kindern in einer Dreizimmerwohnung zur Miete wohnt, indirekt anderen zu Steuernachlässen fürs Landleben verhilft. Und so weiter, uns so fort - es ist nicht einfach.

    Übrigens war Westdeutschland auch schon vor 120 Jahren die Wachstumslokomotive, Krieg und Teilung sowie Verlust der Ostgebiete haben diese Prozesse nur beschleunigt, aber nicht erst ausgelöst:

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    Aus dem Buch "The Shortest History of Germany" von James Hawes

    Die Ostgebiete -natürlich nicht Sachsen und Thüringen und Sachsen-Anhalt und auch nicht Schlesien, aber sehr wohl die nördlich anschließenden agrarisch geprägten Gebiete in Brandenburg und Pommern sowie Ostpreußen, kurz "Ostelbien"- waren schon im Kaiserreich auf permanente Transfers aus Westen angewiesen, Transfers von Menschen, die verpflichtende Rotationen "im Osten" in ihren Ausbildungscurricula hatten und eben direkte Transfers. Das Problem der nicht gleichen Lebensverhältnisse gab es schon im Kaiserreich und wird es aller Voraussicht auch noch in 100 Jahren geben, eben weil das Thema sehr komplex ist und langfristige Trends nicht so einfach umgekehrt werden können.

    Die "Blue Banana" Europas reicht nun einmal von Norditalien über die Alpen/Rheinschiene nach Benelux und Südengland, und zwar schon seit mindestens 150 Jahren.

  • Die "Blue Banana" Europas reicht nun einmal von Norditalien über die Alpen/Rheinschiene nach Benelux und Südengland, und zwar schon seit mindestens 150 Jahren.

    Es gibt aber auch noch die sogenannte " gelbe Banane" von Paris über Brüssel nach Berlin und ein gestricheltes Herz fasst diese mit der "blauen Banane" zusammen. Darunter ist praktisch ganz Deutschland zusammengefasst... Daher sieht es für unser Land wirtschaftlich innerhalb Europas doch sehr gut aus von der Geographie her...

    Frankreich, Skandinavien, Osteuropa, etc... haben da schon mehr Probleme bei der "Vereinsamung"...

    https://diercke.westermann.de/content/europa…0Herz%20Europas.

  • Heinzer Ich glorifiziere überhaupt nicht das Dorfleben, ich komme aus einer 15.000 Einwohner Stadt, die nahezu alle von mir aufgezählten Merkmale in den letzten 30 Jahren verloren hat, trotz Bevölkerungswachstum und in den Nachbarkreisen ist selbiges passiert. Die ganzen Krankenhausschließungen sind relativ ausführlich in der Presse überregional dokumentiert, schau doch mal in welchen Städten die stehen, da würde keiner sagen, da ist Abwanderung schuld. Selbiges bei den Polizeistationen, da fahren jetzt Beamte regelmäßig 60km, wenn der eine Streifenwagen für die ganze Region nicht reicht.

    Nein, das hat alles nichts mit Romantik zu tun, ich sehe da wo der Rückzug am stärksten ist - Richtung Ostallgäu z.B.- rechtsextreme Kräfte aufkommen, und ich sehe, wieso. Und es beweist ganz klar, das etwas sehr wohl neuerdings falsch zu laufen scheint, denn bei aller vergangener räumlicher Disparität haben die Menschen bisher nie den Staat verantwortlich gemacht, heute schon. Und diese Menschen spüren reale Verluste, Wertverluste an ihren Immobilien, in ihrer Versorgung und in ihren Bedürfnissen.

    Das finde ich grundfalsch das nicht auf die Strukturen zurückzuführen. Bzw. es zu relativieren als gottgegeben und unumkehrbar. Ich bin überzeugt davon, dass auch Kleinstädte in Deutschland eine Zukunft haben müssen. Manche Dörfer und Kleinstsiedlungen, da verstehe ich Dein Argument, werden es nicht schaffen, da die Ansprüche steigen. Aber in Kleinstädten ist zuviel investiert um diese abzuwickeln. Die klare Lösung muss sein, Arbeitsplätze vor Ort schaffen. Da ist ein örtliches Krankenhaus, die Polizei, Energieversorgung und andere öffentliche Dienstleistungen kein schlechter Anfang. Ebenso kann ich mir eine stärkere Reparaturkultur als Treiber lokaler Arbeitskräfte vorstellen. Die Produktionsstätten liegen bei vielen Produktklassen (Neuware) eh schon im Ausland. Dass es mit den bisherigen Mitteln nicht funktioniert hat, heißt nicht dass man aufgeben muss und nicht neues probieren kann. Im Osten war das Problem, dass die Menschen den verloren gegangenen Arbeitsplätzen folgen mussten und so ist es heute auch noch so. Die Betriebe wurden nicht geschlossen, weil keine Arbeitskräfte mehr aufzutreiben waren.

  • Ich habe an keiner Stelle geschrieben, dass man "aufgeben" soll, im Gegenteil. Ich halte nur vieles der Pauschalkritik, die sich dann häufig in Rundumschlägen äußert, für wohlfeil. Die Gründe, warum es bislang ganz gut gegangen war und erst seit 10 oder 15 Jahren wirklich spürbar bergab geht auf dem Land und in Kleinstädten, liegt wiederum an der Demografie. Diese ist ein Öltanker, und Dinge, die 40, 50 Jahre zurücklegen, werden jetzt relevant. Die letzte Generation, die größer war als ihr Vorgänger waren in Westdeutschland grob gesagt die Kinder der 60er Jahre. Als diese Leute in den 80er und 90er Jahren Kinder bekamen, war die entstehende Generation nur etwa ein Drittel kleiner als diejenige ihrer Eltern. Mittlerweile sind die Nachkriegsjahrgänge vielerorts bereits Großeltern und die in den 2000er und 2010er Jahren geborene Generation wiederum nur 2/3 so groß wie ihre Eltern, in der Summe hat sich also die Generationsstärke der seit dem Krieg hier ansässigen Bevölkerung halbiert.

    Auf dem Land verschärft nun die oben genannte Landflucht diesen Prozess noch und, dass es in sehr ländlichen Regionen auch deutlich weniger Zuwanderung gibt, egal wie man nun zu ihr steht. Somit schlägt diese Verkleinerung der Generationen dort ungebremst durch. Weniger Kinder merkt aber erstmal noch keiner, außer vielleicht Lehrern und Erziehern. Weniger Azubis aber sehr wohl. So kommt es dann v.a. in entlegenen Gegenden zu sich selbst verstärkenden Prozessen, denn natürlich investiert kein Unternehmer an einem Standort, an dem er nicht genug Personal rekrutieren kann. Dies kann durch staatliche Investitionen (wie z.B. Krankenhäuser oder ausgelagerte Behörden etc. ) bis zu einem gewissen Grade gepuffert werden, aber eben kaum umgekehrt werden.

    Ich bin für jede Idee dankbar, die dem ländlichen Raum hilft. Am Ende scheitert es aber einfach an den Menschen, die es nicht mehr gibt. Und egal, ob diese Menschen nun in große Städte ziehen oder "nur" in deren Umland in die besagten Einfamilienhaussiedlungen in den Speckgürtel, für ihre Heimatregionen mit ihren Kleinstädten sind sie verloren. Das löst Frust aus bei der zurückgebliebenen Bevölkerung, nur müssten die Deutschen für eine Umkehrung dieses Trends wieder mehr Kinder bekommen, ganz einfach. Bayern hat mittlerweile die niedrigsten Geburtenraten der Republik, obwohl es dem "Pillenknick" noch bis weit in die 1980er Jahre widerstanden hatte, besonders in den ländlichen Regionen. Und es soll mir niemand erzählen, das läge an den so unheimlich harten Bedingungen. Eine Fahrt über Land in weiten Teilen Bayerns zeigt immer noch einen enormen Wohlstand an. Es ist größtenteils eine "Lifestyle"-Entscheidung, weniger Kinder zu bekommen und nicht eine Frage des Geldes. Ich weiß auch, dass viele Leute den Wachstumsfetisch hier anzweifeln und "weniger mehr" finden an vielen Punkten. Auch das geht als Standpunkt völlig in Ordnung. Nur wird der Bevölkerunsgsschwund eben unweigerlich hauptsächlich ländliche Regionen treffen.

  • Es stimmt es ist schwierig, die Kritik zu generalisieren, da es eben sehr unterschiedlich zugeht und das auch noch aus unterschiedlichen Gründen. Ich teile die Einschätzung, dass die Demografie im Raum außerhalb der Großstädte voll durchschlagen wird, weigere mich aber für Süddeutschland das heute schon zu konstatieren. Der Rückzug der Strukturen hat viele Gründe, aber nicht schrumpfende Gemeinden - noch nicht. Meine Kritik beruht vollständig auf Gemeinden, die in dieser Zeitspanne durchgängig stabil geblieben bis gewachsen sind. Auch hat Deine These insofern Mängel, als dass die Baby-Boomer jetzt alle ärztlichen Leistungen brauchen aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters, dennoch gibt es in der Fläche weniger Ärzte und Krankenhäuser. In den Großstädten stapeln sich die Ärzte dann und bekommen nicht mal mehr Kassenzulassungen. Es gibt also scheinbar klare Fehlanreize.

    Ich bin auch etwas unglücklich mit dem Urteil über Kinderlosigkeit. Ich meine, dass es stark von den Bedingungen abhängt, ob es viele Kinder gibt. Das ist oft weniger dann eine ganz frei getroffene Entscheidung. Z.B. werden durch die lange Ausbildung und Dauer bis zur beruflichen/wirtschaftlichen Stabilisierung manche Paare erst zu spät zum Kinderwunsch kommen. Es ist heute schwieriger an Wohneigentum zu kommen, da es alles so teuer geworden ist, was aber oft zur Familiengründung mit beigetragen hat. Dann unstetere Bindungen und überlokale Arbeitsverhältnisse erschweren einen planbaren Familienhorizont. Und das sind nur ein paar Ideen, da gibt es einiges mehr, was hinderlich ist. Leider ist die heutige Politik weniger mit diesen Überlegungen beschäftigt, als mit der vermeintlich einfachereren Lösung Arbeitskräfte einfach zu rekrutieren und so die Bevölkerungsstruktur gesund zu halten.

  • War es bereits Anfang 2000 als in den Medien das Schreckgespenst einer schrumpfenden Bevölkerung ausgerufen wurde?. Das habe ich nie so empfunden. In einem hochtechnisierten Land ist der einzelne Mensch viel produktiver als früher. Um 1800 haben ca 80% noch in der Landwirtschaft gearbeitet.

    Zeiten ändern sich.

    Ich wohne in einer Boomregion und mein Kind (1.Klasse) geht in einem neu aufgestellten Container in die Schule bzw. in den Hort, weil die Infrastruktur mit dem Zuzug nicht mehr mithalten konnte. Was ist jetzt besser?

    Beauty matters!

  • War es bereits Anfang 2000 als in den Medien das Schreckgespenst einer schrumpfenden Bevölkerung ausgerufen wurde?. Das habe ich nie so empfunden. In einem hochtechnisierten Land ist der einzelne Mensch viel produktiver als früher. Um 1800 haben ca 80% noch in der Landwirtschaft gearbeitet.

    Zeiten ändern sich.

    Ich wohne in einer Boomregion und mein Kind (1.Klasse) geht in einem neu aufgestellten Container in die Schule bzw. in den Hort, weil die Infrastruktur mit dem Zuzug nicht mehr mithalten konnte. Was ist jetzt besser?

    Das sind aber Ausnahmen. Die demographischen Verhältnisse in einigen Großstädten und florierenden periurbanen Regionen werden u.a. durch den Zuzug aus weniger florierenden und oft ländlichen Regionen Deutschlands "erkauft".


    Heinzer hat das oben wunderbar erläutert. Noch merkt man von den demographischen Entwicklungen relativ wenig, denn der Wegzug in Ostdeutschland seit den 1990er Jahren wurde oft ausschließlich mit dem wirtschaftliche Niedergang erklärt. In wenigen Jahren schon werden zwangsläufig die geburtenstarken Jahrgänge "kleiner", schlicht und einfach weil diese Menschen sterben.

    Der Niedergang des ländlich geprägten Raumes wird sich in den nächsten Jahren verstärken, es sei denn, es gibt bedingt durch mobiles Arbeiten einen temporär begrenzten Zuzug. Auf Dauer lässt sich das aber auch nicht lösen, außer durch Einwanderung. Und auch hier hat Heinzer gut dargestellt, dass die Geburtenrate in Osteuropa teilweise noch niedriger ist als in Deutschland.

    Ich sehe das alles auch nicht als Problem: Weniger Geburten weltweit sind die einzige Möglichkeit, unseren Planeten langfristig zu retten. Aber so tun, als ginge es für immer so weiter wie bisher, wird nicht funktionieren. Wie der Klimawandel ist der demographische Wandel ein sehr langsamer, sehr schleichender, aber in der Konsequenz kaum aufhaltbarer Prozess. Und über kurz oder lang wird es in Deutschland neue Wüstungen geben und die Natur kann und wird sich diese Räume zurückholen. Vermutlich wäre es finanziell günstiger und sozial ehrlicher, wenn Dörfer geplant aufgegeben werden und dafür in anderen Kleinstädten und Dörfern, die ebenfalls mit einem Bevölkerungsrückgang zu kämpfen haben, günstige oder gar kostenlose Wohnungen angeboten werden.

  • Übrigens war Westdeutschland auch schon vor 120 Jahren die Wachstumslokomotive, Krieg und Teilung sowie Verlust der Ostgebiete haben diese Prozesse nur beschleunigt, aber nicht erst ausgelöst:

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    Aus dem Buch "The Shortest History of Germany" von James Hawes

    Wenn man das so begreift wie Mister Hawes - also: unter rein materialistisch-pekunären Gesichtspunkten - könnte man ja als Westdeutscher glatt froh über den Verlust der allzu rückständigen deutschen Ostgebiete sein und am Ende gar noch weitere defizitäre Gebiete abtrennen wollen ...

    >> Western Germany makes money --> Berlin taxes it --> Berlin subsidizes East Elbia as "national duty" (1871 - 1933) <<

    Immerhin hast du Schlesien davon ausgenommen, welches wie Sachsen gewiss kein Armenhaus innerhalb Deutschlands war.

    Nein, obiges Bild veranschaulicht sehr deutlich woran es in der Bundesrepublik seit spätestens 1990 krankt: das angelsächsische Kapitalismusmodell wurde zunehmend implementiert und sämtliche Bereiche des Lebens "BWL-isiert". Das will ich hier gar nicht weiter darlegen.

    Bezüglich "Berlin taxes it" lohnt allerdings ein Blick auf die Einkommensteuersätze vor dem 1. WK und heute:

    1890 war Johannes von Miquel (1828-1901) als preußischer Finanzminister nach Berlin geholt worden. Er entwickelte ein revolutionäres Steuersystem mit den Elementen Einkommensteuer, Vermögensteuer und Gewerbesteuer, das in seinen Grundzügen heute noch gültig ist: das Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 1893. Die wesentliche Neuerung war die Steuerprogression: Der Steuersatz der Einkommensteuer stieg von 0,62 Prozent (für Jahreseinkommen von 900 bis 1050 Mark) bis auf vier Prozent (für Jahreseinkommen über 10 000 Mark).

    1891 lag das durchschnittliche Jahreseinkommen eines deutschen Arbeiters bei 700 Reichsmark (s. hier), d.h. der Einkommensteuersatz für einen preussischen Arbeiter lag 1893 demnach bei 0,62%, bzw. sogar bei 0%, da dieser niedrigste Einkommensteuersatz erst ab einem Jahreseinkommen von 900 Reichsmark angesetzt wurde.

    Im Vergleich dazu:

    - Steuersatz (durchschnittlich): 14 bis 41 Prozent ESt

    - Grenz- oder Spitzensteuersatz: 42 Prozent

    - Höchststeuersatz: 45 Prozent

    Ebenso bemerkenswert ist der Vergleich der Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer), diese wurde im Deutschen Reich erst 1916 eingeführt um die Lasten der Kriegskosten zu bewältigen. (Vorher gab es einzelne Verbrauchsteuern wie die Salz- oder die Tabaksteuer)

    Der Steuersatz lag hier bei 0,1% und wurde 1918 auf 0,5% erhöht. (s. hier)

    Die Umsatzsteuersätze liegen heute bei 7% (für Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen), ansonsten allgemein bei sage und schreibe 19%. Gegenwärtig sind diese Sätze aufgrund der Corona-Politik auf 5% und 16% "reduziert".

    Das Deutsche Reich hatte keinen Zugriff auf direkte Steuern:

    Die Reichsverfassung von 1871 schrieb den Finanzausgleich zwischen dem Reich und den Gliedstaaten fest. Hiernach oblag dem Reich lediglich die Steuergesetzgebungskompetenz über das Zollwesen und einzelne Verbrauchsteuern, wie z.B. die Salz- und Tabaksteuer, nicht jedoch über direkte Steuern.

    Das heisst eine Subventionierung strukturschwacher Regionen fand nur innerhalb der Mitgliedstaaten statt: Aus Baden, Württemberg, Bayern, Sachsen flossen also keine Gelder nach "Ostelbien".

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Valjean: Das ist ja auch nur eine Publikation zum Thema gewesen, die die Lage wohl etwas überspitzt wiedergegeben hat. Kein Zweifel kann jedoch an der chronischen Strukturschwäche vieler Regionen im ehemaligen und heutigen Nordosten Deutschlands geben. Solche Dinge zu drehen, ohne so etwas wie einen plötzlichen Rohstoffboom wie in den Kohle/Stahlgebieten des 19./20. Jahrhunderts und bei generell schrumpfender Bevölkerung dürfte nahezu unmöglich sein.

    Novaearion: Genau dieser gewünschte Rückgang an Geburten geschieht ja nun bereits, fast weltweit. Weitgehend unbemerkt von weiten Teilen der Weltöffentlichkeit sind die Zeiten exponentiellen Bevölkerungswachstums auf der Erde längst vorbei. Sowohl Süd- als auch Nordamerika liegen wie Europa und fast ganz Asien bereits unter Erhaltungsniveau, auch Indien hat mittlerweile eine Fertilität unter Erhaltungsniveau, China befindet sich demographisch am Beginn eines massiven Bevölkerungsrückgangs, alle anderen ostasiatischen Länder sind auf diesem Weg nochmals weiter.

    Die letzten Bereiche mit starkem Bevölkerungswachstum sind Teile Südasiens (v.a. Pakistan) und Afrikas. Und selbst dort kennt die Fertilität nur einen Weg: nach unten. Die Weltbevölkerung wird noch in diesem Jahrhundert ihr Maximum erreichen und die Zahl der weltweiten Geburten wird nicht mehr weiter steigen bzw. befindet sich auf einem Plateau, von dem aus es jetzt, zunächst sehr langsam bergab gehen wird.

    Schrumpfungsprozesse zu managen wird zu einer der großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, und zwar (fast) weltweit.

  • Guter Artikel zur Regionalentwicklung Deutschlands, natürlich als Prognose mit Vorsichtig zu genießen:

    https://www.spiegel.de/wirtschaft/soz…99-1ba0c9dde4c4

    Das Land entvölkert sich weiter, viele Klein- und Mittelstädte verlieren ebenfalls.

    Ein Trend, der deshalb unausweichlich scheint, weil insbesondere junge Frauen, die potenziell Kinder bekommen könnten, eher in die Metropolen ziehen. Der Weg zurück mag jetzt pandemiebedingt wieder verlockend erscheinen, aber viele werden auch in den Städten bleiben und dort ihre Kinder bekommen.

    Was sicher hilft (eigentlich ein perverser Trend): Das Zweithaus der Städter, oft auch gerade der wohlhabenden Ökos: Einerseits eine Chance für die Kommunen, andererseits auch das Gegenteil von Kultur, wenn es nicht naturnah bewirtschaftet wird. Und wer macht das schon, wenn er dort nur alle zwei Wochen vorbeischaut?

  • Für mich ist das ein geradezu bösartig-blödsinnig verfasster Artikel, der wie nicht anders zu erwarten den Geist der Segnungen des fortwährenden, ewigen Wachstums herunterbetet und damit unter anderem auch weitere Zuwanderungen anpreisen möchte.

    Zitat

    Nur ein Viertel der Regionen kann noch mit Bevölkerungszuwächsen rechnen. [...]

    Inseln im Grauen Meer

    Die BBSR-Prognose zeigt eine zunehmende Polarisierung. Einige Regionen wachsen noch ziemlich dynamisch, [...]

    Darüber hinaus wird die BRD in diesem SPIEGEL-Artikel dreigeteilt, angeführt von einem Deutschland-Nummer-1, der wachsenden Metropolen, mit junger Bevölkerung, "gebildet-globalisiert". Am Ende befindet sich das Deutschland-Nummer-3, ländlich-abgehängt, überaltert, entvölkert, spiessig und verloren, kurzum: einfach zu bemitleiden.

    Zwischen diesen beiden "Deutschlanden" befinde sich ein Deutschland-Nummer-2, welches auf die eine (die gute) oder andere (die schlechte) Seite kippen könne.

    Wobei selbstverständlich Deutschland-Nummer-1 gesellschaftspolitisch die Richtung vorgibt.

    Zitat

    Die städtischen »Leitmilieus« (der Soziologe Andreas Reckwitz) der gebildet-globalisierten Mittelschichten dürften sich vom Lebensgefühl in den ländlichen Regionen weiter entkoppeln. Schon heute pflegen sie ihre eigenen idealisierten Vorstellungen vom Landleben, die mit der Realität vor Ort häufig wenig zu tun haben. Das erste Deutschland prägt das Selbstbild der Nation – das zweite und das dritte Deutschland finden sich darin kaum wieder und wenden sich im Zweifel ab.

    Unser tägliches Wachstum gib uns heute und vergiss auch nicht die Produktivitätssteigerung!

    Zitat

    Die hochproduktiven Metropolen werden zugunsten des flachen Landes zur Kasse gebeten. Würde man diese Überweisungen einstellen, könnte die Bundesrepublik insgesamt deutlich produktiver werden, kalkulieren die Ökonomen.

    Der Homo Oeconomicus soll schliesslich nach rein ökonomischen Parametern "denken" und letztlich funktionieren.

    Zitat

    Die Suche nach einem neuen Leitbild

    Am Ende wird das Land ein neues Leitbild brauchen, in dem sich alle drei Deutschlands wiederfinden. Wie das aussehen soll, auf diese Frage wird der nächste Bundeskanzler eine Antwort anbieten müssen. [...]

    Auf der Ebene praktischer Politik würden zwei Ansätze helfen, die demografischen Divergenzen erträglicher zu machen:

    Mehr Zuwanderung. Die BBSR-Prognose geht davon aus, dass die Bundesrepublik in den kommenden Jahrzehnten einen Zuwanderungsüberschuss von mehr als 200.000 Menschen jährlich verzeichnet. Eine realistische Annahme. Sollte es jedoch gelingen, mehr leistungsfähige Zuwanderer in den Arbeitsmarkt zu integrieren, würde sich das Gesamtbild deutlich aufhellen. Gerade das stagnierende dritte Deutschland könnte davon profitieren.

    Der letzte, von mir in roter Farbe hervorgehobene Satz lässt mich an den EU-Politiker Frans Timmermans denken.

    Diversity is now in some parts of Europe seen as a threat. Diversity comes with challenges. But diversity is humanity’s destiny. There is not going to be, even in the remotest places of this planet, a nation that will not see diversity in its future. That’s where humanity is heading

    Seit gut 14 Jahren lebe ich in einer Kleinstadt in der französichen Schweiz am Fusse der Alpen. Als ich ankam, zählte der Ort 16.000 Einwohner, heute sind es bereits 24.000 und das Leben in der Stadt ist durch dieses Wachstum keineswegs angenehmer geworden.

    Dennoch handelt es sich nach wie vor um einen kleine Stadt und der Weg in die Natur ist sehr kurz, was gerade in Zeiten des Lockdowns ein grosser Vorteil war und ist, nach dazu, wenn man kleine/kleinere Kinder hat.

    Gebürtig stamme ich aus Amberg in der Oberpfalz, studiert - zudem gerne - hatte ich einst in Zittau und vor allen Dingen in Leipzig. Die Eltern meiner Frau stammen wiederum aus und wohnen wieder in Weimar, welches wir wie meine Heimatstadt einmal im Jahr besuchen.

    Nie mehr würde ich in eine grössere Stadt ziehen und würde dies auch jeder jüngeren Familie abraten.

    Auf YouTube bin ich unlängst auf Videos gestossen, in welchen Menschen, die ausgiebig wandern und paddeln (auch in meiner Oberpfälzer Heimat: s. hier) ihre Wanderungen vorstellen. All diese Menschen betonen, wie gut es ihnen tut, den "Segnungen der Ballungsgebiete" zu entfliehen, Kraft zu tanken in der Natur und wie schwierig es selbst in abgelegeneren Gebieten Deutschlands ist, sich diesen "Segnungen" für längere Zeit komplett zu entziehen.

    Falls ich mit meiner Familie zurück nach Deutschland ginge, dann ganz gewiss nicht nach Deutschland-Nummer-1 ...

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Mich stören zwei Dinge. Zum einen diese vorgebrachte Unzweifelhaftigkeit, wo die Reise in Zukunft hingeht. Das ist nicht wissenschaftlich, sondern Glaskugel mit Wunschdenken. Und das Wunschdenken ist nicht mal gut, weil es ein riesiger Kulturverlust in Deutschland bedeuten würde und die Politik noch einfacher blinde Flecken für ländlichere Gebiete haben darf, basierend dann auf pseudowissenschaftlicher Soziologie.

    Man kann natürlich sagen, dass die Urbanisierung in Deutschland noch nicht abgeschlossen ist und das sie wohl weitergehen wird ist bei den internationalen Tendenzen nicht abzustreiten. Die Frage ist jedoch eine der Definition, Kleinstädte können auch urbanen Charakter haben und damit kein spürbares Gefälle zu größeren Städten bieten in der Lebensqualität, Valjean hat das für sich schon so bestätigt. Dass es jedoch ein nicht stabilisierbarer und sogar erstrebenswerter Prozess ist Einbahnstraße Richtung Großstadt, ist zu bezweifeln, gerade für Deutschland.

    Zum anderen, und das ist dann sogar mehr als nur ein Ärgernis, ist es eine faktenfreie Behauptung, dass die Migration die ländlichen Räume auffangen würde. Die Einwanderer unterliegen doch den gleichen Mechanismen, wie die Bevölkerung vor Ort, die den Arbeitsplätzen und Ausbildungsorten folgt. Vielleicht sogar noch befreiter, weil sie sich als Einwanderer ganz frei niederlassen können ohne Limitierung, wie Familie etc. Die Zahlen geben das natürlich auch wieder. Nur 12,7% aller Menschen mit Migrationshintergrund leben in ländlichen Räumen. Man beachte bei dieser Zahl, dass der ländliche Raum vielfach größer ist und damit dieser schon recht kleine Anteil so stark herunterverdünnt ist, dass die Effekte Makulatur sind. Gleiches bei unterem Zitat, es gibt mehr kleinere Gemeinden, und damit viel dünnere Ansiedelung in den einzelnen Orten.

    Zitat

    Auf Gemeindeebene gilt, dass je größer die Einwohnerzahl der Gemeinde ist, desto größer ist tendenziell auch der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung: Während beispielsweise der Anteil in den Gemeinden mit weniger als 2.000 Einwohnern im Jahr 2018 bei 8,7 Prozent lag, hatte in den Gemeinden mit 20.000 bis unter 50.000 Einwohnern durchschnittlich etwa jede vierte Person einen Migrationshintergrund (26,1 Prozent). In den Gemeinden mit 500.000 Einwohnern und mehr lag der entsprechende Anteil bei 35,1 Prozent.

    https://www.bpb.de/nachschlagen/z…nshintergrund-i