Lübeck - Neubauten im Gründerviertel

  • Einer der Gründe, warum besonders in diesem Viertel die Blicke auf solche Neubauten recht kritisch ausfallen, liegt darin, daß an diesem Standort der einst bedeutendste und wertvollste Bereich der Innenstadt lag und daher die Vergleiche zwischen einst und heute zwangsläufig immer auch dementsprechend verlaufen. Ginge es darum, stadtnahe an einem historisch unbelasteten Ort ein neues Stadtviertel zu planen und zu bauen - kein Mensch würde auch nur ein Wort gegen solche Details bei den Neubauten sagen. An einem anderen Ort wäre eine Neuinterpretation durchaus zu begrüßen. Hier im Gründungsviertel ergeben sich jedoch nun einmal Vergleiche mit dem ehemaligen Bestand. Die überschaubare Anzahl an Rekonstruktionen tut ihr übriges.

  • Kim Nalleweg Architekten können es einfach nicht. Die Ideen kommen so wenig aus dem Bauhandwerk, sondern irgendwie von Abziehbildern auf Instagram. Das sind leider Gestalter die zuviel am Iphone sitzen und zu wenig vom Bauen verstehen. Vision und Wirklichkeit. Bitter. Willkommen in Klapperland. Das haben andere jungere Büros wie Noto und Co. viel soveräner, wertiger und cooler gelöst.

    Bei Nalleweg stimme ich Dir zu, da wirkt vieles wie gewollt, aber nicht gekonnt. Bei Noto mag die Ausführung handwerklich wertiger sein, aber deren Entwurf von Fischstraße 18 ist nun auch nicht der große "Brüller". Diesen hängenden Fenstersturz ganz oben und das kleine Loch im EG hätte ich so auch nicht gebraucht. Zudem wurde auch hier erheblich verschlimmbessert: Der Erstentwurf enthielt in den OGs kleinere Fenster von angemessener Größe, in fünf Achsen (siehe zweites Bild in diesem Beitrag). Diese zitierten die für das Gründungsviertel typischen Speicherluken. Stattdessen kamen dann plötzlich die jetzt zu sehenden unpassenden "Scheunentore".

    Den Entwurf für die Gerade Querstraße finde ich aber sehr passend und "lübeck-typisch". Ich würde mich freuen, wenn der käme (allerdings mit Ober- statt Unterlichtern im EG). Aber das Grundstück ist ja noch nicht verkauft.

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

  • Ich habe vor ein paar Tagen das Gründerviertel besucht, erstmals wieder nach vielen Jahren, und natürlich auch einiges (unsystematisch) fotografiert. Eigentlich wollte ich hier auf Grund der guten Dokumentation, insbesondere durch Frank, kein weiteres Material hinzufügen. Aber ich habe mir nun doch gedacht, dass ein kleines Übersichts-Update nie schaden kann.

    Insgesamt finde ich das Projekt sehr erfreulich, weil es an einer besonders sensiblen Stelle der Altstadt die Stadtstruktur und die typische Bebauungsrhythmik Alt-Lübecks wiederaufleben lässt. Positiv ist auch, dass eine Mischung aus Neubewohnern, Gewerbe, Gastronomie und Kultur hier Einzug hält und die Altstadt einen verlorenen, einst wertvollen, lebendigen Teil nahezu vollwertig zurückerhält.

    Bei den Häusern selbst war mein Eindruck, dass sie zwar respektvoll die Motivik der Altstadthäuser wiederaufnehmen, es bei den meisten Fassaden jedoch ein wenig an Ausdrucksstärke fehlt. Der lange Riegel an der Lederstraße/Einhäuschen Querstraße schien mir recht öde und von den Proportionen her völlig verunglückt:

    Obere Braunstraße, Ecke Lederstraße

    Untere Braunstraße:

    Ecke Fischstraße:

    Baulücke Gerade Querstraße Ecke Fischstraße:

    Fischstraße - Altstadtbreite:

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Die ersten zwei Ansichten sind wirklich schwach, da genau die Schwächen der "klassischen" Wiederaufbauzeit zutage treten, die man an und für sich ganz gut überwunden hat: gähnende Langeweile bzw Monotonietät bzw Banalität. Da hilft auch da schönere Material nicht. Das andere ist recht ok, wie es scheint.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Nicht-Lübecker, die sich besuchsweise in der Stadt aufhalten und dieses Wiederaufbauprojekt rein interessehalber anschauen, werden in diesem Areal wenig vorfinden, das zu einer langfristigeren und intensiveren Bindung an diesen Ort führt. Man wird dieses Quartier oberflächlich betrachten und relativ emotionsarm im Bewußtsein abspeichern. Kulturell, gastronomisch und zu Einkaufszwecken gibt es fußläufig bessere Adressen; und wie bereits bei der Vorgängerbebauung werden Alf-, Fisch- und Braunstraße Abriß und Neubebauung zum Trotz wiederum zu Laufstraßen, zu denen man eine gewisse Gleichgültigkeit an den Tag legen wird.

  • Ich bin über die Kleinteiligkeit und Nutzerstruktur hier froh. Die ermöglicht permanente kleine Verbesserungen und liebevollere Details über die Zeit. Wenn man dem Quartier genug Zeit zum altern und optimieren gibt, dürfte das ein sehr angenehmes Viertel sein.

    Na klar wären mehr Rekos und konsequenter durchgestaltete Fassaden toll gewesen. Demgegenüber ist das hier mE immerhin die zweitbeste Lösung, die man aktuell erwarten kann.

  • Ich habe mir im Herbst 2022 das Gründerviertel in Lübecks Altstadt einmal angesehen. Es sieht in der Realität alles doch anders aus als auf den Fotographien. Die Fassade von Fischstraße 18 finde ich irgendwie nicht passend. Der Rotton der Ziegel ist im Vergleich zu den anderen Ziegeltönen zu poppig. Der Löffelgiebel mit seinen Bogenverdrehungen ist zu groß für Lübecker Baustilproportionen. Als Gag in einem Neubaugebiet würde er passen, nicht aber in den Lübecker Altstadtkern. Der Investorenbau war damals noch teilweise eingerüstet, sodass ich mir da noch keine Bewertung erlauben will. Auf dem Foto wirkt die Straßenflucht des Gebäudes an der Einhäuschen-Querstraße wie ein Industriebau auf mich. Kann man da nicht nachbessern, z.B. durch unterschiedliche Farbgebung?

  • werden Alf-, Fisch- und Braunstraße Abriß und Neubebauung zum Trotz wiederum zu Laufstraßen, zu denen man eine gewisse Gleichgültigkeit an den Tag legen wird.

    Schon aufgrund der stark veränderten Nutzerstruktur erwarte ich das nicht. Es macht einen großen Unterschied, ob morgens und nachmittags Schülerströme zum und vom Unterricht kommen, oder ob Anwohner zur Arbeit, zum Einkaufen und zum Sport gehen. Überdies wäre kritisch zu hinterfragen, wie "lebendig" diese Straßen vor 1945 waren...

  • Die mittlere Straße in dem Quartier, die Fischstraße:

    Fassaden:

    Man hat sich redlich bemüht. An die Stilsicherheit und harmonische Proportionierung der alten Fassaden kommen diese Häuser gleichwohl nur selten heran. Allerdings wären moderne Entwürfe die noch weit schlechtere Lösung gewesen, denn auch diese weisen ja die gleichen Defizite in der Gestaltung auf. Es dürfte an der ungenügenden, nicht mehr gründlich und ernsthaft vermittelten baukünstlerischen Ausbildung der Architekten liegen.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Man hat sich redlich bemüht. An die Stilsicherheit und harmonische Proportionierung der alten Fassaden kommen diese Häuser gleichwohl nur selten heran. Allerdings wären moderne Entwürfe die noch weit schlechtere Lösung gewesen, denn auch diese weisen ja die gleichen Defizite in der Gestaltung auf. Es dürfte an der ungenügenden, nicht mehr gründlich und ernsthaft vermittelten baukünstlerischen Ausbildung der Architekten liegen.

    Das sehe ich auch so. Manches erinnert leider etwas an die Altstadt von Elbing, die ja auch so ein Potpourri an Versuchen des Rekreirens von Altstadtgefühl mit neu interpretierten Giebelhäusern ist. Die "kritische Rekonstruktion" überzeugt eben weder die Modernisten noch die Traditionalisten, es bräuchte hier schon konsequentere Anwendung von Architekturtraditionen.

  • Eine ambivalente Geschicht´ isses. Das Areal stellte bis 1942 wirklich den Höhepunkt der ganzen Altstadt dar; nur Teile der Königstraße konnten da noch mithalten. Fast alle der neuen Fassaden wären wohl andernorts gut zu akzeptieren und wären auch als eine Weiterführung einer stadtspezifischen Baukultur zu sehen; die Verluste, die das Areal erfahren hat, lassen sich jedoch schwerlich kompensieren. Bei näherer Beschäftigung mit der Alf- und der Fischstraße treten die einstigen, grandiosen Fassaden immer wieder ins Bewußtsein. Vielleicht wäre die Braunstraße noch am ehesten ein angemessener Ort für modernere Interpretationen gewesen; in den beiden anderen Straßen führen einige der neuen Fassaden wieder einmal zum Vergleich mit dem gewesenen. Wer auch immer sich hier strebend bemüht hat, so ganz hat´s mit der Erlösung hernach doch nicht geklappt.

  • Na ja, die Engelsgrube brauchte sich anno dazumal wohl auch nicht zu verstecken.

    Man hat sich redlich bemüht. An die Stilsicherheit und harmonische Proportionierung der alten Fassaden kommen diese Häuser gleichwohl nur selten heran. Allerdings wären moderne Entwürfe die noch weit schlechtere Lösung gewesen, denn auch diese weisen ja die gleichen Defizite in der Gestaltung auf. Es dürfte an der ungenügenden, nicht mehr gründlich und ernsthaft vermittelten baukünstlerischen Ausbildung der Architekten liegen.

    Diese Zeilen erscheinen mir zu hart. Zumindest wenn man sich mit der Prämisse, auf Rekonstruktionen ganz zu verzichten, arrangiert hat. Stilunsicherheit, Unproportioniertheit und mangelndes Handwerk der Architekten scheinen mir eigentlich nicht gegeben zu sein.

    Dieses Viertel wirkt in sich mE durchaus stimmig, wenn man es als das akzeptiert, was es ist und auch sein will: der Versuch, zeitgemäß und doch altstadtspezifisch zu bauen. Die Kälte, Glätte. Sterilität, Detailarmut, ja der Verzicht auf Ornamentik, all das ist gewollt und zeitspezifisch. So baut man heute eben, der Geist eines Adolf Loos oder des Bauhauses ist nicht nur nicht überwunden, sondern fest etabliert. Barock, Klassizismus, Gründerzeit und frühe Moderne haben in der Altstadt ihre jeweiligen Spuren hinterlassen, zu jeder Zeit hat man dort anders gebaut. Mit der Zeit ist dabei das Formgefühl abhanden gekommen, was in der Wiederaufbauzeit dann ganz eklatant geworden ist. Genau das hat man jetzt wieder gefunden, und das ist Grund zur Freude.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Ich habe das Viertel zwar selber noch nicht gesehen, aber mir fällt auch anderswo immer wieder auf, dass passende (traditionelle) Naturstein-Bodenbeläge und die Abwesenheit von Autos sehr viel zur Wirkung eines Straßenzuges beiträgt. Man stelle sich diese Straßen also als verkehrsberuhigten Bereich ohne ruhenden PKW-Verkehr vor, sodass Kinder wieder auf der Straße spielen, die Leute vor ihren Häusern stehen, sitzen und klönen (so heißt das im Norden, glaub' ich ;)) können, und zu diesem Zwecke ein paar private Blumenkübel, Bänkchen, etc. aufstellen, und das Ganze ohne Asphalt und Betonpflaster.

    Denn aus meiner Sicht ist die Architektur dort insgesamt schon stimmig, aber der öffentliche Raum und dessen Nutzung passen eben nicht dazu.

    Ist denn bzgl. Straßenbeläge noch eine Änderung geplant?

  • Weitere Aufnahmen aus der nördlichsten der drei parallel verlaufenden Gründerviertelstraßen, der Alfstraße:

    Die Nordseite wurde in der Nachkriegszeit mit einem von der Straße zurückgesetzten Backsteinriegel bebaut, der mit Querflügeln bis zur früheren Straßenkante reicht. Diese Häuser haben eigentlich ganz schöne Vorgärten, allerdings ist hier eine Wiederherstellung des historischen Altstadtgrundrisses nun wohl nicht mehr möglich. Die Straße hat dadurch gleich eine eher vorstädtische Wirkung:

    Diese kräftig strukturierte Fassade wirkte in echt, trotz der zunächst nicht altstadttypisch erscheinenden Motivik, ziemlich gut. Sie brachte mich zu der Erkenntnis, dass es gerade diese Art von plastischer Ausdrucksstärke ist, an der es vielen Fassaden im Gründerviertel mangelt, und die sich eben bei den Lübecker Altbauten bis in die Gründerzeit noch typischerweise findet:

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Hier mal ein paar andere Beispiele aus Lübeck für das, was ich mit fehlender plastischer Ausdrucksstärke meine, bzw eben das Gegenteil davon:

    Auch die Gründerzeitler hatten eben typischerweise sehr plastisch gestaltete, lebendig wirkende Fassaden:

    Man beachte die beiden Backsteinfassaden:

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Übrigens sieht man auf den Fotos ganz gut, dass Lübeck ein Problem mit seinen Gehweg- und Straßenbelägen hat. Gussasphalt auf Gehwegen mag praktisch sein, sieht aber billig, ja oft richtig schäbig aus. Auch die schönste Architektur wird dadurch beeinträchtigt. Natursteinbeläge sind ziemlich schmutzresistent und halten praktisch ewig. Insbesondere in den östlichen Bundesländern hat man das verstanden. Wir sollten mal einen Themenstrang dazu eröffnen.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Vielen Dank für die Photos aus der Alfstraße der Altstadt von Lübeck. Eine interessante Mixtur aus 50er-Jahre-Architektur an der Nordseite und postmoderner 2015er-Jahre-Interpretationen und Reko-Versuchen auf der Südseite der Alfstraße lässt sich dort entdecken. Auch dieses hatte ich mir auf meiner Entdeckungsreise Herbst 2022 angesehen. Und ich muss zugeben, dass mir die Nordseite der Straße besser gefällt. Die architektonische Gestaltung mag ja weniger altstadttypisch sein, aber sie wirkt irgendwie "gewachsener" als die in einem Wurf gebaute Südseite. Super finde ich den Mut zu Grüninseln zwischen den Zeilenbauten. Die nach Süden offenen Höfe schaffen besonders im Winter eine klimatische Insel, in welcher auch kälteempfindliche Pflanzen in geschützter Lage gedeihen können. Wählt man da die richtigen Gehölze aus (z.B. Zierkirschen, Rhododendren, Spätblüher), wäre die Alfstraße allein schon wegen dieser Vorgärten in der warmen Jahreszeit auch ein - wenn auch ungewöhnlicher - Blickfang für Touristen und Tagesgäste. Mit geschickter Werbung könnte man diese "Gartenhöfe" in der Lübecker Altstadt als Attraktion darstellen ("Lübeck, einmal anders....."). Übrigens: in meiner Heimatstadt gibt es im Altstadtkern auch etliche "grüne Inseln" zwischen der geschlossenen Bebauung, eingefriedet mit schmiedeeisernen Zaungittern. Man könnte doch auch diese Grüninseln in den Zeilenbauten an der Alfstraße mit einem straßenseitigen Mauersockel und einem transparenten niedrigen Metallzaun einfrieden, dann sähe alles auch hier etwas altstadttypischer aus. Was die neu aufgebaute Südseite der Alfstraße betrifft: bis auf die dunkel geklinkerte, wellenförmig durchgestaltete Fassade, einer Rekofassade und dem Treppengiebel sind die übrigen Platzwände irgendwie "Ware von der Stange". Hätte besser ausfallen können.

  • Vom Thema Neubebauung im Gründerviertel auf Themen wie Straßenpflaster und Straßenbeläge abzudriften, wird vermutlich etwas fragwürdig herüberkommen. Die optischen Eindrücke im Gründungsviertel, in der Breiten Straße, der Petersgrube und andernorts lassen jedoch einiges zu wünschen übrig. Der wilde Bewuchs vor den neuen Fassaden hat sicher noch bauzeitliche Hintergründe und wird sicherlich verschwinden. Die Eindrücke, die in Lübeck durch die Straßenbeläge und deren Zustand hervorgerufen werden, wirken ca. 30 Jahre hinter der Zeit zurückgeblieben und stehen der Stadt leider nicht besonders zu Gesicht. Es kann daher nicht ausbleiben, daß solche Wünsche aufkommen wie der, etappenweise hier für eine Verbesserung zu sorgen.

  • Wie vor längerer Zeit vor Ort schon beobachtet, hätten Sprossenfenster in der Mehrzahl der neuen Häuser und ab und zu ein schmeideeiserner Ausleger + Blumen eine extrem positive Auswirkung. Aber bei den Fenstern ist alles zu spät.