Potsdam - zwischen Plantage und Neuem Markt

  • Das zweite Bild zeigt sehr schön, wie die Gegend vor dem aufkommenden Auto- und Straßenterrorismus ausgesehen hat.

    Sehr viel menschlicher, viel grüner, viel bodenständiger.

  • Noch drei Urlaubsbilder gefunden vom Original Palazzo Thiene in Vicenza. Die Gasse ist ziemlich eng, deshalb sind Bilder nur mit Weitwinkel möglich.

  • Noch eine Vervollständigung zum Palazzo Thiene in Potsdam und seine Quellen:

    "Das Haus Am Neuen Markt 5 gehört zu gut zwei Dutzend 20 Palastkopien, die unter Friedrich II. in Potsdam nach fremden Vorbildern entstanden. Der Bau wurde von Johann Gottfried Büring 1755 auf der Nordseite des Platzes errichtet und fungierte als Point de vue in der Straße hinter dem heutigen Filmmuseum. Vorbild war eine Darstellung Palladios in den "Quattro Libri", die zwei Achsen der Straßenfassade des Palazzo Thiene in Vicenza zeigt. Die Proportionen des Vorbildes wurden weitgehend beibehalten. Statt der elf Achsen dort wählte man in Potsdam aber nur fünf und zog zudem zwischen Erd- und 1. Obergeschoss und unterhalb des Festonfrieses Mezzaningeschosse ein. Der Sockel ist gequadert und in der Mitte liegt die Durchfahrt zum Hof. Hauptmotive der Fassade sind die korinthische Kolossalordnung und dazwischen befindlichen Ädikulafenster... (Thomas Sander, 2014)"

    (KI-vergrößert, Kontrast verbessert)

    Potsdam Museum - Forum für Kunst und Geschichte. "FS 887: Potsdam, Am Neuen Markt 5" last modified 2023-10-05. https://brandenburg.museum-digital.de/object/2683

    Beim Vergleich mit dem realen, italienischen Vorbild im vorherigen Beitrag fällt neben den zwei zusätzlichen Mezzaningeschossen auch das zusätzliche Fries auf mit Köpfen und Girlanden, welches nicht in Italien existiert. Hat Büring da seine Phantasie spielen lassen? Der Hinweis mit Palladios Quattro Libri führt zum Ziel: in der ital. Wiki gibt es den gesamten Text mit Bildern und im Buch II, Kapitel III findet man dann auch die oben angesprochene Darstellung mit zwei Achsen.

    Palladio Quatro Libre II-III

    Übersetzt Deutsch

    Auszug Übersetzung:

    "Die folgenden Zeichnungen zeigen eine Fabrik in Vicenza des Grafen Ottavio de Thieni, ehemals des Grafen Marc'Antonio, der ihr den Anfang gab. Dieses Haus befindet sich mitten in der Stadt, in der Nähe des Platzes, und daher kam es mir so vor, als gäbe es in dem Teil, der zum Platz hin liegt, einige Geschäfte: Denn der Architekt muss auch den Gewinn des Bauherrn berücksichtigen, der dies tun kann es bequem, wo es einen großen Platz für genug bleibt. Über jedem Laden gibt es ein Zwischengeschoss, das den Ladenbesitzern zur Verfügung steht, und darüber befinden sich die Räume für den Eigentümer. Dieses Haus liegt auf einer Insel, das heißt, es ist von vier Straßen umgeben...."

    Das Fries kommt also 1:1 aus Palladios Buch, wobei dieser nicht am realen Bauwerk in Vicenza existiert (wohl auch nie existiert hat?). Ein ähnliches Phänomen hatten wir auch mit dem Palazzo Valmarana (PG), der sich in Potsdam näher an Palladios Zeichnung orientiert als am real gebauten Palazzo in Italien. Ein zweites Detail sind die markant rund-eckigen Säulen In Vicenza neben den Fenstern, die in Potsdam in rund-runde Säulen umgewandelt wurden, weil die 2D-Zeichnung den Unterschied nicht erkennen lies.

    Wer noch nicht genug hat, kann in Mangers Baugeschichte von 1789 noch ein paar Details zum Bauvorhaben lesen:

    "Mit dem am neuen Markte auszuführenden, der Witwe Salow gehörigen Haus 5, 6-1/4 Fuß lang, 38 Fuß tief, traf in Anhebung des Inneren gleiche Unbequemlichkeit wie mit dem vorherigen ein. Die Außenseite musste nach des Palladio Vorriss auf der 14ten Seite des zweiten Buches ausgeführt werden, und die Geschosse konnten in unserm Klima und den hiesigen Holzpreisen, unmöglich so hoch werden, wie man es in Italien zu machen pflegt.

    Es ward also dieselbe folgendermaßen ins Werk gesetzt: Das untere 21 Fuß hohe Geschoss erhielt bäurische [grob] von einander abgesonderte Quadern, doch nicht solche, die, wie bei Palladio, den rohen gebrochenen Stein vorstellten, sondern mit scharfen Kanten, und da, wo die untern gevierdten Fenster an das durchlaufende Band stoßen, wurden Balken zu einem niedrigen Mittelgeschoss eingelegt, die weiten Bogen über tiefen Fenstern aber zum Gebrauch dieses Geschosses offen gelassen, und mit verglastem Rahmen versehen, damit man auf dem Fußboden liegend, lesen, schreiben, ober andere Arbeit verrichten konnte. Das obere 24 Fuß hohe Stockwerk ward wieder in zwei Teile geteilt, nämlich über den fünf Hauptfenstern desselben, die zu beiden Seiten mit kleinen ionischen Wandsäulen, mit Bassagen [?], und darüber wechselweise mit eckigen und runden Frontons [Fenstergiebel] versehen waren, kamen noch niedrige Fenster, und über die unmittelbar fortlaufende Astragale der Pilaster in jeder Weite unter dem Architrav ein Kopf mit Festons.

    Der Bildhauer Eppen machte sowohl die 6 großen römischen Pilaster, als die zehn kleinen ionischen Wandsäulenkapitäle an den Fenstern, nicht weniger die fünf Köpfe mit Girlanden unter der Architrave."

    Quelle: Band 1, S. 203-04: https://archive.org/details/heinri…ge/202/mode/2up

    Die heutige 3/4 Reko ohne das Fries ist somit in dem Aspekt näher am italienischen Bauwerk.

  • Wann haben sich die Dachgauben denn so krass vermehrt? Und ich weiss zwar, dass Dank Fernwärme keine Schornsteine mehr notwendig sind, aber zur Vervollständigung des Stadtbildes wären sie schon sehr notwendig.

  • Ich empfinde beides nicht wirklich als problematisch. Die Gauben beeinträchtigen trotz ihrer hohen Anzahl die Gesamtwirkung nicht allzu sehr und weisen sogar eine bessere Gestaltung als noch 1911 auf. Die Schornsteine hätte man vielleicht als ganz charmant bezeichnen können, aber sie haben das Gebäude meiner Meinung nach nicht unbedingt positiv beeinflusst, da sie doch recht unregelmäßig sind. Ohne sie wirkt das Dach harmonischer.

  • Das mit den Schornsteinen meine ich auch eher allgemein. Du hast in Potsdam eine barocke Altstadt ohne einen einzigen Schornstein, weil die mit Einbau der Fernwärmeheizungen überall entfernt wurden. Das mag eine Kleinigkeit sein, aber die Farbe und Form von Dachpfannen ist auch nur eine Kleinigkeit, die aber große Auswirkungen auf das Aussehen der Dachlandschaft hat.

    Bei den Gauben gebe ich Dir widerwillig Recht 😜...

  • Ich finde die Veränderung des Straßenraums davor katastrophal. Flaniermeile mit gemütlichem Holperpflaster und parkähnlichem Mittelstreifen ist einer Stadtautobahn gewichen mit Ø Aufenthaltsqualität.

  • Wann haben sich die Dachgauben denn so krass vermehrt? Und ich weiss zwar, dass Dank Fernwärme keine Schornsteine mehr notwendig sind, aber zur Vervollständigung des Stadtbildes wären sie schon sehr notwendig.

    Jede Dachdurchdringung birgt Abdichtungsrisiken

    Vielleicht wird es irgendwann Dachpfannen oder -ziegel geben, die eine Schornsteinattrappe mitbringen.

    Bei ungenutzten Schornsteinzügen sind zusätzliche Risiken durch einlaufendes Wasser zu berücksichtigen.

    Da sind die fehlenden Schornsteine in der Ansicht ganz gewiss das kleinere Übel.

  • Rein geometrisch würde der Block ja sogar besser hinter das quadratische Portal passen, aber diese Balkonfassade...

    Das Portal Langer Stall in Potsdam war eine zweite Variante des Portals vom Kadettenhaus in Berlin. Beide wurden von Unger geplant, in Berlin 1776-79, in Potsdam kurz darauf 1781. Das Berliner Kadettenhaus wurde ca. 1900 abgerissen und durch das riesige Landgericht Berlin ersetzt, heute Littenstraße 13–17. Nur das Potsdamer Portal steht noch.

    Kadettenhaus_Neubau_1807_%28Kupferstichkabinett%29.jpg

    Kadettenhaus_Neubau_1861.jpg


    Gemeinfrei, vor 1900.

  • Die zukünftigen Mieter werden es sicher kaum erwarten können in diesen modernen Gebäudekomplex ziehen zu dürfen. Endlich raus aus diesem maroden und muffigen RZ. Im Neubau haben sie dann viel bessere Arbeitsbedingungen. Und alljene Künstler die sich noch immer sträuben aus dem RZ zu ziehen,sollten etwas mehr Zuversicht haben und mit Neugierde und Kreativität dem neuen Kreativquartier gegenüberstehen und sich nach und nach Geistig vom alten RZ lösen. Ja, manchmal tut festhalten mehr weh, als loszulassen. Aber nur durch loslassen vom Altgewohnten öffnen sich neue Türen.

  • Warum ist das schon wieder alles so mega hässlich?

    Meine Güte. Das ist Hofbebauung, zudem noch im Rohbau, und hat später keine Auswirkung auf das Stadtbild.

    Wenn es jemand kann, dann ist es keine Kunst. Und wenn es jemand nicht kann, dann ist es erst recht keine Kunst!