Fabrik- und Industriearchitektur

  • Ich glaube, das ist ein interessanter Bereich der Architekturgeschichte, der bisher noch nicht allzuviel Beachtung fand.

    Natürlich geht es uns in erster Linie um die Wiederherstellung lebenswerter Stadtzentren, aber auch diese eher peripher angesiedelte Architektur ist ein mittlerweile sehr stiefmüterlich behandeltes Thema.

    Interessant wäre z.B. die Geschichte zu ergründen warum in der Wilhelminischen Epoche so viel Wert auf ein prunkvolles Äußeres der Fabrikgebäude gelegt wurde, obwohl man das Geld auch anders hätte investieren können.
    Ich habe von Vorschriften gelesen beispielsweise der -Stadt Dresden- , dass Gewerbe- und Industriebauten sich an der alten Innerstädtischen Architektur orientieren sollte oder zumindest nicht sofort als solche störend zu erkennen sein. So entstanden die Yenitze und das damals sehr moderne Fernheizkraftwerk direkt im Zentrum.

    Heutzutage ist dieser ästhetische Sinn vollkommen abhanden gekommen und man ist froh, wenn ein Investor überhaupt neue Arbeitsplätze schafft.
    Im Gegenzug sieht man immer mehr alte Fabrikgebäude, die zu hochwertigen begehrten Lofts, Bibliotheken, Theater oder Restaurants umgebaut werden.

    Ich fände es gut, wenn wir in diesem Strang mal einiges zusammentragen könnten. Vielleicht gibt es ja doch die ein oder andere ästhetisch ansprechende Fabrikhalle, welche in unseren Tagen entstand?
    Oder was haltet ihr von den angesprochenen Umnutzungen?

  • [quote="Kindvon2dresdnern"]

    Interessant wäre z.B. die Geschichte zu ergründen warum in der Wilhelminischen Epoche so viel Wert auf ein prunkvolles Äußeres der Fabrikgebäude gelegt wurde, obwohl man das Geld auch anders hätte investieren können.
    quote]

    In der Barockzeit haben sich die Fürsten, seien es die der Könighäuser, aber auch der Duodezfürsten, sich zuerst nach Versailles, dann nach den anderen Residenzen ausgerichtet, man stand sozusagen im Wettbewerb miteinander.
    Das läßt sich in der Kunst beobachten, Mozart hat sich z.B. in erster Linie bei einer neuen Symphonie gefragt, was wohl Haydn dazu sagen wird und nicht, was die Gemüsefrau am Naschmarkt darüber denkt.
    Ähnlich wird es sich bei den frühen Industriebauten verhalten haben, die Gebäude waren Werbung für den Inhalt, sozusagen, ein prächtiges Areal bei Borsig oder Siemens zeigte, daß man über finanzielle Macht und über großartige Maschinen verfügte. Wahrscheinlich hätte man ein rein funktionelles Gebäude für wirtschaftliche und geistige Armut gehalten, es war ja auch noch die Zeit des Bildungsbürgertums.
    Die Faguswerke waren der erste Bruch mit dieser Bau- und Sichtweise, wobei man ihnen durchaus noch architektonische Kühnheit zubilligen möchte. Vor vielen Jahren waren sie zum Tag des offenen Denkmal geöffnet und der Enkel des Gründers hat die Besucher durchs Gelände geführt. Zwei Dinge sind mir im Gedächtnis geblieben:
    zum einen hat er uns auf eine Stelle in der Wand aufmerksam gemacht, wo die Backsteine alle den gleichen Farbton aufweisen. Diese Stelle war nachgebessert worden, d.h. man hatte die alten Steine austauschen müssen und dieser Wandabschnitt wirkt steril, weil das Farbspiel der alten Steine ringsherum nicht vorhanden ist. Letzteres kam dadurch zustande, weil die Fabrik ursprünglich aus Backsteinen zweiter Wahl (Kostenersparnis) erbaut worden war, was dem Gemäuer eben die interessante Lebendigkeit verlieh.
    Zum zweiten erzählte er eine Anekdote zum Denkmalschutz:
    Die Werke waren ursprünglich nur einfach verglast worden, so daß die Arbeiter im Sommer vor Hitze vergingen, während sie im Winter froren.
    Besagter Enkel wollte deshalb moderne Fenster, ich glaube Doppelfenster, einsetzen. Der D.malschutz sagte "Nein".
    "Gut", sprach der Besitzer, wir machen jetzt eine Werksbegehung, "ich habe bereits einige Fenster heimlich ausgetauscht. Wenn Sie mir sagen, welche das sind, nehme ich sie wieder heraus. Wenn Sie es nicht herausfinden, darf ich doch bitte zum Wohle meiner Mitarbeiter alle anderen auch austauschen!?"
    Er durfte! :)

  • Ich weiss nicht, ob hier jemand die Stadt Prenzlau kennt...
    Der Prenzlauer Molkereibesitzer Franz Wienholz sah sich 1889 plötzlich mit einer mächtigen Konkurenz konfrontiert, als die uckermärkische Molkereigesellschaft eine Großmolkerei einrichtete. Um seine Firma vor dem Untergang zu bewahren begann er zu experimentieren und erfand das technische Verfahren zur Fetthärtung und damit zur industiellen Margarineherstellung. In unmittelbarer Nähe des Stadtzentrums baute Wienholz seine "Milchzucker- und Margarine-Fabrik", ein eindrucksvoller neogotischer Backsteinbau, in Kubatur und Gestaltung den schottischen Herrensitzen nachempfunden. Burgartig thronte das Fabrikgebäude über der Stadt.

    Nach dem Tode von Wioenholz gerieten die erben in finanzielle Schwierigkeiten, verkauften zunächst die Patente, dann auch die Fabrik. Das Gebäude selbst uberstand den 2. Weltkrieg weitgehend unbeschädigt, die Produktionseinrichtung wurde aber 1946 von den Russen demontiert.
    Das fabrikgebäude fiel an die Stadt und wurde als Gewerbefläche vermietet . Nach einem Blitzeinschlag anfang der 70ger Jahre wurde es nur notdürftig in Stand gesetzt, in den 80gern brannte es nochmals, ebenfalls ohne dass anschliessend notwendige sicherungsarbeiten vorgenommen wurden. Anfang der 90ger wurde der komplette Komplex von einer KFZ-Werkstatt erworben und für deren Verhältnisse, ohne Beachtung der Statik umgebaut und teilweise genutzt. die ungenutzten Teile der Fabrik verfielen immer weiter.
    Der letzte mir bekannte stand war, dass die Fabrik im Jahre 1999 Baupolizeilich gesperrt wurde wegen akuter Einsturzgefahr. Ich hoffe, sie ist zwischenzeitlich noch nicht abgerissen worden. Die Denkmalpflege hat mehrmals unter der Begründung, Industriearchitektur sei als Zweckarchitektur nicht besonders schützenswert, die Aufnahme in die Denkmalsliste abgelehnt.

    Hier ein Bild:

    Das Dach im linken Bildteil ist ein Nachkriegsprovisorium, der rechte Flügel ist in den 80gern abgebrannt. Zum Komplex gehören noch mehrere nebengebäude im selben Stil, die Wellblechkonstruktion im vordergrund ist ein Schleppdach der Werkstadt

    "... es allen Recht zu machen, ist eine Kunst, die niemand kann..." (Goethe)

  • Ich möchte an dieser Stelle einmal ein Beispiel aus Essen-Kettwig zeigen, welches noch im Dornröschenschlaf schlummert. Was genau dieses Gebäude für eine Produktionsstätte war kann ich nicht genau sagen. Ich weiß nur, dass seit etwa 5 Jahren ein Bauzaun dasteht, früher auch ein Schild mit dem Hinweis: Loftwohnungen in 1a Lage sollten entstehen. Das Schild ist nicht mehr da, wahrscheinlich ist der Investor pleite gegangen. Ein paar hundert Meter Weiter steht ein anderes Fabrikgebäude, welches schon vor 3 Jahren saniert und zu Lofts umgebaut wurde. Ich hoffe nur für diese Ruine, dass sie nicht abgerissen wird!

    So jetzt die Bilder (vorab sorry für die Qualität):


    Wo ich gerade dabei bin, hier ein paar Eindrücke von Kettwig, einer Perle des Ruhrgebietes, aber auch mit reger Bautätigkeit:

    Neben der o. g. Villa wird dieses Ding gebaut. Es sieht so aus, als wenn früher auch eine klassizistische Villa stand

    Neben dieser wird eine solche "verschönert"

    Ortskern:

    Das Haus in der Mitte scheint jüngeren Datums zu sein und fügt sich m.E. sehr gut ein.


    Dieses Haus wurde 2004 im traditionellem Stil neu errichtet daneben gleichzeitig im angepasten modernistischem Stile:


  • Danke Henk für die Aufklärung!


    Habe in der Fotocommunity gerade folgendes gefunden:

    AUS für marode Zuckerfabrik in Halle

    http://img-b.fotocommunity.com/7/3772507.jpg\r
    img-b.fotocommunity.com/7/3772507.jpg
    http://img-a.fotocommunity.com/ram/new/5025551.jpg\r
    img-a.fotocommunity.com/ram/new/5025551.jpg

    Dazu dank google noch gefunden:

    http://www.halle.de/index.asp?Menu…5&TotalNews=154

    Und hier ein intressanter link mit weiteren Bildern

    http://www.leerstehende-baudenkmale.de/baudenkmale/sa…rraffinerie.htm

  • So ein riesiger Fabrikkomplex einfach abgerissen? Wirklich schade... wobei gerade solche großen Anlagen große Schwierigkeiten haben einen Investor zu finden. In solchen Fällen wäre es doch angebracht, von Seitens des Denkmalschutzes ein paar Zugeständnisse zu machen.
    Gerade um den Turm ist es schade aber auch um den Rest des Gebäudes. Maybe, jetzt ist wieder Platz für ein Glas-Stahl-Monster.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Eigentlich ein interessanter Themenstrang, der es verdient, von Zeit zu Zeit zum Zwecke der allgemeinen Erbauung und Schönheitslehre mit Fotos gefüttert zu werden.

    Das alte Elektrizitätswerk Cottbus, 1902-03 erbaut nach Plänen des Cottbuser Stadtbaurats Richard Bachsmann im neogotischen Stil, mit in munterem Eklektizismus hinzugefügtem Fachwerkerker:

    Mit Spreewasserkraft wurde der Strom erzeugt:

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Zu dem Thema hätte ich auch etwas beizutragen. Vor rund zwei Jahren haben wir der Zeche Zollern in Dortmund einen Besuch abgestattet, woraus ein Blogartikel entstammt:

    Zitat

    Sie liegt im äußersten Westen Dortmunds im Stadtteil Bövinghausen und ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert: die Zeche Zollern. Bis zur Stilllegung im Jahre 1966 zählte sie allerdings gegenüber einigen Großzechen zu den weniger bedeutenden Steinkohle-Bergwerken im Ruhrgebiet. Die Rettung der bereits für den Abriss vorgesehenen Maschinenhalle durch engagierte Bürger wurde zur Initialzündung der Industriekultur. Das führte zugleich zum generellen Umdenken im Umgang mit unserem industriellen Erbe.

    1979 wurde die Zeche Zollern zur Hauptstelle des Westfälischen Industriemuseums (seit 2006: LWL-Industriemuseum), zu dem noch weitere ehemalige Industrie-Standorte gehörten. Heute ist die Route der Industriekultur ein Symbol für den bemerkenswerten Strukturwandel der Region und ein Tourismusmagnet.

    Mehr: https://www.zeilenabstand.net/zeche-zollern-…ndustriekultur/

    Impressionen:

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Und weiter geht es mit Industriearchitektur aus dem Pott: Nun das Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop, das heute Teil des LWL-Museumsverbundes und ein Industriemuseum ist.

    Zitat

    Das 1899 errichtete Schiffshebewerk Henrichenburg ermöglichte erstmals den durchgehenden Schiffsverkehr von der Nordsee bis zum Dortmunder Hafen. Es überwindet 14 Meter Höhenunterschied und ist das erste ausgeführte Mehrschwimmer-Hebewerk. Das Bauwerk wird an der Schauseite mit dem Staatswappen vom preußischen Adler geschmückt. Die beiden Türme tragen die Wappen der preußischen Provinzen Westfalen und Hannover, die der Kanal durchzieht. Am Schiffshebewerk Henrichenburg kommen Ingenieurskunst und Schauarchitektur in Vollkommenheit zusammen.

    Weiter lesen: https://www.zeilenabstand.net/industriekultu…-henrichenburg/

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

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  • Einen Ort habe ich noch: das Weltkulturerbe Zeche Zollverein in Essen: https://www.zeilenabstand.net/weltkulturerbe…as-ruhr-museum/

    Daraus:

    Zitat

    Der Weg führt zunächst durch das Gelände der Schachtanlage XII, die den eigentlichen Ruhm der Zeche ausmacht. Der Gebäudekomplex galt als architektonische und technische Meisterleistung und war richtungsweisend für den funktionalen Industriebau der Neuen Sachlichkeit. In den Bauten haben sich heute zahlreiche Unternehmen und Institutionen, vor allem aus den Bereichen Gastronomie, Kunst, Kultur und Design angesiedelt. Mit dem Red Dot Design Museum befindet sich ein weiteres Museum auf dem Gelände.

    Impressionen:

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

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  • Ich unternahm heute einen Ausflug nach Augsburg und besichtigte den Glaspalast.

    Laut Wiki: " Der Glaspalast ist ein Industriedenkmal in Augsburg, welches 1910 als vierte und letzte Ausbaustufe (Werk IV: Aumühle) der Mechanischen Baumwollspinnerei und Weberei Augsburg (SWA) in Betrieb genommen wurde."

    Heute ist die ehemalige Spinnerei ein Zentrum für Gegenwartskunst.

    Beauty matters!


  • Paar Impressionen von Innen

    Diesen Vorarbeiter - Erker fand ich ganz witzig.


    Die Raumwirkung ist toll. Hier noch paar flüchtige Aufnahmen von der Ausstellung. Da ich mein Kind dabei hatte, war leider kaum Zeit für durchdachte Aufnahmen. Ich kann Euch nur sagen, dass es so gut tat, ohne Anmeldung, ohne Tests, ohne Stress, eine Kunstausstellung zu besuchen.


    Beauty matters!