Im Gegensatz zu der Kritik, die uns immer wieder an den Kopf geknallt wird, argumentieren wir eben nicht "selbstgefällig" und "ideologisch verblendet" sondern sachlich und nach ästhetischen, städtebaulichen und kulturhistorischen Argumenten, auch wenn man ideologische argumentationen nie ganz ausschließenm kann, besonders wenn ideologische, als sachlich getarnte Argumente entkräftet werden müssen.
Die ganze Diskussion um das Paulineum und die Universitätskirche ist doch nur entstanden, weil man das Karl-Marx-Relief möglichst schnell weg haben wollte, bestimmt nicht aus ästhetischen und kulturellen, sondern ausschliesslich aus ideologischen Gründen. Da das Relief aber signifikanter Bestandteil des Statik des Gebäudes ist, kann es nicht so ohne weiteres abgenommen werden. Der derzeitige Universitätsbau im Stil der 60ger Jahre würde im sanierten Zustand vom Standpunkt der Zweckmäßigkeit und Funktionalotät her vollauf den Ansprüchen der Universität genügen. Der derzeitig geplante Aulabau scheint lediglich mit einem möglichst großen Zeigefinger auf die Sünden Ulbrichts zu zeigen um von irgendwas abzulenken... von den eigenen Sünden, vom Selbstverwirklichungsdrang des Rektors, von der Ideologie in der ganzen Sache... ich weiss es nicht und ich ewill es auch gar nicht wissen.
Nun aber zu den sachlichen Überlegungen: Zum ersten sind wir uns darüber ja scheinbar einig, dass der 60ger-Jahre-Klotz da sonicht stehen bleiben soll. Er erfüllt zwar die funktionellen, nicht aber die ästhetischen und städtebaulichen Anforderungen an ein derart wichtiges Gebäude.
Was an die Stelle des alten Paulineums treten soll, ist dabei ersteinmal zweitrangig. Es geht ja hier um die Universitätskirche. Fangen wir doch mal mit dem schnöden Mammon an. Die Rekonstruktion der Paulinerkirche wird nachweislich deutlich weniger Geld kosten, als die geplante Aula, zudem könnte man einen nicht unerheblichen Teil aus Spenden finanzieren. Die Unterhaltung beider Gebäude wird zunächst etwa gleich teuer werden, wenn es in den Bereich von Sanierungen und größeren Reperaturen geht, wird aber die geplante Aula aufgrund ihrer komplizierten Konstruktion einen deutlich höheren aufwand darstellen. In Zeiten knapper Kassen ist Sparsamkeit immer ein starkes Argument.
Zur Funktionalität: das Gebäude soll primär als Aula für akademische Festveranstaltungen dienen, aber auch für Ausstellungen, Konzerte, Vorträge etc. genutzt werden. Nehmen wir das Beispiel der rostocker Universitätskirche. Diese erfüllt alle diese aufgaben zur Genüge, kann zudem noch für Gottesdienste genutzt werden und zieht Touristen an. Die letzten beiden Aufgaben kann der aulaentwurf nur bedingt oder gar nicht erfüllen. Auch aus dem funktionalen Blickwinkel sprechen die Tatsachen also eher für die Kirche.
kommen wir zum Städtebaulichen Aspekt. Der augustusplatz hat zumindest an seiner Westseite seine Proportionen nach dem Kriege kaum verändert. Das in den 50ger Jahren errichtete Opernhaus entspricht in Größe und Form weitgehend dem Vorkriegsbau, die nördliche Zeile der Westseite hat ebenfalls weitgehend ihren Charakter der Vorkriegszeuit bewahrt. Das Neue Gewandhaus passt sich, wenn auch mit moderner Formsprache und Gestalt, den Proportionen und Größenverhältnissen des Platzes an. Lediglich das Hochhaus ragt aus dem wohlproportionierten Platz deutlich heraus. es wird jedoch optisch durch die umstehende bebauung in den Hintergrund gedrängt und nicht als direkter Bestanmdteil des Platzensembles wahrgenommen. Nun nimmt die aula aber gerade an diesem Hochhaus Bezug und sticht deutlich, aus der übrigen Bebauung hervor, wirkt wie ein Fremdkörper, der den Betrachter optisch zu erschlagen droht. Freilich hat die Aula auch eine Stadtbildprägende Wirkung, jedoch eine vernichtende. Sie verdeckt vom Augustusplatz aus den Blick auf den Turm der Nikolaikirche und die restliche Altstadt, als wolle sie diese der Wahrnehmung entziehen. Die Paulinerkirche an dieser stelle passte sich nicht in die umliegende Bebauung ein, sondern gab mit ihren Formen und Proportionen überhaupt erst die Grundlage für die übrige Gestaltung des Platzes. Sie ließ den blick an ihrem hohen Dach entlanggleiten und leitete ihn auf die Türme der dahinter liegenden Stadt.
Sie lud in die Stadt ein, zeigte als Vorzeichen, was den Besucher noch in der stadt erwartete und stellte mit ihrem schlanken Gibel einen wilkommenen Kontrast zu den Traufenständigen Gebäuden am Platz dar, ohne aus de Gesamtbild herauszuragen. Man könnte sie fast mit der Gestalt der gütigen Mutter, die im Kriese ihrer (erwachsenen) Kinder sitzend sich von diesen zwar abhebt, mit ihnen aber das geschlossene Ganze der harmonischen Familie bildet. Die Aula hingegen stellt sich, wenn wir bei diesem Vergleich bleiben wollen eher als hochnäsig nach hinten gebeugte Stiefmutter, die Hand zur Züchtigung erhoben, dar, die ihre Schutzbefohlenen brutal niederdrückt. Besonders deutlich wird dieser Vergleich werden, wenn man die aula von der "Rückseite" her betrachtet, wo sie wie ein Fremdkörper aus der Dachlandschaft ragt und auch hier den Blick auf sich zieht.
Schliesslich bleibt da noch der Kunst- und Kulturhistorische Aspekt. Selbst wenn die überragenden Kunstwerke der Paulinerkirche, die Renaussanceepitaphien, die Skulpturen, die Kanzel und andere Einrichtungsstücke in der Aula einen würdigen Platz finden, so werden sie dort doch nur zu Ausstellungsstücken degradiert, die ihrer natürlichen Umgebung entrissen und ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt ein geduldetes aber sinnloses Schattendasein führen. Nur in der wiedererstandenen Paulinerkirche würden diese kulturhiostorisch bedeutsamen Kunstwerke eine wirklich würdige Bleibe finden, denn nur dort bilden sie mit dem Raum, den sie füllen und dem Gebäude, das sie beherbergt, eine funktionale und harmonische Einheit und nur dort kommen sie sowohl ihren kust- und kulturhistorischen wert und ihre Bedeutung betreffend wirklich zu der Geltung, die ihnen zukommt.
Zudem würde die Kirche, anders als die Aula, ihrer städtebaulichen Funktion als Teil der gewachsenen Stadt erfüllen, indem sie einen wichtigen Punkt und bereich im Organismus Altstadt markiert. Die aula könnte dieser funktion nur sehr eingeschränkt nachkommen, denn sie ist kaum auf den ersten Blick als das zu erkennen, was sie im Städtebaulichen Kontext darstellen soll. Die kunst- und architekturhistorische Bedeutung der Kirche als bedeutende mitteldeutsche Hallenkirche mit markantem Ostgiebel, kunstvoller Maßwerkausstattung und wohlproportionierter Raumaufteilung, mit Gewölben und Maßwerkfenstern und dem kunstgeschichtlich einmaligen östlichen Rosettenfenster wird die Aula jedenfalls niemals erreichen.
Ja auch die aula stellt ein Kunstwerk dar, eine Synthese aus moderner Bauweise und Gestalt und leise zitierten gotischen Elementen. Sie ist ein geschlossener künstlerischer Entwurf, der durchaus seinen Wert hat. Das will ich hier auf gar keinen Fall in Abrede stellen. Trotzdem ist sie verglichen mit der Paulinerkirche bei fast jeder Betrachtungsweise die zweite Wahl. Zudem wird ihr wegen der fehlenden Konsequenz, sich entweder ganz zur Moderne oder ganz zur Gotik zu bekennen, immer der Ruf anhaften, nur ein Kompromiß zu sein, obwohl gerade diese Synthese den Wert des Entwurfs ausmacht.
Zuguterletzt möchte ich auch auf die identitätsbildende Funktion des Gebäudes zu sprechen kommen. Die Universität [lexicon='Leipzig'][/lexicon] ist eine alte und traditionsreiche Universität, eine der ältesten im deutschsprachigen Raum. Sie wurde zu einer Zeit gegründet, als die kirche nun einem die Maßgebende Institution in Europa war. Das gebäude Paulinerkirche, das von Anfang an zur Universität gehörte, hat sich dabei deutlich in das Bewußtsein der Universität eingeprägt und stellte zu jeder Zeit einen Teil der Tradition der Universität dar. Die gesamte Tradition ist auf dieses Gefüge ausgerichtet sie bricht mit dem Wegfall eines signifikanten Teils ihrer selbst unweigerlich zusammen. Um die Identität der Universität aus der Masse der heutigen Gesellschaft herauszuheben ist es notwendig, sich nicht nur fachlich sondern auch traditionell zu profilieren. Mit dem Versuch, krampfhaft ein modernes Image zu schaffen, tritt die Universität jedoch in den Kries der farb- und gesichtslosen modernen "Bildungssupermärkte" und verleugnet den Geist der Universitas und ihre eigene Identität. Die Paulinerkirche ist in der Lage, genau die Säule der akademischen Tradition und Identität Leipzigs darzustellen, die das Bewusstsein der Studenten, Mitarbeiter und Professoren für die Identität der Universität als Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden, als Verbindung von Forschung und Lehre und als Hort der Wissenschaft und akademischen Freiheit trägt. Ob eine moderne Aula dieser Funktion nachkommen kann, kann ich nicht sagen. Ich fürchte aber, wenn sie es nicht kann, wird der dadurch entstehende idelle Schaden nicht absehbar sein.
Ich denke, ich habe meine Gedanken zur Problematik Aula oder Kirche, die leider zu der tatsache Aula statt Kirche geworden zu sein scheint, klar dargelegt. (AY)