Würzburg 2020 Innenstadt - Teil 1

  • Das lässt aus, dass Stadtzentren (zumindest bis vor Kurzem) essentielle Stadträume der Warenversorgung, des sozialen Miteinanders, und des informationellen Austausches waren. Sowas über viele Jahre brach liegen zu lassen würde im Umkehrschluss bedeuten, dass man Alternativen anderswo geschaffen hätte und dann später ein totes Zentrum (ob mit oder ohne Bebauung) vorzufinden hätte.

    Das halte ich ganz entschieden für verfehlt. Das war einmal. Die alten Stadtzentren waren schon längst obsolet geworden bzw wirtschaftlich nur ein Klotz am Bein, dessen man sich aus Pietät bis Denkmalschutz nicht entledigen konnte (obwohl man wohl gar nicht so selten und gar nicht so leise davon geträumt hatte). Selbstverständlich hätten in einer Übergangszeit Alternativen ausgereicht bzw Städte sogar ohne pulsierendes Zentrum funktioniert, dafür gibt es reelle Beispiele, ganz abgesehen vom Schluss, dass ein nicht vollständiges bebautes Zentrum wirklich bar SÄMTLICHER Funktionen sein muss. Das mit dem "späten toten Zentrum" stimmt auch nicht, wie der Neumarkt zeigt und der Potsdamer Alte Markt zeigen wird (eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung vorausgesetzt). Die wirklich lebenswichtigen Einrichtungen befanden sich spätestens seit 1900 außerhalb der Altstädte (Bahnhöfe, Krankenhäuser, Wasserwerke), was auch sozusagen "agorale" Funktionsverschiebungen brachte - Bahnhöfe als Treffpunkte und kleine Wirtschaftszentren. Ich meine, es wäre entschieden klüger und weitersichtig gewesen, gewisse Aussparungen vorzunehmen, anstatt sich, wie es schien, die alten und allerwertvollsten Gegenden einem umso frühen und hohen Erschließungsdruck auszusetzen, dh die fetten Pfründe dermaßen voreilig zu verteilen. Damit diente man auch keineswegs immer dem nun mal unbestreitbar vorhandenen Wohnbedürfnis. Hier ist E.C. also unbedingt rechtzugeben, wobei das mit den 2 km2 wären natürlich übertrieben erscheint, so groß waren ja überhaupt die wengisten Altstädte. Im Osten ist das auch gegangen (wenngleich zT eher unfreiwillig).

    Darüber hinaus ist das Reflektieren auf die Nachkriegsnot in diesem Zusammenhang unredlich. Schließlich war der erste frühe 50er Jahre Wiederaufbau, also noch zu schlechteren Zeiten der weitaus beste, was man sogar in Wien beobachten kann. Mein Vater berichtete mir von einer 50er Jahre Reise nach Nürnberg, die er sehr positiv beurteilte. Nürnberg wird wieder schön, meinte er. Als er in den 80ern dort war, war er vom Ergebnis entsetzt. Die unbestreitbare wirtschaftliche und menschliche Not der späten 40er und ganz frühen 50er steht mit dem Ergebnis kaum in Kausalverhältnis.

    Das ist doch weltfremd!

    Nun... ist erster Linie ist es in meinen Augen weltfremd bzw präzise gesagt realitätsverweigernd, gewisse Dinge schönzureden. Wir müssen hier natürlich auch folgende Überlegung betrachten, so schmerzhaft sie für dich auch sein mag: Was haben Dresden, Potsdam, Berlin, Leipzig, Hildesheim, Mainz, Braunschweig, Lübeck, Frankfurt/M (ich lasse Ulm aus, um nicht zu polemisieren, obwohl ich es dazu zählen würde) im Vergleich zu (in alphabetischer Reihenfolge) Augsburg, Nürnberg, Würzburg (ich nehme hier München aus, obwohl es auch in diese Liste passen würde) gemeinsam?

    Die geographische Lage und daneben den schlichten Umstand, dass in der erstgenannten Gruppe seit den 1980er Jahren ganz unterschiedliche, aber nicht unwesentliche Stadtbildverbesserungen vorgenommen wurden (über das Anbringen von Spolien oder die Teilergänzung eines Innenhofs hinaus, bevor mir jemand wieder damit kommt). Was hat das eine mit dem anderen zu tun? mE eine gewisse mentalitätsmäßige Selbstzufriedenheit und Selbstgefälligkeit, die sich in diesen ewig wiederkehrenden Diskussionen manifestiert (daher hab ich München ausgenommen, weil dort wirklich Grund zu einer gewissen Zufriedenheit besteht). Nehmen wir Freund Heinzer (und nicht nur ihn), wie hart der mit seiner Stadt Bremen ins Gericht geht, obwohl das Schlechte dort wirklich nicht schlechter ist als anderswo. Es ist mE sehr wohl dieser Mentalität und dem fehlenden Bewusstsein eines gewissen Handlungsbedarfes geschuldet.

    Und dann immer das: Leute, wacht auf, völlig unrealistisch etc. Das ist ein Forum, in dem es eben um genau das geht. Und, Zeno, keine Angst, woanders IST man aufgewacht, teilweise schon in den 80ern und ist daran gegangen, alte Fehler zu mildern. So wird das bei euch nie etwas werden. Die neue FFer Altstadt wäre mit dieser Einstellung unmöglich gewesen. Eben deshalb sind wir da, wo wir sind, weil alles a) eh unvermeidlich gewesen und b) letztlich eh ganz schön ist, dass gewisse maßgebliche Leute sagen: Nürnberg ist ein Flächendenkmal aus den 50er und 60er Jahren, an dem nichts geändert werden soll. Weiß nicht, ob das jemand schon von Würzburg behauptet hat. Aber zweifellos ist es so: Weil man eh alles richtig gemacht hat, muss man diesen erfolgreichen Weg weiterbeschreiten und klotzt noch vor die letzte wirklich schön gebliebene (wenngleich ahistorische) Marktseite das unsäglich schiache Petrini-Haus, damit auch die charmante Sicht auf die Festung versaut ist. Würzburg ist wirklich die einzige zerstörte Stadt, in der sich absolut nichts zu Besseren gewendet hat. Als i-tupfen noch der Verbindungsbau zwischen Dom und Neumünster, damit auch diese schöne Ecke hin ist.

    Die Hoffnung auf einen Bewusstseinswandel hege ich trotzdem. Sonst wäre ich ja nicht in diesem Forum.

    Richtig. Aber hier bei gewissen Städten kann man darob verzweifeln. Das Ärgerliche ist ja, dass man mit relativ wenig relativ viel bewirken könnte.

    ich weiß noch, wie erschüttert ich angesichts der Bilder der zerstörten Städte war, die ich damals sah. Das war für mich fast schon traumatisch und ich konnte es kaum fassen.

    Wirklich wahr, das ist mir genauso gegangen. Ich glaubte schon, der einzige zu sein, der so verrückt ist.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Danke für das Verlinken des Artikels der Main-Post mit einem Foto des Neubaus am Paradeplatz.

    Nachfolgend Titel und Kopfzeile aus diesem Artikel:

    Petrini-Preis für Hotel und Restaurant am Würzburger Paradeplatz: Neubau als Gewinn für die Altstadt

    Der Hotel- und Restaurantkomplex am Paradeplatz gewinnt Petrini-Preis 2023. Er sei ein neues und gleichzeitig vertrautes Schmuckstück im Würzburger Stadtbild.

    Und hier zeigt sich mE eben, dass es geboten ist, auch am Beispiel Würzburg immer wieder in Erinnerung zu rufen, was am Wiederaufbau zu einem großen Anteil schlecht gelaufen ist. Andernfalls gewöhnt man sich an dieses "zu viel" an Banalitäten, richtet sich darin ein und feiert dann auch solche Neubauten wie am Paradeplatz.

    Die Hoffnung auf einen Bewusstseinswandel hege ich trotzdem. Sonst wäre ich ja nicht in diesem Forum.

    Zu diesem Bewusstseinswandel gehört - mE zeitlich vorangestellt - die Erkenntnis über die geringe bis miserable "städtebauliche Qualität" eines Großteils der Wiederaufbauarchitektur sowie der zeitgenössischen Architektur in den bundesdeutschen Innenstädten.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Das mit dem "späten toten Zentrum" stimmt auch nicht, wie der Neumarkt zeigt

    Ist das so? Ist der Neumarkt in seiner Funktion genau so wie eine kontinuierlich belebtes Zentrum? Schau mal wo das nächste Kaufhaus ist. Schau mal an, wie viele Dresdner analog wie in München sich in den Nahverkehr setzen, sich am Marienplatz/Neumarkt treffen, nen Einkaufsbummel in die anliegende Haupteinkaufsstraße machen (wo am Neumarkt?) und sich dann in ein Café setzen. Warum ist der Wochenmarkt am Neumarkt nur jedes zweite Wochenende? Ich gebe zu, ich kenne die Verhältnisse vor Ort überhaupt nicht - war auch nicht mein Beispiel, insofern sind Fehlschlüsse naheliegend, aber mir scheint, dass der Neumarkt nicht das ist, was der Marienplatz für München ist. Und das würde mich auch sehr wundern, weiß ich doch wie man sich in seinen Gewohnheiten verhält: Man passt sich nur sehr träge an, solange man seine bestehenden Alternativen hat. Ich denke viele Einrichtungen die ein kontinuierliches historisches Zentrum aufweist, sind hauptsächlich dort aufgrund von Gewohnheiten. Nicht umsonst gibt es stets die Tendenz zur Agglomeration gleicher Angebote. Ein etabliertes Zentrum bleibt ein Zentrum weil es ein Zentrum ist quasi. Dass es schwierig ist Zentren aus dem ,,Nichts" zu schaffen, wissen moderne Stadtplaner sehr genau. Die haben sich in den letzten Jahrzehnten unzählige blutige Nasen geholt bei Versuchen neuen Trabantenstädten Zentren zu verpassen.
    Ich würde mich ehrlich freuen, wenn ich nun Gegenteiliges erfahren dürfte, dass der Neumarkt und Umgebung seine Zentralfunktion für Dresden über den ideellen Wert hinaus bereits einnimmt. Bzw. hoffe ich natürlich, dass sollte es eben jetzt noch nicht soweit sein, das entsprechend ganz langsam anwächst.

  • Die wirklich lebenswichtigen Einrichtungen befanden sich spätestens seit 1900 außerhalb der Altstädte (Bahnhöfe, Krankenhäuser, Wasserwerke), was auch sozusagen "agorale" Funktionsverschiebungen brachte - Bahnhöfe als Treffpunkte und kleine Wirtschaftszentren.

    In den meisten Städten schließt der Bahnhof unmittelbar an das historische Zentrum an, bzw. das historische Zentrum hat in dessen Richtung expandiert und ist damit eine Einheit. Auch die historische Lage der Krankenhäuser und ähnlicher Einrichtungen war direkt im Umfeld. Es gab immer Bestrebungen, solche Funktionen aus den Zentren herauszunehmen. Bei den Krankenhäusern ist es heute usus, bei den Bahnhöfen eher nicht. Auch bei diesem Thema wird es für den Neumarkt dünn. Dadurch, dass dort wenig war, ist dort auch kein Nahverkehrsknotenpunkt. Sehr unüblich für echte Zentren, aber logische Folge von großen Brachflächen. Wie soll der Sprung funktionieren von keine Nachfrage zu höchster Nahverkehrsdichte?

  • Schau mal wo das nächste Kaufhaus ist.

    Das ist die typische merkantilistische BRD-Wirtschaftswunderdenke. In einer heutigen mitteleuropäischen Stadt definiert sich die agora nicht über Supermarkt. Man geht nicht auf den Wiener Graben "einkaufen" und auch nicht auf die Piazza Navona. Wo ist denn auf dem Altstädter Ring "ein Kaufhaus", kannst auch mal auf der Place des V0osges nachfragen oder auf der Brüsseler Grand place... Glaub auch nicht, dass du auf dem Rynek in Kraków besonders fündig werden wirst, kann ich aber nicht ausschließen, dieser Platz ist groß...

    Danke jedenfalls vielmals für diesen Einwurf. Das ist so typisch BRD, das erklärt in der Tat vieles. Man könnte es nicht besser auf den Punkt bringen. In Würzburg gibt es genug Kaufhäuser auf dem Markt, und wenn jetzt ein paar eingehen wird das fast als Katastrophe beklagt. Auch das macht einen Unterschied.

    Das nächste Kaufhaus am DDner Neumarkt wird übrigens nicht allzu weit sein, ungefähr auf der Wilsdruffer. Dort ist übrigens auch genug Nahverkehr. In Potsdam hat man sogar den Nahverkehr bewusst vom (neuen) Alten Markt wegverlegt, weil man ihn dort nicht haben will.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • ursus carpaticus polemisier doch nicht. Du hast jetzt einen möglichen Faktor unter vielen herausgegriffen, die ich eben leicht recherchieren konnte und stilisierst das eine jetzt hoch als wäre das das Kriterium überhaupt. Fakt scheint zu sein, dass dort wohl der Dresdner eher nicht hinkommt zum Einkaufen, das kann man so konstatieren, ob man es nun für besonders relevant hält oder nicht. Und: Es prägt eben sehr viele zentrale Orte, das Einkaufen, das Kaufhaus, bis heute, in München, bis vor Kurzem Bahnhofsplatz, Karlsplatz, Marienplatz, in Augsburg Königsplatz, in Ulm an der Hauptachse Bahnhofstraße, in Stuttgart Hauptachse Königsstraße, Regensburg Neupfarrplatz, Landshut Ländtorplatz, usw.

    Das nächste Kaufhaus am DDner Neumarkt wird übrigens nicht allzu weit sein, ungefähr auf der Wilsdruffer.

    Kann ich nicht erkennen.

    Dort ist übrigens auch genug Nahverkehr.

    So kann man das natürlich lösen, indem man das Nahverkehrsnetz drumherum legt. Müssen ja viele erhaltene (kleinere!) mittelalterliche Städte auch so machen. Trotzdem sprechen die Indizien dafür, dass der Neumarkt anders ist als ein Innenstadtkernbereich, der nicht Jahrzehnte brach lag. Davon lenkst Du nämlich ziemlich plump ab von dieser eigentlichen Frage bzw. Deiner noch gar nicht begründeten Behauptung das Neumarktumfeld wäre genauso wie ein historisch kontinuierlicher Stadtkern in seiner heutigen Funktion.

  • Hier ein Bild mit der noch nicht "ganz fertigen" Stadt, das mE zeigt, dass "Weniger oft Mehr ist":

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    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
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  • Auch in Würzburg haben die Einkaufsmöglichkeiten schon abgenommen in den letzten Jahren. Ich habe 8 Jahre während des Studiums dort gelebt und war vor einigen Wochen dort zu Besuch gewesen. Es hat sich einiges getan, manche Leerstände in der Innenstadt, gerade in Seitenstraßen. Das betrifft gerade Traditionsbetriebe wie Bäcker, Kleidungsgeschäfte und Gastronomie usw., ersetzt wurden sie durch, oh Wunder, Shishabars, Lagerräume oder Automatencafés. Letztendlich ist das natürlich vor allem eine Folge der wirtschaftlichen und politischen Lage im Land. Allerdings wäre eine völlige Abkanzelung der Innenstadt vom Autoverkehr dabei sicher kein Geschäftsbringer. Wer schleppt schon gerne große Einkaufstüten durch die Stadt oder in die Bahn, bei Geschäften wie Möbel, Elektronik und anderes was sperrig ist noch viel problematischer. Die Konkurrenz aus dem Internet schläft nicht, wenn man bequem bestellen und für Kleingeld nach Hause liefern lassen kann. Wenn es weniger Geschäfte gibt, geht auch niemand nach dem Einkaufen noch ins Café oder ins Restaurant. In Würzburg freilich in abgeschwächter Form, weil Studenten oft kein Auto haben. Allerdings haben sie auch meistens wenig Geld zum Ausgeben. Das nächste ist die Wohnbevölkerung, eine Innenstadt ist kein Museum, sondern lebendiger Lebensraum. Fällt die Erreichbarkeit mit dem Auto ganz weg, dann heißt es Einkäufe schleppen, Umzüge nur mit aufwändigen Sondererlaubnissen, längere Wegstrecken bei Anbindung ans Umland etc. Die Lösung in Würzburg ist schon so wie sie ist gelungen. Es gibt genug Parkgaragen, auch wenn die am Kardinal-Faulhaber-Platz in der Bürgerabstimmung verhindert wurde. Die zentrale Innenstadt ist jetzt bereits mehrheitlich autofrei.

    Allgemeiner gesagt, Würzburg mag kein Gesamtkunstwerk sein wie Bamberg, Coburg oder Regensburg. Diese Städte haben sicherlich ein intakteres Stadtbild als Würzburg. Dennoch hat die Stadt (kunst-)geschichtlich so viel zu bieten und hat ihren eigenen einzigartigen Charakter. Die Mischung macht es, die Lebensqualität, eine schöne Lage am Main mitten in den Weinbergen, die ausgeglichene, junge Stadtbevölkerung (es sieht noch mehr aus wie in Deutschland als anderswo), die vielfältigen Ausgehmöglichkeiten, Vereine etc., Grünflächen und Parks, die doch flächendeckend vorhandene Bausubstanz inklusive vieler historischer Kirchen und auch den gelungenen 40er- und 50er-Jahre-Häusern (auch wenn innen teils schon arg abgewohnt), oder Kleinigkeiten wie die Hausmadonnen und Innenhöfe, die enge Gemütlichkeit die die Bebauung vermittelt, ein lebenswertes, ländliches Umland, dazu die Stimmung in der Stadt, jung, dynamisch aber doch noch traditionsbewusst und lokal. Als solches Gesamtbild muss die Stadt verstanden werden, beim dort leben ergibt sich ein ganz anderes Bild als für die Touristen, die Residenz, Festung und Käppelle besichtigen und auf der alten Mainbrücke dann noch einen Brückenschoppen trinken. Diese Ströme bekommen wenig vom Leben mit. Ich habe es genossen, bei jedem Wetter einen Spaziergang durch die Weinberge zu machen und von oben auf das Dächergebilde zu schauen, habe es genossen, nachts mit dem Fahrrad nach Hause zu fahren, während die Festung und das Käppelle oben auf dem Berg angestrahlt golden leuchten und sich im Main spiegeln, war gerne unterwegs im Leben an der Uni, in einen der vielen Clubs und Vereine, saß abends in einer der vielen urgemütlichen Weinkneipen und habe Karten gespielt, oder an der Mainpromenade mit einem Wein in der Hand. Als ich dort gewohnt hatte und vermutlich auch heute noch konnte man abends ohne Bedenken die Öffis benutzen oder in jeder Ecke der Stadt verweilen, hier in der Metropolregion Rhein-Neckar sieht das anders aus.. Würzburg ist einzigartig und eine der schönen Städte, bei der es noch ein bisschen länger so ist, wie es hätte bleiben sollen.

    Aber vermutlich gibt es aus städtebaulicher Sicht wirklich einiges daran zu kritisieren.

  • Eigentlich sind wir uns alle weitgehend einig, auch wenn es jeder anders formuliert und jeder andere Momente betont. Nur Ursus ist ständig völlig anderer Meinung und erklärt uns bei jeder sich bietenden Gelegenheit und auch sonst, dass Würzburg städtebaulich ein Totalausfall wäre, was wohl niemand von uns auch so wahrnehmen würde. Wahrscheinlich mag Ursus Würzburg sehr und diese Stadt scheint ihn zu faszinieren, ein Sehnsuchtsort zu sein, denn sonst würde er nicht ständig drüber reden. Bei Nürnberg gilt dasselbe, aber noch stärker, die verschärfte Version.

  • Ich war im Sommer 2017 mal in Würzburg mit dem Besuchsschwerpunkt Fürstbischöfliche Residenz, Spiegelsaal. Insgesamt wirkt die Stadt ganz sympathisch. Man hätte mehr erhalten können; wenn ich mir die Photos aus der Luft nach der Zerstörung 1945 ansehe, hätte man bis zu dreiviertel der historischen Platzwände retten können, die meisten Außenmauern standen noch. Aber beim Wiederaufbau musste ja im Zack-Zack-Tempo Wohnraum geschaffen werden, da war nicht immer die Erhaltung historischer Überreste möglich, die dann einen bedächtigeren Wiederaufbau erfordert hätten. Mit historisierender Umgestaltung der Nachkriegsbauten könnte man viel erreichen (Sprossenfenster, farbliche Gliederungen, wenn möglich auch Stukkaturen). Die Fürstbischöfliche Residenz ist wirklich eine Reise wert. Die Rekonstruktion des völlig zerstörten Spiegelsaals ist eine der größten Glanzleistungen deutscher Wiederaufbaugeschichte, zusammen mit dem Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche samt Neumarktviertel und Knochenhauer-Amtshaus samt Marktplatz in Hildesheim. Würzburg mit seinem milden Kleinklima im Maintal lohnt einen Urlaub mit seinen vielen Sehenswürdigkeiten,trotz der Lücken, die der Krieg schlug.

  • Sehnsuchtsort? Ich geb zu, dass ich die Residenz, die Neumünsterkuppel (erinnert mich sehr an St Nikolaus Altstadt Prag), die Universitätskirche sehr mag, anderes natürlich auch, aber diese Sachen ganz besonders. Das unzerstörte Nürnberg hingegen ist wohl schon ein fiktiver (dh nicht existenter und naturgemäß nie erlebter) Sehnsuchtsort, das muss ich schon zugeben. Mich machen auch die Wagnerschen Meistersinger sentimental. Würzburg ist dagegen "nur" ein schlichtes Ärgernis.

    was wohl niemand von uns auch so wahrnehmen würde.

    na lies dir andere Kommentar durch. Man muss auch sagen, dass manche Leute schon resigniert haben.

    Dass ich dauernd davon reden würde, ist ... Quatsch. Dazu ist ja eine Galerie wie diese da. Abgesehen davon war das meiste hier ein Austausch mit Däne und E.C. Keiner muss sie lesen, dem sie nicht passt, und der sich darüber ärgert, weil er zB die Domstraße so liebt. Mich interessieren halt Argumente hinsichtlich einer Sichtweise, die ich nicht verstehe. Meine Meinung zu diesem Thema ist ziemlich vorhersehbar.

    Wollt mich da eh raushalten, weil ich niemandem seine Freud nehmen will. Bin halt irgendwie da rein geschlittert. Sicher waren unterirdische Aussagen und Vergleiche (mit Salzburg!) auslösend. Es ist einfach interessant, wie manche Städte hier runtergemacht und andere völlig unkritisch oder besser gesagt pseudokritisch, aber letztlich wohlwollend betrachtet werden.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Würzburg mit seinem milden Kleinklima im Maintal lohnt einen Urlaub mit seinen vielen Sehenswürdigkeiten,trotz der Lücken, die der Krieg schlug.

    Absolut. Ich würde es im Sommer empfehlen. Die Stadt entwickelt dann -zumindest meiner Erfahrung nach- fast ein mediterranes Flair.

    Aber beim Wiederaufbau musste ja im Zack-Zack-Tempo Wohnraum geschaffen werden, da war nicht immer die Erhaltung historischer Überreste möglich, die dann einen bedächtigeren Wiederaufbau erfordert hätten.

    Meine Kritik am Wiederaufbau, ganz grundsätzlich. Wohnraum ist eine wichtige Sache. Aber im historischen Zentrum einer Stadt MUSS man bedächtiger vorgehen und auch langfristig einkalkulieren, dass der daraus erfolgende Tourismus viele Unkosten wieder wettmacht. Dieser Faktor wurde und wird viel zu wenig berücksichtigt. Das ist man übrigens nicht nur den Würzburgern, Dresdnern, Frankfurtern oder Deutschen im Allgemeinen schuldig, sondern der ganzen Welt, die sich darüber freut, eine deutsche Stadt und deren Kultur und Geschichte zu erleben. Ich bin kein Deutscher und sehe viele Verluste auch als Raub am gesamten Erbe Europas. Diese Nabelschau und all diese sehr deutschen „Kontroversen“ (rechte Räume, Angst vor „Geschichtsklitterung“, modernistisch angehauchter Denkmalschutz usw) nerven mitunter und hemmen an dieser Stelle jeden baulichen Fortschritt. Was seltsam ist, weil Deutschland doch immer so gerne europäisch denkt. Also denkt bitte auch hier in europäischen Kategorien, an all die Europäer, die sich über die Maßen über den Andreasplatz in Hildesheim, über das Pellerhaus und Toplerhaus in Nürnberg, über Teile der Berliner Altstadt und die Bauakademie, über weitere Teile der Frankfurter Innenstadt freuen würden. Alleine Frankfurt war vor dem Krieg ein touristischer Hotspot (heute durch die teilrekonstruierte Altstadt wieder, was mich sehr erfreute und meine Aussage ja bestätigt) und ich selbst wäre vermutlich alle paar Jahre dort, wenn man das Zentrum (ja, 2 km2 sind zu hoch gegriffen) einigermaßen rekonstruiert hätte. Das sieht man auch auf alten Fotos Frankfurts von vor dem Krieg mit all den Geschäften, die Postkarten auslegten. Das mache ich also dem Wieder- oder besser: Neuaufbau zum Vorwurf. Aber eben, auf Würzburg (und auch Nürnberg) bezogen, ist es ein Weg, der für mich okay war. Es macht halt schon viel aus, wenn man immerhin den Grundriss einigermaßen beibehält. Vor allem auch, weil dadurch künftige Rekonstruktionen überhaupt erst möglich werden.

  • Da ist ja nochmal ganz schön großflächig abgerissen worden für den gelben Block:

    Nein, der Block steht vor der Häuserreihe auf der Brachfläche.

    Zitat

    Hier ein Bild mit der noch nicht "ganz fertigen" Stadt, das mE zeigt, dass "Weniger oft Mehr ist":

    Das gilt vor allem für Nürnberg. Auch war damals die deutsche Fensterkrankheit nicht so verbreitet.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Eigentlich sind wir uns alle weitgehend einig, auch wenn es jeder anders formuliert und jeder andere Momente betont. Nur Ursus ist ständig völlig anderer Meinung und erklärt uns bei jeder sich bietenden Gelegenheit und auch sonst, dass Würzburg städtebaulich ein Totalausfall wäre, was wohl niemand von uns auch so wahrnehmen würde. Wahrscheinlich mag Ursus Würzburg sehr und diese Stadt scheint ihn zu faszinieren, ein Sehnsuchtsort zu sein, denn sonst würde er nicht ständig drüber reden. Bei Nürnberg gilt dasselbe, aber noch stärker, die verschärfte Version.

    Nicht ganz richtig, ich stimme ursus in weiten Teilen zu. Um es kurz zu machen und ich formuliere es mal anders: Würzburgs Innenstadt leidet unter einem Mangel an ästhetischer Attraktivität, hauptsächlich aufgrund der Dominanz von Nachkriegsbauten, die einfach und belanglos wirken. Die wenigen historischen Gebäude, die erhalten geblieben sind, können nicht ausreichen, können die Gesamterscheinung nicht ausreichend aufwerten. (bei mir zumindest). Es wirkt bis heute so, als hätte man planlos und ohne Rücksicht auf ästhetische oder historische Ansprüche alles möglichst schnell und kostengünstig wieder aufgebaut (natürlich aufgrund der Nachkriegssituation). Die Stadt hat es bis heute nicht geschafft, diese Situation zu ändern, und die Bemühungen zur Neugestaltung oder Restaurierung historischer Bereiche scheinen begrenzt zu sein. Dies trägt dazu bei, dass das Stadtbild weiterhin von uninspirierten Nachkriegsbauten dominiert wird und der Charme der Innenstadt nicht wiederhergestellt werden kann. Ich war bisher einmal in Würzburg und müsste nicht wieder hin.

  • Nein, der Block steht vor der Häuserreihe auf der Brachfläche.

    Das gilt vor allem für Nürnberg. Auch war damals die deutsche Fensterkrankheit nicht so verbreitet.

    Ahh, allerdings ist das Mansarddach auf alle Fälle weg.

    Hat die Schönheit eine Chance-Dieter Wieland

  • Allerdings ist das Mansarddach auf alle Fälle weg.

    Das ist richtig, wobei das Mansarddach auf diesem Bild nicht zu sehen ist (kriegszerstört). Es war ein städtebaulich äußerst wichtiger Bau und daher für die Wiederherstellung (Reko wäre sogar aufgrund der Reste übertrieben) gleichsam gesetzt.

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    Damit wurde gleichsam DAS Würzburger Ansichtskartenmotiv schlechthin in meinen Augen verdorben.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Ich glaube nicht, dass es weg ist! Es handelt sich um diesem Bau:

    Zitat

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker