Brandevoort - eine neue Stadt mit traditioneller Architektur

  • Leonhard bitte beschäftige dich etwas näher mit dem Potsdamer und dem Römer Palazzo Barberini. Von Kopie kann hier überhaupt keine Rede sein, eher von Paraphrase. Hier fünf, dort sieben Achsen. Hier Blockrandbebauung, dort einzeln stehendes Gebäude. Hier ein vorragender Mittelrisalit, dort ein Ehrenhof mit Seitenflügeln. Kein Römer hat je vor dem Palast Barberini in Potsdam gestanden und gesagt "Absolut genau so wie Zuhause" - es sei denn er hat geflunkert. Sehr wohl stehen Potsdamer in Rom und sagen"Ach da hat er das her!" - aber es ist eben eine Anregung, eine Vorlage - keine Kopie.

  • Ja, werd ich machen. Natürlich gebe ich zu, dass es Unterschiede gibt, aber der Hauptteil, der Mittelteil, ist eben so ähnlich, dass es für mich schon eine adaptierte Kopie ist (was ja im Grunde das gleiche ist wie eine Paraphrase). Da seh ich nichts originelles, darum geht's mir. Aber ich schau's mir nochmal an.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • aber der Hauptteil, der Mittelteil, ist eben so ähnlich, dass es für mich schon eine adaptierte Kopie ist

    Das, was du da als Kopie ausmachst, sind zentrale Themen der Antike und seiner Rezeption in der Renaissance und der Barock, nämlich die Superposition sowie das Theatermotiv. Sie findet sich bereits in identischer Form am Kolosseum in Rom. Wenn dies in Potsdam rezipiert wird, steckt dahinter weniger der Wille zur Kopie, sondern die Orientierung an allgemeingültigen Gestaltungsmerkmalen des römischen Barocks.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • J = Jakriborg = unehrlich (so zumindest u.c.) d.h. u.c. kommt hier mit einer durch und durch modernistischen Haltung.

    Natürlich gibt es auch so etwas wie schlechte traditionalistische Architektur, die unserem Standpunkt nicht dienlich ist und dementsprechend kritisiert gehört.

    Leonhard

    Manches an unserem Dissenz ist nur auf Definitionen zurückzuführen. Aber nicht alles.

    Jeder Volltrottel kann einen Rausch haben. Indes ist ein solcher Rausch keine hinreichende Bedingung, um so etwas wie das Interieur von 14Hl zu schaffen. Nicht nur keine hinreichende, sondern auch keine notwendige Bedingung, ja sogar ein hindernder Umstand. Oder glaubst du, dass B.N. seine Inspiration im Suff gesucht hat? Eine berauschende, ekstatische Wirkung lässt sich durch penible Disposition, sprich Konstruktion erzielen. Auch in der Appassionata. Natürlich bestehen die Themen in erster Linie aus Dreiklängen, Trillern, Girlanden. Aber das Grundprinzip, die Keimzelle, der Schlüsseleinfall ist das Klopfmotiv aus T 10. Dieses hält alle Themen der Ecksätze konstruktiv wie emotionell zusammen, so phantastisch die auch auszuufern pflegen, . Das Seitenthema des Kopfsatzes ist zwar recht schön (wenngleich bekanntlich nicht eigenständig, da Spiegelung), aber das was es wirklich prägt ist der "neapolitanische Zusammenbruch" an seinem frühen Ende.

    Ich bin sicher, dass die Asamkirche strukturell ähnlich durchdacht ist, auch wenn man das als Normalbeschauer nicht sieht und nur im Unterbewusstsein wahrnimmt. Und das habe ich mit Ehrlichkeit gemeint - in sich selbst eine rationelle wie emotionelle Festigung bzw Rechtfertigung habend.

    Das Gegenteil wäre zB ein Modernismus, der seine Unzulänglichkeit als unverständliche Komplexität tarnt.

    Das, was du da als Kopie ausmachst, sind zentrale Themen der Antike uns seiner Rezeption in der Renaissance und der Barock, nämlich die Superposition sowie das Theatermotiv.

    Dieses Argument in dieser Form aufzugreifen, nämlich im Zusammenhang mit Potsdam, macht mE einen neuen Stang erforderlich. Es will mir nämlich bei zugegebenermaßen nur kurzer Überlegung scheinen, dass sich damit ein spezifisches Spannungsverhältnis zur eigentlichen dt. Renaissance auftut, die von vornherein ein Sonderstil war und eben diese antiken Anleihen zugunsten eines ungebrochen gotischen Verständnisses unterlassen hat. Wurde hier in Potsdam Versäumtes nachgeholt?

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Beurteile Brandevoort als gelungen und Brandevoort zeigt harmonische und zugleich historisierende Städtebau in Optima Forma.

    In Brandevoort stehen keine Reko's oder Kopiebauten; sie sind alle neu entworfen und "original".

    In Den Haag ist der Innenstadt auch ziemlich gelungen weil es viele Bauten im Backstein mit historisierende Elementen (besonders auf Dächer) gibt, sogar am Hochbauten. Den Haag Mitte ist eine Mix von Neubauten (Ministerien) und "Brandevoort" Stil Wohn/Bürobauten enstanden.

    In D. noch immer völlig abwesend, weil die Avantgarde dort herrscht. In der fehlende Mitte Berlins gibt es eine Chance zur Wiederaufbau mit "Brandevoort Konzept" und vielleicht auch einige Reko's. In Magdeburg wird auch gesucht nach urbane Städtebau im historisierende Stil; in den zerbombten Viertel von Dresden auch.....

    In Düsseldorf gibt es einige gelungen historisierende Neubauten im Aussenviertel, die ersten Versuchen wie Brandevoort?

  • in D. noch immer völlig abwesend, weil die Avantgarde dort herrscht.

    Was in D gebaut wurde und wird, war nie "Avantgarde". Selbst Adorno hat die dt Wiederaufbaumoderne als trostlos bezeichnet.

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    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Also, nochmal zum Vergleich der beiden Paläste Barberini. Zuerst einmal möchte ich dazusagen, dass ich beide Paläste aus eigener Anschauung kenne und nicht nur von Fotos, ich war in beiden schon drin, im römischen Barberini sogar mehrmals. UrPotsdamer : ich gebe zu, dass der Begriff "Kopie" zu hart ist und nehme ihn von daher zurück. Allerdings stellt der Potsdamer Palast für mich eben trotzdem keine eigenständige, originelle Leistung dar, sondern ist eine deutliche Imitation, eine Paraphrase meinetwegen. Die städtebaulich unterschiedliche Situation hat eben zwangsläufig zu einer gewissen Anpassung führen müssen: vor allem die Tatsache, dass sich der Potsdamer Palast in eine Straßenflucht einreihen sollte und der römische Palast frei steht. Dies führte zur Weglassung der Seitenflügel in Potsdam, die aber stattdessen nach rückwärts gewandert sind und jetzt eine Art Ehrenhof im Hinterhof bilden. Die Weglassung von zwei Fensterachsen des Mittelteils im Vergleich zum römischen Barberini ist zwar hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Breite nachvollziehbar und gut gelungen, ist jetzt aber auch keine riesige Erfindung. Und vor allem: die Tatsache, dass es sich in Potsdam um einen Mittelrisalit handelt, stellt auch keine Innovation gegenüber dem römischen Barberini dar, weil auch dort der Mittelteil leicht nach vorne versetzt ist und dieser Eindruck noch dadurch verstärkt wird, dass die Säulen und vor allem die Gesimse deutlich aus der Fassadenflucht hervorragen. Es gibt natürlich Unterschiede in der Dekoration, aber die fallen angesichts einer so stark tektonisch wirkenden Fassade kaum ins Gewicht.

    tegula : danke für den Hinweis, es ist schon klar, dass Superposition und Theatermotiv aus der römischen Antike stammen und ich glaube mich auch erinnern zu können, dass sich die Fassade des Palazzo Barberini explizit auf das Kolosseum bezog. Nur: mir fällt kein weiterer römischer Barockpalast ein, der diese beiden Motive auf eine ähnliche Weise kombiniert und zum Thema eines Mittelrisalits gemacht hätte (wenn jemand einen weiß, dann bitte nennen), gerade die ausschließliche Verwendung von Rundbogenfenstern im Mittelrisalit ist für die römische barocke Palastarchitektur eine totale Ausnahme. Das bedeutet, dass diese Anordnung ein Spezifikum des Palazzo Barberini war und nicht etwa ein weitverbreitetes Motiv in der römischen barocken Palastarchitektur (und im übrigen auch nicht in der römischen Renaissance-Palastarchitektur), das man quasi als Gemeinplatz zitieren hätte können. Dazu kommt noch, dass der Potsdamer Barberini erst 1770 entstanden ist zu einer Zeit, als der römische Barberini bereits rund 140 Jahre alt war und die Epoche des Barock in Rom schon lange vorbei war. Das alles lässt sich meiner Meinung nach nicht mehr als natürliche Verwendung eines zeitgenössischen Formenvokabulars bezeichnen, sondern als Paraphrase oder adaptierende Imitation, oder fast schon als eine Art Historismus.

    Ich schreibe das alles im übrigen nicht deswegen, weil ich unbedingt recht haben möchte, sondern weil ich das Thema sehr interessant finde und mehr darüber lernen möchte. Wenn diese Diskussion ausgelagert werden könnte, wäre das sicherlich eine gute Lösung. Danke für die interessante Diskussion!

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    Karl Kraus

  • Nur: mir fällt kein weiterer römischer Barockpalast ein, der diese beiden Motive auf eine ähnliche Weise kombiniert und zum Thema eines Mittelrisalits gemacht hätte (wenn jemand einen weiß, dann bitte nennen), gerade die ausschließliche Verwendung von Rundbogenfenstern im Mittelrisalit ist für die römische barocke Palastarchitektur eine totale Ausnahme. Das bedeutet, dass diese Anordnung ein Spezifikum des Palazzo Barberini war und nicht etwa ein weitverbreitetes Motiv in der römischen barocken Palastarchitektur (und im übrigen auch nicht in der römischen Renaissance-Palastarchitektur), das man quasi als Gemeinplatz zitieren hätte können. Dazu kommt noch, dass der Potsdamer Barberini erst 1770 entstanden ist zu einer Zeit, als der römische Barberini bereits rund 140 Jahre alt war und die Epoche des Barock in Rom schon lange vorbei war. Das alles lässt sich meiner Meinung nach nicht mehr als natürliche Verwendung eines zeitgenössischen Formenvokabulars bezeichnen, sondern als Paraphrase oder adaptierende Imitation, oder fast schon als eine Art Historismus.

    Dem will ich nicht grundsätzlich widersprechen. Der Risalit ist in der römisch-barocken Palastarchitektur eh nicht sehr verbreitet. Und natürlich war Palazzo Barberini in Rom unmittelbares Vorbild für Potsdam. Das wird niemand bestreiten können. Aber von einer Kopie sind wir dann doch weit entfernt.

    Im Übrigen finden sich Superposition und Theatermotiv schon bei Palladio und darüber hinaus noch um einiges früher. Hier mal ein schönes Beispiel von Palladio:

    Andrea Palladio, Convento della Carità, Venedig

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Indes ist ein solcher Rausch keine hinreichende Bedingung, um so etwas wie das Interieur von 14Hl zu schaffen. Nicht nur keine hinreichende, sondern auch keine notwendige Bedingung, ja sogar ein hindernder Umstand. Oder glaubst du, dass B.N. seine Inspiration im Suff gesucht hat? Eine berauschende, ekstatische Wirkung lässt sich durch penible Disposition, sprich Konstruktion erzielen.

    Ich meine keinen Suff :) was ich meine, ist der kreative Rausch, in den man manchmal verfallen kann, wenn man länger an etwas Kreativem arbeitet, wenn auf einmal die Inspiration kommt und die Dinge sich eins nach dem anderen wie selbstverständlich ergeben und alles aus einem Fluss geschieht - kennst Du das nicht? Dann schaut man sich das Material am nächsten Tag nochmal an und denkt sich "oh Gott, was hab ich da zusammenfantasiert", lässt es aber vielleicht trotzdem stehen, weil es aus dem Moment heraus stimmig und irgendwie genial war, obwohl man sich im Nachhinein vielleicht nicht mehr hundertprozentig darin wiedererkennt. Ich kenne auf jeden Fall ein paar Künstler, die so gearbeitet haben und auch mir ist das schon passiert. Normalerweise würde man so eine kreative Eruption heftig nacheditieren und zurechtstutzen, aber es gibt eben auch Fälle, wo so etwas stehen bleibt.

    Bzgl. Vierzehnheiligen ist es ja so, dass Balthasar Neumann gar nicht mehr in die Ausstattung und Ausschmückung involviert war, da er erstens zu diesem Zeitpunkt schon gestorben war und zweitens Baumeister ja oft "nur" die Architektur geliefert haben und mit der Ausschmückung wenig zu tun hatten. Jedenfalls stammt die gesamte Ausstattung mitsamt Plänen von Johann Michael Feichtmayr und (teilweise) Joseph Ignaz Appiani, auch der freistehende Gnadenaltar.

    Auch J. M. Fischer z.B. war, soweit ich weiß, weder in Ottobeuren noch in Zwiefalten noch in Rott am Inn an der Innenausstattung beteiligt, obwohl er alle drei Kirchen entworfen und gebaut hat. Und in all diesen Fällen hab ich schon den Eindruck, dass die ausstattenden Künstler teilweise ihren Gefühlen freien Lauf gelassen und sich nicht zu lange mit abwägenden theoretischen Gedanken aufgehalten haben. Aber wer weiß.

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    Karl Kraus

  • Auch heute noch werden sogar Einfamilienhäuser mit Einsatz von traditionellen Formen errichtet. Insofern wirken die Fassaden in Brandevoort nicht wie ein Fremdkörper, vielmehr nehmen sie in vielfältiger Weise die Baugewohnheiten der letzten Jahrhunderte in den Niederlanden auf. Sie wirken als logische Verdichtung einer Entwicklung, nicht als Bruch wie in Jakriborg.

    Das ist hier kein Verteidigung von Jakriborg sondern eine Klärung. In Schweden und dazu gehört auch Sudschweden gibt es viele traditionelle Neubauten.

    In Simrishamn hat man die Altstadt mit drei Häuser erweitert. Hier war Leerraum und jetzt mehr Innenstadt.

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    Folgende Haus ist ein Neubau im Visby ende 1980s

    FB_IMG_1691942005547

    Traditionelle Holzhäuser sind in Schweden auch wirklich gang und gebe - es ist auch die dominante Bauform auf dem Land

    Folgende Haus ist eine Architektenvorlage die man so selbst bauen kann.

    eksjohus_balans.jpg?itok=Sj2yJ2WD

    Andere Beispiele

    Tommy bygger nya hus i gammal stil
    Passionen för vackra byggnader har följt honom genom livet. Men Tommy Jansson nöjer sig inte med att renovera gamla hus – han skapar egna också. "Jag är helt…
    www.byggnadsarbetaren.se


    Jakriborg fehlt hat nicht eine lange tradition von traditionelle Neubauten. Vielleicht fehlt halt in Jakriborg wirklich die können so eine Neubauviertel von nichts zu entstehen zu lassen. Und vielleicht wollte man in Jakriborg eine Hansestadt nachbauen die nie so in diese Form gab.

    Auf die andere seite leidet auch diese Holländische Beispiele auf die gleiche Art wie in UK oder Jakriborg - es sieht halt massenhaft aus.

    1280px-Brandevoort_26.JPG

    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/c/c0/Brandevoort_26.JPG/1280px-Brandevoort_26.JPG

  • Auf die andere seite leidet auch diese Holländische Beispiele auf die gleiche Art wie in UK oder Jakriborg - es sieht halt massenhaft aus.

    Eine gewisse Ästhetik von "Massenfertigung" haben allerdings zugegebenermaßen auch sehr viele ähnliche Straßen des 19. und im Grunde auch schon 18. Jahrhunderts in den Städten in ganz Europa, vor allem in den früh industrialisierten Ländern wie UK, Holland oder auch Frankreich. An Potsdam muss ich dabei auch denken, an die barocken Stadterweiterungen außerhalb des innersten Kerns.

    Diese Seitengasse sieht sehr stark wie eine Gasse des 19. oder späten 18. Jahrhunderts in einer normalen holländischen Stadt aus. Nachdem ich dort dieses Jahr über einen Monat verbracht habe, stellte ich doch sehr sehr viele ähnliche Muster und Wiederholungen fest, viele massenhaft gefertigte Elemente. Und das finde ich auch nicht schlimm, solange auch genug Menschlichkeit und Handwerk eingeflossen sind, sowie die Gestaltungsliebe der Bewohner.

  • Eine gewisse Ästhetik von "Massenfertigung" haben allerdings zugegebenermaßen auch sehr viele ähnliche Straßen des 19. und im Grunde auch schon 18. Jahrhunderts in den Städten in ganz Europa, vor allem in den früh industrialisierten Ländern wie UK, Holland oder auch Frankreich. An Potsdam muss ich dabei auch denken, an die barocken Stadterweiterungen außerhalb des innersten Kerns.

    Diese Seitengasse sieht sehr stark wie eine Gasse des 19. oder späten 18. Jahrhunderts in einer normalen holländischen Stadt aus. Nachdem ich dort dieses Jahr über einen Monat verbracht habe, stellte ich doch sehr sehr viele ähnliche Muster und Wiederholungen fest, viele massenhaft gefertigte Elemente. Und das finde ich auch nicht schlimm, solange auch genug Menschlichkeit und Handwerk eingeflossen sind, sowie die Gestaltungsliebe der Bewohner.

    Hand auf Herz - man sieht schon an Fenstern und an die Dächer es schon nicht die gleiche Handarbeit als eine Strasse von 19 Jahrhundert. Es ist halt die kleine Nuancen.

  • Dies führte zur Weglassung der Seitenflügel in Potsdam, die aber stattdessen nach rückwärts gewandert sind und jetzt eine Art Ehrenhof im Hinterhof bilden.

    Vorsicht - die rückwärtigen Flügel waren eine Zutat des 19. Jahrhunderts.

  • Dem will ich nicht grundsätzlich widersprechen. Der Risalit ist in der römisch-barocken Palastarchitektur eh nicht sehr verbreitet. Und natürlich war Palazzo Barberini in Rom unmittelbares Vorbild für Potsdam. Das wird niemand bestreiten können. Aber von einer Kopie sind wir dann doch weit entfernt.

    Im Übrigen finden sich Superposition und Theatermotiv schon bei Palladio und darüber hinaus noch um einiges früher. Hier mal ein schönes Beispiel von Palladio:

    Andrea Palladio, Convento della Carità, Venedig

    Die Fassade des Mittelteils am Palazzo Barberini stammt von Bernini - dieser zitiert urrömische Architektur: die Fassade des Colosseums. Die Etagen tragen die klassische Anordnung der Säulenarten (die die Stämme Griechenlands symbolisirten): unten dorisch, dann ionisch und im 3. Geschoß korinthisch.

    Dieses klassisch-römische Motiv hat natürlich auch Palladio angewandelt - Bernini aber bezieht sich umweglos auf das Kolosseum.

    Gontard hatte im übrigen den Palazzo Barberini in Rom bei seiner Grad Tour im Original gesehen und studiert, insofern ist die kreative Potsdamer Abwandlung mit der Verwendung der Hoffassade als Frontfassade typisch Gontard. Auch beim Noackschen Haus hat G. sein Können in der Neukomposition klassischer Architektur bewiesen.