Gründerzeitliche Stadterweiterungen - ein Vergleich zwischen verschiedenen Großstädten

  • Im Zuge meiner Beiträge zur Verteidigung Hamburgs ;) ist mir wieder aufgefallen, wie stark sich die gründer-, wohl besser (aber weniger gebräuchlich) kaiserzeitlichen Stadterweiterungen Hamburgs von denen anderer deutscher Großstädte unterscheiden. Dabei schwebte mir erst nur ein Vergleich mit Berlin vor, dann dachte ich aber, dass es doch ganz interessant sein könnte, mal sogar mehrere Großstädte in Bezug auf ihre Stadterweiterungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu vergleichen.

    Mit einem solchen Thema kann man sich eigentlich nur verheben, so dass ich für Ergänzungen und Korrekturen immer dankbar wäre. Der Fokus liegt dabei klar auf der Mietshausbebauung, nicht der Villenbebauung, mir ging es auch nicht um Innenstädte, sondern Wohngebiete im Blockrand. Folgende Städte habe ich dabei von Nord nach Süd betrachtet:

    Hamburg

    Berlin

    Hannover

    Dortmund

    Leipzig

    Düsseldorf

    Dresden

    Köln

    Frankfurt

    Nürnberg

    Stuttgart

    München

    Der Versuch war außerdem, ein wirklich "typisches" Viertel zu finden, mit möglichst wenig Kriegszerstörungen. Bei den größeren Städten habe ich dann noch versucht, ein eher gehobenes und ein Arbeiterviertel zu finden und gegenüberzustellen. Dies ist naturgemäß schwierig ohne gute Ortskenntnisse. Gerade bei den süddeutschen Städten werde ich da einige Böcke geschossen haben oder wirklich typische Straßen "verpasst" haben bei meinen Wikipedia-Ausflügen und "Überflügen" mit dem 3D-Modus der Satellitenansicht von Google- oder AppleMaps.

    Außerdem ist es auch schwierig, wirklich exakte bauzeitliche Vergleichbarkeit herzustellen, es variieren also durchaus historistische mit jugendstilgeprägten Vierteln, auch gab es leicht zeitversetzte und natürlich regionale Moden. In jedem Falle würde ich mich über Rückmeldungen und Korrekturen freuen.

    Ich werde jeder Stadt einen Beitrag widmen und auch meine Eindrücke kommentieren.

    Quelle für alle Bilder: AppleMaps und GoogleMaps

  • Beginnen wir in Hamburg. Die Hamburger Gründerzeit ist fast immer vier- und oft fünfgeschossig. Der Hamburger Mietshaushistorismus ist nicht besonderes hervorstechend und zeigt schon bauzeitlich wenig Neigung zu überbordender Zierde, v.a. in den Arbeiter- und Angestelltenstadtteilen. Auffallend sind in Hamburg die schon vergleichsweise früh gebauten Balkone zur Straße und - meinen online-Ausflug tatsächlich behindernd - die vielen Bäume in den Wohnstraßen, auch in wirklich schmalen "einfachen" Straßen.

    Eine typische Szene im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel:

    Typisch die Baustruktur mit nach hinten ausladenden Bauten, die von schmalen Spalten zur Belichtung unterbrochen werden:

    Von dieser sehr hamburgischen Bauweise stammt auch der Begriff "Hamburger Knochen", denn die Wohnungen sind an beiden Enden breiter als in der Mitte. Hier wird für das notwendige Treppenhaus von beiden anliegenden Wohnungen Fläche abgeknapst, so dass es zur Straße meist zwei durch Schiebetür miteinander verbundene, großzügige Zimmer gibt (meist noch ein drittes verbundenes nach hinten, also eine Art L-Form des repräsentativen Vorderteils der Wohnung), dann einen langen Flur mit den Nutzräumen (Toiletten, Badezimmer, Abstellkammern und meist kleiner Küche - der Mittelteil des Knochens, oft relativ schlechte Belichtung nur durch Lichtschächte oder durch die schmalen Bereiche zwischen den Häusern), und dann nach hinten nochmal zwei Zimmer, meist als Schlafzimmer genutzt, eines mit Balkon.

    Auch in den späteren Bauformen kurz vor dem ersten Weltkrieg wurde von diesem Schema nicht abgewichen, wie dieses Beispiel aus Winterhude zeigt:

    Und wieder die meist länglich gezogenen Blocks ohne Hinterhäuser, dafür aber eine sehr hohe Gebäudetiefe und relativ schmale Hinterhöfe, was durchaus seine eigenen Tücken hat bzgl. Belichtung, v.a. der unteren Etagen:

    Nur noch eine weitere Besonderheit Hamburgs, die sich punktuell erhalten hat, das sind diese Höfe zur Straße (im Bild drei Stück, eine im Norden in der Straße "Elebeken", zwei westlich an der Sierichstraße, auch eine recht intelligente Art und Weise, bei hoher Flächennutzung viel Belichtung in die Wohnungen zu bekommen:

    Dieses Motiv begegnet einem in Hamburg bei diesen "Überflügen" und auch beim Erkunden immer wieder. Das kenne ich so auch aus keiner anderen Stadt.

    Noch ein paar zusätzliche Beispiele für typische Hamburger Gründerzeitstraßen:

    Auch typisch Hamburg: Rechts Stadtvillen, links Blockrandbebauung, an den Rändern der dichtestbebauten Erweiterungsgebiete finden sich dann oft diese Villenstraßen:

    Nochmal ein Blick in einen der typischen "Höfe" zur Straße, eine klare Hamburgensie:

    Noch eine relative schicke historistische Straße in Eimsbüttel:

    Nochmal Harvestehude (Isestraße), weil es einfach so beeindruckend ist:

    Quelle abweichend von den anderen Bildern Wikipedia

    Zusammenfassend:

    - bescheidene historistische Mietshausarchitektur, oft mäßig gepflegt mit den westdeutschen Bausünden wie Plastikfenster, aber praktisch keine Entstuckungen, fast immer verputzt und hell (typisch: weiß oder gelb) gestrichen

    - sehr verbreitet Balkone zur Straße auch schon bei den frühen Bauformen

    - beeindruckende Mietshausarchitektur des frühen 20. Jahrhunderts, vielleicht der Höhepunkt dieser Form von deutscher Stadterweiterung

    - auch in schmalen Straßen viel Grün (oft bauzeitlich, aber oft aber wohl Folge von Stadterneuerungsprogrammen der 80er Jahre)

    (Erweitert um einige Fotos zur Illustration)

  • Als nächstes Berlin, das noch vor Hamburg wohl am Stärksten von der deutschen "Standardstadterweiterung" der Kaiserzeit abweicht. Typisch sind hier eher quadratische, nicht längliche Blöcke und eine je nach Stadtteil ausgeprägte Hinterhausbebauung. Das, was dafür Berlin "nach hinten" fehlt (also großzügige Hinterhöfe), hat es aber zur Straße, diese sind immer sehr breit und großzügig angelegt und oft Alleen. In keiner Stadt Deutschlands ist es möglich, so flächendeckend auch in "kleinen" Seitenstraßen zumindest einseitig, oft beidseitig senkrecht zur Straße zu parken und trotzdem noch genug Platz für einen breiten Fußgängerweg und Bäume zu haben.

    Bei meinen Erkundungen fielen mir noch einmal die unheimlichen Schäden fürs Stadtbild durch die Entstuckungsprogramme auf. Man muss schon genau wissen, wo es noch erhaltene Straßen gibt, ich weiß, dass dies v.a. in Kreuzberg und in Prenzlauer Berg noch recht verbreitet der Fall ist, auch aus Schöneberg sind mir Straßen erinnerlich.

    Hier ein Beispiel für eine typische, aber sehr gut erhaltene Berliner Straße (Husemannstraße) und die Blockstruktur:

    Man erkennt die dichte Hinterhofbebauung:

    Aus dem etwas einfacheren "Winskiez" - ebenfalls Prenzlauer Berg noch dieses Beispiel für eine weniger prachtvolle Straße:

    und die nochmal dichtere Hinterhofstruktur:

    Hinter den Vorderhäusern gibt es in Berlin noch eine ganze weitere stadträumliche Dimension, die man gar nicht erlebt als Besucher (oder nur punktuell, wenn man mal in ein Haus kommt oder eine Wohnung besucht).

    Zusammenfassend:

    - fast immer fünf- manchmal gar sechsgeschossige Bebauung

    - leider fast flächendeckende Entstuckung, egal ob Ost oder West

    - eher quadratische als längliche Blockstruktur mit dichter Hinterhofbebauung und entsprechenden Belichtungsproblemen in den unteren Etagen

    - großzügige, baumbestandene Straßen wiegen einen Teil der Nachteile durch dichte Hinterhöfe wieder auf, viel Platz für öffentliches Leben zur Straße (Cafés, Läden, etc)

    - flächig erhaltene gründerzeitliche Stadtstruktur, wohl mehr als in jeder anderen deutschen Stadt

  • Jetzt kommen wir schon nach Hannover, das ich auch ganz gut kenne. Es steht in vielerlei Hinsicht wohl für eine ganz typische, allerdings gut erhaltene westdeutsche Gründerzeitstadt. Obwohl die Altstadt fast vollkommen vernichtet wurde und der gesamte Innenstadtbereich heute fast beispielhaft für einen misslungenen Wiederaufbau steht (darüber könnte man allerdings durchaus diskutieren), gibt es umliegend ausgedehnte und gut erhaltene Gründerzeitwohngebiete. Ich werde das exemplarisch an den Stadtteilen List (gehoben) und Linden (Arbeiter) zeigen.

    Von der Struktur sehen wir hier nun den dritten Typus gründerzeitlicher Stadterweiterungen mit relativ frei variierenden Blocks, die weder länglich (Hamburg) noch quadratisch (Berlin) sind, sondern oft in schrägen Winkeln aufeinandertreffen und sich möglicherweise an alten Flur/Feldwegen orientieren (?).

    Das sieht man schon bei einem Luftbild der List:

    Ebenfalls auffallend sind die fast durchweg mit roten Ziegeln gedeckten Dächer in Hannover, Berlin und Hamburg haben eher Flachdächer mit Teerpappe und sonst dunkle Ziegel. Außerdem fehlt fast völlig eine Hinterhofbebauung und die in Hamburg sehr dominanten und breiten rückwärtigen "Ausbuchtungen" der Häuser sind in Hannover deutlich schmaler (falls überhaupt vorhanden), die Belichtung in den fast immer grünen Hinterhöfen dürfte deutlich besser sein:

    So sehen die Straßen in der List aus:

    Kommen wir zu Linden, Straßenszene in Linden-Mitte:

    Luftbild:

    Die Blöcke sind hier dichter, es gibt etwas mehr Hinterhofbebauung, aber sonst keinen grundsätzlichen Unterschied zur List, abgesehen von den bauzeitlichen Unterschieden (stärker historistisch geprägt, erst kamen die Arbeiter und die Fabriken, dann die ganze Angestelltenschicht). Die Dächer sind rot, und roter Klinker sowie rote Spaltriemchen sind wie in keiner anderen deutschen Stadt schon weit in der Kaiserzeit ein häufiges Stilmittel gewesen:

    Auch Linden-Mitte hat massenweise sehenswerte Straßenzüge, typisch ist die Dominanz von rotem Backstein schon in der hannoverschen Gründerzeit (in den Arbeitervierteln), im Vordergrund rechts ein jugenstiliger Bau:

    Noch ein weiterer in weiten Teilen sehr überwiegend gründerzeitlich geprägter Stadtteil ist die Nordstadt, die wie Linden sehr stark von Arbeiterwohnungen für die geradezu explodierende Industrie der Stadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt ist:

    Diese Straßen waren in den 1980er und 1990er Jahren Schauplatz relativ heftiger Krawalle am 01.05. mit regelmäßigen Zusammenstößen zwischen der hier früher sehr präsenten linken Szene und der Polizei, ähnlich vielleicht wie in Kreuzberg. Es gibt sogar im Jahr 2022 noch vereinzelt unsanierte Häuser, wie hier links im Bild.

    Noch eine Straße in der Nordstadt, wirklich viele komplett gründerzeitliche Straßen auch in diesem Stadtteil:

    "Hannöverscher" geht es eigentlich nicht. So sehen Gründerzeitstraßen nur dort (heute noch) aus.

    Gerade bei grauem Wetter ist der Charme mancher baumloser Straßen aber auch begrenzt, hier ein Beispiel aus Vahrenwald, der etwas graueren westlichen Schwester des Edelstadtteils List, ebenfalls flächig von Vorkriegsarchitektur geprägt, nach Norden geht es in diesem Doppelstadtteil Vahrenwald-List dann auch in bemerkenswerte Zwischenkriegssiedlungen über, die hier aber nicht das Thema sind.

    Zusammenfassend:

    - eher 3-4 Vollgeschosse

    - ausgedehnte erhaltene Gebiete mit interessanten Stadtgrundrissen

    - wenig Neigung zu sehr ausladendem Fassadenschmuck, tlw. schon bauzeitlich sehr reduzierte Gestaltung, trotzdem wohl viele unbemerkte Detailverluste (Dachaufbauten, Stuckmotive, Figuren etc. - insofern wohl eine vergleichbare Situation mit Bremerhaven-Lehe)

    - westdeutsche Fensterkrankheit sehr ausgeprägt, in manchen Gegenden praktisch gar keine passenden Fenstergliederungen/durchgehend Kunststofffenster

    - anders als in Berlin und Hamburg viele Straßen ohne begleitendes Grün

    - oft recht großzügige, grüne Hinterhöfe ohne viel Bebauung

  • Die nächste Stadt, Dortmund, hat mich ehrlich gesagt etwas ratlos zurückgelassen.

    Die beiden betrachteten Viertel sind das Kreuzviertel und die Nordstadt, von beiden liest man, dass sie noch vergleichsweise stark geprägt seien von der Architektur der Kaiserzeit, die Nordstadt wird in manchen Texten gar als "größtes zusammenhängendes Gründerzeitviertel Nordrhein-Westfalens" bezeichnet. In beiden Vierteln ist es aber anders als etwa in Hannover schwierig bis fast unmöglich, auch nur einen einzigen Straßenzug ohne Nachkriegsbau zu finden, weite Teile dieser Viertel sind sogar absolut dominiert von 50er-Jahrebebauung.

    Die Blockrandstruktur ist ähnlich wie in Hannover von relativ großen Hinterhöfen fast ohne Bebauung geprägt. Ein Beispiel aus der Nordstadt:

    Das ist die Uhlandstraße und die ist ungelogen schon das geschlossenste, was ich finden konnte. Grundsätzlich waren diese Viertel wohl vom Charakter her Hannovers Vierteln nicht unähnlich, nur dass durchweg verputzte Häuser dominierten und Klinker/Riemchen kaum eine Rolle spielten. Von oben:

    Die Nordstadt gilt auch als ein Problemviertel mit verwahrlosten Häusern und Leerstand, insofern ist der Vergleich vielleicht nicht ganz fair. Im Kreuzviertel, das wohl das hippste, studentischste Viertel Dortmunds ist mit Cafés und Kneipen ist das Bild nicht viel besser, hier mal ein geschlossener Straßenzug, eine absolute Rarität:

    Von oben:

    Das bauliche Potenzial, das in diesen Gebieten noch schlummert, ist tatsächlich begrenzt. In Hannover könnte man durch gute Renovierungen mit Wiederherstellung auch kleinerer Fassadendetails und neuen, passenden Fenstern noch sehr viel rausholen - hier ist die Substanz deutlich schlechter und verteilter, und vieles wirkt, als sei es letztlich schon zur Erbauungszeit recht schlicht gewesen (hier kann ich aber auch dem Fehler, dem ich in Bremerhaven und wohl bis zu einem gewissen Grade auch in Hannover aufsitzen, nämlich, dass auch ohne offenkundige massive Entstuckung a la Berlin eine ganze Menge von stadtbildrelevanten Details und Fassadenschmuck verlorengegangen ist).

    Zusammenfassung:

    - kaum geschlossener Altbaubestand

    - meist wie in Hannover 3-4 Geschosse

    - insgesamt relativ schlichte Architektur

    - fast durchgehend schlechter Renovierungsstand der vorhandenen Altbauten

    Allerdings gebe ich zu bedenken, dass Dortmund die erste Stadt ist, die ich fast gar nicht kenne. Vielleicht gibt es irgendwo doch noch ein geschlosseneres und von mir übersehenes Gebiet. Hier wäre wie überall eine Rückmeldung willkommen.

  • Tut mir leid, wenn ich etwas "dazwischengrätsche", aber könntest Du nicht ein paar mehr Fotobeispiele aus den jeweiligen Städten bringen? Die Apple-Maps und Google-Maps-Ansichten mögen zwar teilweise recht gut sein, aber reichen doch alleine kaum aus - von so großen Städten wie den von Dir betrachteten hätte ich mir bei so einem weit gefassten Thema schon gerne mehr Bildmaterial gewünscht, gerade für Leute wie mich, die diese Städte nur sehr wenig bis teilweise gar nicht kennen. Vor allem von Hamburg oder Berlin gibt es doch sicher viel mehr und auch viel repräsentativere Ansichten (z.B. Wikimedia) als die wenigen hier präsentierten, auf denen dann auch noch diverse Bäume die Hälfte der Fassaden verdecken... nimm's mir bitte nicht übel, aber ich weiß nicht, ob so ein weit gefasstes und durchaus interessantes Thema so schnell abgehandelt werden kann, vor allem von jemandem, der - wie er selbst zugibt - die Städte nicht immer gut genug kennt. Trotzdem danke für die Initiative.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Die Begrenztheit der Unterfangens war ja klar von vornherein ;). Ich wollte auch ganz bewusst die Beiträge nicht überblähen, soll ja keine Galerie werden. Und Berlin ist hier ohnehin sehr gut repräsentiert, da brauchte es aus meiner Sicht nun nicht noch einen Beitrag mit typischen Berliner Straßen, die die meisten auch kennen. Da ging es mir mehr um die einmalige Struktur der Berliner Altbaubezirke mit ihrer hohen Dichte und der ausgeprägten Hinterhofbebauung.

    Ich werde aber gerne die Stadtbeiträge HH, B, H und DO noch mit weiteren Beispielen auffüllen.

    Das mit den Bäumen wird nun immer weniger problematisch, da diese aus welchen Gründen auch immer in der Südhälfte und Ostdeutschland deutlich seltener in den großen Mietshausgebieten sind. Das ist ja auch eines der interessanten Erkenntnisse. Es gibt praktisch keine Gründerzeitstraßen in Hamburg ohne Bäume, ganz anders als München oder Leipzig wo umgekehrt Bäume in solchen Straßen die Ausnahme sind.

    Der Strang ist auch offen für alle. Wenn Du also München exemplarisch vorstellen möchtest, bist Du herzlich eingeladen. Das wäre ja eigentlich der Idealablauf. Jeder stellt eine der genannten großen (gerne auch noch kleinere, auch die Liste ist ja nicht sakrosankt) Städte vor, in der er sich am besten auskennt. Königsbau übernimmt Stuttgart, Du München, Heimdall Frankfurt (?), Dresdner und Leipziger haben wir auch genug, wobei beide Städte ja auch wie Berlin ohnehin sehr präsent sind im Forum.

    Sehr interessieren würden mich auch Berichte aus Köln und Düsseldorf und gerne jemand aus dem Ruhrgebiet und auch Hamburg und Hannover, der das ganze noch ergänzen könnte. Mein Eindruck war und ist aber, dass dann oft nicht viel kommt, gerade aus den weniger beachteten Städten hier.

  • Leonhard

    Irgendwie muss der Heinzer doch anfangen und das Thema in einer beherrschbaren Form halten. Ich finde den Versuch, den er da unternimmt, interessant und gewagt zugleich. Das Ganze ist ein Prozess, in dem wir nach und nach weiteres Material ergänzen können. Ich denke, es ist das Beste, wenn Heinzer jetzt erstmal weiter aufschreibt, was er momentan im Kopf hat. Wir könnten sonst auch schnell in einer Endlosdiskussion über Hamburg oder Berlin steckenbleiben. Das wäre schade.

    Die Innovation besteht hier gerade darin, die neuen Möglichkeiten von AppleMaps und GoogleMaps zu nutzen. Ich bin gespannt, wie weit uns das trägt. Regionale Vergleiche von Architektur und Städtebau der Gründerzeit sind nicht einfach.

  • Danke, Heinzer, für die freundliche Antwort auf meine Kritik! Ich weiß, dass man irgendwo anfangen muss und ganz sicher wäre es sehr interessant, wenn jeder seine Stadt, die er gut kennt, ausführlich vorstellen würde, nur... das Thema ist leider unglaublich vielschichtig und unübersichtlich und es würde eine gehörige Anstrengung bedeuten, auch nur für eine Stadt die Typen an Mietshäusern aus den verschiedenen Stadtvierteln und Stilepochen (Gründerzeit aus den 1870ern ist etwas ganz anderes als z.B. Jugendstil oder Heimatstil aus späteren Jahren) repräsentativ auszuwählen und so zu gliedern, dass ein wirklicher Erkenntnisgewinn dabei herauskommt, der diesem Thema und diesem Forum würdig wäre. Allein in München sind die einzelnen Stadtviertel stilistisch durchaus verschieden und wenn man sich nicht gut auskennt, kann man kaum allgemeingültige Aussagen treffen, glaube ich. Ich könnte das bzgl. München grundsätzlich schon machen, aber das würde sehr viel Arbeit bedeuten und viel Zeit in Anspruch nehmen, die ich momentan nicht habe. Ich bereite eh gerade zwei große Galerien zu München vor, die ich irgendwann mal hier präsentieren möchte und mehr Zeit für das Forum hab' ich leider nicht.

    Rastrelli hat die Ausgangslage und Erwartungshaltung ganz gut formuliert:

    Sicherlich werden wir am Ende mehr wissen als vorher. Regionale Vergleiche von Architektur und Städtebau der Gründerzeit sind nicht einfach.

    Bisher habe ich nämlich aus den präsentierten Städten nicht sehr viel Erkenntnis ziehen können, tut mir leid...

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Danke, Heinzer, für die freundliche Antwort auf meine Kritik! Ich weiß, dass man irgendwo anfangen muss und ganz sicher wäre es sehr interessant, wenn jeder seine Stadt, die er gut kennt, ausführlich vorstellen würde, nur... das Thema ist leider unglaublich vielschichtig und unübersichtlich und es würde eine gehörige Anstrengung bedeuten, auch nur für eine Stadt die Typen an Mietshäusern aus den verschiedenen Stadtvierteln und Stilepochen (Gründerzeit aus den 1870ern ist etwas ganz anderes als z.B. Jugendstil oder Heimatstil aus späteren Jahren) repräsentativ auszuwählen und so zu gliedern, dass ein wirklicher Erkenntnisgewinn dabei herauskommt, der diesem Thema und diesem Forum würdig wäre. Allein in München sind die einzelnen Stadtviertel stilistisch durchaus verschieden und wenn man sich nicht gut auskennt, kann man kaum allgemeingültige Aussagen treffen, glaube ich. Ich könnte das bzgl. München grundsätzlich schon machen, aber das würde sehr viel Arbeit bedeuten und viel Zeit in Anspruch nehmen, die ich momentan nicht habe. Ich bereite eh gerade zwei große Galerien zu München vor, die ich irgendwann mal hier präsentieren möchte und mehr Zeit für das Forum hab' ich leider nicht.

    Rastrelli hat die Ausgangslage und Erwartungshaltung ganz gut formuliert:

    Bisher habe ich nämlich aus den präsentierten Städten nicht sehr viel Erkenntnis ziehen können, tut mir leid...

    Du sprichst das grundsätzliche Problem bei fast jedem kleinen Projekt an, egal zu welchem Thema. Wenn alle immer sagen "ich mach es lieber richtig als gar nicht", dann gäbe es hier außer ein paar Galeriebeiträgen und den üblichen Aufregern um Rekonstruktionen sowie ganz viel off-topic nicht viel.

    Mir war und ist die Begrenztheit meiner Herangehensweise sehr wohl bekannt, ich habe nicht ohne Grund von der großen Gefahr des Verhebens gesprochen schon im Ausgangsbeitrag. Aber mir kommen diese regionalen Vergleiche hier insgesamt zu kurz. Jeder hat so seine 2, 3 Städte, in denen er Beiträge liest, aber es gibt wenige Verbindungen und Vergleiche zwischen den Städten, dabei finde zumindest ich gerade diese immer sehr interessant. Zu manchen sehr speziellen Themen gibt es diese Vergleiche (etwa Bahnhöfe) schon, aber eben nicht als allgemeine Betrachtung zum Stil kaiserzeitlicher Stadterweiterungen.

    Solche Diskussionen gehen dann oft zufällig in irgendeinem Städtestrang los, sind aber im Prinzip nicht systematisch zu finden, denn wer schaut schon auf Seite 9 in einem mittlerweile weitgehend fotolosen Frankfurtstrang nach, wenn er eine leidenschaftliche und niveauvolle Diskussion über die Frankfurter Gründerzeit im Vergleich zu, sagen wir, Stuttgart oder Nürnberg sucht?

    Das nächste Problem ist natürlich die Zielsetzung der ganzen Sache. Mir geht es explizit nicht darum, den gesamten Fundus an kaiserzeitlicher Wohnbebauung, womöglich noch nach Stadtteilen und Erbauungsdatum und -stil jeder der genannten Städte zu dokumentieren und auch gar nicht primär um die Fassadengestaltung, sondern um die jeweilige, ich sage mal, "Atmosphäre" in einer typischen Wohnstraße dieser Zeit in den Städten und vielleicht noch mehr um die städtebaulichen Aspekte Dichte, Form der Blöcke, Innenhofbebauung, Dachformen, Fassadenelemente wie Balkone, auch die genannten und störenden Bäume sind Teil des Erkenntnisprozesses.

    Ich kann unzählige Münchner oder Leipziger oder Dresdner Straßen praktisch ohne Bäume zeigen, da erkennt man die Fassaden natürlich viel besser als in meinen Hamburger Beispielen. Vielleicht sollte ich also in den Städten mit vielen Bäumen weg von dem Versuch einer Totalen der ganzen Straße und hin zum Fokus auf eine Straßenseite, vielleicht gar nur auf einzelne Häuser, die ungestört abbildbar sind? Solche Fragen sind für mich schon allein interessant und erörternswert, auch wenn ich noch gar keine Lösung für das Problem habe. Vielleicht ändere ich die entsprechenden Beiträge oben dann noch einmal.

    Da finde ich schon jetzt einiges Interessantes, was sich bei mir im Rahmen der Recherche geordnet hat und was vorher -wenn überhaupt - nur wesentlich diffuser vorhanden war. Als weiteres kleines Beispiel die überwältigend oft mit roten Ziegeln gedeckten Dächer in Hannover - nicht nur, dass ich das nicht wusste, ich wusste auch nicht, dass es das in Hamburg oder Berlin praktisch gar nicht gibt.

    Solche kleinen Dinge sind es, denen ich nachspüre, denn sie haben auch einen ganz entscheidenden Einfluss auf den "ersten Eindruck", den wir von Städten haben. Um es kurz zu machen: mein Anspruch ist meinem Niveau entsprechend nicht sehr hoch, v.a. visuell orientiert und städtebaulich und soll kein Panoptikum der großstädtischen kaiserzeitlichen Blockrandbebauung aller betrachteten Städte auf akademischem Niveau sein.

  • Vielleicht gibt es irgendwo doch noch ein geschlosseneres und von mir übersehenes Gebiet. Hier wäre wie überall eine Rückmeldung willkommen.

    Zuersteinmal Danke für dieses interessante Thema. Ich habe 5 Jahre in Dortmund gewohnt und bin auch jetzt immer mal wieder auf architektonischer Spurensuche unterwegs.

    Ich denke, bei Dortmund muss man zwei Aspekte betrachten: Zum einen ist Dortmund wie auch andere Ruhrgebietsstädte keine klassische Großstadt sondern ein Konglomerat aus Dörfern und Kleinstädten. Es gibt viele, auch sehr schöne Arbeiter- und Beamtensiedlungen in den Stadtteilen, so dass die Gründerzeitlichen Stadterweiterungen nie um die Kernstadt allein geschehen sind sondern auch viele andere Punkte hatten.

    Dortmund war eine der am stärksten zerstörten Städte in Deutschland, so stark, dass man darüber nachdachte, diese an einem anderen Ort wiederaufzubauen. Die Zerstörung betraf vor allem den Stadtkern, aber auch großflächig die Gründerzeitlichen Erweiterungen, am stärksten hat es das bürgerliche Saarlandstrassenviertel getroffen. Und auch heute wird weiter fleißig abgerissen, aktuell werden z.B. nach und nach die Schulbauten der Gründerzeit (z.B. Anne-Frank Gesamtschule, Kreuzschule, Grundschule Kleine Kielstrasse) im Rahmen der NRW-Schulerneuerungsalternative durch Neubauten ersetzt. Auch Gebäude wie die großartige Seniorenresidenz in der Schützenstrasse werden einfach abgerissen, während man solche Gebäude in anderen Städten eher erhalten würde.

    Es gibt im Übrigen noch ein weiteres Gründerzeitviertel in Dortmund: Das Kaiserstrassenviertel bzw. Ostviertel. Dies war das großbürgerlichste Viertel mit den prachtvollsten Bauten, leider nicht so gut erhalten wie das Kreuzviertel und daher nicht so bekannt. Hier stehen neben großen Gründerzeitlern auch noch viele Villen und villenähnliche Mehrfamilienhäuser.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Du sprichst das grundsätzliche Problem bei fast jedem kleinen Projekt an, egal zu welchem Thema. Wenn alle immer sagen "ich mach es lieber richtig als gar nicht", dann gäbe es hier außer ein paar Galeriebeiträgen und den üblichen Aufregern um Rekonstruktionen sowie ganz viel off-topic nicht viel.

    Genauso ist es! Ich kenne das auch von meinen Spezialthemen. Man lernt während der Beschäftigung dazu, entwickelt sich weiter. Die Versuchung, unvollkommene Zwischenstände für sich zu behalten, ist groß. Davon hat aber die Forumsgemeinde nichts.

    Vergleiche zwischen Gründerzeitvierteln sind durchaus möglich. So sehe ich zum Beispiel anhand der Bebauung, dass Torgau im 19. Jahrhundert zu Preußen gehörte und nicht zu Sachsen. Man kann also den Gründerzeitstil einer preußischen von dem einer sächsischen Provinzstadt unterscheiden. Dies genauer zu beschreiben und mit aussagekräftigen Bildbeispielen zu belegen, wäre dann ein nächster Schritt.

    Interessant ist es auch, sich die Erschließung der Grundstücke anzusehen. So gibt es in Leipzig zahlreiche Mietshäuser, die gar keine Haustür haben. Anderen Häusern wiederum fehlt die Hofeinfahrt.

    So kann man sich die Gründerzeitviertel unter den verschiedensten Aspekten näher ansehen.

    Um es kurz zu machen: mein Anspruch ist meinem Niveau entsprechend nicht sehr hoch

    Hanseatisches Understatement at its best!

  • Da bin ich gerne bereit Bilder aus Düsseldorf beizusteuern. Von meinem Wohnort sind es nur rund 20 Kilometer bis zur Landeshauptstadt.

    Das wäre super. In Düsseldorf würde mich v.a. interessieren, wo genau ein oder besser zwei recht gut erhaltene Viertel sind, ein Freund von mir wohnte mal in Pempelfort, das war ganz nett, aber zumindest in meiner Erinnerung sehr NRW-typisch gemischt, also eher über 50% Nachkriegsbebauung. Es geht auch nicht um die allgemeine Betrachtung der Lebensqualität, die war dort sehr gut, viele Restaurants und die Nähe zum Rhein. Es sollen auch nicht zwingend die "schönsten" Straßen der Stadt sein, sondern eben möglichst "normale", aber weitgehend unzerstörte. Klingt vielleicht etwas verwirrend.

    Am besten wäre von jeder Stadt mindestens ein ehemaliges Arbeiterwohnviertel sowie ein gutbürgerliches, wobei diese Grenzen überraschend fließend sind und oft sogar innerhalb der Viertel je nach Straße variierten. Entscheidend bleibt bei der ganzen Chose, dass eine Blockrandbebauung dominiert, also keine Villenviertel.

    Und wenn wir schon dabei sind, könntest Du sowas auch für Köln machen oder mitteilen, was hier gute Straßen/Viertel wären? Ich kenne Ehrenfeld und die Südstadt als für sowas oft genannte, streckenweise gut erhaltene Stadtteile, aber beim Überflug dominieren auch hier fast überall Nachkriegsbauten - gibt es da noch unentdeckte Geheimnisse?

  • Zuersteinmal Danke für dieses interessante Thema. Ich habe 5 Jahre in Dortmund gewohnt und bin auch jetzt immer mal wieder auf architektonischer Spurensuche unterwegs.

    Ich denke, bei Dortmund muss man zwei Aspekte betrachten: Zum einen ist Dortmund wie auch andere Ruhrgebietsstädte keine klassische Großstadt sondern ein Konglomerat aus Dörfern und Kleinstädten. Es gibt viele, auch sehr schöne Arbeiter- und Beamtensiedlungen in den Stadtteilen, so dass die Gründerzeitlichen Stadterweiterungen nie um die Kernstadt allein geschehen sind sondern auch viele andere Punkte hatten.

    Dortmund war eine der am stärksten zerstörten Städte in Deutschland, so stark, dass man darüber nachdachte, diese an einem anderen Ort wiederaufzubauen. Die Zerstörung betraf vor allem den Stadtkern, aber auch großflächig die Gründerzeitlichen Erweiterungen, am stärksten hat es das bürgerliche Saarlandstrassenviertel getroffen. Und auch heute wird weiter fleißig abgerissen, aktuell werden z.B. nach und nach die Schulbauten der Gründerzeit (z.B. Anne-Frank Gesamtschule, Kreuzschule, Grundschule Kleine Kielstrasse) im Rahmen der NRW-Schulerneuerungsalternative durch Neubauten ersetzt. Auch Gebäude wie die großartige Seniorenresidenz in der Schützenstrasse werden einfach abgerissen, während man solche Gebäude in anderen Städten eher erhalten würde.

    Es gibt im Übrigen noch ein weiteres Gründerzeitviertel in Dortmund: Das Kaiserstrassenviertel bzw. Ostviertel. Dies war das großbürgerlichste Viertel mit den prachtvollsten Bauten, leider nicht so gut erhalten wie das Kreuzviertel und daher nicht so bekannt. Hier stehen neben großen Gründerzeitlern auch noch viele Villen und villenähnliche Mehrfamilienhäuser.

    Genau solche Beiträge möchte ich "triggern". Korrekturen, Ergänzungen, Anekdoten zu den einzelnen Städten. Was tatsächlich in großen Teilen des Ruhrgebiets (v.a. in der Kette Essen-Bochum-Dortmund) und in Köln und Düsseldorf auffällt und die Ecke klar von allen anderen Regionen Deutschlands unterscheidet, ist die flächige Zerstörung.

    Wirklich jede andere deutsche Großstadt hat mindestens ein (fast) unzerstörtes Viertel aus der Kaiserzeit, auch Städte die extrem unter dem Bombenkrieg gelitten haben. Wahrscheinlich liegt der noch höhere Zerstörungsgrad in der Region neben der geografischen Nähe zu den Bomberbasen und der hohen Dichte an Zielen auch daran, dass die Bomber auf ihren Rückwegen immer noch ihre Restladung über dem Gebiet abgeworfen haben.

    Während viele Städte "den einen" großen Angriff haben, der sich in das Stadtgedächtnis gebrannt hat, weil ein Großteil der Zerstörungen von ihm stammt (Hamburg Juli 1943, Dresden Februar 1945, auch für Bremen, Hannover, Braunschweig etc. gibt es diese Schicksalsangriffe, ohne die die Städte heute ganz anders aussähen), kann man dies für die genannten NRW-Städte gar nicht sicher bestimmen. Ja, sie waren auch Opfer von "1000-Bomber-Angriffen" und natürlich gibt es wahrscheinlich in jeder Stadt auch "einen", wirkungsvollsten Angriff, aber im Prinzip lagen diese Städte seit 1940/41 permanent unter Bomben, das war weiter nach Osten und auch im Norden und sogar in Bremen, das ähnlich "günstig" lag, nicht der Fall.

    Das sieht man den Städten auch an. Wie gesagt, selbst im Kreuzviertel würde ich auf die Fläche betrachtet behaupten, dass weniger als 50% der Gebäude aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg stammen, manche Straßen enthalten praktisch keine Altbauten. Persönlich gewesen bin ich sogar schonmal in der Nordstadt, zwar nur im relativ bahnhofsnahen Bereich, aber ich erinnere mich noch an die Enttäuschung, da ich kaum Altbauten entdecken konnte, anders als erwartet. Da würde ich das Verhältnis auf unter 1:5 zuungunsten von Vorkriegshäusern schätzen aus meiner Erinnerung.

    Und dieser Zerstörungsgrad bedingt auch den schlechten Umgang mit den wenigen Resten der Altbebauung, den Du beschreibst - sage ich mal als These. Denn wenn eine Stadt wie Dortmund sich tatsächlich weiterhin seiner Altbebauung entledigt, dann ist wirklich etwas falsch.

  • Zu Berlin noch kurz diese Anmerkungen:

    Der Berliner Zuschnitt der Blöcke und Quartiere lässt sich nicht ohne den sog. Hobrechtplan von 1862 verstehen.

    Die vorausschauende Planung und Erschließung erfolgte innerhalb des geplanten S-Bahn-Rings durch breite aus der Berliner Innenstadt führende Magistralen. Die dazwischen in einer Abfolge von Verbindungsstraßen, Blöcken und Plätzen liegenden Quartiere konnten aufgrund des eher flachen und nur gering bebauten Geländes zumeist recht regelmäßig und häufig sogar rechteckig aufgeteilt werden, was aber dennoch im Ergebnis in Bezug auf die Hinter- und Innenbebauung der Hausgrundstücke und deren Dichte und Durchwegung zu deutlichen Unterschieden führte. Eine Begrenzung der zulässigen Traufhöhe förderte die Ähnlichkeiten der allgemeinen Gestaltung und die gewaltige Geschwindigkeit der Bautätigkeit (was oben in rot zu sehen ist, wurde in etwa 20 Jahren zugebaut) beförderte daher zwar serielle, vorgefertigte Fassadengestaltungen, umfasste aufgrund der schieren Menge aber dennoch eine große Vielfalt.

    ==> Gute Kurzzusammenfassung des Hobrechtplans: 150 Jahre Hobrechtplan / Warum Berlin so aussieht, wie es aussieht - BauNetz.de

    Noch kurz zu den gewählten Straßen:

    Die südliche Husemannstraße war ein Vorzeigeobjekt des DDR-Baufertigkeiten im Vorfeld der 750-Jahr-Feier Berlins und dürfte hinsichtlich der recht aufwändigen und sich ähnelnden Fassadengestaltungen nicht dem Vorkriegszustand entsprechen (gibt kaum Bilder).

    Die Winsstraße mag dagegen bescheidener aussehen, besteht aber mittlerweile zumeist aus eher hochwertigen Wohnungen. Es gibt m. E. kaum eine Straße in Prenzlauer Berg, wo in den letzten Jahren und noch andauernd derartig viele Sanierungen und Dachausbauten erfolgt sind.

    Bilder aus den Berliner Gründerzeitquartieren findest du ja hoffentlich zuhauf im Forum...

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Als nächstes kommt Leipzig. Die Stadt ist natürlich fast schon ikonisch für den Städtebau der Kaiserzeit und hat eine Fülle an beeindruckender Architektur zu bieten. Eines der bekanntesten Viertel ist wohl das Waldstraßenviertel. Es wurde von Süd nach Nord in verschiedenen Etappen bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg bebaut:

    An den Rändern, v.a. nach Norden hin gibt es in großen Häusern, die aber nicht im Blockrand bebaut sind, auch Stile wie Jugend- und Reformstil, in den meisten Straßen dominiert jedoch ein eher historistisches Bild mit nur einzelnen Elementen, die die spätere Entstehungszeit dokumentieren.

    Aber auch die Südvorstadt bietet einen reichen Schatz an herrlicher kaiserzeitlicher Bebauung:

    Im Nordosten der Stadt befinden sich Gebiete aus einer späteren Erbauungszeit:

    Auch Gohlis (wo ich wie auch in der Südvorstadt schon einmal ein paar Tage gewohnt habe) hat ausgedehnte Blockrandgebiete mit hohem Erhaltungsgrad und sehr gutem Renovierungsstand:

    Die Tatsache, dass solche Straßen "nichts Besonderes" sind in Leipzig, zeigt die besondere Qualität des Baubestandes in der Stadt. Die Innenhöfe sind je nach Stadtteil wenig bis gar nicht bebaut, es gibt praktisch keine Hinterhäuser und wenn, wirken diese nachträglich errichtet und/oder deutlich niedriger als die umgebende Bebauung:

    Was Leipzig so heraushebt, ist die Verbreitung klassisch historistischer Fassaden. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass Leipzig ein bisschen früher den großen Bevölkerungsschub hatte als z.B. Hannover, oder ob einfach länger an dem Stil festgehalten wurde.

    Auffallend ist das weitgehende Fehlen von Balkonen zu den Straßen (kommt erst bei den späteren Baustilen auf) und die sehr passenden, cremefarbenen Fassadenfarben/das fast völlige Fehlen von unpassenden oder sehr bunten Fassadenanstrichen, wie z.B. verbreitet in Hannover. Selten, aber nicht unbekannt sind auch Klinkerfassaden (wie oben auf dem letzten Straßenbild rechts angeschnitten) und solche mit meist gelben Spaltriemchen (wie im Waldstraßenviertel). Meine Äußerungen bzgl. Bäumen muss ich tlw. zurücknehmen, viele Straßen haben einseitig doch Baumbestand, aber wahrscheinlich erst nach der Wende gepflanzt und somit nicht so dominant wie z.B. in Hamburg. Die Dächer sind wohl zumindest im Original ähnlich wie in Hannover rot gedeckt gewesen, aber das ist nicht konsequent erhalten.

    Zusammenfassend:

    - beeindruckender Bestand an kaiserzeitlichen Wohngebieten mit hoher Qualität

    - Alle Stile in sehr schöner Ausprägung vorhanden, relativ dominant ist der Historismus in verschieden strengen/verspielten Ausprägungen (hier würde mich 1. eine Rückmeldung bzgl. der Korrektheit dieser Aussage interessieren - stimmt das überhaupt? Und wenn ja - ist meine Hypothese, dass die Stadt sich etwas früher entwickelt hat als vergleichbare Stätte dafür verantwortlich oder war es eine Frage der Mode?)

    - oft relativ große, grüne Innenhöfe in geordneten/gerasterten Straßenblocks/nicht viele geschwungene Straßenverläufe wie in Hannover

    - Meist viergeschossige Bauhöhe, an Hauptstraßen auch fünf Geschosse

    - fast durchgehend optimaler Renovierungsstand/kaum Plastikfenster/unpassende Gliederungen

  • Heinzer

    Vielen Dank für diesen interessanten Strang! Super Thema!

    Bis auf Düsseldorf und Hannover war ich schon in allen anderen Städten und möchte denjenigen, die zum Beispiel bis dato noch nie in Leipzig wahren mitteilen, dass das Waldstraßenviertel (mitsamt Gohlis Süd und teilweise Musikerviertel) mit das schönste war, was ich in Deutschland besucht habe. Ich machte seinerzeit eine Führung mit Frau Merrem vom Landesdenkmalamt mit, die uns auch in die prachtvollen Treppenhäuser mit hinein nahm! Das war vor ca 10 Jahren zum Tag es Denkmals und wenn sich diese Möglichkeit wieder ergibt, dann kann ich jedem diese Tour nur wärmstens empfehlen!

  • Interessant erscheinen 2 Aspekte:

    1) angesichts der realistisch verfügbaren Mittel waren die dt. Großstädte bereits zu groß für eine wirklich umfassende Zerstörung, weshalb man sich (wohl weniger symbolisch als zur Maximierung der ideellen Schäden) auf die Stadtmitte konzentrierte.

    2) einen eigenen als solchen wahrnehmbaren Stil scheint zumindest angesichts der hier präsentierten Bilder nur Hamburg herausgebildet zu haben. Das Leipziger Waldstraßenviertel erscheint etwa als recht zurückhaltende Variante des Wiener Formenrepertoires.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Na, da muss ich mal etwas wiedersprechen. Das Wiener Formenrepertoire enthält z.B. nicht den Reformstil mit viel Fachwerk und nicht die Ludwig XVI. Adaptionen im Jugendstil. Aber das WSV enthält auch noch Gebäude der 1850 - 1860 Jahre, teilweise in Neogotik. Das kommt dann Wien nahe, genauso die späte Neorenaissance. Anm.: Ich sitze beim Schreiben der Zeilen gerade mitten drin, könnte also gerade rausgehen und nachschauen.