Philosophie der Schönheit

  • Die alten Griechen sind häufig nackt oder nur mit Tuch bekleidet rumgelaufen. In diversen antiken Zivilisationen war sehr spärliche Kleidung üblich.

    Ist das tatsächlich wahr? :lachentuerkis:
    Soweit ich weiß, trugen die schon normalerweise sowas wie Tuniken und Togen und Kleider.
    Während der Olympischen Spiele waren die Athleten allerdings berühmterweise nackt, und in der Kunst sowieso...

  • Ich bin außerordentlich froh, daß man heute in vielen Situationen Kleidung tragen darf, in der man sich wohl fühlt, und das hat meines Erachtens ganz sicher nichts mit unzureichendem ästhetischem Empfinden hinsichtlich Kunst, Architektur usw. zu tun.

    Zum Glück ging es im IT-Bereich schon immer lockerer zu, aber selbst der Daimler-Schulungsleiter vor 20 Jahren ließ angenehmerweise die Krawatte weg ...

    Sowas halte ich für eine unzulässige und absurde Scheinkorrelation. Wer solche Bezüge herstellt, muss sich wirklich nicht über bestimmte Angriffe für ein sehr simplistisches Weltbild wundern.

    Die alten Griechen sind häufig nackt oder nur mit Tuch bekleidet rumgelaufen. In diversen antiken Zivilisationen war sehr spärliche Kleidung üblich.
    Und wohl in keiner Stadt sieht man so viele Anzugträger wie in London. Ist deswegen jetzt jeder Neubau dort klassisch schön?

    Züchtigkeit ist kein Garant für Ästhetik. Oder bauen die Saudis etwa klassisch-schön, wo sowohl Herren als auch Damen sich weitgehend verhüllen (nicht zwingend aus klimatischen Gründen)?

    Ich bin außerordentlich froh, daß man heute in vielen Situationen Kleidung tragen darf, in der man sich wohl fühlt, und das hat meines Erachtens ganz sicher nichts mit unzureichendem ästhetischem Empfinden hinsichtlich Kunst, Architektur usw. zu tun.

    Zum Glück ging es im IT-Bereich schon immer lockerer zu, aber selbst der Daimler-Schulungsleiter vor 20 Jahren ließ angenehmerweise die Krawatte weg ...

    Im übrigen trugen die hier nicht gerade beliebten Architekten von Gropius bis Le Corbusier ja auch schicke Anzüge, sogar mit Fliege, und keine Jogginganzüge ... wenn wir schon so simplifizieren.

    Die IT‘ler sind ja schließlich weltberühmt für Ihren guten Kleidungsstil 😉👍

  • Diese Kleidungsdiskussion ist ja ganz amüsant, darum doch noch ein Anstoß:
    Wer schafft denn die heutige Monotonie und Hässlichkeit des Bauens?
    Architekten, Investoren, Beamte und Politiker. Meist sind das doch eher förmlich gekleidete Menschen, entweder im Anzug oder der Dienstuniform (bei Architekten eben der Rollkragen usw.). ;)

    Und: Asiaten sind heute meist ebenso leger gekleidet wie die Menschen im Westen, die öffentlichen Räume in Japan, Singapur, China usw. sind aber oft wie geleckt.

    Auch regional gibt's ja starke Unterschiede. Ich bin gerade in München und das Level an Sauberkeit und Ordnung liegt um ein Vielfaches höher als in Berlin. Es hat glaube ich viel mit der Verbundenheit und Wertschätzung für den jeweiligen Ort zu tun. Denn auch in Berlin gibt's sehr viele gepflegte Viertel - die sind architektonisch meist auch entsprechend schön.

  • Schon vor 3 Jahren veröffentlicht. Sehr gekonnt und treffend animiert:

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  • Problem ist nur, die meinen mit Schönheit etwas ganz anderes als wir. Irgendwas mit Pflanzen und ökologischen Baustoffen, aber bestimmt keine Gesimse und Säulen. Und so wird der Elefant im Raum auch bei dieser (wievielten?) Tagung bekennender Modernisten weiter ignoriert. :wink:

    In dubio pro reko

  • Die Kompetenz von Architekten ist es, Schönheit zu schaffen, so die Meinung eines Geologieprofessors auf einer Tagung in Kopenhagen, der "Welthauptstadt für Architektur".

    Die Schönheit aber sprach zu den Architekten: "Wo zwei oder drei von Euch in meinem Namen versammelt sind, bin ich nicht mehr unter ihnen."

  • "Auch die Ästhetik, lange von Kongressen dieser Art verbannt, spielt dabei eine Rolle – wenn auch in veränderter Weise. Es geht um eine neue Ästhetik, eine neue Emotionalität für die Architektur, die wir brauchen. Dies ist die Idee hinter der Initiative „New European Bauhaus“. Diese präsentierte sich in Kopenhagen auf einem Panel über die Frage, ob auch Hässlichkeit irgendwie schön sein kann."

    Nicht um mehr Schönheit, die allgemein also solche anerkannt wird, möchten sich die Architekten bemühen, sondern um eine Änderung der Sichtweise und des Narrativs: Hässlich ist dann eben das neue schön.

    Dieser Kongress zeigt wohl ganz gut, wie krass das professionelle Selbstverständnis der Architekten heutzutage an dem vorbeigeht, was in Jahrtausenden Architekturgeschichte bis ca. 1960 die selbstverständliche Erwartung an Baukultur war: ästhetisch überzeugende Entwürfe abzuliefern. Alles andere können auch Bauingenieure.

    So eine schlechte Performance können sich andere Berufsgruppen nicht erlauben, ohne früher oder später dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Nur Architekten können anscheinend dauerhaft in ihrer Blase verbleiben und sich dabei noch gegenseitig mit Preisen und eitlen Huldigungen bestärken, zum Schaden der Allgemeinheit.

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  • Mir kommt das so vor wie gesellschaftliches ,,Gaslighting". Statt wie im persönlich-psychischen das dafür notwendige Vertrauensverhältnis über enge Kontakte entsteht, wird hier der Nimbus einer Profession für gute Gestaltung geschaffen. Alle außerhalb dieser Profession sind erstmal nicht vertrauenswürdig im Umgang mit Gestaltung, am besten zu ignorieren, weil ja inkompetent gegenüber jeglicher professionellen Qualitätsbeurteilung. Das Vertrauen wird noch weiter gestützt durch eine stark forcierte Einheitlichkeit dieser ,,professionellen Gestaltungsbewertungen".

    Damit ist es dann möglich, auf die Wahrnehmung der Bevölkerung zu beginnen einzuwirken. Was der normale Bürger so mehrheitlich baut wird nicht als Ausdruck eines Anspruchs auf solide, traditionsbewusste Gestaltung angenommen als Auftrag an den Architekten selbst, dies dann noch gestalterisch hochwertig auszufeilen, sondern wird als reine Geschmacklosigkeit und Hinterwäldlerei geframed. Verortet zu einem naiven Drang nach Romantik manchmal, manchmal auch Populismus. Populismus ist hier ein sehr dankbarer Vorwurf, weil er einlädt sich gegen die scheinbar einfache Masse zu stellen, die die hohe Kunst nicht versteht.

    Und dann kommt die nächste Steigerung. Nicht erst die passiv zu beobachtende Gestaltungspräferenz der Menschen wird als rückständig abgetan, nun geht es ans Eingemachte und man möchte diese innere Präferenz selbst angreifen. Wenn die Menschen Gebäude in schön und hässlich intuitiv teilen, so will man an diese Intuition heran. Man stellt die Wahrnehmungen und Gefühle infrage, lässt bewusst diese beiden Kategorien 'hässlich' und 'schön' verschwimmen samt damit verwandter Kategorien, um den Rezipienten zu verunsichern, sich seiner intuitiven Urteilsfähigkeit nicht mehr wertfrei nähern zu können, gehemmt zu sein diese zu kommunizieren. Die Rezipienten beginnen daran zu zweifeln, ob sie die Qualitäten von Gebäuden beurteilen können, dass man dieses immer wieder ja doch von ,,Fachleuten" postulierte ,,Schöne" im scheinbar Hässlichen einfach nicht spüren kann und nur verstandesmäßig darüber bügeln kann, um dem Druck des Gaslighting nachzukommen.

    Ich denke meine Überlegung ist keine Pseudopsychologie oder unseriös und leichtfertig konstruiert. So sind Gaslighting Methoden durchaus wohlbekannt als Mittel zur Beeinflussung der Massen in der Propaganda. Instrument um Macht auszuüben.

  • Nun ist es aber so, dass der Geologieprofessor im erwähnten Welt-Artikel funktional unterscheidet zwischen Architekten und Ingenieuren. Erstere sind zuständig für Schönheit, die ökologische Baugestaltung ist Sache der Ingenieure. Aber wurde hier nicht schon längst ein dialektischer Sprung vollzogen? Die meisten Architekten tragen doch den Titel Dipl.-Ing. (die neuere Entwicklung Bachelor/Master vernachlässige ich) und denken offensichtlich auch so (was sich ja in der Gestaltung der Gebäude abzeichnet). Der Architekt Teherani äußerte sich mal zum Thema Ästhetik: Schön ist das, was Ingenieure entwerfen, da es funktional ist. Vielleicht folgte er mit dieser Bemerkung den Bauhäuslern: auch dort wurde Funktionalität zur Schönheit erklärt. Ich finde es immer schlecht, wenn eine Berufsgruppe ihre eigenen Werke beurteilt. Ob etwas schön oder hässlich ist, das sollten immer andere bewerten, z. B. die Bürger. Denen wird dann aber flugs unterstellt, sie hätten keine Ahnung, das wäre ausschließlich Sache der Architekten. Nur mit solchen Tricksereien kommen wir ja nicht weiter, es dreht sich ja alles im Kreis, der moderne Baustil scheint wie eingefroren.

    Ich möchte an dieser Stelle noch an die Architekten des Historismus erinnern. Für die ging Schönheit über alles. Sie konkurrierten dann mit den Ingenieuren, die auch gestalterisch ins Baugewerbe eingriffen - und sie schließlich verdrängten.

  • Das Buch "Humanise" vom britischen Architektur-Designer Thomas Heatherwick wurde zum Anlass für eine Initiative genommen, unter dem selben Namen. Heatherwick beschreibt die Ausbreitung einer "Blandemic", einer Pandemie der Monotonie in der Architektur. Er steht freilich mit seinen eher aufmerksamkeitsheischenden Entwürfen dagegen, die uns nun auch nicht zufriedenstellen dürften. Wobei wir das ja z.B. auch bei Christoph Mäckler sehen, der die selben Probleme wie wir sieht, aber eben andere Antworten liefern will (jedenfalls in seinen Entwürfen).

    Doch in der Analyse der Probleme in der Architektur liegt "Humanise" von Heatherwick mit uns zu locker 90% auf einer Wellenlänge. Auch stellen sie dort eigene architekturpsychologische Studien an (hier bei "Research") und sind rege am publizieren, organisieren von Events usw.

    Schaut mal rein: https://humanise.org/