10 Probleme
Bevor es überhaupt zu einer Rekonstruktion des Ansgariiturms, der Ansgariikirche oder beiden kommen kann, müssen erst mal eine ganze Reihe von realen Problemen bewältigt werden.
Problem Nr. 1: Die Eigentumsverhältnisse
Nach meinem Wissensstand gehört das Bremer Carree zurzeit zwei Personen. Eigentümer des östlichen Teils zum Marktplatz hin ist Kurt Zech, der westliche Teil gehört dem Hamburger Erck Rickmers. Diese Eigentumsverhältnisse werfen als Erstes die Frage auf: Wollen die beiden erwähnten Personen (oder einer) ihre Anteile überhaupt verkaufen oder wollen sie die Anteile weiterhin behalten.
Problem Nr. 2: Der Kaufpreis
Ich hatte in der letzten Woche zu einem Immobilienmakler Kontakt aufgenommen und ihn um eine Einschätzung des gegenwärtigen Kaufpreises des Bremer Carrees gebeten. Aufgrund des durch die Coronakrise erzeugten Wertverlustes von Immobilien in der Bremer Innenstadt in Höhe von bis zu 25 % ist es nicht einfach, hier einen exakten Kaufpreis zu benennen, aber er meinte, man könnte heute ungefähr 30 - 40 Millionen Euro für das Carree ansetzen.
Problem Nr. 3: Wer wird der neue Eigentümer
Wir sprechen hier also von ca. 30 Millionen Euro, pro Hälfte wären das dann 15 Millionen Euro. Unterstellen wir mal, die Westhälfte würde vom Eigentümer verkauft werden wollen, dann stellt sich erst mal die Frage: An wen. Verkauft wird an den, der am meisten bietet. Von einer Herzensangelegenheit "Rekonstruktion" seitens des Eigentümers können wir nicht ausgehen. Unterstellen wir weiter, dass ein dem Ansgariiprojekt positiv gegenüberstehender Investor die Gebäudehälfte von Rickmers kauft, heißt das noch lange nicht, dass dieser sein Eigentum zur Verfügung stellt. Denn das würde ja bedeuten, dass er auf 15 Millionen Euro mal ebenso, aus reiner Begeisterung, verzichten würde. Also bleibt noch als neuer Eigentümer der idealistische Verein "Anschari". Da kommen wir schon zum nächsten Problem.
Problem Nr. 4: Wo kommt das Geld her
Ich halte es für unmöglich, dass ein Verein in Bremen 15 Millionen Euro (dies ist die fiktive Summe, von der ich hier erst mal ausgehe, damit man irgendwie vorankommt) aufbringen kann. Plus Nebenkosten. Wohlgemerkt: Wir haben hier nicht das international beachtete Berliner Schlossprojekt oder die Frauenkirche in Dresden. Sondern: Bremer Verhältnisse. Die Spendenbereitschaft für ein Gebäude, was dem Erdboden gleichgemacht werden soll, halte ich, anders als beim Aufbau des Turms, für äußerst gering.
Problem Nr. 5: Was geschieht mit den Mietern
Wer auch immer neuer Eigentümer wird, er muss den Mietern kündigen, um den Abriss einleiten zu können. Es könnten aber langjährige Verträge bestehen, die langjährige Gerichtsverfahren nach sich ziehen - und Ablösesummen. Das kann also dauern und wird wohl zusätzlich sehr viel Geld und Zeit kosten: für Anwälte, Entschädigungen...
Problem Nr. 6: Der Abriss
Außer den Erwerbsnebenkosten entstehen bei einem Abriss Abrisskosten. Ich habe keine Ahnung, wie hoch die sind, nehme mal die Summe von 5 Millionen Euro als Orientierungspunkt und reduziere diese um die Hälfte. Arbeitshypothese: 2,5 Millionen Euro entstehen für den Abriss der westlichen Haushälfte. Hier sind Absprachen mit den 2. Eigentümer von Nöten, der Abriss muss beantragt und danach müssen die Anschlüsse zum Nachbargrundstück verkleidet werden. Fragestellungen nach den Versorgungsleitungen müssen befriedigend gelöst werden. Alles zusätzliche Kostenfaktoren.
Problem Nr. 7: Nach dem Abriss
Nach dem Abriss muss ein Bauantrag für den Ansgariiturm gestellt werden. Die Sache muss durch die Deputation, durch die Stadtbürgerschaft und durch den Senat. Nehmen wir mal an, die politischen Parteien in der Bürgerschaft sind in der Mehrheit gegen eine Rekonstruktion des Ansgariiturms. Dann war´s das und der neue Eigentümer verfügt über ein leere, aber wieterhin kostenpflichtiges Grundstück.
Bestimmt wird es Abgeordnete geben, die Rekonstruktionen ablehnen, andere wiederum wollen eine zeitgenössische Interpretation des Turms (Vorbild: moderner Industrieschornstein), wiederum andere wollen nicht mal das, sondern einen zeitgenössisch orientierten Neubau. Die Wirtschaftsfraktion in der Bürgerschaft will dann vielleicht einen Neubau mit Verkaufsfläche im Erdgeschoss (da würde man sich dann dem früheren Zustand annähern), da Bremen als Großstadt zu wenig Fläche anbieten kann und deshalb in Konkurrenz zu anderen Großstädten zurückfällt.
Problem Nr. 8: Erneutes Geld auftreiben - in Millionenhöhe
Aber gehen wir jetzt mal davon aus, alles läuft glatt mit der Politik. Der Wiederaufbau des Turms wird Kosten in Millionenhöhe verursachen. Von Zieten hat hier ja schon mal Zahlen reingeschmissen: 28 Millionen Euro, irgendwann tauchte die Zahl 54 oder 58 Millionen auf, glaube ich, also irgendwas dazwischen. Woher nehmen? Spenden? Es sind ja schon viele Spendenmillionen - unterstellt - für den Kauf des halben Gebäudes, für die Hauserwerbnebenkosten, für den Abriss und so manches mehr geflossen.
Als ein weiterer Kostenfaktor ist die Gründung des Turms zu nennen, damit nicht wieder, wenn bei einem erneuten Krieg dem Turm eine Bombe vor die Füße fällt, dieser instabil wird. Zum Vergleich: Architekt Poppe hatte dem in der Nähe liegenden Lloydturm bezüglich der Statik große Aufmerksamkeit gewidmet und zusätzlich zu einer ordentlichen Gründung noch keilförmige Betonverstärkungen in den Geestboden getrieben. Hinzu kam: die unteren drei Etagen verfügten über ein Eisenskelett. Der Lloydturm bekam zwar Bomben ab, blieb aber stabil. Aber so eine stabilisierende Gründung wird ins Geld gehen, das nicht vorhanden ist.
Problem Nr. 9: Das Hauhaltsnotlageland Bremen
Es ist durchaus möglich, dass es Zeitgenossen gibt, die mit dem Gedanken spielen, das Bundesland Bremen oder die Stadt Bremen könnte finanzielle Unterstützung in Millionenhöhe leisten. Wer sich auch nur bei diesem Gedanken ertappt, sollte sich gleich selbst bestrafen. Wenn es etwas gibt, das mit Sicherheit nicht eintreten wird, dann die Tatsache, dass Bremen Geld zuschießt. Wer Bremer Gelder in einen Finanzierungsplan mit einschließt, hat gleich verloren.
Problem Nr. 10: Die positiv Gestimmten
Für die positiv Gestimmten sind Problembeschreibungen reine Horrorveranstaltungen. Aber mit Eskapismus kommt man nicht weiter. Wir können das Fell des Bären nicht verteilen, wenn nicht vorher die geschilderten Probleme behoben werden.
Vergleiche mit Frankfurt, Dresden und Berlin halte ich nicht für passend, da dort andere Bedingungen herrschten und diese nur vom Ergebnis her Vorbildcharakter haben. Die Grundstücke dort gehörten der Stadt/dem Bund bzw. Berlin. In Bremen dagegen gehört das Grundstück Privatpersonen. Es darf nicht sein, dass Personen, die Problempunkte ansprechen, Miesepeterigkeit unterstellt wird oder noch besser, dass ihnen vorgeworfen wird, sie würden das Projekt kaputt machen wollen.
Ich habe hier jetzt einige Problempunkte aufgeführt. Werden diese nicht gelöst - und zwar von vorne beginnend - brauchen wir uns keine weiteren Gedanken über die Rekonstruktion machen. Ich halte die angesprochenen Probleme allerdings für so gravierend und nicht lösbar, dass wir uns vom Ansgariiprojekt verabschieden müssen und der realistischen Umsetzung eines anderen Projekts, z. B. das angesprochene Kornhaus, zuwenden sollten. Ansgarii ist aufgrund der Eigentumsverhältnisse, die ich hier eingangs versucht habe, darzustellen, einfach nicht bezahlbar und insgesamt zu riesig und komplex in der Umsetzung.