Rathäuser in der Nachkriegszeit

  • Es sind vielfach die Perlen in den historisch gewachsenen Städten: Die repräsentativen Rathäuser. Mit dem nötigen Respekt sollte man diese Verwaltungssitze der Städte und Gemeinden behandeln. Doch auch dieses Bauerbe war im modernen Nachkriegsdeutschland immer wieder bedroht. Manches wurde sogar abgerissen. Da kommt bei mir die Frage auf: Gibt es eigentlich außerhalb von Deutschland, irgendwo auf der Welt Städte, die nach dem Krieg ihr historisches Rathaus abgerissen haben? Kommen wir erst einmal zu den Nachkriegsabrissen in Deutschland:

    - Halle, Altes Rathaus (Abriss 1948-50)

    - Dortmund, Altes Rathaus (abgerissen 1955) Der Bau war wohl das älteste steinernde Rathaus des deutschsprachigen Sprachraums nördlich der Alpen

    - Essen, altes Rathaus (erbaut 1885 - Abriss des neogotischen Baus 1964/65)

    - Gütersloh, Altes Rathaus (neogotischer Bau von 1864 - abgerissen 1971 - warum, weiß man bis heute nicht)

    Aber im Nachkriegsdeutschland wurden nicht nur historische Rathäuser abgerissen, sondern betonartige Rathausmonster mitten in die Altstädte gepflanzt. Beispiele sind in Rheda-Wiedenbrück, Reutlingen, Erlangen und Ingolstadt zu besichtigen.

    Habt Ihr noch weitere Beispiele von Rathaus-Abrissen in der Nachkriegszeit oder Betonungeheuern in den Altstädten?

    ...

  • Betonungeheur? Eindeutig Ludwigshafen und Kaiserslautern. In Ludwigshafen wurde dafür der alte Kopfbahnhof der Stadt abgerissen (siehe die frei einsehbare Bildergalerie dieses sonst hinter Bezahlschranke versteckten Rheinpfalz-Artikels), der vor dem Krieg so aussah und nach dem Krieg noch so. Kein allzu schöner Nachkriegsbau, der weichen musste und verständlich, das Stadtmitte und Hemshof/Nördliche Innenstadt trennende Gleisfeld verlegen zu wollen. Aber dafür wurde dieses Monstrum gebaut und eine Hochstraße errichtet, die sich noch unschöner zwischen beide Stadtteile schiebt. Beides soll wohl bald der Vergangenheit angehören - der Abriss ist beschlossen - aber das heißt ja noch lange nicht, dass es städtebaulich und architektonisch wirklich besser wird.

    In Kaiserslautern wurde ein eigentlich für den Aufbau des Mannheimer Stadthauses konzipierter Entwurf umgesetzt. Etwas weniger erdrückend in seine Umgebung gesetzt als in Ludwigshafen. Dennoch zusammen mit der breiten Schneise der Lauter- und Ludwigstraße ein Keil zwischen der Kernaltstadt um Stiftskirche und Fruchthalle im Süden und der Pfalzgalerie und dem Villenviertel um den Benzinoring im Norden.

  • Nun, ein "Betonungeheuer" in der Altstadt ist das Rathaus von Reutlingen...

    https://de.wikipedia.org/wiki/Rath%C3%A…tlingen-021.jpg

    Als "Gesamtkunstwerk" und "eine Metapher für Demokratie und Offenheit" hat es der Berliner Kunsthistoriker Adrian von Buttlar bezeichnet. Der war von 1996 bis 2009 Vorsitzender des Landesdenkmalrats Berlin und muss es somit wissen...

    https://www.tagblatt.de/Nachrichten/Be…erk-221718.html

  • Krass. Das Rathaus von Gütersloh kannte ich noch gar nicht. Das war ja ein tolles Ding.

    Das Alte Rathaus von Gelsenkirchen wurde auch 1970 völlig unnötig abgerissen. Es hatte den Krieg ohne einen Kratzer überstanden. Heute steht an der Stelle dieses schöne Haus:

    https://www.gelsenkirchener-geschichten.de/w/images/thumb…ngenkiste_1.jpg

    Das Alte Rathaus von Leverkusen wurde ebenfalls 1971 abgerissen. Es wurde für die Stadt zu klein. Aber muss man deswegen so ein Schmuckstück vernichten? Es hätte sicher umgenutzt werden können. Die 1970er-Jahre waren echt krank.

    Als Beispiel für ein störendes "modernes" Rathaus, würde ich das Rathaus von Aschaffenburg nennen. Den Kasten kann ich einfach nicht leiden. Steht natürlich schon unter Denkmalschutz.

    Oder das Neue Rathaus in Minden, das sich wie ein Bandwurm durch die Innenstadt zieht. Sein Abriss wurde durch die Mindener Bürger verhindert.

  • Der Abriss intakter historischer Rathäuser in den Innenstädten Deutschlands sind ganz klare Beispiele das nicht einzig und allein der Krieg dafür verantwortlich zu machen ist das ein Großteil der Innenstädte so architektonisch verstümmelt sind.Es war in sehr starkem Maße die Nachkriegsplanung in den Städten was dazu führte das viele vorhandene,unversehrte und funktionierende historische Gebäude(wie zB.Rathäuser)noch in den 60/70er Jahren absichtlich beseitigt wurden.Ein Abriss ist schnell durchgeführt. Auch Heutzutage ist der der ein oder andere Hist.Wiederaufbau (Reko) ein Kraftakt dem leider immer lange Emotionale Diskussionen vorausgehen.Wie schade das jede noch so kleine Reko ständig Umstritten ist.Deren Gegner sind immer sofort zur Stelle.

  • Herr Herrmann Richtig! Insbesondere nach dem Abriss von "08/15"-Altbauten im Ruhrgebiet blieben die letzten historischen Großbauten (Rathäuser, Gerichte, Schulen, Krankenhäuser) isoliert im modernen Nachkriegsumfeld zurück. Am Ende wurden diese dann auch noch abgerissen.

    ...

  • Ich habe mich gefragt, wie unsere Städte wohl aussehen würden, wenn es diesen Krieg nicht gegeben hätte. Natürlich wäre ein Großteil der historischen Häuser noch da. Aber hätte man die Rathäuser In jedem Fall abgerissen, wenn sie zu klein werden? Oder hat man das nur gemacht, weil es gerade diese Welle von Neuanfang, Wiederaufbau und Modernisierung gab? Obwohl dieser Gedanke in den 1970er-Jahren, 25 Jahre nach Kriegsende, wohl nicht mehr so akut gewesen sein dürfte.

  • In Deutschland wäre auch einiges ohne Krieg abgerissen worden. Dafür spricht die Umgestaltung der Städte, die schon in den 20er Jahren erfolgte (z.B. in Berlin). War eben das Heimatland der "Moderne" (Bauhaus). In französischen oder italienischen Städten gab es dergleichen ja nicht. Vergleichbar mit Deutschland war allenfalls Großbritannien, wo nach dem Krieg ähnlich rücksichtslos mit den historischen Stadtzentren umgegangen wurde. Vermutlich weil die Stadtplaner in beiden Ländern nach den Kriegszerstörungen ihre Chance gekommen sahen, die Innenstädte ohne den "historischen Ballast" ganz neu zu gestalten. Auch in den USA wurde (ganz ohne Kriegseinwirkung) in den letzten hundert Jahren enorm viel historische Bausubstanz vernichtet. Das New York der 50er Jahre sah noch ganz anders aus als das heutige.

    In dubio pro reko

  • Ich habe mich gefragt, wie unsere Städte wohl aussehen würden, wenn es diesen Krieg nicht gegeben hätte. Natürlich wäre ein Großteil der historischen Häuser noch da. Aber hätte man die Rathäuser In jedem Fall abgerissen, wenn sie zu klein werden? Oder hat man das nur gemacht, weil es gerade diese Welle von Neuanfang, Wiederaufbau und Modernisierung gab?

    Das ist natürlich eine Science-Fiction-Frage. Eine Frage nach einem alternativen Geschichtsverlauf. Gehst Du davon aus, dass sich die Gesellschaft ab 1933 anders entwickelt hätte? Oder ab 1939?

    In beiden Fällen wäre es anders gekommen.

    Im ersten Fall - nehmen wir mal an, Liberale und Sozialdemokraten hätten die Gesellschaft der nächsten Jahrzehnte geprägt - wäre es vermutlich in der Tendenz zu einer ähnlichen Entwicklung wie heute gekommen, aber mit weit weniger Altsubstanzverlust, also keine Kriegsverluste, dafür aber punktuelle Abrisse und Ersetzen durch immer modernistischere Architektur. Wir sehen das ja ähnlich in anderen europäischen Städten, die wenig von Kriegszerstörungen betroffen waren. Um die Altstädte legen sich Ringe von modernistischen Wohnblock-Arealen, und diese Architektur frisst sich denn punktuell in die Gründerzeit- und Altstadtviertel hinein, wenn auch deutlich geringer, als bei uns nach den Kriegsverlusten.

    Im zweiten Fall, ein NS-System hätte ohne Krieg überlebt, wäre es wohl zu großflächigen Abrissen in Gründerzeitarealen gekommen. Diese wären aber nicht mit modernistischer Architektur in Bauhaus-Linie aufgefüllt worden, sondern es wären monumentalere breite Magistralen mit neoklassizistischer Architektur entstanden, durchaus vergleichbar der Stalin-Architektur in Magdeburg oder der Berliner Karl-Marx-Allee. Dann hätte es womöglich auch das ein oder andere Gründerzeit-Rathaus erwischt, um einer größeren und moderneren Variante Platz zu machen, die ich - also nur meine Meinung - allerdings ästhetisch ansprechender gefunden hätte, als das, was hierzulande in der Nachkriegszeit fabriziert wurde. Historische Altstadtareale mit alten Rathäusern (z.B. in Dortmund) wären hingegen geschützt geblieben bzw. einer angepassten Sanierung unterworfen worden.

    Auch das natürlich nur eine hypothetische Antwort von mir. Denn, Geschichte kennt ja viele unbekannte Überraschungsmomente, so dass dies eine reine Gedankenspielerei ist.

  • Dem Rathaus von Schrobenhausen sieht man gar nicht an, daß es von 1955 ist. Könnte auch ein Bau von 2000 sein. Wie ich gelesen habe, steht es schon unter Denkmalschutz. Natürlich. Derzeit wird das Rathaus für 8 Mio. Euro saniert. In die neue Zeitkapsel kommt, möglicherweise, eine Corona-Maske. :biggrin:

    Wieso hat man denn das alte neugotische Rathaus ersetzt? Das scheint mir fast noch größer gewesen zu sein, als das Haus von 1955.

  • Da "Markus" Kolbermoor erwähnt, möchte ich fotografisches Anschauungsmaterial nachschießen. Siehe also hier.

    Inwiefern dieser für eine oberbayerische Kleinstadt reichlich unpassende Bau im Altstadtbereich oder in einem Gewerbebegebiet, wo er ein kleines wenig "passender" platziert wäre, steht, vermag ich nicht zu sagen.

    Immerhin wurde aber nicht das alte Rathaus dafür abgerissen. Es steht noch. Siehe hier.

  • Hamburg hat ja ein phantastisches historistisches Rathaus, das wie durch ein Wunder den 2. Weltkrieg heil überstanden hat (- ein "Wunder" u. a. insofern, als dass das Rathaus mehrfach Zielpunkt bei Bombardements war, aber stets verfehlt wurde, da die Markierungsbomben falsch gesetzt wurden oder abtrieben).

    Das Rathaus erfüllt bis heute ohne Abstriche seinen Zweck und ist zweifelsfrei in der Bevölkerung sehr beliebt. Dennoch gab es in den 1990ern Pläne, die Rathausfunktion in einen Neubau auf dem Domplatz zu verlagern, der - mit transparenten gläsernen Außenfassade - die Werte einer demokratischen Gesellschaft besser symbolisieren sollte.

    Die Pläne wurden erfreulicherweise nicht in die Tat umgesetzt und werden nicht mehr verfolgt.

    Hamburg_Rathausmarkt_und_Rathaus.jpg

    Quelle

  • - mit transparenten gläsernen Außenfassade - die Werte einer demokratischen Gesellschaft besser symbolisieren sollte.

    Die Pläne wurden erfreulicherweise nicht in die Tat umgesetzt und werden nicht mehr verfolgt.

    Wie diese Phrasen seit Jahrzehnten immer und immer wieder auftauchen - das scheint ein Standard an deutschen Architekturfakultäten zu sein. Für Administration und Regierung bitte mit Glas bauen, das ist transparent und demokratisch. Ich wage mal zu behaupten, demokratischer und transparenter ist dadurch noch keine einzige Behörde etc geworden.

  • ^

    Zumindest kann man von außen sehen, welcher Mitarbeiter gerade in der Nase bohrt. Das ist doch ein Fortschritt.

    Das Hamburger Rathaus ist eines der wichtigsten und bekanntesten Wahrzeichen der Stadt. Wie kann man da auf die Idee kommen, es durch einen Neubau zu ersetzen? Solche Einfälle entstehen doch nur, wenn es der Stadt finanziell zu gut geht.

  • Ich würde immer noch gerne wissen, ob es außerhalb von Deutschland in der Nachkriegszeit ein Abriss eines historischen Rathauses gab, oder ob Deutschland als Speerspitze der Moderne, da eine Sonderrolle spielt. :rolleyes:

    ...

  • Das Hamburger Rathaus ist eines der wichtigsten und bekanntesten Wahrzeichen der Stadt. Wie kann man da auf die Idee kommen, es durch einen Neubau zu ersetzen? Solche Einfälle entstehen doch nur, wenn es der Stadt finanziell zu gut geht.

    Ich denke das ist/war nur aus dem politischen Zeitgeist heraus verständlich. Die Rathausfassade schmücken Figuren der deutschen Kaiser. Im Sinne der Erbauer war das keineswegs als Geste der Unterwürfigkeit zu verstehen, sondern der Freiheit und Eigenständigkeit - Hamburg als städtische Republik unterstand direkt dem Kaiser, nicht irgendeinem Landesfürsten.

    Aus heutiger Perspektive wird dieser Bezug von vielen als negativ wahrgenommen ("Imperialismus, Kolonialismus").

    Ein Ausdruck dieses Hamburger Stolzes findet sich im Inneren in einem sehr speziellen Gemälde im Großen Festsaal. Es stellt symbolhaft die Christianisierung unter Karl dem Großen dar:

    Festsaal_3_Ansgar.jpg

    Quelle

    Bischofs Angars Hand segnet ins Leere - denn der Hamburger, der dort vom Maler in kniender Position vorgesehen war, wurde auf Geheiß des Senates weggelassen. Die Frauen im Bild drehen den kirchlichen Würdenträgern den Rücken zu, die Männer wirken teilnahmslos, nur einer steht in Blickkontakt mit dem Bischof - das absolute Minimum an Respekt, was überhaupt bildlich aus damaliger Sicht noch in einem solchen Kontext darstellbar war.