Das Kaiserreich im Rückblick

  • Manchmal erscheint mir das Geschichtsverständnis unserer "Konservativen" hier stark vom Ehrbegriff geprägt zu sein, also dass jeder kritische Blick auf einen Aspekt der deutschen Vergangenheit als ehrenrührig und somit unterlassenswert gesehen wird. Irgendwoher kenne ich solche Einstellungen ;). Das hat aber dann mit Geschichtsforschung eben nichts mehr zu tun. Das Kaiserreich ist genauso wie Deutschland selbst eine interessante Melange aus Vorzügen und Defiziten.

    Wir diskutieren hier aber über die Kaiserzeit, und nicht über die Nazidiktatur, über welche es ähnliche Einstellungen geben mag. Und es hat tatsächlich etwas mit Ehrgefühl zu tun, dass man nicht sämtliche Vorgängergenerationen beschmutzt lassen möchte. Wie diese Verschmutzungen aussahen, ist diskutiert worden. Trotz deren Aufdeckung gibt es aber Kreise, die den Schmutz immer wieder neu aufwühlen und auch nicht vor dem Gebrauch der alten Vorwürfe zurückschrecken. Der WK1 war sogar nach SED-Definition ein allseitiger imperialistischer Raubkrieg, in welchem das Kaiserreich sich nicht hervor hob. Hier erneut eine Aussage über den Ehrbegriff von Linken zu tun, unterlasse ich, da sofort deaktiviert. Aber vor Jahren las ich mal, dass eine Umfrage unter der russischen Landbevölkerung ergeben haben soll, dass diese mit dem Begriff Ehre nichts anfangen konnten und nicht einmal eine Vokabel dafür kannten. Ähnlichkeiten sind rein zufällig.

  • Ich fühle mich weder "auf den Schwanz" getreten noch (bei was denn?) ertappt. Es scheint mir aber so zu sein, dass hier machnche den Unterschied zwischen sachlicher Diskussion über historische Ereignisse und dem wiedergeben eines Wunschbildes derselben nicht sehen. Mir ist ja schon klar, dass der Grund darin in der Unzufriedenheit mit den heutigen Verhältnissen liegt, nur fürchte sich, dass entgegen der Annahme der Konservativen und der Utopie der Progressiven, diese niemals ideal waren oder sein werden.

    Ich glaube kaum, dass sich normal denkende Menschen jemals die Zustände zurück wünschen würden. Eine Ausnahme: Straftäter durften sich damals nicht im Bewährungstaumel sonnen.

  • Und es hat tatsächlich etwas mit Ehrgefühl zu tun, dass man nicht sämtliche Vorgängergenerationen beschmutzt lassen möchte.

    Das macht hier niemand. Es hat hier Niemand geschrieben, dass es nicht auch im Kaiserreich positive Entwicklungen gab, geschweige denn Vorgängergenerationen "beschmutzt" . Sachliche Kritik ist kein Beschmutzen. Im übrigen ist Kaiser Wilhelm II und um dessen Leistungen ging es im Ausgangspunkt, nicht meine "Vorgängergeneration" und für diese auch nicht repräsentativ.

    Andererseits hat es aber etwas mit Ehrgefühl zu tun, wenn man die demokratisch gewählte derzeitige Regierung, sei es im Bund oder in den Ländern ständig verbal herabsetzt. Auch hier ist Kritik selbstverständlich erlaubt und ich kritisiere in meinem realen Leben von Berufswegen sehr viele staatliche Entscheidungen. was hier aber von manchen Foristen geäußert wird, geht über das Kritisieren weit hinaus. das ist weder konservativ, noch "ehrenhaft". Das sollte jeder einmal in sich gehen, wenn er dem anderen hier etwas vorwirft.

  • Ich glaube kaum, dass sich normal denkende Menschen jemals die Zustände zurück wünschen würden. Eine Ausnahme: Straftäter durften sich damals nicht im Bewährungstaumel sonnen.

    Ich meine daß im Kaiserreich unter Wilhelm II relativ wenig Todesstrafen ausgesprochen und vollstreckt wurden.

    Es wurden meines Wissens nach auch nur Mörder durch die Guillotine hingerichtet.

    Wie man zur Todesstrafe steht , ist ein anderes Thema - ich persönlich halte nichts davon.

  • Eine Ausnahme: Straftäter durften sich damals nicht im Bewährungstaumel sonnen.

    Tun sie das?

    Wie viele Straftäter kennst Du?

    Hast du mit Menschen, die Schuld auf sich geladen haben einmal gesprochen?

    Hast du überhaupt eine Vorstellung unter welchen Voraussetzung die Vollstreckung einer Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden darf und wird?

    (Die Fragen sind rhetorisch gemeint und wir sollte darüber keine Diskussion führen)

  • Ich meine daß im Kaiserreich unter Wilhelm II relativ wenig Todesstrafen ausgesprochen

    Für Taten, die heute eine Bewährungsstrafe nach sich ziehen ist in einem Rechtstaat (und ein solcher war das Kaiserreich auf jeden Fall) noch nie jemand (außer vielleicht unter der Geltung von Kriegsrecht) hingerichtet worden.

    Die Todesstrafe konnte im Kaiserreich verhängt werden bei Mord oder Mordversuch am Kaiser oder einem Landesfürsten. Sie ist aber bei den meisten Verfahren nicht verhängt und soweit sie verhängt wurde, oft nicht vollstreckt worden. Zu Zeiten Kaiser Wilhelm II sind Todesurteile häufiger als bei seinen Vorgängern, aber selbstverständlich nicht vom Kaiser oder hier vielmehr Preußischen König (weil Justiz Ländersache war und ist) verhängt, sondern von unabhängigen Gerichten.

    Die moralische Legitimität war aber damals schon umstritten und es spricht aus meiner Sicht sehr viel dafür, dass Menschen andere Menschen nicht töten dürfen, egal aus welchem Grund.

  • Andreas Straftäter sind zu des Kaisers Zeiten unterm "Rübenschneider" gelandet.

    Besonders interessant dabei - der Kopf lebt noch ein paar Minuten weiter...der Strick war da schon humaner, man verlor das Bewußtsein.

    Aber ich bin natürlich auch der Ansicht, daß Straftätern im Leben die Möglichkeit zur Reue gegeben werden muß.

    Nur so viel ich von meinen Vorfahren weiß, war Wilhelm II auch kein Freund der Todesstrafe.

    Es wurden wohl viele Gnadengesuche von seiner Majestät genehmigt und in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt.

  • Laut Wikipedia:

    "König Wilhelm I. von Preußen unterzeichnete von 1868 bis 1878 keinen Hinrichtungsbefehl. Im Königreich Bayern gab es von 1868 bis 1880 nur sieben Exekutionen. Unter Wilhelm II. stieg die Zahl vollstreckter Todesurteile ab 1892 stark an.[167] Das Erfurter Programm der SPD von 1891 forderte die Abschaffung der Todesstrafe.[168] 1895 fällten die Gerichte in Preußen 68 Todesurteile bei 324 Fällen von Mord und Totschlag; 31 davon wurden vollstreckt. Von 1892 bis 1896 gab es 370 Fälle von Mord und Totschlag. Dafür wurden jährlich durchschnittlich 25 Personen hingerichtet.[169]"

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  • Laut Wikipedia:

    "König Wilhelm I. von Preußen unterzeichnete von 1868 bis 1878 keinen Hinrichtungsbefehl. Im Königreich Bayern gab es von 1868 bis 1880 nur sieben Exekutionen. Unter Wilhelm II. stieg die Zahl vollstreckter Todesurteile ab 1892 stark an.[167] Das Erfurter Programm der SPD von 1891 forderte die Abschaffung der Todesstrafe.[168] 1895 fällten die Gerichte in Preußen 68 Todesurteile bei 324 Fällen von Mord und Totschlag; 31 davon wurden vollstreckt. Von 1892 bis 1896 gab es 370 Fälle von Mord und Totschlag. Dafür wurden jährlich durchschnittlich 25 Personen hingerichtet.[169]"

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    Die Linken haben anders hingerichtet - ich sag nur Spartakusbund.

    Abgesehen davon, waren es keine gerichtlich angeordneten Hinrichtungen, sondern Morde.

    Die gewaltsame Entseelung von Liebknecht und Luxemburg 1919 ist natürlich auch als Mord zu bewerten.

    Natürlich waren August Bebel und einige seiner Genossen gegen die Todesstrafe, nur gab es auch kriminelle Banden im linken (so wie im rechten) Spektrum, welche Selbstjustiz durchführten.

    Mein Mitleid mit Rosa und Karl hält sich sehr in Grenzen, der Spartakusbund war in etwa die Vorstufe der RAF.

  • Wir diskutieren hier aber über die Kaiserzeit, und nicht über die Nazidiktatur, über welche es ähnliche Einstellungen geben mag. Und es hat tatsächlich etwas mit Ehrgefühl zu tun, dass man nicht sämtliche Vorgängergenerationen beschmutzt lassen möchte. Wie diese Verschmutzungen aussahen, ist diskutiert worden. Trotz deren Aufdeckung gibt es aber Kreise, die den Schmutz immer wieder neu aufwühlen und auch nicht vor dem Gebrauch der alten Vorwürfe zurückschrecken. Der WK1 war sogar nach SED-Definition ein allseitiger imperialistischer Raubkrieg, in welchem das Kaiserreich sich nicht hervor hob. Hier erneut eine Aussage über den Ehrbegriff von Linken zu tun, unterlasse ich, da sofort deaktiviert. Aber vor Jahren las ich mal, dass eine Umfrage unter der russischen Landbevölkerung ergeben haben soll, dass diese mit dem Begriff Ehre nichts anfangen konnten und nicht einmal eine Vokabel dafür kannten. Ähnlichkeiten sind rein zufällig.

    Ich meinte keine spezifische Zeit in unserer Geschichte, sondern gerade von denjenigen, die so dünnhäutig in Bezug auf kritische Aspekte unserer Geschichte sind hier kritisch gesehene Bevölkerungs- und Religionsgruppen. Auch diese halten an einem für unsere Begriffe altertümlichen Ehrbegriff in Bezug auf die eigene Familie oder Volksgruppe fest, der in vielerlei Hinsicht hochproblematische Folgen hat.

  • Das macht hier niemand. Es hat hier Niemand geschrieben, dass es nicht auch im Kaiserreich positive Entwicklungen gab, geschweige denn Vorgängergenerationen "beschmutzt" . Sachliche Kritik ist kein Beschmutzen. Im übrigen ist Kaiser Wilhelm II und um dessen Leistungen ging es im Ausgangspunkt, nicht meine "Vorgängergeneration" und für diese auch nicht repräsentativ.

    Andererseits hat es aber etwas mit Ehrgefühl zu tun, wenn man die demokratisch gewählte derzeitige Regierung, sei es im Bund oder in den Ländern ständig verbal herabsetzt. Auch hier ist Kritik selbstverständlich erlaubt und ich kritisiere in meinem realen Leben von Berufswegen sehr viele staatliche Entscheidungen. was hier aber von manchen Foristen geäußert wird, geht über das Kritisieren weit hinaus. das ist weder konservativ, noch "ehrenhaft". Das sollte jeder einmal in sich gehen, wenn er dem anderen hier etwas vorwirft.

    Ja, diese Dissonanz ist schon seltsam. Zumal und gerade hier doch wirklich keiner pauschale oder ungerechte Kritik am Kaiserreich geäußert hat - wieso sollten wir das auch? Reine Strohmänner, die hier aufgebaut werden, um ein anscheinend tief eingegrabenes Feindbild zu bedienen. Und Dünnhäutigkeit in Bezug auf den Kaiser bei gleichzeitigen permanenten rhetorischen Tiefschlägen gegenüber "den aktuellen Verhältnissen" wirkt in der Tat etwas deplatziert. Hier scheinen ja bei einigen immer wieder durchaus revolutionäre Träumereien durch (und werden toleriert), da wird man einen Spruch zu Willem Zwo wohl abkönnen müssen.

  • Wenn aber jemand allen Ernstes versucht, die Einkommenssteuersätze 1:1 zu vergleichen und das als Vorteil des Kaiserreichs darzustellen, wird es eben hanebüchen.

    Weshalb ist das bloße Aufführen der Steuersätze (konkret: Einkommensteuer und Umsatzsteuer) und in Relation zueinander stellen hanebüchen?

    Weshalb sollte solch ein Unterfangen - allen Ernstes - unterlassen werden?

    Seltsame Sichtweise aber es verwundert mich auch nicht groß. Alles, was dem vorherrschenden (konformen) Zeitgeist eher zum Nachteil gereicht wird diffamiert.

    @Heimdall: Keineswegs benutze ich die Diskussion lediglich als Vehikel, einzig um die BRD schlecht erscheinen zu lassen. Nein, mir geht es auch um ein Entfernen des Schmutzes, mit welchem das Kaiserreich überzogen wurde und wird.

    Abschließend will ich folgendes Zitat von Pagentorn posten, da es mE entscheidendes auf den Punkt bringt.

    An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen

    Alle politischen Systeme, die seit 1918 auf deutschem Boden existierten, inklusive des gegenwärtigen ‚vereinten’ Deutschlands, haben das Kaiserreich grundsätzlich negativ dargestellt. Möglicherweise lag das ja daran, daß ihnen da etwas vorausgegangen war, dessen Kragenweite sie weder gemeinsam noch einzeln je erreichen konnten. Da ihnen das sicherlich bewußt war, waren sie gehalten, den Staat von 1871 in möglichst düsteren Farben zu malen, wenn sie vor den Augen des Volkes nur irgend bestehen und ein Mindestmaß an Legitimität erhaschen wollten.

    Das Kaiserreich hatte hingegen eine derartige Abwertung seiner Vorgängersysteme nicht nötig. Zwar wurden in der zeitgenössischen Historiographie durchaus kritikwürdige Aspekte des ‚Alten Reichs’ und des Deutschen Bundes benannt, dennoch nahm man aber beide Epochen in versöhnter Weise als Teil der eigenen Tradition und Identität an.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Ich meinte keine spezifische Zeit in unserer Geschichte, sondern gerade von denjenigen, die so dünnhäutig in Bezug auf kritische Aspekte unserer Geschichte sind hier kritisch gesehene Bevölkerungs- und Religionsgruppen. Auch diese halten an einem für unsere Begriffe altertümlichen Ehrbegriff in Bezug auf die eigene Familie oder Volksgruppe fest, der in vielerlei Hinsicht hochproblematische Folgen hat.

    Dass bestimmte Ehrvorstellungen bestimmter Familien- oder Volksgruppen heute überlebt sein dürften, ist der Weiterentwicklung ihrer Umgebung geschuldet. Ich würde mich aber nie erdreisten, mich dort einzumischen.

    Mich stört ganz konkret, dass Ur- oder Ur-Ur-Großväter, die im und nach dem WK1 als mordgierige Ungeheuer verunglimpft wurden, obwohl sie nichts weiter taten, als Soldaten anderer Nationen und in meinem Fall mehrheitlich im Grabenkrieg verbluteten, immer noch unter vorsätzlich einseitiger Darstellung rufgeschädigt werden.

  • Im Kaiserreich längst überplakatiert

    Unter Wilhelm II. hatte die Litfaßsäule ihre Hochzeit als Informationsmedium für breite Schichten des Volkes. Öffentliche Bekanntmachungen, Veranstaltungshinweise und Werbung waren dort zu finden.


    Gesellschaftsspaltende Parolen oder Aufforderungen zur Erregung öffentlichen Ärgernisses konnte man dort allerdings nicht lesen. Derartiges wäre nicht nur auf der berühmten Säule neben dem Nationaldenkmal an der Berliner Schloßfreiheit, sondern auch auf Exemplaren in der Provinz zügig beseitigt worden.

    Anders als beim Karneval, bei dem man mit der Schutzmannschaft durchaus ein Späßchen neben einer Litfaßsäule treiben konnte, wäre eben ein solcher Unfug auf einer Säule nicht toleriert worden.


    Vor diesem Hintergrund - und auch auf die Gefahr hin, daß einige sich in ihrer Ansicht bestätigt fühlen könnten, man nutzte das Kaiserreich hier nur als Folie, um gegenwärtige Zustände schlecht dastehen zu lassen – möchte ich auf eine Missstand hinweisen, der in der Tat hanebüchen ist:

    In Bremen steht eine moderne Litfaßsäule, die mit weißem Papier grundiert ist und neuer Plakate harrt. Nun ist aber dieses weiße Papier – mit der Ausnahme eines Aufklebers, der jede Form von Antisemitismus ablehnt und dem man deshalb voll und ganz zustimmen kann – über und über mit Parolen beschmiert worden, deren Inhalt indiskutabel und teilweise geradezu widerlich abstoßend ist.


    So weit, so schlimm. Man mag einwenden, was denn das Besondere daran sei, schließlich finde man derartige Parolen ja leider mittlerweile landauf und landab an fast jeder Straßenecke und Hauswand.

    Das ist richtig, aber hier kommt erschwerend hinzu, daß die lokale Polizei über den Vorgang informiert ist, diesen expressis verbis auch als ‚Haßkriminalität’ und ‚Hetze’ einstuft (zwei Begriffe, die ja momentan groß in Mode sind), aber SEIT WOCHEN untätig bleibt.

    Man mag fast den Eindruck haben, daß dieser Zustand höheren Ortes ‚klammheimliche’ Zustimmung erfährt und gewünscht wird. Denn wieso wird nicht einfach überplakatiert ?

    Nun ja, käme aber ein ganz Böser - etwa der Schreiberling dieser Zeilen – auf die Idee den Schriftzug ‚ Fairness für Kaiser Wilhelm II.’ oder gar ‚ Kein Verbot der ehrenvollen Fahne der kaiserlichen Marine’ hinzuzufügen, dann wäre nicht nur schon ‚vorgestern’ überplakatiert worden, nein ein SEK-Team wäre mit Graphologen vor Ort um den Täter zu identifizieren.

    Als Angehöriger einer Familie, die unter Nationalsozialismus UND Kommunismus schwer gelitten hat, empfinde ich es jedenfalls als absolute Zumutung, im heutigen Deutschland auf meinem Weg zur Arbeit – nun schon seit Wochen – diese Parolen lesen zu müssen.

    Vor diesem Hintergrund hat es nichts mit naiver Verherrlichung oder unreflektierte Glorifizierung zu tun, wenn einem dann die stabilen und geordneten Verhältnisse im Kaiserreich wehmütig vor Augen stehen !

    P.S.: Und nein, damit biete ich 'verwirrten Idioten' nicht auch noch eine Bühne und schenke ihnen Aufmerksamkeit, die sie sonst nicht bekämen. Es handelt sich hierbei um ein ausgewachsenes Skandalon, denn mit dem wochenlangen Stehenbleiben solcher Parolen fängt es an. Was daraus werden kann, haben wir seit dem Gang des Kaisers ins Exil bitter lernen müssen !

  • Beiträge mussten wieder entfernt bzw. verschoben werden. Bitte gibt Euch mehr Mühe mit Euren Beiträgen!

    Zweisatz-Beiträge alla "früher war alles doof und heute ist alles besser" (oder umgekehrt) oder allgemein politische Aussagen werden entfernt. Reines Dampfablassen/Gejammer langweilt.

    Vergleiche sind erlaubt, aber bitte mit Themenbezug, Quellen und Beispielen.

    Beauty matters!

  • Weshalb es keinen Staatsbesuch Wilhelms II. in Paris gab



    S.M. Kaiser Wilhelm II. hat während seiner mehr als fünfundzwanzigjährigen Friedensherrschaft immer wieder versucht, das Verhältnis zu Frankreich auf eine gut-nachbarschaftliche, ja freundschaftliche Ebene zu heben. Gerne hätte er diese Bemühungen mit wechselseitigen Staatsbesuchen gekrönt. Aus Paris verlautbarte es hierzu jedoch stets, daß vor einer ‚Rückgabe’ Elsaß-Lothringens nicht im Traume daran zu denken sei, den Deutschen Kaiser, neben dem Staatspräsidenten in einer Kutsche sitzend und von der republikanischen Garde eskortiert über die Champs Elysees fahren zu sehen.

    Auf den ersten Blick fragt man sich in der Tat, warum Wilhelm sich nicht von dieser von Bismarck ererbten und das bilaterale Verhältnis schwer belastenden Hypothek getrennt hat. Hätte er nicht durch die freiwillige Preisgabe des Reichslandes der gesamten Geschichte des 20. Jahrhunderts einen anderen Verlauf geben können ? So könnten z.B. jetzt von Memel bis an die Pyrenäen, landauf und landab ‚Wilhelm den Großmütigen’ preisende Denkmäler stehen, würde man sich seiner in London und St. Petersburg nur mit äußerster Hochachtung erinnern. Hat er also die Chance, sein bei Arbeiterschaft, Katholiken, Schleswig-Holsteinern, Hessen-Kasselanern, Hannoveranern und Österreichern doch recht erfolgreiches Versöhnungswerk durch die Aussöhnung mit Frankreich zu krönen, schlicht vertan ?

    Was hätte aber eine derartige Preisgabe von Elsaß-Lothringen bedeutet ?

    Viele würden jetzt anführen, das Reich hätte damit lediglich seine militärische Ausgangslage in einem potentiellen Konflikt mit Frankreich verschlechtert, der aber zukünftig eh nicht mehr zu erwarten gewesen wäre, da der ‚westliche Nachbar’ ja nun bereits territorial saturiert gewesen sei. Dies hieße aber, das Land zwischen Rhein und Vogesen lediglich als Puffer für die Badische Westgrenze und als Sprungbrett nach Paris zu betrachten und damit auf eine bloß militär-strategische Rolle zu reduzieren.

    Auch die mit der Preisgabe verbundene erneute Missachtung des Wunsches eines Großteils der Elsässer dem deutschen Staatswesen anzugehören (nachdem Metternich diesem Begehren bereits 1815 kein Gehör geschenkt hatte), wäre nicht die primäre Bedeutung dieses Vorganges gewesen.

    Entscheidend scheint mir vielmehr Folgendes zu sein: Wie seinerzeit im 16. Jahrhundert die protestantischen Reichsfürsten genötigt waren, die – weit hinter der damaligen Westgrenze des Reiches gelegenen – Bischofsstädte Metz, Tull und Virten dem französischen König zu überantworten, um diesen als Schutzherren gegen Karl V. zu gewinnen, so war auch Bismarck – sicherlich schweren Herzens - genötigt, das im Wesentlichen deutsch geprägte Cisleithanien aus seinen Planungen auszuschließen, wenn er die Reichseinigung unter Preußens Führung durchsetzen wollte. In beiden Fällen schied also wichtiges – und eigentlich unverzichtbares - deutsches Land aus dem Reichsverband aus. Mit Elsaß-Lothringen konnte Bismarck nun unter Beweis stellen, daß er nicht nur deutsches Land aufgeben, sondern eben solches auch zurückgewinnen konnte. Insofern war die längst überfällige Heimkehr des einst von Ludwig XIV. geraubten (und die Stammlande der in Wien regierenden Dynastie umfassenden) Gebietes auch ein Unterpfand dafür, daß es dem Bismarckreich eines fernen Tages auch gelingen konnte, das Haus Habsburg und seine cisleithanischen Gebiete in versöhnter Form zu integrieren und damit die Träume der 1848er vom ‚ganzen Deutschland’ endlich zu verwirklichen.

    Das Reichsland war –unter diesem Blickwinkel - somit vergleichbar mit der auf die mitteldeutschen Länder bezogenen ‚Beitrittsklausel' des Grundgesetztes. Es war ein verklausuliertes Angebot an das Haus Österreich ‚dem Club beizutreten’.

    Dieses Angebot konnte Wilhelm II. nicht preisgeben…

    Ist es fair, ihm dies zum Vorwurf zu machen ?


  • Dagegen konnte das Kaiserreich nicht ankommen:

    Albert Bettannier: 'Der schwarze Fleck' (Gemälde von 1887)

    Unsern Schülern wurde demgegenüber Jahrzehnte später beigebracht, die Abtrennung Ostdeutschlands klaglos zu akzeptieren.

    Es ist schon so, daß von vielen Seiten immer wieder an unserem territorialem Bestand geknabbert wurde und wir dies letztlich immer hingenommen haben.

    Der Verzicht scheint wohl ein 'Meister aus Deutschland' zu sein...

  • Mehrere Aspekte fallen mir dazu ein:

    - In den französischen Schulen ist nach 1871 der Hass auf Deutschland ebenso geschürt worden wie das Gefühl, den tumben und primitiven Deutschen überlegen zu sein. Die Niederlage von 1870/71 war für die französische Gesellschaft eine tiefe narzisstische Kränkung und seither hat das Land systematisch und unversöhnlich auf einen Revanchekrieg hingearbeitet. Ich sehe in ihm den Hauptverantwortlichen für den Ersten Weltkrieg.

    - Selbst wenn das Reich Elsaß-Lothringen zurückgegeben hätte, wäre Frankreich langfristig wohl erst zufrieden gewesen, wenn es das gesamte linksrheinische Gebiet bekommen hätte. Das Expansionsbedürfnis dieser Nation war über Jahrhunderte hinweg unersättlich, was nicht zuletzt die Eroberungskriege Napoleons I. und die Eroberungsgelüste Napoleons III. beweisen.

    - Parallel zum Frankreich zwischen 1871 und 1919 gab es in Deutschland nach 1919 das Bedürfnis, sich Südschlesien, Teile Westpreußens und das Memelland zurückzuholen. Und vielleicht hätte Frankreich sich nach 1941 - einen neuerlichen Sieg Deutschlands vorausgesetzt - mit dem Verlust von Elsaß-Lothringen ebenso abgefunden wie die BRD nach der neuerlichen Niederlage 1945 mit dem Verlust der Ostgebiete.

    Davon abgesehen: Was ich mich schon immer gefragt habe: Was wäre eigentlich geschehen, wenn man Belgien geteilt hätte: Flandern an die Niederlande, Wallonien als Kompensation für Elsaß-Lothringen an Frankreich?

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Wenn man sich die - unter dem beigefügten Link erreichbare - Karte der territorialen Verluste, die der deutsche Raum seit dem Dreißigjährigen Kriege erdulden mußte (zu denen auch noch Kurland und Livland zu zählen wären), zur Gemüte führt, dann wird deutlich, wie bescheiden das Bismarckreich war, als es sich mit dem Gebietsbestand von 1871 für saturiert erklärte...

    https://i.redd.it/mkti9b6sfuc51.jpg

  • Wenn man sich die - unter dem beigefügten Link erreichbare - Karte der territorialen Verluste, die der deutsche Raum seit dem Dreißigjährigen Kriege erdulden mußte (zu denen auch noch Kurland und Livland zu zählen wären), zur Gemüte führt, dann wird deutlich, wie bescheiden das Bismarckreich war, als es sich mit dem Gebietsbestand von 1871 für saturiert erklärte...

    Nordschleswig ist dänisch besiedelt und kam nach dem Ersten Weltkrieg berechtigterweise an Dänemark. Die Niederländer sind eine eigene Nation. Sie wollen nicht Teil eines deutschen Staates sein. Ebenso Belgien. Die Gebiete westlich von Elsass-Lothringen sind französisches Siedlungsgebiet. Deshalb kam eine Angliederung an Deutschlandd 1871 nicht in Betracht. Die Schweizer bilden eine eigene Nation und wollen nicht Teil eines deutschen Staates sein. Das historische Krain und einige angrenzende Gebiete sind slowenisch besiedelt. Diese Gebiete kamen deshalb 1920 an Jugoslawien. Die Tschechen bilden eine eigene Nation und wollen nicht Teil eines deutschen Staates sein. Die nach dem Ersten Weltkrieg festgelegte deutsch-polnische Grenze folgte im Wesentlichen den Nationalitätenverhältnissen. In geringerem Maße wurden strategische Gesichtspunkte berücksichtigt (Zugang zum Meer). Die Oder-Neiße-Grenze war eine Folge des Zweiten Weltkrieges, den das Deutsche Reich den Völkern Europas hätte ersparen sollen. Im Memelgebiet bekannte sich 1920 die Hälfte der Bevölkerung zur litauischen Sprache. Eine Angliederung an den litauischen Staat war gerechtfertigt. In Kurland und Livland gab es nur eine kleine baltendeutsche Minderheit. Die Bevölkerungsmehrheit stellten Letten und Esten. Kurland und Livland waren nie Teil des Heiligen Römischen Reiches. Diese Gebiete wurden anfangs vom Schwertbrüderorden und vom Deutschen Orden beherrscht, später von Schweden, Polen und Russland.

    Das Bismarckreich war nicht bescheiden, als es sich für saturiert erklärte. Es gab schlichtweg keine Gebiete, die es noch hätte beanspruchen können. Eine großdeutsche Lösung war praktisch nicht realisierbar. Dazu später mehr. Die Schweiz wollte kein Teil Deutschlands sein. Im Westen war die niederländische und die französische Sprachgrenze erreicht. Da gab es nach dem Anschluss Elsass-Lothringens nichts, was aus nationalistischer Sicht noch hätte beansprucht werden können. Im Norden war bereits dänisches Siedlungsgebiet unter deutscher Herrschaft, im Osten ein Teil Polens.