Seit gut 14 Jahren lebe ich in einer Kleinstadt in der französichen Schweiz am Fusse der Alpen. Als ich ankam, zählte der Ort 16.000 Einwohner, heute sind es bereits 24.000 und das Leben in der Stadt ist durch dieses Wachstum keineswegs angenehmer geworden.
Dennoch handelt es sich nach wie vor um einen kleine Stadt und der Weg in die Natur ist sehr kurz, was gerade in Zeiten des Lockdowns ein grosser Vorteil war und ist, nach dazu, wenn man kleine/kleinere Kinder hat.
Gebürtig stamme ich aus Amberg in der Oberpfalz, studiert - zudem gerne - hatte ich einst in Zittau und vor allen Dingen in Leipzig. Die Eltern meiner Frau stammen wiederum aus und wohnen wieder in Weimar, welches wir wie meine Heimatstadt einmal im Jahr besuchen.
Nie mehr würde ich in eine grössere Stadt ziehen und würde dies auch jeder jüngeren Familie abraten.
Verstehe ich Deine Aussagen also richtig, dass Du Dich als Zuwanderer über zuviel Zuwanderung in Deinen Schweizer Ort beschwerst? Das, was so kondensiert absurd wirkt, ist als ernstgemeinte Haltung erstaunlich verbreitet unter Zuwanderern, Du bist also zumindest nicht alleine.
Auch diese seltsamerweise rechts wie links blühende "Wachstumskritik" muss man sich leisten können - oder man ist eben Beamter/Staatsbediensteter oder hat einen sonstwie krisensicheren Job. Damit rede ich nicht dem Wachstum um jeden Preis das Wort, die Gegebenheiten werden uns ohnehin zu einem Umdenken zwingen, sei es im Hinblick auf Ressourcen, das Klima oder eben schlicht schrumpfende Bevölkerungszahlen. Aber bislang bedeutet Schrumpfung eben noch immer Wohlstandsverluste, wertlose Immobilien und Verfall, dafür muss man kein Raumplaner sein.
Ich kann mir kaum vorstellen, dass Du in die Schweiz ausgewandert wärest, wenn diese schrumpfen würde, denn das Wirtschaftswachstum schafft ja gerade die Arbeitsplätze, die dann (auch) von Ausländern angenommen werden, über Zuwanderung zu weiterem Wachstum führen und weiteren Arbeitgebern, die sich niederlassen. Erzähl doch dem Handwerker in Deiner Kleinstadt mal, dass Du Dir wünschen würdest, der Ort solle bitte stagnieren oder sogar schrumpfen, oder dem Friseur/anderen Dienstleistern. Nicht zuletzt wären die hier so populären wilhelminischen Städte ohne das massive Bevölkerungswachstum der Epoche gar nicht möglich gewesen bzw. wesentlich schäbiger und kleiner ausgefallen.
Wie gesagt: Ich stimme Euch allen zu, dass stagnierende oder schrumpfende Bevölkerungszahlen eine unabwendbare Realität werden in den nächsten Jahrzehnten und wir uns auf sie einstellen sollten. Bei manchen Wachstumskritikern scheint mir aber eine allzu romantische Vorstellung von diesen Schrumpfungsprozessen vorzuherrschen. Es wird auch nicht einfach durch mehr Telearbeit und Subventionen möglich sein, diese Konzentrationsprozesse, wie sie im Moment überall auf der Welt laufen, einfach aufzuhalten oder gar umzukehren. Dafür gibt es weltweit kein einziges Beispiel und Deutschland steht dort -wie die Schweiz- in vielem wesentlich besser dar als die allermeisten anderen europäischen Länder. Das heißt nicht, dass es nicht Luft für Verbesserungen gibt, aber einfache Rezepte gibt es für den laufenden Wandel nicht.