Lübeck - Neubauten im Gründerviertel

  • Oh, dann bist du tatsächlich älter als ich und siehst mir meinen jugendlichen Enthusiasmus hoffentlich nach (wie schnell die Rollen doch getauscht werden können :anbeten: ). Nun ja, aber dergleichen ist ohnehin relativ. Deine Bedenken hinsichtlich einer Gemeinschaft kann ich nachvollziehen. Auch aus dem Grunde käme es für mich nie in Frage, ich setze gern meinen Willen vollumfänglich um :koenig: . Ob das hier der richtige Ort dafür ist, angesichts der sehr engmaschinen Vorgaben, wäre ein anderes Thema.

    Zur Königlichkeit der Häuser. Ich schrieb: "Sind geschmückt nicht wie Königinnen, nein, aber auch nicht billig aufgebretzelt wie Dirnen - und schon gar nicht in Sack und Asche gewandet wie Bettler. Elegante Großbürgerinnen."

    Ich empfinde sie nicht als schlicht, nicht als überzogen - sondern schlichtweg als wunderbaren Mittelweg. Du beschreibst en detail und sehr hübsch, was ich an den alten Lübecker Häusern schätze - unaufdringliche, aber wahrnehmbare Schönheit. Das fehlt den neuen Entwürfen, die für meinen Geschmack in einer keimfreien Sachlichkeit jenseits der etablierten Ästhetik ansiedeln. Wenn du das auch so empfindest, sind unsere Ansprüche gar nicht mal so unterschiedlich. Ich vermute, ich würde noch ein bisschen meh Zierde wollen, aber glaube eigentlich nicht, dass du einen Kreislaufzusammenbruch bekämest oder gleich ihn hier machst: drink:) .

    Ich würde besagten Mittelweg gehen wollen - und nebenbei bemerkt, als Bausenat verlangen. Mir ist schleierhaft, wie Siegerentwurf 1 auch nur in die Top 100 kommen konnte. Nicht die von dir mit einer fast schon beängstigenden Intensität skizzierten Modernismus-Monster können Intention sein, sondern moderne Häuser, die in Stilempfinden und regionaler Handschrift der Mengstraße ebenbürtig sind. Mit den von dir beschriebenen einfachen, klugen, stilvollen Mitteln. Und, es sei mir zugestanden, gerade diese Straßenansicht samt Rokoko-Haus streichelt mein Auge. Nicht weniger als das kann das Ziel sein.

    Falls du irgendwann die Zeit fändest, das Gesamtbild abzurunden, wäre das gewiss im Sinne einer wirklicih fundierten Konversation, denn ich vermute, dass es auch dort individuelle Schätze und Inspirationen zu entdecken gäbe.

  • Ups, da habe ich wohl das Wörtchen "nicht" überlesen. :schockiert:
    Ja, dann liegst Du natürlich mit Deiner Einschätzung gar nicht mehr so weit von meiner entfernt. Und an meiner Darstellung der Gestaltungs- und Schmuckelemente ändert es ja nichts.

    Du bist tatsächlich jünger als ich? Deiner eigenen Beschreibung nach zu urteilen ("Alter solventer Sack") hätte ich Dich für einen Mittsechziger gehalten, der sich nach seinem offenbar sehr erfolgreichen Arbeitsleben gerade ein neues Betätigungsfeld sucht, weil ihm Rente zu langweilig ist... Tja so kann man sich täuschen. Und ich habe nun gelernt, dass ich wohl bisher irgendetwas falsch gemacht habe. Ich verdiene ja auch nicht so extrem schlecht, aber so ein Millionenprojekt könnte ich finanziell niemals allein stemmen. Nicht mal annähernd... huh:)

    Ok, ich sage dann mal zu, dass ich die restlichen Fassaden nachliefern werde. Es kann aber etwas dauern, also nicht ungeduldig werden.

    P.S.: Wie ich sehe, hast Du nun doch Gefallen an den Smilies gefunden. :thumbup:

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

  • Der "Sack" entstammte der Vermutung, dass du, bitte nicht übelnehmen, Mitte 20 wärest :ueberkopfstreichen: . Ich hielt dich für einen sehr begeisterungsfähigen Studenten. Ja, so kann man sich täuschen, ich bin durchaus einige Jahre jünger baby2000:) . Ich möchte nun aber nicht die Bugwelle des jungen Turbokapitalisten vor mir hertreiben und zu sehr auf die :trommeln: - man deute meinen Nickname bitte als rein sachliche Selbstdefinition, nicht als arrogante Deklamation im Sinne von Gutsherr o.ä.

    Darum: Auch Baugemeinschaften gilt mein Respekt. Jedem letztlich, der etwas wagt. Wenn dein Haus abbezahlt ist, hast du doch vieles richtig gemacht, gratuliere. Das i-Tüpfelchen wäre es nun eben vielleicht, deine Mischung aus Expertise und Passion einem Sinn zuzuführen, der über dieses amüsante Forum hinausgeht. Was ich da zum verblühenden Lübeck konstatierte, ist ja nicht irreversibel. Es braucht nur Leute, die zum richtigen Zeitpunkt zwei Dinge tun: Mund aufmachen, Ärmel hochkrempeln. Ich bin dabei! Und ich verspreche, wenn ich da oben zuschlage, werden wir noch viele leidenschaftliche Diskussionen haben. Nun aber genug vom Off-Topic, ich möchte der eigentlichen Konversation nicht weiter im Weg stehen und freue mich schon jetzt sehr auf deine erweiterte Galerie. Ein Dienst von großem Wert!

  • So, hier nun auf vielfachen Wunsch eines einzelnen Herrn :wink: (und natürlich auch für alle anderen) ein Überblick über die restlichen erhaltenen Fassaden in der Mengstraße, die ich in Teil 2 und 3 zunächst wegließ.
    Wie schon erwähnt handelt es sich hier hauptsächlich um Umbauten der alten Lager- und Kontorhäuser aus Gotik und Renaissance im 19. Jhdt. zu Wohnzwecken. Solche Fassaden sind nichts lübeck-spezifisches, sie gibt es so oder ähnlich auch anderswo. Eine Besonderheit ist aber, dass meist nur die Straßenfassade überformt und der sonstige Hauskörper, insbesondere auch die Rückfassade im großen und ganzen bestehen gelassen wurde. Meist wurde aber die hohe Diele in zwei Wohngeschosse unterteilt und teils auch die Geschosshöhen verändert. Dass ein Haus komplett abgerissen und neugebaut wurde, war eher die Ausnahme. In den vielen Bereichen der Altstadt dominieren diese Fassaden des 19. Jhdts. das Stadtbild heute. Gerade im Gründerviertel stand jedoch noch die alte, historische Bebauung der Hansezeit im Vordergrund.

    Ich gehe die Nordseite hinauf und die Südseite wieder hinunter. Den Anfang mache ich mit der größten Vorkriegsveränderung der Straße.

    Nordseite:

    01-Mengstrasse-66-70.jpeg
    Abb.1: Mengstraße 66-70 (Ansicht Untertrave 91-94, da Mengstraße eingerüstet): Hierbei handelt es sich um ein Lagerhaus der Firma Carl Tesdorpf von 1909 im Stil des Neobarock. Die Jahreszahl 1678 bezieht sich auf die Firmengründung und nicht auf den Bau des Hauses. Für den Bau mussten leider 7 alte, zum größten Teil prächtige Häuser weichen: Mengstraße 68-70 und An der Untertrave 91-94. Die Front an der Untertrave wurde um mehre Meter zurückversetzt, um eine Liefervorfahrt zu erhalten. Das wirkt sich für mein Empfingen störend im Straßenverlauf der Straße An der Untertrave aus - nicht zuletzt durch die nun sichtbare Brandmauer zu Nr. 90.
    Ursprünglich war der Bau weit weniger befenstert und hatte ein eher bunkerartiges Aussehen. Beim Umbau zu Läden, Praxen und Wohnungen vor ca. 10 Jahren wurden behutsam geplant mehr Fensteröffnungen geschaffen, wodurch der Bau deutlich gewonnen hat.

    An der Front in der Mengstraße wurde ein altes Portal der abgerissenen Häuser integriert, das auf dem folgenden Bild zu sehen ist:

    02-Mengstrasse-66-70-Portal.jpeg
    Abb.2: Wiederverwendetes Portal Mengstraße 66-70, leider z.T. durch Gerüst verdeckt.

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    Abb.3: Mengstraße 62

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    Abb.4: Mengstraße 60

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    Abb.5: Mengstraße 58

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    Abb.6: Mengstraße 46

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    Abb.7: Mengstraße 42

    Kurzer Einschub: Von Mengstraße 42 existiert noch ein wunderbares Aquarell von Johann Wilhelm Cordes von der alten Renaissancefassade von 1587 vor dem Umbau:

    WP_Mengstra%C3%9Fe_42.jpg
    Quelle: Wikipedia, gemeinfrei
    Für mich eine Schande und unfassbar, wie man eine so schöne Fassade einfach wegkloppen konnte - zumal in dem bestehenden Fassadenreigen. :crying:


    Aus derselben Kategorie, nur noch schlimmer, da viel größer und älter:

    08-Mengstrasse-38.jpeg
    Abb.8: Mengstraße 38: Ein im Kern riesiges gotisches Haus. Im 19. Jhdt. ebenfalls zu Wohnzwecken durchbaut und die einstmals prächtige gotische Fassade "entsorgt" und das Dach bis zur Attika des neuen Giebels abgewalmt.

    09-Mengstrasse-38-Rueckseite.jpeg
    Abb.9: Mengstraße 38, Rückfassade. Aus der Blocksquerstraße hat man einen guten Blick auf den gut erhaltenen wertvollen gotischen Rückgiebel von Mengstraße 38 mit glasierten Steinen und Formsteinen in Hochblenden und Fensterluken. So ähnlich wird auch die Straßenfassade vor dem Umbau ausgesehen haben - nur mit Giebelstaffeln. :crying:


    Nun hinüber auf die Südseite:

    10-Mengstrasse-17.jpeg
    Abb.10: Mengstraße 17: Einfache Backstein-Fassade aus dem 19. Jhdt.. Ich denke, kompletter Haus-Neubau.

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    Abb.11: Mengstraße 19. Eine der "reicheren" klassizistischen Fassaden.

    12-Mengstrasse-21.jpeg
    Abb.12: Mengstraße 21. Dito.

    13-Mengstrasse-35.jpeg
    Abb.13: Mengstraße 35 mit reicher Stuckverzierung

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    Abb.14: Mengstraße 37. Mit hellen geteilten Fenstern würde die Fassade deutlich gewinnen. Hoffentlich erbarmt sich der Eigentümer irgendwann...

    15-Mengstrasse-39.jpeg
    Abb.15: Mengstraße 39

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    Abb.16: Mengstraße 45: Eckhaus zur Untertrave. Im Kern gotisch, erkennbar noch an den Resten der Hochblenden. Im 19. Jhdt. stark überformt - Treppengiebel abgeschrägt, Fensteröffnungen und Giebelseite durch teilweise Schließung und Asymmetrie stark verändert. Nach dem Krieg noch weiter entstellt durch dunkles Dach, unpassende, ungeteilte Fenster, An- und Einbau von Schaukästen, Kaugummiautomaten, Mülltonnenunterstand usw. In erbarmungswürdigem Zustand. Ich warte schon seit vielen Jahren darauf, dass sich hier endlich mal was tut. Die jetzige Gestaltung ist für diesen Ort und die exponierte Ecklage einfach nur unwürdig und schlimm.

    So, damit wären wir mit den einzelnen Hausfassaden durch.


    Es folgen noch ein paar Ansichten von der Untertrave aus:

    17-Untertrave.jpeg
    Abb.17: Gesamtansicht des Gründerviertel-Bereichs an der Untertrave. Schön die aufgereihten Türme von St. Marien, St. Petri und Dom (erstere leider momentan eingerüstet). Am rechten Bildrand die Turmspitzen des Holstentores.

    18-Untertrave-nah.jpeg
    Abb.18: Der Abschnitt zwischen Meng- und Alfstraße als Nahaufnahme. Links sieht man deutlich die enorme Höhe des in Teil 3 gezeigten außergewöhnlichen traufständigen Hauses Mengstraße 41-43.

    19-Untertrave-mittel.jpeg
    Abb.19: Der Bereich noch einmal mit der über den Häusern thronenden Marienkirche.

    Alle Fotos (bis auf Aquarell) von mir, 5.6.2015

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

    Einmal editiert, zuletzt von frank1204 (13. Mai 2023 um 22:39) aus folgendem Grund: Bilder wiederhergestellt

  • Einen habe ich noch:

    Ich habe mal eine sehr ungewöhnliche Aufnahme in der Straßenmitte stehend Richtung Himmel gemacht, um zu zeigen, wie die Häuser auf beiden Straßenseiten in der Mengstraße zusammenstehen und was hier noch für ein wunderbares Ensemble an alten Lübecker Häusern erhalten ist:

    Giebelpano_kl2.jpeg
    Die Aufnahme/Montage zeigt links den Bereich Mengstraße 54 (oben) bis 44 und rechts Nr. 31 (oben) bis 23.

    Ich wurde zwar blöd angeguckt und von einer Anwohnerin aus dem Fenster heraus auch angesprochen, wieso ich denn da den Himmel fotografieren würde, aber das habe ich für diese wunderbare Aufnahme gern in Kauf genommen. :biggrin:


    Fotos und Montage von mir, 5.6.2015

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    Einmal editiert, zuletzt von frank1204 (13. Mai 2023 um 22:40) aus folgendem Grund: Bild wiederhergestellt

  • Diese etwas billigen klassizistischen Umbauten sind hier im niederländischsprachigen Raum leider in den meisten Altstädten (auch) vorherrschend. Wie viel das 19. Jahrhundert schon vernichtet hat!

    Einmal editiert, zuletzt von Niederländer (7. Juni 2015 um 00:55)

  • Ich sehe gerade zufällig in der aktuellen Lübecker Stadtzeitung, dass die Stadt offenbar schon die Gründungsarbeiten und die Herrichtung der Baugruben ausschreibt.

    In der Ausschreibung zur Baufeldvorbereitung Gründungsviertel Lübeck werden ausgeschrieben:
    - Abbruch von Mauerwerk/Stahlbeton (ich denke mal, das ist der Rest der Schule in Braunstraße 14)
    - Erdarbeiten 10.000 m3 Kies
    - Stahlbetongründungen, ca. 2.300 m2
    - Bohrpfahlgründungen 25 Stk.
    - Trägerbohlwandverbau ca. 300 lfdm.
    - überschnittene Bohrpfahlwand ca. 64 lfdm.
    - Verpressanker 43 Stk.

    Ausführung: 34.-50. KW 2015.

    Das finde ich ziemlich rechtzeitig, wenn man bedenkt, dass der Bau der ersten Häuser erst im September 2016, also ein Dreivierteljahr nach Ende der o.g. Arbeiten, losgehen soll. Sowas bin ich in Lübeck ja gar nicht gewohnt... :wink:

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

  • Im Namen der Menge danke ich :applaus: . Und fürwahr, sehen ist verstehen. Ich muss gestehen, von den sonstigen Bauwerken weniger beeindruckt zu sein als erwartet. Der Klassizismus scheint in Lübeck wenig Schönes geboren zu haben, das mutet für meinen Geschmack alles recht trivial und einfallslos an. Tatsächlich ragt besagtes Rokoko-Gebäude am ehesten aus dem roten Prachtbouquet heraus - und sonst eigentlich nichts. Das macht mir deine Warte verständlicher. Schön wäre es, wenn das neue Projekt das nachholen könnte, mit vielschichtiger, facettenreicher Schönheit. Vielleicht lässt sich das Stadtbild ja sogar bereichern. Der involvierte Großinvestor hat da bestimmt den Plan stickpoke:) .

    Recht gebe ich dir abschließend, was Mengstraße 45 angeht. Daraus ließe sich bestimmt ein Schmuckstück machen, mit würdiger Fassade gen Trave. Falls der Eigentümer zugegen ist, gern PM an mich :koenig: .

    So long.

  • Der Klassizismus scheint in Lübeck wenig Schönes geboren zu haben, das mutet für meinen Geschmack alles recht trivial und einfallslos an.


    Man könnte bei solchen Äußerungen meinen, daß Lübeck eine unserer hässlicheren Städte in Deutschland sei. Vielleicht wäre dies in einem unzerstörten Deutschland im Vergleich auf hohem Niveau wirklich so. Da wir aber in der Realität der deutschen Nachkriegstristesse mit Städten wie Pforzheim und Kassel leben, ist Lübeck immer noch eine der schönsten Städte Deutschlands. Ich kann auf den Bildern jedenfalls nichts Schlimmes entdecken. Die Mengstrasse und vor allem das Uferpanorama sieht für mich sehr einladend aus. :zwinkern:

    " Dem Wahren, Schönen, Guten "

  • Hallo Bauherr,

    da kann ich Dich beruhigen, es gibt in Lübeck auch wundervolle Beispiele aus der Zeit des Barock und des Klassizismus.Man denke nur an die Musikschule in der Petersgrube oder etwa das Behnhaus.

  • Der Klassizismus scheint in Lübeck wenig Schönes geboren zu haben, das mutet für meinen Geschmack alles recht trivial und einfallslos an.


    Kurz ein wenig off-topic: Ja, es gibt in Lübeck viel Klassizismus, teilweise dominiert er sogar das Straßenbild, weist aber tatsächlich nur einige wenige herausragende Beispiele auf. Das rührt meines Erachtens aus der Tatsache her, dass im 19. Jhdt. in Lübeck ein starker Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen und gleichzeitig (auch noch lange Zeit nach der napoleonischen Plünderung) wenig Geld vorhanden war. Man suchte nach Möglichkeiten, Wohnraum auf der schon dicht bebauten Altstadtinsel zu schaffen, da es noch so gut wie keine Vororte gab (die Torsperre wurde erst 1867 aufgehoben). Deswegen baute man die bestehenden großen Altstadthäuser um - das war meist billiger als ein kompletter Neubau. Hierzu war es fast immer notwendig, das hohe Dielengeschoss zu teilen sowie auf den oberen Ebenen, vormals als Lagerraum genutzt, die Geschosshöhen zu verändern, um eine Wohnnutzung zu ermöglichen. Dazu passten dann die alten Fassadenöffnungen meist nicht mehr, so dass es entweder (im besten Fall) zum Versatz der Fensteröffnungen unter Beibehaltung der alten Fassade kam, in vielen Fällen aber auch zu Abriss der alten und Neubau einer neuen, einfachen/billigen klassizistischen Fassade. Da es hier hauptsächlich um viel Wohnraum für wenig Geld ging, waren große Verzierungen unwichtig.

    Dennoch gibt es in Lübeck auch einige wenige klassizistische Patrizierhäuser, deren Fassaden nicht billig "hingezimmert" wurden, sondern tatsächlich zu Repräsentationszwecken vor zum Teil ganz neu errichteten Häusern erstellt wurden.

    Ganz vorne zu nennen ist dabei das Behnhaus (das ist das mit den Attika-Figuren auf dem Bild) mit der ganzen anliegenden Zeile in der Königstraße 1-25, die hier auch schon einmal kurz erwähnt wurde. Habe gerade kein eigenes Foto zur Hand, daher muss ein gemeinfreies von Wikimedia herhalten:

    Koenigstrassenorth_kl.jpeg
    Quelle: "Koenigstrassenorth" by Concord - Own work. Licensed under CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
    Bildgröße von mir angepasst und Schärfe erhöht, Originalbild verlinkt (auf Bild klicken).


    Als weiteres Beispiel könnte man wohl noch das Hoghehus am Koberg anführen. Das ist immerhin sehr groß und beherrscht die westliche Platzwand, aber es ist doch auch schon wieder recht schlicht. Die Fassade steht vor zwei älteren Hauskörpern - ich meine aus der Renaissance.

    WP_Hoghehus_kl.jpeg
    Quelle: WP Hoghehus“ von Der Bischof mit der E-Gitarre in der Wikipedia auf Deutsch - Eigenes Werk (Original-Bildunterschrift: “selbst fotografiert”). Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons
    Bildgröße und Schärfe von mit angepasst, Link zur Originaldatei eingefügt.

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

    Einmal editiert, zuletzt von frank1204 (13. Mai 2023 um 22:43) aus folgendem Grund: Bilder wiederhergestellt

  • @Münchner/Kurfürst: Lübeck ist schön, keine Frage. Die Häuser in der Königstraße habe ich selbst vor Jahren in natura bestaunen können und war höchst beeindruckt. Das Hoghehus, das unser vorbildlicher Lübecker Korrespondent hier präsentiert, kannte ich noch nicht. Würde man die Unregelmäßigkeit im rechten Sockelbereich berichtigen und dort die Fenster dem sonstigen Verlauf anpassen, wäre dies ein absoluter Hochkaräter. Letztlich beeindrucken mich Häuser, denen ein gewisser Geist innewohnt, die inspiriert sind, etwas wagen. (Wenn jemand andere Städte vorzuschlagen hat, in denen ich in in ähnliche visuelle Richtung gehen könnte, gern).

    So ein Wagnis würde ich den hier gezeigten Klassizisten in der Mengstraße mit Verlaub nicht zusprechen wollen. Trotzdem möchte ich ihren Besitzern definitiv zu ihren kleinen Prachtstücken gratulieren. Sie sind gepflegt, souverän, in sich stimmig. Zwei, drei finde ich sogar sehr hübsch. Es muss ja auch nicht immer das Epische sein.

    Ich halte sie auch keineswegs für eine minderwerte Ergänzung. Die Streicher im Orchester, derweil die "Roten" die Pauken und Trompeten sind. Sie müssen nicht Lübeck-typisch sein, um zu glänzen.

    P.S. Allerdings muss ich feststellen, dass dieser Baustil im neuen Viertel völlig ausgeklammert wird. Das finde ich fragwürdig, denn letztlich kann das Ziel doch nur sein, ein lebendiges Abbild der umgebenden Straßen zu (re)konstruieren. Ich finde, dort wird etwas fehlen.

    2 Mal editiert, zuletzt von Bauherr (7. Juni 2015 um 18:37) aus folgendem Grund: Klarheit

  • Mir gefallen die gezeigten kleinen, zurückhaltenden klassizistischen Gebäude in der Mengstraße sehr gut. Sie verbinden vornehme Noblesse mit einer gewissen Bescheidenheit und - vor allem - kleinteiligen Gemütlichkeit. Ich habe an diesen Häusern nichts auszusetzen.

  • Ich wüsste auch nicht, nach welchen nachvollziehbaren Kriterien man den Klassizismus Lübecker Bürgerhäuser als minderwertig einstufen dürfte. Das ist doch ein durchaus anfechtbares Geschmacksurteil, das mich sehr an die im deutschen Bildungsbürgertum jahrzehntelang gültige Bewertungsskala erinnert, wonach Romanik und Gotik ganz oben standen und es danach rapide bergab ging; der Klassizismus, der dem verachteten Historismus, dem Jugendstil und der frühen Moderne schon ganz nahe stand, war natürlich schon ziemlich übel beleumundet.

    Ich habe immer den Rot-Weiß-Farbklang der einzigartigen Lübecker Altstadt bewundert. und fand die wohlproportionierten klassizistischen Bürgerhausfassaden als willkommenen Kontrast zu dem Backsteinrot der spätmittelalterlichen Stadt. Sie demonstrieren, dass Lübeck eben nicht im Mittelalter stehen geblieben ist, dass vielmehr das kunstverständige Bürgertum dieser Stadt auch im 18. und 19. Jahrhundert auf zeitgemäße Weise zu repräsentieren wusste. Wo gibt es im heutigen Deutschland noch klassizistisch geprägte Altstadtstraßen? Das wenige, was ich aus Wiesbaden, Karlsruhe oder Baden-Baden kenne, kann es an Eleganz mit Lübeck bei weitem nicht aufnehmen. Und der Klassizismus der Schinkel-Schule an Berliner Mietshäusern vertritt auch eine ganz anders geartete Richtung.

  • Bei Baden-Baden, der kleinsten russischen Metropole der Welt, solltest du nicht zu schnell urteilen, die Stadt ist ein Schmuckstück und erinnert mich an manchem Eck durchaus an Deutschlands fraglos schönste Stadt: Heidelberg.

    Und ist das so, dass man Klassizismus geringschätzt? Auch hier in diesem Forum? Ihr seid länger im Thema als ich. Beim Historismus fiel mir bereits auf, dass er geringgeschätzt bis verachtet wird. Eine "Reader's Digest"-Version der Baugeschichte, ein gar abenteuerlicher Simplicissimus, so denkt man wohl. Warum eigentlich? Wie bei jedem anderen Baustil wird doch auch dort erst am Objekt individuell entschieden, welche Philosophie man konkrekt in Stein zu fassen gedenkt. Kann Historismus nicht auch schön sein, in sich wahrhaftig, ästhetischen Regeln folgend, dabei aber individuell denkend?

    Und: Falls meine Worte wirkten, als seien sie gegen den Lübecker Klassizismus gerichtet – nein, nein, mitnichten, ich dachte, ich hätte das schon genügend ausgeführt. Die entsprechenden Häuser in der Mengstraße beeindrucken mich nicht über die Maßen, haben aber, ob nun kleinteilig gemütlich bleibend oder weiter ausholend, fraglos eine Existenzberechtigung dort oben.

    Nochmal: Umso weniger verstehe ich, dass dieser Ansatz komplett weggelassen wird. Warum ist das so? Franks Backsteinrot benötigt ein ebenbürtiges Pendant, würde ich meinen.

  • Warum gibts eigentlich noch keinen Wiki-Artikel zum Lübecker Gründerviertel? Dieser Strang hier wird allmählich unübersichtlich, die Informationen sind dann schwer zusammen zu suchen. Gerade wenn wir Rekos/Leitbauten und traditionelle Neubauten in dem Viertel durchsetzen wollen, ist es wichtig, eine Übersicht anzulegen.

    Dort kanns losgehen (keine Anmeldung erforderlich, Anleitung hier:( https://de.wikipedia.org/w/index.php?ti…=edit&redlink=1

    Auch wäre es wichtig, die hier dankenswerterweise gezeigten Bilder aus dem Bestandsviertel und die historischen Fotos zu katalogisieren und übersichtlich in den Commons hochzuladen, um sie möglichst vielen potenziellen Bauherren, Architekten usw. zugänglich zu machen: https://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:Hochladen

  • Das ist eine schöne Idee. So kann Wissen und Orientierung für all die Passionierten zusammengetragen werden. Und Passionierte müssen es werden - Passioniertere als ich auf jeden Fall, angesichts des nun verkündeten Preissprungs und insbesondere all der saftigen Zuschläge aufgrund von Einmaligkeit und künftiger Wertsteigerung ( ablachen:) ) . Da scheint jemand auf 600-700/qm zu spekulieren. Freunde, Freunde. Bei solchen Summen muss man als Realist dann doch woanders gucken.

    Allen künftigen Bauherren jedenfalls viel Glück!

  • Die Lübecker Nachrichten berichten heute über die von Bauherr bereits erwähnte Preissteigerung. Die Stadt kann den Hals offenbar nicht voll kriegen.

    Link zum LN-Artikel (frei lesbar)

    Zudem verlinke ich hier noch die Übersichtsgrafik aus dem Artikel, auf der ersichtlich ist, welche Grundstücke für welche Art von Käufern vorgesehen sind:


    Verlinkt von http://www.ln-online.de, LN-Grafik, Jochen Wenzel, erstellt aus Quelldaten der Hansestadt Lübeck

    Die Grundstücke Fischstraße 5-9 scheinen momentan noch nicht zur Debatte zu stehen. Ich denke, dass es noch etwas dauert, bis das Haus leergezogen werden kann und diese Grundstücke als nachträgliche Erweiterungsoption zu sehen sind.

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

  • Ich kann nicht nachvollziehen wie du zu der Aussage gekommen bist. Wo hast du Zwangsoptimismus gefunden? Der Artikel ist fast ausschließlich ein Rückblick und kaum Ausblick. Der einzige Optimismus ist die Hoffnung, dass nun langsam der Wendepunkt weg vom Modernismus näher rücken könnte. Ein zum Glück nicht unrealistischer Ausblick.
    Und was ist an dem Artikel so kurios? Die Architekturkritik ist exakt die Selbe, wie sie hier im Forum und im Verein propagiert wird.
    Ein seltener Artikel pro Rekonstruktionen und pro traditionelle Formensprache und nicht der übliche moderne Einheitsbrei.

    98% of everything that is built and designed today is pure shit. There's no sense of design, no respect for humanity or for anything else. Frank Gehry