Rekonstruktionsdebatte

  • Bin per Zufall auf die Webseite der "Rotarier" gestoßen und deren aktuelle Zeitschrift 9/2011. Das Hauptthema dreht sich dort um Rekonstruktionen, es gibt einige gute Artikel und interessante Namen (Mäckler, Kollhoff, Lampugnani) und das Heft wird einem bei Interesse kostenlos und portofrei zugesandt, von einem Tag zum anderen.

  • Bin per Zufall auf die Webseite der "Rotarier" gestoßen und deren aktuelle Zeitschrift 9/2011. Das Hauptthema dreht sich dort um Rekonstruktionen, es gibt einige gute Artikel und interessante Namen (Mäckler, Kollhoff, Lampugnani) und das Heft wird einem bei Interesse kostenlos und portofrei zugesandt, von einem Tag zum anderen.


    Ich wäre ja vor allem mal gespannt, was Mäckler zu dem Thema zu sagen hat, nachdem er gerade in Frankfurt sein Möglichstes getan hat, um zu verhindern, dass es im Dom-Römer-Areal wirklich großflächig zur Rekonstruktion kommt ... und damit leider sehr erfolgreich war.

  • Prof. Mäckler mit einem Plädoyer für Hochwertigkeit: Der Herrenschuh

    Zitat

    Doch die Gesellschaft beginnt, auf diese städtebauliche Ignoranz zu reagieren. Landauf landab werden Bauwerke oder gar Stadtteile rekonstruiert. Die Flucht in die Vergangenheit ist dabei nichts anderes, als der Versuch, etwas an der Hässlichkeit der neuen Stadt zu ändern. Und da der Bürger nicht weiß, wie er Schönheit definieren, ja realisieren soll, weil ihm die Kriterien hierzu abhanden gekommen scheinen, flüchtet er sich in das ihm gewohnte alte Bild der Stadt. Uns Architekten sollte dies zu denken geben

    Mit anderen Worten, elitäre Lösungen müssen sein gegen städtebauliche Ignoranz, also das Billige, was den Test der Zeit nicht überstanden hat. Der Bürger ist so beschränkt nur die Vergangenheit zu sehen, weil der eben keinen Geschmack hat.

    Der italienische Kollege Prof. Dr. Vittorio M. Lampugnani:

    Zitat

    Den billigen Bauten gegenüber stehen die Schöpfungen von Stararchitekten, die sich als „solitäre“ Kunstwerke verstehen, und sich möglichst weit vom vorhandenen Stadtbild absetzen wollen.

    Ja, etliche Kollegen sind eitel und wollen besonders extravagante Solitäre bauen, um im Feuilleton und in den Fachzeitschriften groß herauszukommen. Aber diese Schwäche wird gefördert durch die mindestens ebenso große, wenn nicht größere Eitelkeit der Bauherren. Egal, ob es Kommunen sind oder große Konzerne oder auch nur Sparkassen: Sie alle wollen sich ihre eigene, unverwechselbare Welt schaffen, und zwar mit Häusern, die unbedingt anders sein müssen als alle anderen. Allerdings kompensieren die Städte, die mit großen Namen und Solitärbauten auftrumpfen wollen, ihr eigenes Defizit, nämlich dass sie als Stadt nicht mehr wirklich funktionieren. Ein Ort wie Siena hat es nicht nötig, mit spektakulären Neubauten Touristen anzulocken. Der Palazzo Comunale oder die Piazza del Campo sind dort Attraktion genug. Ich glaube, auf derlei öffentliches Kulturgut müssen sich die Kommunen wieder besinnen. Sonst wird die Stadtzerstörung weiter voranschreiten.

    Online sind die beiden Artikel hier zu finden, Leiste links.

    Der Beitrag von Herrn von Buttlar fehlt, aber er hat unter dem gleichen Titel dergleichen schon veröffentlicht. Viel Werturteil wenig echte Begründung, sein Buch:

    Zitat

    Adrian von Buttlar, Gabi Dolff-Bonekämper et al. (Hrsg.): Denkmalpflege statt Attrappenkult. Gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern - eine Anthologie.
    Birkhäuser Architektur-Verlag, 2010
    24,90 Euro

    Wenn ihr den reaktionären Denkmalpflegersermon von Buttlar verstehen wollt, dann einfach mal diese Besprechung von Meisenberg auf WDR3 anhören. Da gibt auf kompakte Art und Weise Überblick über das Meinungsbild. Zum Neumarkt:

    Zitat

    Dieser Businessbarock beglücke niemanden ausser den Investoren.

    Also so eine Art antikapitalistische Bullshit-Bingo Karte, wo sich der Autor einbildet die Erfindung einer Schmähung sei ein Argument.

    3 Mal editiert, zuletzt von Agon (12. Oktober 2011 um 02:28)

  • Den Herrn Buttlar habe ich gar nicht erst erwähnt, weil er wie so viele, leider, keine klaren Worte spricht, sondern sich in ideologischen und apodiktischen Ergüssen erschöpft. Was mich an solchen Leuten immer besonders ermüdet, ist folgendes:
    Man spürt beim Lesen, daß sie durchaus nicht dumm sind, aber sie sprechen und schreiben bewußt am Klaren und Offensichtlichen vorbei, drehen Volten, behaupten, zitieren ihregleichen und irrlichtern hin und her, weil auf der Metaebene ihr Urteil bereits festliegt.
    Ich frage mich nur, wie man damit leben kann, wenn ich so vorginge, hätte ich wahrscheinlich ein Magengeschwür nach dem anderen, weil die Widersprüche des Erkennens und die des Formulierens ihre Spuren an Geist und Seele hinterließen.

  • Der junge Buttlar wußte die Dinge tatsächlich klarer zu benennen. Heute ist auch er ein theoretischer Dogmatiker ohne Bezug zur Lebensrealität.


    Zitat


    „Der semantische Aspekt gründerzeitlicher Architekturrepertoires bietet im Gegensatz zu den modernen zweckrationalen Architekturrepertoires dem Benutzer zahlreiche Beziehungsmöglichkeiten zu seiner gebauten Umgebung durch die Vermittlung semantischer Informationen sowie über Assoziationen. Dies geschieht nicht nur durch die Verwendung ikonischer Zeichen, d.h., durch Symbol und figürliche Darstellung, sondern hauptsächlich durch die Verwendung historischer Repertoires und Prinzipien, in deren Übernahme bestimmte soziale, künstlerische und historische Wertvorstellungen beschlossen sind. Die Vermittlung von Historischem stellt einen Wert nicht im Sinne der Identifizierung mit dem Vermittelten dar, sondern im Sinne der Ermöglichung eines Bewußtseins historischer Kontinuität.

    Der pragmatische Aspekt versteht die hier als psychische Vorgänge faßbaren Folgewirkungen der ästhetischen Erscheinung gründerzeitlicher Architektur. Hier werden die Folgen der semantischen und ästhetischen Information angesprochen. Die ästhetische Erscheinung der Stadt ist deshalb nur so lange von ihrem Funktionieren zu trennen, als man unter dem Begriff der >Funktion< nur den reibungslosen Ablauf des Verkehrs und das ‚hinreichende Erstellen von Wohneinheiten‘ versteht. Architektur hat dann nicht nur die ihr zugedachten zweckrationalen Funktionen, sondern sie übernimmt auch die Rolle charakteristischer Orientierungsmerkmale, aus deren Summe sich das unverwechselbare Bild einer Stadt aufbaut. Der Begriff der Orientierung bezeichnet demnach nicht nur das tatsächliche Sichzurechtfinden auf Grund von Gestaltmerkmalen, sondern auch das psychologische Moment der Vergewisserung des Ortes. Ästhetische Monotonie und semantische Invalenz der gebauten Umwelt verstärken die Anonymität und verhindern das Zustandekommen vernünftiger emotionaler und geistiger Beziehungen zu ihr. Die Gestalt des Stadtbildes ist eine Bedingung für Beheimatetheit und so mitentscheidend für die gesellschaftliche Entwicklung; denn es muß grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß Sozialisierungs- und Akkulterationsprozesse über die Identifizierung mit Umweltelementen vermittelt wird.“[1]


    [1] Buttlar/Selig/Wetzig: Deutsche Kunst und Denkmalpflege, 30/1972, S. 68.

  • Philipp

    Man versteht, was er sagen möchte, aber er bewegt sich auf einer semantischen Ebene (um seinen Duktus zu benutzen, bzw. zu apprehendieren), die so am universitären Soziologendeutsch ausgerichtet ist, daß alsbald die von mir oben erwähnten Ermüdungserscheinungen auftreten, bei uns beiden nach zehn Minuten, bei Otto Normalo nach einer halben.

    Mir ist jedoch klar, woran das liegt:

    Dem Manne (und vielen anderen) fehlt es an tiefer Herzensliebe zum Sujet, er spricht drüber hinweg, weil er damit seine Brötchen verdient oder nichts anderes kann oder ich weiß nicht, aber nicht weil seine Seele mitschwingt. Jetzt ist es eigentlich nur noch ein Katzensprung zur theologischen Ebene ("und habt Ihr der Liebe nicht, so ist Eure Zunge nur eine tönerne Schelle...").

  • Solche Unterstellungen sind doch gar nicht notwendig.

    Es genügt sich mit seinen "Argumenten" auseinanderzusetzen.

    Man muss auch sehen, der Mann kommt aus einer Zeit als man das Autobahnkreuz großformatig ins Stadtprospekt übernommen hat. Er hat sich in der Debatte jetzt als Pundit positioniert.

    Hier ein lustiger Beitrag zum Thema Modernismus in der Lehre:

    Zitat


    "Kultur und Technik" heißt der gemeinsam von mehreren Fachgebieten einschließlich des Zentrums für Antisemitismusforschung und des Zentrums für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung getragene Bachelor-Studiengang, der .. die spannungsreichen Wechselbeziehungen zwischen Geistes-, Natur-, Technik- und Planungswissenschaften ins Blickfeld rücken will - Web.2, "Second life" und die Folgen inbegriffen. Auch in den Masterstudiengängen "Geschichte und Kultur der Wissenschaften und der Technik", "Historische Urbanistik", "Kommunika-tion und Sprache", "Kunstwissenschaft und Kunsttechnologie", "Medienkommunikation und Medientechnologie" sowie "Philosophie des Wissens und der Wissenschaften" geht es um die zugleich kritische wie auch synergetische "Ko-Evolution" (Günter Abel) der Wissenskulturen der "humanities" und "sciences" und damit um eine Perspektive, die wohl weder auf den Dialog mit unseren Partnern aus anderen Fakultäten noch auf die geforderte Selbstdisziplinierung verzichten kann.

    Ausserdem benötigt Buttlar schon aufgrund der Themen mit denen er sich beschäftigt eine modernistische Perspektive um nicht im Plunder zu ersticken, dann will ihn nämlich keiner haben. Richtig knuffig:

    Zitat

    Abbrüche und Entstellungen herausragender Bauwerke der Nachkriegsmoderne sind an der Tagesordnung! Insbesondere die Architektur der 60er und 70er Jahre ist akut bedroht – eine ganze Epoche droht aus dem kulturellen Gedächtnis zu verschwinden. Die Inwertsetzung, Erhaltung und Sanierung der herausragenden baukünstlerischen Leistungen jener Jahre gehören aktuell zu den wichtigsten Aufgaben der Denkmalpflege und sind Gegenstand einer engagierten Debatte, die breite öffentliche Wirkung entfaltet. Der vorliegende Band präsentiert Beiträge namhafter Experten zu diesem Diskurs und stellt bekannte und neu zu entdeckende Bauten vor. Zahlreiche Abbildungen belegen die facettenreiche Architekturästhetik der 60er Jahre, die es unbedingt zu erhalten gilt.

  • Hierzu nur drei Antworten auf drei Aspekte:

    1. Buttlar begeht als Geisteswissenschaftler einen entscheidenden Fehler, historische Urteile kann man nicht aus ihrem Zeitkontext reissen. Dass sich Dehio und seine Zeitgenossen um 1900 gegen historisierende Rekos wandten, hat mit der Flut ebensolcher in der Zeit zu tun; zudem verfügte die Zeit noch über fast vollständig intakte Innenstädte ohne die Folgen von Krieg und Sozialismus. Auf den (Bau-)Kulturverlust zwischen 1937 und 1980 hat Buttlar keine Antwort.

    2. Ich bestreite, dass "moderne" Architektur "zweckrational" ist. Die Ästhetik der Moderne ist - in ihrem Sinne - genauso ideologisch wie der Traditionalismus. Kein Mensch kann behaupten, moderne Bauten seien "vernünftiger", gar besser für ihre gedachte Nutzung geeignet. Wer einmal in den Meisterhäusern zu Dessau stand wird wissen was ich meine, oder dem jüdischen Museum in Berlin - als Skulptur gut, als Museum ungeeignet.

    3. Das Problem besteht nicht in moderner oder traditionalistischer Architektur sondern in der Frage der Ensemblefähigkeit mit einer gewachsenen europäischen Innenstadt. Da gibt es nur wenige moderne Bauten, wie z. B. Gehrys DG-Bank am Pariser Platz in Berlin, die sich zurücknehmen können und sich einfügen.

  • Zitat

    1. Buttlar begeht als Geisteswissenschaftler einen entscheidenden Fehler, historische Urteile kann man nicht aus ihrem Zeitkontext reissen. Dass sich Dehio und seine Zeitgenossen um 1900 gegen historisierende Rekos wandten, hat mit der Flut ebensolcher in der Zeit zu tun; zudem verfügte die Zeit noch über fast vollständig intakte Innenstädte ohne die Folgen von Krieg und Sozialismus. Auf den (Bau-)Kulturverlust zwischen 1937 und 1980 hat Buttlar keine Antwort.

    Um 1980 war es ja zunächst die ökologische Bewegung, die sich gegen die Grauheit und Trostlosigkeit der Städte wendete und mehr grün im Stadtraum forderte. Die Erhaltung vieler historischer Gebäude verdanken wir Hausbesetzern der 80er. Die postmoderne Campus-Architektur, als später Vertreter Speer mit seinem Chinaprojekt, nimmt diesen ökologischen Zeitgeist auf. Die Diff zu den heutigen Rekobewegungen ist, dass die Aneignung der historischen Bausubstanz eine große Rolle spielte, Wohnlichkeit und postmaterielle Lebensqualität. Ironischerweise wirkt Speers Platz mit Goethe-Schiller Denkmal mehr nach Disney als jede hochwertige Rekonstruktion. Auch die überdekorierenden Bauten des Wilhelminismus und Historismus hatten dieses Unechte, diesen Mangel an schlichter Größe der "Originale", die dadurch verkitscht wurden. Wie hätte denn wohl das Heidelberger Schloss nach dem Umbau ausgesehen? Heute sind wir in der Lage sehr hochwertige Rekonstruktionen zu machen, die nicht als Rekonstruktionen auffallen aber der Stadt wieder Gesicht verleihen.

    Ich glaube das Problem von Denkmalpflegern wie Buttlar liegt darin begründet, dass er verdrängt, dass es wenig "originale Bausubstanz" es gibt, ohne dass es irgendwen kümmert. Viele Kirchen, Schlösser usw. sind im Krieg ausgebrannt, mit mehr oder weniger harten Folgen. Neue Nutzungsformen haben Umbauten nötig gemacht. Wenn Du durch die Städte wandelst, hast du keine Ahnung was "historisch" ist und was "kriegsrepariert". Auch in Dresden realisieren die Besucher Q1 als etwas Rekonstruiertes, möglicherweise aber nicht mehr die Semperoper. Was ungebrochen erhalten ist, das ist ja auch gar nicht wichtig, weil lebendige Gebäude immer mal umgebaut wurden und an neue Nutzungszwecke angepasst. Nach dem Krieg wurde aus schlichter materieller Not einiges provisorisch hergerichtet, mit Brüchen. Ein Ausdruck der Ideologie der Nichtrekonstruktion ist beispielsweise die Stadtkirche in Jever, die nach einem Brand 1959 modern ergänzt wurde. Sonderlich gelungen ist das nicht, aber es erinnert sichtbar an die Brände: In Berlin ist die Gedächtniskirche möglicherweise ein sehr gelungenes Mahnmal auf der Asche eine mediokren wilhelministischen Kirche.

    Die Romantik hat auch immer die Ruine sehr geschätzt. Das muss man hierbei berücksichtigen. Natürlich war es nach 1945 nicht denkbar die zerbombten Innenstädte insgesamt als Ruinen stehen zu lassen und denkmalpflegerisch zu erhalten. :lachen:

    Für den Hamburger spielt es keine Rolle, ob der Michel eine Rekonstruktion ist. Auch bei einem normalen Bauwerk wird ja regelmässig der Dachstuhl erneuert.

    Zitat

    3. Das Problem besteht nicht in moderner oder traditionalistischer Architektur sondern in der Frage der Ensemblefähigkeit mit einer gewachsenen europäischen Innenstadt. Da gibt es nur wenige moderne Bauten, wie z. B. Gehrys DG-Bank am Pariser Platz in Berlin, die sich zurücknehmen können und sich einfügen.

    Mir gefällt der Wandel am Alexanderplatz sehr gut, der war vor 15 Jahren noch sehr unwirtlich, das geschieht dadurch, dass man sich an eine Leitästhetik anpasst, nämlich an die 20er Jahre Moderne. Allein die Neuverschalung des Kaufhofs hat doch den Platz deutlich aufgewertet. Die jüngeren modernen Bauten nehmen dem Platz seine Zugigkeit.

  • Ein weiterer Effekt tritt bei den Buttlars unserer Tage noch hinzu, sie könnten z.B. auch Kiesow von der Stiftung Denkmalschutz heißen (die in ihrem Monumente-Heft auch wenig und dann fast immer abfällig über Rekonstruktionen berichtet):

    die Angst vor der Kannibalisierung, d.h. die Vorstellung, daß die interessierten Kreise über ein begrenztes Budget verfügen und das nur a) für Rekos oder b) für den Denkmalschutz ausgeben.
    Das ist ursozialistisches Denken, die können oder wollen sich einfach nicht vorstellen, daß das eine auf das andere ausstrahlt und die Summe mehr ist als die Addtition beider Teile.

    Ein ähnliche Einstellung findet sich bei den Apologeten der Ausländerkriminaltiät ("hätte ja auch ein Deutscher sein können"), als gäbe es fixen Gesamtkuchen an Verbrechen, aus dem sich mal dieser, mal jener ein Stück herausschneiden darf und wenn wir keine Migrantenverbrechen hätten, der Kuchen trotzdem genauso groß bliebe.

  • Ein weiterer Effekt tritt bei den Buttlars unserer Tage noch hinzu, sie könnten z.B. auch Kiesow von der Stiftung Denkmalschutz heißen (die in ihrem Monumente-Heft auch wenig und dann fast immer abfällig über Rekonstruktionen berichtet):
    die Angst vor der Kannibalisierung, d.h. die Vorstellung, daß die interessierten Kreise über ein begrenztes Budget verfügen und das nur a) für Rekos oder b) für den Denkmalschutz ausgeben. Das ist ursozialistisches Denken, die können oder wollen sich einfach nicht vorstellen, daß das eine auf das andere ausstrahlt und die Summe mehr ist als die Addtition beider Teile

    Berechtigt als Überlegung, aber sicherlich mehr auf "Potsdamer Gespräche" denn Buttlar zutreffend. In der Tat mag es wie eine Schande erscheinen, dass Baudenkmale verfallen, während andernorts viel Geld in Rekonstruktionen investiert wird. Ich glaube, dass das eine das andere bedingt. Baukeynesianismus hat es bei Sparernaturen natürlich immer schwer verstanden zu werden, gerade wenn bei sozialen Diensten geknappst wird, und ich verstehe die Sorgen, die sich gegen "Verschwendung" richten. Dabei zahlt sich das Bauen aus weil nichts in der Ökonomie verloren geht. Eine Staatsausgabe in der Volkswirtschaft funktioniert nicht wie der private Geldbeutel.

  • Bin per Zufall auf die Webseite der "Rotarier" gestoßen und deren aktuelle Zeitschrift 9/2011. Das Hauptthema dreht sich dort um Rekonstruktionen, es gibt einige gute Artikel und interessante Namen (Mäckler, Kollhoff, Lampugnani) und das Heft wird einem bei Interesse kostenlos und portofrei zugesandt, von einem Tag zum anderen.


    Interessiere mich für diese Zeitschrift, kann leider aber keine Option zum bestellen finden. Wie kann ich sie bestellen?

  • "Rekonstruktion" ist ja mittlerweile schon zum Unwort für die Modernistenfraktion geworden. Geht es allerdings um die eigenen Belange, dann ist von Widerstand und Kampf gegen die vermeintliche Rekonstruktion nichts mehr zu spüren. Der jüngste Fall: Ein mehr als hässliches, völlig austauschbares Sparkassengebäude aus den sechziger Jahren in Nürnberg. Der Erhalt der Fassade war wohl sogar teurer wie ein Neubau. Die Argumentation für die Bestandsrekonstruktion ist abenteuerlich. Aber lest selbst - "Alte Fassade, neue Prioritäten" vom 27.09.12 aus dem Blog "Vip-Raum": Alte Fassade, neue Prioritäten : Vip-Raum

    ...

    Einmal editiert, zuletzt von Wikos (31. August 2012 um 16:44)

  • Rekonstruktionen sind bei deutschen Intellektuellen deshalb so verpönt, weil sich in ihnen auch ein nostalgisches Verhältnis zur eigenen Geschichte ausdrückt. Für eine ganz auf Schuld und Sühne fixierte "geistige Elite" muss das unerträglich sein.

    In dubio pro reko

  • Rekonstruktionen sind bei deutschen Intellektuellen deshalb so verpönt, weil sich in ihnen auch ein nostalgisches Verhältnis zur eigenen Geschichte ausdrückt. Für eine ganz auf Schuld und Sühne fixierte "geistige Elite" muss das unerträglich sein.

    Das ist zwar ein ständig wiederholter Glaubensgrundsatz in diesem Forum, aber deswegen wird er auch nicht richtiger.

    Rekonstruktionen sind bei Intellektuellen verpönt, weil Rekonstruktionen Kopien sind. Plagiate sind in der wissenschaftlichen und künstlerischen Welt ein Schwerverbrechen; ein von Guttenberg kann sich ja auch nicht darauf berufen, die Arbeiten von anderen 'nur kritisch rekonstruiert zu haben'. Also warum sollte hier ausgerechnet die Architektur einen Sonderstatus haben?

    Ich für meinen Teil befürworte Rekonstruktionen, weil ich bezweifle, dass ein aktueller, 'moderner' Architekt etwas gleichwertiges/besseres entwerfen würde - Meine Haltung ist also mehr aus der Not geboren.

  • Hier versteckt sich aber ein kleiner Denkfehler:
    von Guttenberg hat diese Kopie als sein eigenes Werk herausgegeben. Hätte er jede abgeschriebene Textpassage genau gekennzeichnet und den Autor genannt, wäre daraus ja kein Skandal entstanden.

    Bei Rekonstruktionen jedoch ist das nicht so. Stella hat beispielsweise nie behauptet, die Schlüterfassaden oder der Schlüterhof des Schlosses sei seine Schöpfung.

  • Rekonstruktionen sind für mich ein probates Mittel im Wettbewerb um den besten Entwurf. Ich werfe Rekonstruktionsgegnern vor, das Neue immer gegenüber dem Alten zu bevorzugen. Dass ein Gebäude weg ist oder nicht spielt für mich keine Rolle, denn es ist der Entwurf der zählt. Man kann auf einem Bauplatz einen Entwurf aus dem Jahr 1602 realisieren oder einen von 1955. Wenn der von 1602 der bessere ist, sollte er gebaut werden.

    Anders als bei Gemälden, bei denen der Entwurf und die Ausführung meist aus derselben Hand stammen, haben Architekten eher keine Balken gesägt, Steine gehauen, Fugen vermörtelt oder Fliesen verlegt. Jedes Haus ist nur eine handwerkliche Interpretation des Entwurfs, daher sehe ich nicht ein, dass eine Reko per sé schlechter sein soll als die als Vorgängerversion des Originals, gemeinhin als "das Original" bezeichnet. Sobald eine Dachrinne zu reparieren, eine Tür auszutauschen oder die Fassade auszubessern war, ist "das Original" schon verfälscht worden. Die Fachwelt handelt daher in meinen Augen unsachlich, wenn sie statt des Entwurfs nur seine Interpretation als gültig betrachtet. Und genau deshalb sind Architekten gegen Rekonstruktionen, denn dann haben sie im Wettbewerb der Entwürfe bei der Forderung einer Reko gegen einen längst verstorbenen Kollegen verloren. Daher wollen sie dies durch abenteuerliche Rekonstruktionskritik von vornherein unterbinden. An Rekonstruktionsdiskussionen sollten sich seriöse Architekten daher nicht beteiligen.

  • Ich hatte es schon einmal in einem Potsdam-Strang angesprochen, hier wäre es wohl passender gewesen.

    [...] Dass ein Gebäude weg ist oder nicht spielt für mich keine Rolle, denn es ist der Entwurf der zählt. Man kann auf einem Bauplatz einen Entwurf aus dem Jahr 1602 realisieren oder einen von 1955. Wenn der von 1602 der bessere ist, sollte er gebaut werden.

    DAS ist der springende Punkt bei Rekos.

    [...] , weil Rekonstruktionen Kopien sind. Plagiate sind in der wissenschaftlichen und künstlerischen Welt ein Schwerverbrechen; [...] warum sollte hier ausgerechnet die Architektur einen Sonderstatus haben?

    Weil Architektur 3 statt nur 2 Ebenen, wie ich es nenne, hat. Ein Picasso und ein Goethe haben nur 2 Ebenen: ich nenne sie geistige und physische Ebene. Im Kopf entsteht eine Idee, eine Vorstellung (geistige Ebene) und der Künstler setzt dann diese mit einem Werkzeug (Pinsel/Stift/Computer/ect zu Papier) um (physische Ebene). Bei der Architektur teilt sich die physische Ebene aber in 2 Ebenen auf, die physische Ebene (z.B. Schlüter Pläne für das Berliner Schloss) und die, nennen wir sie ausführende, physische Ebene (Bildhauer, Maurer ect.). Siehe:

    [...] haben Architekten eher keine Balken gesägt, Steine gehauen, Fugen vermörtelt oder Fliesen verlegt. [...]


    Und nothor hat es im Prinzip ja auch schon geschrieben: in dieser 3.Ebene gibt es keine Originale in "wissenschaftlichen und künstlerischen" Sinne, sondern nur mehrere Zustände oder wenn man denn so will "mehrere Originale". Da Substanz vergänglich ist, kann diese nicht als Parameter dienen.

    Das sollte sich eigentlich jeder hier im Forum grundsätzlich bewusst sein: Der Rekogedanke möchte dem Geist wieder eine physische Form geben.

    Es gibt eine Architektur, die zur Landschaft gehört, sowie eine andere, die sie zerstört.

    Einmal editiert, zuletzt von Fusajiro (10. Februar 2017 um 16:52)