• Ich versuch's mal...

    Ich halte diesen Strang für sinnvoll, weil bei diversen Themen doch immer wieder der Vorwurf "Das ist doch Disneyland" ins Spiel kommt. Wenn dieser Strang hier zu einem guten Ergebnis kommt, dann können wir in Zukunft bei entsprechenden Debatten einfach auf ihn verweisen.

    Ich möchte einfach mal ein paar meiner Gedankengänge äußern. Sollte ich dabei in Widersprüche geraten, die mir selbst nicht bewusst sind, dann weist mich bitte darauf hin. Ich hoffe, dass sich eine fruchtbare Diskussion entwickelt.

    Zunächst einmal ist es mein Eindruck, dass dem Disneyland-Vorwurf folgende Vorstellung zugrunde liegt: Man kann nicht einfach irgendwas irgenwo nach irgendeinem Stil bauen. Disneyland wäre es, eine norwegische Stabkirche in Griechenland oder ein altfränkisches Fachwerkhaus in Japan zu errichten. Der Disneyland-Vorwurf geht aber noch darüber hinaus: Denn wenn es nur das wäre, dann ließe sich "Disneyland" auf Reko-Projekte in Frankfurt oder in Dresden nicht anwenden, denn dort soll hauptsächlich das gebaut werden, was ursprünglich auch dort stand. Dennoch aber will ich mich in einem ersten Schritt auf die von mir angenommene Vorstellung "Man kann nicht alles überall bauen" beschränken.

    Das Argument jener, die den Disneyland-Vorwurf in diesem Sinne gebrauchen, wäre ja auch, dass so etwas in der Geschichte auch nie getan worden wäre (hört man häufig). Nachdem ich eine Weile darüber nachgedacht habe, finde ich aber, dass das Gegenteil der Fall ist. Ich werde es an drei Beispielen erläutern:

    1) Aschaffenburger Pompejanum: der (idealisierte, nicht originalgetreue) Nachbau eines Hauses aus dem antiken Pompeji, errichtet in den Jahren 1840-1848. Man müsste eigentlich hier von einem eindeutigen Fall von Disneyland sprechen, aufgrund der idealisierten Verwirklichung und vor allem, da ein solches Gebäude niemals am Main existiert hat. Interessanterweise wird der Disneyland-Vorwurf aber üblicherweise nicht auf das Pompejanum angewandt.

    2) Yenidze in Dresden: Eine Zigarettenfabrik in Gestalt einer Moschee (Minarett als Schornstein), errichtet 1908-1909. Preisfrage: Wie würden es die Architekten wohl nennen, wenn in unserer heutigen Zeit jemand dem Gebäude seiner Computerfirma das Aussehen eines japanischen Shinto-Schreins geben möchte?

    3) Schloss Neuschwanstein: Dürfte allgemein bekannt sein. Beruht auf den Werken eines Theatermalers, ein echtes Märchenschloss. Errichtet in der damals absolut üblichen (und in dieser Zeit modernen) Backsteinbauweise, später mit anderen Gesteinsarten verkleidet (Kulissenzauber???). Als damals der Einsatz von "unmittelalterlichen" Glasfenstern mit Verwunderung aufgenommen wurde, erhielt man zur Antwort: "Hätten die im Mittelalter unsere Technik gehabt, hätten auch solche Glasfenster Verwendung gefunden."

    Was ist der Wert dieser drei Gebäude? Sind sie allesamt nichts wert, unehrlich, Disneyland? Wenn nicht, worin liegt der Unterchied? Ist es einfach nur so, dass diese drei Gebäude schon ein gewisses Alter aufweisen und dadurch "geschichtlich" geworden sind? Das würde allerdings für alles, was wir jetzt bauen, ja auch irgendwann zutreffen...

  • Da kann ich Dir nur beipflichten und bendanke mich bei Dir für diesen wirklich guten Beitrag!

    Auf der Berliner Stadtschloß - Hompage habe ich folgende, vielleicht noch bessere Beispiele zu diesem Thema gefunden:

    http://www.berliner-schloss.de/start.php?navID=99&typ=main

    Die Rekonstruktionsgegner (meist egozentrische und/oder greise Architekten) sind doch selber bloß darüber deprimiert, dass die von ihnen geschaffene Architektur nicht für "voll genommen" wird und können mit an sie gerichteter Kritik nicht passend umgehen. Tja, wer sich über Kritik ärgert, gibt zu, dass er sie verdient hat...

  • Vielen Dank!

    Beispiele wie die auf der Stadschloss-Homepage hätte ich normalerweise in einem zweiten Schritt betrachten wollen. Die von mir oben genannten drei Gebäude bezeichne ich jetzt der Einfachheit halber mal als Beispiele der Kategorie A: Es handelt sich um nicht orginalgetreue Rekonstruktionen am "falschen" Ort (Pompejanum), um "Nachempfindungen" von Gebäuden eines anderen Kulturkreises (Yenidze) und um im wahrsten Sinne des Wortes "phantastische" Gebäude (Neuschwanstein).

    Kategorie B (wir werden im Verlauf der Diskussion sehen, ob diese Einteilung sinnvoll ist oder nochmal abgeändert werden muss bzw. ob weiter unterteilt werden sollte) wären für mich Rekos wie die auf der Schloss-Homepage. Ihnen ist schon mal gemeinsam, dass sie Nachbildungen wirklicher historische Gebäude sind und auch am richtigen Ort stehen.

    Nun vermute ich mal, dass es auch hier im APH-Forum recht viele Mitglieder gibt, die bei den Gebäuden, auf die die Kriterien der Kategorie A zutreffen, sogar ebenfalls von Disneyland sprechen würden, d. h. dem Disneyland-Vorwurf der Modernisten nur im Hinblick auf Gebäude der Kategorie B scharf widersprechen würden. Will sagen: Auch hier im Forum gibt es mit Sicherheit verschiedene Ansichten dazu, wann Disneyland anfängt und wo es aufhört. Wir werden außerdem noch auf den Begriff "Kulissenarchitektur" zu sprechen kommen müssen, d. h. wie sind Gebäude zu bewerten, die eigentlich modern sind und nur eine historische Fassade vorweisen können (z. B. einige Gebäude am Marktplatz zu Hildesheim).

  • Wir haben zum Beispiel in Moritzburg am Großteich einen Leuchtturm mit Mole und Hafen sowie künstliche Ruinen, die "Dardanellen",
    um 1780 im Auftrag des Kurfürsten Friedrich August von Sachsen entstanden, damit auf dem Karpfenteich zum Vergnügen der Hofgesellschaft Seeschlachten nachgespielt werden konnten.

    Vom Sinn und Zweck der Architektur besteht kein Unterschied zu irgendwelchen neuzeitlichen Themen-Hotels in Las Vegas
    aber stammt schon aus dem 18.Jh!

  • Zitat

    Yenidze in Dresden: Eine Zigarettenfabrik in Gestalt einer Moschee (Minarett als Schornstein), errichtet 1908-1909. Preisfrage: Wie würden es die Architekten wohl nennen, wenn in unserer heutigen Zeit jemand dem Gebäude seiner Computerfirma das Aussehen eines japanischen Shinto-Schreins geben möchte?

    Klar, dazu würden die Kritiker Disney sagen. Zu der alten Yenidze sagt das wahrscheinlich deshalb keiner, weil sie einige Jahrzehnte vor Disneyland und ähnlichem gebaut wurde, genau wie das Pompejanum, und diese Gebäude erfahren sozusagen die Gnade der frühen Geburt, werden als "unschuldig" angesehen. Ein Abriß solcher Gebäude würde sicherlich weniger laut beklagt als bei Bauten, die im Stil ihrer Zeit errichtet sind, aber akzeptiert werden sie trotzdem, weil sie "prädisneyisch" sind.

    So etwas wie die Yenidze (Minarett als Schornstein!) würde im übrigen heute kein Architekt mehr entwerfen. Nicht nur, weil er von Kritikern verrissen würde, sondern weil er auch Angst hätte, eines Morgens beim Starten seines BMW von einer Autobombe zerrissen zu werden... :zwinkern:

  • Eigentlich sollte man nie mit den Begriffen des "Feindes" operieren, damit weicht man im Grunde schon ein Stück zurück, weil man sich zur Wehr setzt und sozusagen automatisch mit dem Rücken an der Wand steht.

    Es ist sicher kein Zufall, daß beispielsweise nie der Zuckerbäckerstil des Stalinismus mit diesem Vorwurf behaftet wurde oder die seltsam - verbackene "Postmoderne" , sondern immer nur möglichst originalgetreue Rekonstruktionen - der latente Anti-Amerikanismus und der Neid vor Disneys Erfolg und Beliebtheit möge ein übriges damit zu tun haben.

    Es ist einfach ein Kampfbegriff von Leuten, die um ihre Pfründe und Anerkennung fürchten, "rückwärtsgewandt" und "faschistoid" kommen aus der gleichen Kiste.

    Was hat Walt Disney letztlich getan, er hat ein zauberhaftes, aber anachronistisches Gebäude reproduziert und vereinfacht anderenorts zur Gaudi und Freude der Menschen reproduziert.

    Das gleiche können wir im Legoland oder in anderen Freizeitparks wiederfinden.

    "Disneyland" tropft vor Gehässigkeit, ähnlich würde es sich verhalten, wenn Anhänger von Döner/Pizza/Burger Menschen , die nach Omas Rezepten kochen und backen, als mittelalterlich o.ä. verunglimpfen.

  • Zitat

    "Disneyland" tropft vor Gehässigkeit, ähnlich würde es sich verhalten, wenn Anhänger von Döner/Pizza/Burger Menschen , die nach Omas Rezepten kochen und backen, als mittelalterlich o.ä. verunglimpfen.

    Auch ein ganz netter Vergleich - muß ich mir merken. Auf den Tisch kommt eben das, was schmeckt (nicht was modern ist). :zwinkern:

  • Eigentlich sollte man nie mit den Begriffen
    des "Feindes" operieren, damit weicht man
    im Grunde schon ein Stück zurück, weil man
    sich zur Wehr setzt und sozusagen automatisch
    mit dem Rücken an der Wand steht.

    möchte ich ergänzen durch folgendes:

    die auseinandersetzung mit dem begriff aus
    sicht der vertreter einer traditionellen archi-
    tekturgestaltung zeugt auch von deren unsicher-
    heiten, ob sie wirklich hinter ihrer sache stehen.
    'konsequent', 'mutig' scheinen begriffe zu sein,
    die sich ausschließlich modernisten zu eigen
    machen, selten um einen kompromiß bemüht
    oder bereit einer traditionellen lösung den vor-
    zug zu geben.

    es ist doch immer wieder feststellbar, daß
    traditionelle architekturvertreter bereits
    zu anfang an abstrichen machen, selbst bei reinen
    fassadenrekonstruktionen. banaler, erträglicher
    und modernistisch diktierter architektur wird i.d.r.
    bereits im vorfeld zugestimmt, statt neubauten mit traditio-
    nellen gestaltungselemente als zumindest gleichberechitgte
    lösungen anzubieten.

    wo soll also das selbstvertrauen für traditionelle
    architektur wachsen, wenn ihre vertreter sich darauf
    konzentrieren das schlimmste zu verhindern oder gar
    faule kompromißlösungen infolge sogar als großen wurf bezeichnen?

    es fehlt doch am bekenntnis und dem angebot
    an freier traditioneller architektur.
    rekonstruktionen sind ein anderes kapitel.
    dort wo sie nicht möglich oder gewünscht sind,
    muß es neben modernistisch bestimmter reduktions-
    architektur(vergl. füllbauten am neumarkt) auch endlich
    alternativen mit klarer hinwendung zu traditionellen
    gestaltungselementen geben, die gerade keine
    rekonstruktion darstellen.


  • meine Rede!
    wenn die Bauherren und Architekten nicht so ein Problem damit hätten, mit traditioneller Gestaltung einfach
    schön zu bauen,
    bräuchte man den doch ziemlich dogmatischen Denkmalschutz garnicht, sondern könnte darauf vertrauen, daß die Bürger aus eigenem kulturellen Bewußtsein und ästhetischen Empfinden das tun, was gut ist.

  • Zitat von "Miwori"

    Der Dogmatismus des Denkmalschutzes zeigt sich vor allem darin, daß ein historisches Gebäude bis auf den letzten Pinselstrich rechts unten hinterm Fallrohr authentisch nachempfunden werden muß, es diesen Herrschaften aber völlig gleich ist, wenn neben dem Barockpalais eine Glas-Stahl-sonstwas Monströsität entsteht.
    Historische Bauten haben immer aufeinander Bezug genommen, heute spiegelt der Individualitätskult sich auch in der Denkmalpflege wieder.

  • Danke, Restitutor Orbis, für den Anstoß zu dieser Diskussion, die ich für extrem wichtig halte. Wir spüren und wissen, daß wir die Argumente der Gegenseite widerlegen können. Damit wir angesichts niveauloser polemischer Angriffe die rhetorische Schlagfertigkeit nicht verlieren, fahren wir also die "Modernisten" auf die Hebebühne. Ein Drehbuch der Diskussion brauchen wir nicht, aber vielleicht finden wir ja die endgültige Antwort auf den Vorwurf: "Das ist doch Disney-Architektur!"

    Auf die Gefahr hin, daß ich wiederhole, was im Forum schon einmal gesagt worden ist:

    1) Anachronismus

    "Am falschen Ort zur falschen Zeit" ist meiner Meinung nach nicht das gravierendste Argument im Hinblick auf den Disneyvorwurf. Zum einen gibt es allgemein kaum Fälle, wo wirklich ein historisches Gebäude an einem völlig neuen Platz ohne Zusammenhang rekonstruiert wird. Das steht daher in solcher Reinheit selten zur Debatte, und wenn doch, dann muß man wohl den Einzelfall betrachten.

    Oft hört man: Früher hätte man auch etwas "zeitgemäßes" gebaut, und nichts Altes wiederaufgebaut. Das Argument hätten sich aber nur die Baumeister in der Vergangenheit leisten können. Denn man kann deren historische Neubauentscheidungen nicht ohne weiteres mit der Situation heutiger Planer vergleichen. Im Gegensatz zu deren Masse konnten Sie, das ist natürlich meine subjektive Meinung, imstande, nicht nur praktisch, sondern auch schön und dem Ort angemessen zu bauen. Aber darauf muß man gar nicht zurückgreifen, denn die Zeiten haben sich einfach verändert. Insbesondere die flächige Zerstörung des Landes im zweiten Weltkrieg und die extremen Bauerscheinungen in der Folgezeit haben dazu geführt, daß bei Rekonstruktionsvorhaben heute andere Maßstäbe anzusetzen sind als in früheren Zeiten.

    2) Karikatur und Kinderfeindlichkeit

    Freizeitparks sind eine Traum- oder Scheinwelt, in die sich Menschen vom Alltag flüchten. Die dortigen Architekturen sind dementsprechend gestaltet: es sind unmaßstäbliche Karikaturen der Vorbilder (z. B. Märchenschloß) und Bühnen für Veranstaltungen etc. (Nicht bühnenartige Architektur, das ist ein wichtiger Unterschied. Beispiel Piazza San Ignazio in Rom: http://www.forum-rom.de/2%20roemischer…p%20rom%203.htm)

    Der zu entlarvende Trick des ach so populären Disneyarguments ist also der, daß unsere Gegner Rekos und klassische Architektur mit Freizeitpark-Architektur gleichsetzen, damit dem Umstand nutzen, daß letztere nicht für die "echte" Welt gemacht ist, und dem Zuhörer so suggerieren, daß Rekos und klassische Architektur in der Wirklichkeit unbrauchbar sind. (Hier könnte man angreifen und zeigen, daß die "modernistischen" Vorschläge erst recht unbrauchbar sind.)

    Eine weitere konsequente Frage an die "Modernisten" ist: Zeichnet sich ernsthafte Architektur dadurch aus, daß in ihr der kindliche Ausdruck von Lebensfreude und die Anregung der Phantasie als obszöne Ziele keinen Platz finden dürfen? Auch ich will keine Hundertwasserstädte, aber drängende Erwachsenenprobleme wie das Profilierungsbedürfnis und Erwerbsstreben sollten nicht zu verdrängenden Erwachsenenproblemen werden.

    Im übrigen: Jeder hat sein persönliches Disney, bei Manchen steht es voller Glaskuben.

    3) Nicht ernst gemeint

    Der Kern des Disney-Vorwurfs lautet indessen: "Das was Sie hier wollen, ist doch keine ernsthafte Architektur". Natürlich stimmt das nicht, weil wir sehr ernsthafte Architektur vorschlagen. Daher könnte man entgegnen: "Nein, es ist ernsthafte Architektur!" und dann Fakten aufzeigen, warum dies so ist. Ich finde es gar nicht schlecht, wenn man dies so deutlich und ernst sagt. Man zeigt damit, daß man sich nicht durch Polemik ins Bockshorn jagen läßt.
    Es besteht aber die Gefahr, daß man - je nach Situation der Debatte - für solche Ernsthaftigkeit Gelächter erntet, weil die Gegner damit unterstellen könnten, daß es wie eine kleinlaute Rechtfertigung klingt, im Sinne von "Doch, ich versichere Ihnen, wir würden bitte gerne ernst genommen werden!"
    Das Ziel des polemischen Angriffs ist, daß man darauf nicht vernünftig antworten kann. In einer solchen Situation könnte daher eine Antwort besser sein, bei der man die Lacher auf der eigenen Seite hat. Danach müßte man aber wieder zu Fakten zurückkehren, um zu zeigen, daß man sich nicht auf das Niveau des Gegners herabläßt.
    So müßte man den Disneyvorwurf seinerseits ins Lächerliche ziehen, indem man seine Schwächen überspitzt herauskehrt. Doch was sind seine Schwächen?

    Die größte Schwäche von Polemik ist, daß sie bestehenden Fakten nichts entgegensetzen kann. Letztlich zählen aber in der Abwägung am Schluß einer Diskussion nur die Fakten. Polemik ist hingegen reiner Populismus(!) und dient nur dazu, das Publikum kurzzeitig durch die Erzeugung von Schadenfreude auf die eigene Seite zu ziehen. Man will hier kein Diskussionsergebnis, sondern nur unversöhnlich beharren und den anderen niederkämpfen.

    Wenn im Frankfurter Beispiel Frau Flagge sich nur mit solchen Mitteln an der in der Presse geführten Diskussion beteiligen zu können glaubt, zeigt sie, daß sie keine stichhaltigen Argumente für ihre Position anführen will und erweckt dadurch den Eindruck, daß es auch keine gibt.

    Man könnte also sagen: Das häufigste Argument der Rekogegner ist deren schwächstes.

    4) Blick zurück erlaubt?

    Was hat nicht der Barock Phantastisches geleistet? Wissen wir doch alle! Und wie? Durch Neuinterpretation der klassisch-antiken Formensprache und gleichzeitigem Bauen nach damals zeitgemäßen Bedürfnissen!

    Übrigens: Zeitgemäß bedeutet nicht zwangsweise eine geschmackliche Bindung. Auf der anderen Seite kann man der Forderung nach "zeitgemäßer" Architektur, wie wir wissen, Modeabhängigkeit entgegenhalten: "Sie wollen also mit der Mode gehen, damit wir nächstes Jahr wir bei Ihnen ein neues Gebäude kaufen müssen, weil das hier out ist."

    Es gab wohl nie eine Neuerung, die nicht irgendwie mit Dagewesenem in Verbindung stand. Bauhaus hat nur äußerlich auf Ornament verzichtet, aber das war auch nicht neu: Waren nicht einfache, schmucklose (auch schmuckloses Fachwerk!) Zweckbauten aus den Jahrhunderten nicht genauso "gut", aber viel schöner als vieles Heutige? Nur das ornamentale Repräsentationsbedürfnis wurde von den Vertretern der Bauhaus-Lehre verneint. Die manierierte "Design"-Architektur, wie sie in den Durchschnittsentwürfen heutzutage auftritt, hat im übrigen mit Bauhaus wenig zu tun, meine ich. Viel mehr kommt es auf die Person des Architekten an. Würde jeder Architekt, den Funken Begabung unterstellt, mehr aus seiner Individualität machen, ohne Dogmen und Moden, Gehry und Foster hinterherzurennen, gäbe es mehr Hoffnung auf gute Architektur, denke ich. Mir erscheint, daß in keinem kreativen Beruf so ein akademischer Einheitsbrei statt künstlerischer Vielfalt herauskommt wie bei Architekten. Schade, ist daran die Stimmung in unserer Gesellschaft schuld ... ?

    Wie arrogant die Gegenseite auch immer auftritt, eins ist jedoch klar: Hochmut kommt vor dem Fall!

    ***

    Nach so viel Gerede möchte ich jetzt den Fans phantastischer Architektur noch auf das Dorf Portmeirion in Wales hinweisen:

    http://www.portmeirion-village.com

    http://www.virtualportmeirion.com

    Die Engländer nennen eine solche bewußt unsinnige Architektur folly (Verrücktheit, Aberwitz). Darunter fallen hauptsächlich Park-Architekturen seit dem 18. Jahrhundert, wie Tempel, Türme, Bögen etc. Wir sollten doch langsam den Thread über künstliche Ruinen starten!

    Daß gerade auch ein extrem progressives Architekturexperiment wie ein folly wirken kann, zeigt meiner Meinung nach Arcosanti, gelegen in der Wüste Arizonas:

    http://www.arcosanti.org/

    Wer mal in den Südwesten der USA kommt, sollte da mal eine Pause einlegen. Die haben auch gute Kuchen dort ...

  • baukunst

    Schön , wie wir uns hier gemeinsam an das Thema heranarbeiten.
    Du hast den Schlüsselbegriff geliefert, d.h., wenn wieder aus der Modernistenecke der Kampfbegriff "Disney" fällt, kontern wir:
    "Sie irren mein Herr, wir befinden uns nicht in einem Freizeitpark, es geht um seriöse Architektur. Bitte informieren Sie sich genau, bevor Sie etwas irreführendes zum Thema beitragen."

  • Nun ist es aber so:
    1. In der Allgemeinheit ist zu unterstellen, dass "Disneyarchitektur" als pejorativ gilt (auch wenn dies wohl sachlich unbegründet ist).
    2. Darum ist der Vorwurf, obiges zu sein, ein Kontrapunkt für jedwedes Projekt.
    3. Deshalb dürfte der negative Hinweis des "Unsinns" nicht hinreichend sein. Was wir brauchen ist ein kurzes, aber "totschlagendes" Gegenargument.
    Anmerkung: Dieses Argument kann sich auf derselben Ebene wie das Disney-Argument bewgen, d.h. es muss nicht _sachlich überzeugend_ sein, aber _populistisch überzeugend_.

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Sicher, da sich das Ganze vor Publikum abspielt, und um dasselbe geht es ja nur, muß die Replik kurz und knackig sein:

    "Sie irren, mein Herr, der Auftraggeber heißt nicht Micky Maus."

    Oder :

    "Sie sollten weniger Donald Duck lesen, hier geht es um ein ernsthaftes
    Architekturprojekt."

    Mich würde mal interessiren, auf welchem Niveau diese Angriffe beispielsweise 1907 in Italien gelaufen sind, als auch die detailgetreue Reko des Campanile vom auf der Kippe stand; damals gab noch keine Disney-Corporation....

  • Schön, dass dieser Strang so viel Resonanz gefunden hat (besonders den Beitrag von baukunst-nbg fand ich sehr lesenswert). Da hier nun erst einmal "Ruhe" eingekehrt ist, möchte ich die Diskussion ganz gerne wieder beleben. Zunächst mal habe ich eine Frage zu folgendem Zitat von Dietrich Klose:

    Zitat

    6. Warum ist ein Wiederaufbau kein Disneyland?
    Gegen eine Ablehnung jeglicher Rekonstruktion aus grundsätzlicher, fundamentalistischer Überzeugung kann man natürlich nicht argumentieren. Sie läßt weder das geschichtliche Identitätsverlangen, noch die Bemühung um Wahrung kultureller Zeugnisse gelten, noch sieht sie hier einen Beitrag zur Völkerverständigung, sondern stempelt solche Bemühung als Versuch ab, Trugbilder zu schaffen. Disneyland ist das Etikett, das unreflektiert einer jeglichen Rekonstruktion angehängt wird. Prof. Dr. Jürgen Paul hat auf die Unvergleichbarkeit zwischen dem Disneyland in Amerika und wiederaufgebauten Bauwerken aus Kulturepochen, die es dort nie gegeben hat [hingewiesen]. Unsere wieder errichteten Werke der Baukunst haben in unseren Städten gestanden. Sie zeugen von einer Kulturphase, die es an dieser Stelle gegeben hat und oft sind mehr oder weniger große Teile von ihnen noch vorhanden.


    Quelle: Altes Rathaus

    Ist jemandem derr Text bekannt, in dem Prof. Dr. Jürgen Paul sich mit dem Disneyland-Begriff befasst?

  • Ich finde die Diskussion auch ziemlich interessant, doch anscheinend ist es nicht so ganz einfach, ein befriedigendes Ergebnis zu erzielen.

    1) Das Zitat finde ich sehr gut, es zeigt, daß das Argument von vielen Seiten entlarvt worden ist. Das wichtigste ist auch darin enthalten, nämlich daß damit eine Diskussion, d. h. ein Verfahren zur Gewinnung eines Ergebnisses, abgewürgt werden soll. D. h. das Disneylandargument zeigt, daß deren Verwender autoritär bestimmen wollen, und die Diskussion abwürgen wollen. Zensur wäre ihnen auch recht. Und auch ohne ein Linker zu sein, stößt einem autoritäres Gehabe sauer auf.

    2) Wenn einer mit "Disneyland" kommt, kann man auch sagen: "Dann fahren Sie doch erst mal nach Disneyland, dann sehen Sie den Unterschied vielleicht!"

    3) Mit dem Disneylandargument wird Rekonstruktionen chiffriert vorgeworfen, sie seien trivial (und deswegen kein Beitrag zur Baukultur o. ä., keine neue Schöpfung etc.).

    Aus Wikipedia:

    Zitat

    Als trivial gilt ein Umstand, der als naheliegend, jedermann ersichtlich, leicht zu erfassen angesehen wird.
    Im Zusammenhang mit Äußerungen anderer kann das Wort auch abwertend eingesetzt werden."Ihre Ausführungen sind doch trivial." meint: Da der Inhalt Ihres Gesagten jedermann leicht ersichtlich oder bereits bekannt ist, sind Ihre Ausführungen im Grunde überflüssig.

    D. h. Rekonstruktionen sind überflüssig, weil ihre Aussage jedermann leicht ersichtlich oder bereits bekannt ist ???

    Noch ein Zitat aus Wikipedia ("Diskussion"):

    Zitat

    Im günstigsten Fall steht am Ende einer Diskussion die Lösung eines Problems, ein für alle Beteiligten annehmbarer Kompromiss oder eine beidseitige Erkenntnis. Aber auch ohne dies ist eine Diskussion eine Möglichkeit den Standpunkt einer anderen Seite kennen zu lernen und von bisher unbekannten neue Seiten zu erfahren.

    Daraus folgern wir: Eine Diskussion ist, nicht nur in der Wissenschaft, einzig anerkanntes Mittel, um zu einem niveauvollen Ergebnis zu gelangen . Wer hingegen, wie die Disneylandpolemiker, eine Diskussion abwürgen will, zeigt niedriges Niveau. Seine Meinung, daß Rekos trivial seien, zeigt er daher selbst auf triviale Weise (sein Argumentationsstil ist Disneyland) - und wenn er Architekt ist, spiegeln seine Bauten seine Persönlichkeit wieder, was anhand der trivialen Kästen für uns alle deutlich sichtbar ist! :P

    Meiner Meinung nach ist das unbefriedigende an aktueller Architektur, daß die aktuell favorisierten Entwürfe so häufig von einer Schicht des Trivialen überzogen sind, denn sie tragen für mich sehr stark Mode-, Lifestyle- und "Design-" Bedürfnissen Rechnung. Warum baut eigentlich Porsche keine Fertighäuser?

  • @ baukunst-nbg:

    Zitat

    Ich finde die Diskussion auch ziemlich interessant, doch anscheinend ist es nicht so ganz einfach, ein befriedigendes Ergebnis zu erzielen.

    Ich glaube, ich verstehe, was du meinst. Ich denke aber, es muss kein schlechtes Verfahren sein, hier in diesem Strang erst einmal die verschiedenen Argumente und Ansichten ungeordnet zu sammeln, um sie dann zu einem späteren Zeitpunkt zu "bündeln", d. h. ein Diskussionsergebnis festzuhalten, dass noch einmal alle wichtigen Punkte enthält.

    Ich denke, ein wichtiger Punkt, den dein letzter Beitrag enthält, ist, dass die Gegenüberstellung von Rekos als "trivial" und moderner Architektur als "anspruchsvoll" den Schönheitsfehler aufweist, dass letztere eben gerade oft nicht anspruchsvoll ist, sondern, wie du richtig sagtest, diversen Mode-, Lifestyle- und Design-Bedürfnissen entspricht, die sich zuweilen als äußerst platt erweisen.

    Der Vorwurf des Trivialen ist daher natürlich auch umkehrbar und bringt mich gerade zu einem weiteren Zitat, das sich auf die Rekonstruktion des Marktplatzes zu Hildesheim bezieht (und dieses Zitat ermöglicht gleichzeitig auch eine Diskussion des Begriffs "Kulissenarchitektur"):

    Zitat

    Sowohl Architekten als auch Baugeschichtler haben etwas dagegen. Sie sagen, solche Imitationen erweckten den Eindruck, das Original zu sein. Das ist bei 'originalgetreuem' Nachbau nicht zu vermeiden. Aber wen stört das und warum?
    Was die Hildesheimer haben wollten, war ja sicher nicht die Erfüllung des unerfüllbaren Wunsches, daß durch den Wiederaufbau die authentischen, originalen Gebäude wieder erstünden. Was man wollte - jedenfalls haben die beteiligten Architekten das so verstanden - war ein Abbild des alten Zustandes. Kein Foto, kein Gemälde, kein Modell, sondern ein Abbild des Marktplatzes in natürlicher Größe.
    Was man im Maßstab 1:1, getreu dem Original, nachbildet, erfordert die Verwendung von Materialien, Farben, Konstruktionen und Bearbeitungsweisen, die den ursprünglichen so nahe kommen wie möglich. Wenn man die Aufgabe, ein naturgetreues Abbild zu rekonstruieren (nicht zu restaurieren!) ernst nimmt, ist die Gefahr groß, daß dann alle nicht besonders Informierten die Kopie für das Original halten. Natürlich ist die Kopie nicht historisch, nicht authentisch, nicht echt. Diese Feststellung ist so trivial, daß sie von jenen Architekten und Bauhistorikern offensichtlich vergessen wird, die naserümpfend darauf hinweisen, daß man 'so etwas nicht machen kann'. Das Ergebnis seien 'Kulissen'.
    Wenn man das Abbild eines mittelalterlichen Marktplatzes in natürliches Größe und am ursprünglichen Ort wiederherstellen will, so geht es nicht ohne Kulissen. Sie sind die Bedingung zur Erfüllung der Aufgabe. Und daraus ergibt sich auch, daß die Konstruktionen und Funktionen hinter den Kulissen nicht mit den Fassaden in Übereinstimmung zu sein brauchen. Die Fassaden dienen der Erzeugung eines historischen städteräumlichen optischen Eindrucks, und die Funktionen dahinter sorgen dafür, daß dies wirtschaftlich möglich wird. Die Nicht-Übereinstimmung von Fassaden einerseits und der Konstruktion und Nutzung andererseits ist ohnehin tausendfach geübte und von Denkmalpflegern abgesegnete Praxis, allerdings sofern es sich um erhaltene, historische Fassaden handelt. Warum soll das gleiche mit originalgetreu nachgebauten Fassaden nicht möglich sein? Offenbar ist es nicht der Bruch zwischen dem konstruktiven und funktionalen Inneren und der äußeren Erscheinung, der als Problem empfunden wird. Stein des Anstoßes ist vielmehr die Tatsache, daß die Fassaden heute so nachgebaut werden, wie sie vor Jahrhunderten wahrscheinlich ausgesehen haben, und zwar just zu diesem erklärten Zwecke: daß sie so aussehen sollen wie damals und damit den gleichen optischen Eindruck erzeugen. Wenn man die Begründungen überlegt, die gegen die Herstellung solcher Fassadenkopien vorgebracht werden könnten, stellt man fest, daß sie sämtlich der Philosophie der modernen Architektur entstammen. Solche Kopien seien "nicht echt", "nicht ehrlich", "nicht sauber". Alle diese Attribute lassen sich auch auf die vielen heutigen Erscheinungsformen der Architektur anwenden. In der pluralistischen Vielfalt der gegenwärtigen Architektursprachen ist die puristische Strenge der modernen Architekturtheorie überholt. Und damit scheint machbar, was man lange Jahre 'nicht durfte'.


    Sieverts, Ernst: Die Rekonstruktion der Nordseite des Marktplatzes - Das Forte-Hotel. In: Borck, Heinz-Günther u. a.: Der Marktplatz zu Hildesheim. Dokumentation des Wiederaufbaus. Hildesheim 1989. S. 151-156 (hier: S. 151f)

  • Zu dieser Diskussion habe ich mich beschlossen diese Woche nach Hildesheim und eine genaue Studie von die Marktplatz zu unternehmen....

  • Das wäre klasse, Johan. Das fände ich persönlich auch äußerst interessant.

    Alles, was dabei spezifisch mit Hildesheim direkt zu tun hat, sollte dann allerdings auch im Hildesheim-Thread landen, während hier vor allem das wichtig ist, was dann über Hildesheim hinaus allgemeine Erkenntnisse über Rekos zulässt.
    (Wobei sich das vermutlich nicht völlig eindeutig trennen lässt...)

  • Eine der Lieblingsvokabeln von Reko-Gegnern und modernistischen Architekten ist "Disney", wenn es darum geht Rekonstruktionen und traditonelle geprägte Neubauten zu diskreditieren.

    Vergessen wird dabei, daß kein anderer als Disney selbst bereits eine Stadt verwirklicht, bewohnt von echten Menschen, in unmittelbarer Nähe zu einem "echten" DIsneyland:

    Celebration (Florida) – Wikipedia

    Ein zuverlässiger Bilderlieferant ist auch dieses Mal wieder flickr.com: celebration florida - Flickr: Search

    Die Beurteilung, ob architektonisch gelungen, oder tatsächlich "Kitsch" und somit tatsächlich ein weiteres "Disneyland", überlasse ich jedem Forumsteilnehmer selbst.