Hildesheim: Pro und Contra Rekonstruktion

  • Man sehe es einmal von dieser Seite:
    wer weiß denn heute noch wirklich, daß das schöne Rothenburg ob der Tauber, das romantische, das mittelalterliche, Ostern 1945 zu mehr als 40 Prozent weggeputzt wurde.
    Kaum jemand; seitdem sind ein bis zwei Generationen vergangen und es wäre ein interessanter Test, wenn man die Touristen früge, wo die Bruchlinie zwischen dem authentisch alten und dem rekonstruierten Rothenburg verläuft.

    Rekonstruktionen vermitteln Identität und das ist m.E. das Wichtigste; der Vergleich mit dem Auto hinkt ja wohl gewaltig. Was ist denn ein Auto, bitteschön, im Vergleich zu einem Gebäude, das Schutz, Nutzen, Heimat stiftet ?

  • Hinzu kommt immer wieder die Aufrechnung, daß Gelder, die für Rekonstruktionen ausgegeben werden nun angeblich bei der Pflege historischer Bausubstanz fehlen würden. Dabei sind die Finanzierungswege oft ganz andere, sind überhaupt nicht miteinander verflochten. Ebenso könnte man beklagen, daß Gelder, die in den modernen Bürohochhausbau fließen, nun bei irgendwelchen Stadtmauersanierungen fehlen. Oder daß Gelder die für argentinisches Huftsteak ausgegeben werden, falsch eingesetzt sind. So nach dem Motto: Wenn die Leute statt Steak eine Gemüsesuppe essen würden, könnte in Mecklenburg ein alter Gutshof gerettet werden. Man könnte auch sagen, statt Hartz IV auszugeben oder für die Welthungerhilfe zu spenden, sollte man das Geld lieber dem deutschen Denkmalschutz zukommen lassen. Wohin solche Aufrechnungen aber führen sollen, weiß ich nicht.

  • Volle Zustimmung. Weiters besteht kein Grund, dass von der öffentlichen Hand finanzierte Bauprojekte in modernistischer Formensprache erfolgen müssen. Wohnungen, kleiner Einzelhandel, Kneipen usw. - eben das, was zur Belebung der Altstadtbereiche als notwendig erachtet wird - können ohne weiteres auch in rekonstruierten Fachwerkhäusern angesiedelt werden.

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Hallo Freunde,
    ich frage mich, was ist denn überhaupt modern? Wir sind doch auch modern, weil wir jetzt zur Zeit Rekos fordern, also sind die Formen der Rekos modern!! Oder was?

  • ^ Richtig, und so sehen das wohl auch die meisten hier im Forum. Die Initiatoren für den Wiederaufbau des Neustädter Rathauses in Dresden haben diesbezüglich eine sehr treffende Definition auf ihrer Homepage veröffentlicht:

    "Eine der zahlreichen Definitionen des Begriffes ist aber "verbessernd". Eine "moderne" Architektur, die verschlechtert, ist folglich nicht modern, auch wenn sie das zu sein vorgibt, und nimmt sich somit selbst die Existenzberechtigung."
    http://www.neustaedter-rathaus.de/rathaus/versus.htm\r
    http://www.neustaedter-rathaus.de/rathaus/versus.htm

    Was sollte daran auch falsch sein? Die zunehmenden Rekonstruktionen und der Wunsch nach mehr traditioneller Architektur sind letztlich ja auch nur die Antwort auf jahrzehntelanges Unterdrücken selbiger Wünsche und dem damit einhergehenden identitätslosen Städtebau. Moderne Architektur kann meiner Ansicht nach daher Rekonstruktionen und traditionelle Architektur ebenso umfassen, wie modernistische Architektur. Das hängt eben ganz gewaltig vom städtebaulichen Standort und dem Umfeld ab. In zerstörten Innenstädten hat modernistische Architektur jedenfalls nichts zu suchen.

    Leipzig - Back to the roots

  • Zitat von "Hildesheimer"

    Bei privaten Mitteln ist das zunächst alleine Sache des Geldgebers, was er mit seinem Geld anstellt. Ich finde es aber bedauerlich, wenn Millionen auch privater Mittel für Rekonstruktionen, mithin Neubauten (wie z.B. Zuckerhut) ausgegeben werden, wenn andererseits historische Substanz verfällt. Neulich gab es einen Fernsehbericht über die Sanierung des Wernerschen Hauses in Hildesheim, in dem der Eigentümer von den großen Schwierigkeiten berichtete, die Gelder für die Sanierung der Fassade aufzubringen - die Rede war von 250.000 Euro. Würden nun die Gelder, die in die Wiedererrichtung des Zuckerhutes fließen, stattdessen in eine Stiftung eingebracht, die den Erhalt historischer Bausubstanz in Hildesheim zum Ziel hat, wäre das sicher viel einfacher.


    Es gab vor zwei Wochen ein Interview im Stadtradio. Dort hat der Bauherr gesprochen und sowie ein Kunsthistoriker, der die Sanierung begleitet.
    Der Bauherr hat die Summe deutlich nach unten korrigiert: Es liegt unter 200 000 Euro. Er geht davon aus, dass man die Ganze Summe noch auftreiben wird (auch das Land ist daran interessiert am einmaligen Renaissancebau.) Es beteiligen sich ja ferner sehr viele Einrichtungen, Stiftungen und Förderer. Zur Geschichte des Baus gab es sehr interessante Details vom Historiker.
    Der Bauherr hat sich außerdem ausdrücklich bei der Altstadt-Gilde Hildesheim bedankt, die sich mit einem Betrag von rund 40 000 bis 50 000 Euro beteiligen wird.

  • @ hildesheimer:

    Zitat

    Man muss aber deutlich sagen, was Original und was Nachbau, Kopie, Rekonstruktion oder hypothetischer Zustand ist, und wie man hier Denkmalpflege definiert, bzw. was Denkmal und was museales Objekt ist. Der breiten Öffentlichkeit wirds wahrscheinlich egal sein, aber in den Kreisen, in denen darüber ein Diskurs stattfindet, ist dieser Unterschied wichtig.

    In diesem Zusammenhang solltest du mal den folgenden Text des Denkmalpflegers Eckart Rüsch lesen:

    http://www.kunsttexte.de/download/denk/sym-ruesch-v.pdf\r
    http://www.kunsttexte.de/download/denk/sym-ruesch-v.pdf

    Auszüge daraus:

    Zitat

    Dass die Faktoren "symbolische Bedeutung" und "Bildhaftigkeit" tatsächlich un-abhängig von Originalsubstanz sind, beweisen wirksame Beispiele: Sie alle kennen symbolische Bedeutungen, die ohne Funktionsverluste wieder aufblühen konnten, nachdem sie auf vollkommen erneuerte Substanz übertragen worden sind. Typisch dafür sind die Geburtshäuser großer Schriftsteller, die nach Totalzerstörungen im Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut wurden.
    [...]
    Eine wichtige Eigenschaft der symbolischen Denkmale ist deren materielle Übertragbarkeit.

  • Sorry, dass ich mich so selten melde. Ich habe das Gefühl, dass wir weit auseinander sind in unseren Ansichten, aber das solle einen natürlich nicht vom argumentieren abhalten. Blöd auch, dass hier alle gegen mich sind, das macht das antworten nicht einfacher. :schockiert:

    alpha, 01.07.2009 11:42 :

    Dass die Besucher getäuscht werden sollen, ist doch offensichtlich. Man tut so, als sei alles alt. Nichts weist auf neues hin (außer für den Fachmann). Es wird so getan, als sei das Haus von 1529. Sowas nennt man Täuschung. Der Hildesheimer Wettbewerb aus den 1980ern brachte einige Vorschläge, alt und neu zu verbinden. Das wäre das Gegenteil von Täuschung gewesen.

    Der Mies-Pavillion in Barcelona ist ein anderes Phänomen: ein Solitär, der exakt wieder so aufgebaut wurde, weil er architekturgeschichtlich herausragend ist. Aber natürlich könnte man auch hier diskutieren, ob das sein muss.

    Die Frauenkirche wurde in der Barockzeit in dem damals aktuellen Stil gebaut. Heute ist das nicht mehr aktuell, das ist der Unterschied. Diesen Leute fällt nichts anderes ein, als etwas nachzubauen. Wie unoriginell.

    Das Grundproblem: Architektur ist ein Abbild der Gesellschaft. Wie man baut, so ist man. Wenn ich nun sehe, dass nur alte Sachen wiederaufgebaut werden sollen, ohne sich für das Zeitgenössische zu interessieren, dann wirft das ein dunkles Licht auf unsere Zeit.

    Diesen letzten Aspekt sollte man vielleicht diskutieren.


    Philon,
    der "kriegsbedingte Verlust der geistigen und kulturellen Identität" lässt sich nicht beheben, indem man Häuser wiederaufbaut. Die Frauenkirche und die anderen Gebäude hatten eine jahrhundertealte Geschichte. Schau dir reale historische Orte an, beispielsweise Rom, und du siehst dort, wie man völlig ungezwungen mit historischer Bausubstanz umgeht.

    Wenn man die Frauenkirche direkt noch in den 40er Jahren wiederaufgebaut hätte, wäre es vielleicht etwas anderes. Aber faktisch wurde hier ein Mahnmal gegen den Krieg abgerissen und so getan, als hätte es den Krieg nie gegeben.

    Nochmal zu Rom: Der Umgang dort mit historischer Substanz könnte uns einiges lehren: Es wird viel einfach stehen gelassen, auch wenn einem das gerade wurscht ist. Nur mit dieser Haltung konnte Architektur 2000 Jahre überleben. Mit dem deutschen Ansatz ist das unmöglich: Jetzt gerade gefällt uns etwas nicht, also wird es abgerissen. So wie der Marktplatz in Hildesheim.

    Ein etwas konfuses Posting, sorry. Vielleicht sollte man das ganze hier stärker thematisch sortieren.

  • Zitat von "genova"

    Aber faktisch wurde hier ein Mahnmal gegen den Krieg abgerissen und so getan, als hätte es den Krieg nie gegeben.


    Uiuiui, und die vielen Kilometer Brach- und verkommenen Nachkriegsflächen wenige Meter neben der Frauenkirche reichen als Mahnmal natürlich bei weitem nicht aus. Sollen die Bürger auch im Herzen noch auf ihre paar Zentimeter Identität verzichten, damit sich das Modernistenstadel ausgiebig in Schuldbekenntnis und Sühne suhlen (und sich parallel selbstverwirklichen) kann.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Zitat von "genova"

    Dass die Besucher getäuscht werden sollen, ist doch offensichtlich.


    Das DEINE beiden Artikel die Leser bewusst täuschen sollen, das ist offensichtlich.
    Sie sind verlogen und diffamieren die Bürger einer Stadt, die damals mit viel Engagement, Geldspenden und viel Herz das Wahrzeichen der Stadt wiederaufgebaut haben.

  • genova:

    Zitat

    Dass die Besucher getäuscht werden sollen, ist doch offensichtlich. Man tut so, als sei alles alt.

    Also bitte, das ist doch nonsense. Das Knochenhaueramtshaus ist eine archäologische, d.h. möglichst detailgenaue Rekonstruktion. Deshalb sieht es naturgemäß so aus wie das zerstörte Knochenhaueramtshaus. Es besteht und bestand also die Intention, möglichst detailgenau zu rekonstruieren und keineswegs die Intention, irgendjemanden über was auch immer (über was eigentlich?) zu täuschen.
    Solche Unterstellungen, da solle jemand getäuscht werden, sind doch wirklich lächerlich und grotesk. Wenn ein Verleger ein Faksimile einer mittelalterlichen Handschrift auf den Markt bringt, schreit doch auch niemand auf, da wolle jemand die Leute täuschen. Und es käme auch keiner auf die Idee, das Faksimile schlechter zu machen als es möglich ist oder sogar ein paar Comicfiguren dazuzumalen, nur damit alle gleich merken, daß es nur ein Faksimile ist. Absurd.
    Zudem lebt deine Unterstellung von der Prämisse, das rekonstruierte KNHA wäre mit dem zerstörten nicht identisch, die einfach falsch ist. Es ist mit ihm identisch hinsichtlich der Form, der Gestaltung, des bildlichen Eindrucks, der Bauidee und des Geistes der Epoche, in der es erstmals erbaut wurde. Nicht identisch ist es hinsichtlich der Materie und der Spuren, die die Zeit an dieser Materie bis 1945 hinterlassen hatte.
    Da aber das geistige Moment des Übergreifende ist (die Identität von Identität und Nichtidentität), ist das wiederaufgebaute KNHA (oder die Frauenkirche etc.) mit dem alten in der entscheidenden Hinsicht eben identisch und daher wird auch niemand getäuscht, wenn er das wiederaufgebaute für das lete hält, denn in der ausschlaggebenden Hinsicht sind sie eben identisch.

    Zitat

    Die Frauenkirche wurde in der Barockzeit in dem damals aktuellen Stil gebaut. Heute ist das nicht mehr aktuell, das ist der Unterschied. Diesen Leute fällt nichts anderes ein, als etwas nachzubauen. Wie unoriginell.


    Sorry, aber das Argument wurde weiter oben schonmal widerlegt. Da du es entweder nicht gelesen oder einfach ignoriert hast, kopiere ich es halt nochmal rüber:

    Zitat

    Wenn beispielsweise, wie ein anderer der verlinkten Texte ausführt, der David des Michelangelo zerstört worden wäre und und ein Bildhauer erhielte den Auftrag, nach den vorhandenen Fotos und Vermessungen eine exakte Nachbildung herzustellen, damit spätere Generationen wenigstens in der Nachbildung noch die Größe und Schönheit dieses Werkes bewundern können.
    Würde der beauftragte Bildhauer sich nun mit dem Argument weigern, das sei "unzeitgemäß", heutzutage könne man nicht mehr „im Stil der Renaissance bildhauern“, so hätte er damit zwar recht, er würde aber eigentlich nur zeigen, daß er nicht einmal ansatzweise den Sinn des an ihn ergangenen Auftrags verstanden hat. Denn der Sinn dieses Auftrags besteht ja gerade nicht darin, ein „zeitgemäßes“ Kunstwerk zu schaffen, sondern darin, ein zerstörtes Kunstwerk der Renaissance im Abglanz einer Nachbildung wiedererstehen zu lassen. In derselben Weise scheinst du, jedenfalls lassen das deine Ausführungen unter dem Stichwort "barock" erahnen, auch nicht den Sinn von Rekonstruktionen zu verstehen. Im Grunde reagierst du nämlich wie dieser hypothetische Bildhauer.

    Zitat


    der "kriegsbedingte Verlust der geistigen und kulturellen Identität" lässt sich nicht beheben, indem man Häuser wiederaufbaut.


    Das stimmt doch schlicht und einfach nicht. Natürlich lässt er sich durch den Wiederaufbau historischer Bauwerke beheben. Würde man die Innenstädte bis ins letzte Haus detailgetreu rekonstruieren, sogar vollständig. Ein Bauwerk ist Ausdruck Geistes einer bestimmten Epoche und Region. Was es dazu macht, ist die regional- und zeitspezifische Gestaltung, die der Materie gegeben wird, nicht die Materie selbst, denn die ist "geistlos" und unbeseelt. Die Wiederaufnahme exakt dieser Gestalt, und sei es in anderer Materie, kann deshalb selbstverständlich den kontingenten, durch äußerliche Ereignisse bedingten Verlust der geistigen und kulturellen Identität beheben. Du scheinst es eher nicht zu wollen.

    Zitat

    und so getan, als hätte es den Krieg nie gegeben


    Daß es den Krieg gegeben hat sieht man - leider - jeder größeren deutschen Stadt unvermeidlich an. Selbst in der "Rekonstruktionsmetropole" Dresden ist allenfalls die Rekonstruktion von 25 - 30% des ehemaligen Dresden geplant und das dann auch noch durchsetzt mit zahllosen "modernen" Bauten. Dem Rest wird man den Krieg immer noch ansehen.
    Und selbst wenn das nicht so wäre, wenn es uns tatsächlich gelänge, die Verheerungen des Bombenkriegs durch großflächige Rekonstruktionen rückgängig zu machen ... na und, was wäre daran schlimm. Hat jemals schon jemand gefordert, man müsse den französischen Städten die Verwüstungen des 100jährigen Krieges oder des 1. Weltskriegs ansehen? Oder den deutschen die des 30'jährigen Kriegs? Oder den polnischen die des 2. Weltkriegs? Oder den ungarischen die der Türkenkriege? Warum sollte man also ausgerechnet den deutschen ausgerechnet die des 2. Weltkriegs ansehen müssen? Ich sehe nicht, was am Resultat von Zerstörung und Verbrechen so verehrungswürdig sein sollte, daß man es unbedingt konservieren müsste. Eine solche Vergötzung von sinnloser Vernichtung ist für mich nicht nachvollziehbar und eigentlich sollte sich in einem moralisch denkenden Menschen alles dagegen sträuben.

  • genova: Das war mal wieder nix, bitte sofort kapitulieren! Was ist denn bitte zeitgenössisch? Die Rekos sind zeitgenössisch! Die Frauenkirche und der Hildesheimer Marktplatz sind es auch, es wurden Kunstwerke repariert!
    Das wirft selbstverständlich ein Licht auf die heutige Gesellschaft. Der krieg ist vorbei und die hektische Nachkriegszeit auch. Die Menschen kommen zur Ruhe und bauen die Städte wieder auf.

    Im Übrigen sind wir nicht gegen Dich, sondern weisen Dich nur darauf hin, dass Du auf dem Holzweg bist !

  • Na klar, lass uns den Aspekt diskutieren...

    Ich denke es wirft eher ein dunkles Licht auf die sogenannten Wirtschaftswunderjahre, wenn man bedenkt wie damals gebaut wurde. Waren die Bauten der frühen Moderne noch dezent mit gestaltenden Elementen, qualitätsvollen Materialien etc. ausgestattet, kann man praktisch alles was während drei Jahrzehnten nach 1945 gebaut wurde nur noch Ramschmoderne nennen. Hässlichkeit als Tugend der Baukunst :x ...Was war das also für eine Zeit? Auf jeden Fall nur sehr bedingt eine frohe Zeit des Aufbruchs. Vor allem aber eine der Ratlosigkeit und des Verdrängens. Und vielleicht der Selbstverachtung.

    Langsam tritt man heute aus diesem Schatten hervor. Ich denke schon, dass du begriffen hast, dass die Reko der Frauenkirche, der Potsdamer Mitte, des Berliner Schlosses etc. etwas anderes sind, als das scheue Heranwagen ans klassische Bauen von Architekturbüros wie Patzschke und Co. Es sind sogar zwei grundverschiede Dinge namens Wiedergewinnung und Neuerschaffung/Fortführung.

    Genial wäre doch folgendes Szenario: Die verwinkelten, krummen Gassen der Kernstädte werden soweit wie möglich rekonstruiert bzw. angepasst bebaut. Hier hinterlässt unsere Zeit(1) in der Tat kaum äusserliche Spuren. Sie sollen Orte werden, in denen man sich vor allem zu Fuss und mit dem Fahrrad bewegt. Die darumliegenden Gründerviertel sind ja schon durch ihre schnurgeraden, grosszügigen Strassen und Parzellen wie geschaffen für unsere Zeit(2) samt Autoverkehr und Komfortbedarf. Was an historistischem herumsteht verdient geschützt zu werden, aber statt Rekos oder Anpassungsbauten sollte hier die neuen Bauten unserer Zeit entstehen. Wie diese aussehen sollen ist noch nicht geklärt. Was unter anderem auch daran liegt, dass folgende Fragen noch ungeklärt sind: Was macht Ornamente unzeitgemäss? Und: Wie könnte das Ornament von heute aussehen ohne kitschig zu wirken?

  • Mittlerweile wird in Hildesheim bei Stadtführungen schon nicht mehr darauf hingewiesen, dass das KHA eine Rekonstruktion ist. Einem Laien erschließt sich das aber nicht unmittelbar. Das finde ich zumindest fragwürdig, weil hier ein Teil der Geschichte, nämlich die von 1945 bis 1989, ausgeblendet wird. Ich bin wahrlich kein Freund davon, bei jeder Gelegenheit auf die Nazizeit, den Krieg und dessen Folgen hinzuweisen, aber bei dieser Rekonstruktion diesen Teil der Geschichte stillschweigend zu übergehen, halte ich für unaufrichtig. Es kommt allmählich dahin, dass wirklich so getan wird, als hätte es die Zerstörung hier nie gegeben.

    Es taucht hier auch öfter mal das Argument auf, neues Bauen sei "nicht schön". Das kann ich zumindest als Argument nicht akzeptieren, da Schönheit ein subjektiver Begriff ist und sich mit der Zeit wandelt. So wurde die sog. Gründerzeitarchitektur in den 1960/70er Jahren massenhaft abgerissen, weil man sie alt und häßlich fand. Heute werden diese Bauten in der Regel geschätzt, und man findet sie auch wieder schön. Mit Schönheit oder Geschmack zu argumentieren ist für mich problematisch - "de gustibus non est disputandis". Damit will ich nicht sagen, dass es nicht ausgesprochen scheußliche Bauten aus den letzten 100 Jahren gibt - aber Schönheit als Argument sticht für mich nicht.

    Die Bauten der Nachkriegszeit pauschal als "Ramschmoderne" zu verunglimpfen, ist nicht besonders sachlich. Die Bauten der frühen Nachkriegszeit sind vielfach vom Mangel der Zeit und der Notwendigkeit des Wiederaufbaus der Städte geprägt. Deswegen sind viele dieser Bauten technisch problematisch und gestalterisch banal - aber eben auch Zeitzeugnisse. Auch nach dem 30jährigen Krieg wurde der erforderliche Wiederaufbau oft mit schlichten Formen bewältigt, was auch als Zeichen der Not gelten muss. Die Architektur der späten 50er versucht dann wieder an die Entwicklungen der 20er Jahre anzuknüpfen. In den 60ern wurde dann der Versuch einer bewusst sachlichen Architektur unternommen, vielleicht ist das ja auch eine späte Reaktion auf ideologische Vereinnahmung von Architektur durch die Nazis. In HIldesheim mag dafür das Landgericht (der flache Bau am Kennedydamm) als Beispiel gelten. Spätestens hier hat sich die Architekturtheorie von der Gesamtgesellschaft zunehmend abgelöst (man könnte das auch schon für die klassische Moderne der 20er Jahre annehmen - Bauhaus war wahrlich kein Massenphänomen, sondern sehr elitär). Den Beton brut der späten 60er/frühen 70er verstehe ich auch nicht mehr wirklich - hier wurde mit Materialien und Formen experimentiert, die es vorher nicht in der Art gab, und oft auch der menschliche Maßstab vollends verlassen. In Hildesheim fällt mir dazu der Betonklotz gegenüber dem Hauptbahnhof ein, der für Hildesheim viel zu groß ist und auch nicht funktioniert. Das Arbeitsamt und das Hochhaus der Staatsanwaltschaft fallen auch unter diese Kategorie.

    Die Architekturtheorie hat sich ebenso wie die Denkmaltheorie zunehmend von der Gesellschaft entfernt und ist wissenschaftlich betrieben worden. Wo dann beides zusammentrifft, kommen dann solche Ergebnisse bei heraus wie die Idee, den denkmalgeschützten Landtag von Oesterlen in Hannover abreissen zu wollen - und das immerhin von unserem Landesparlament, dem bewusst sein sollte, dass es damit gegen das Denkmalschutzgesetz eklatant verstößt. Hier muss sich die Denkmalpflege auch fragen lassen, warum sie es nicht mehr schafft, die Gesamtgesellschaft mit ihrem Anliegen zu erreichen. Der Naturschutz hat da z.B. ja keinerlei (oder nur geringe) Probleme.

  • Zitat

    Den Beton brut der späten 60er/frühen 70er verstehe ich auch nicht mehr wirklich - hier wurde mit Materialien und Formen experimentiert, die es vorher nicht in der Art gab, und oft auch der menschliche Maßstab vollends verlassen. In Hildesheim fällt mir dazu der Betonklotz gegenüber dem Hauptbahnhof ein, der für Hildesheim viel zu groß ist und auch nicht funktioniert.


    Es war ja auch eine Anlehnung an das Europa-Center in Berlin in etwas kleinerem Format. Bleibt zu hoffen dass dort bald der Umbau zur Bernward-Galerie beginnt.

    Zitat

    Das Arbeitsamt und das Hochhaus der Staatsanwaltschaft fallen auch unter diese Kategorie.


    Mich stören die beiden Hochhäuser nicht, sie sind auch nicht geschmacklos wie die meisten Verwaltungshochhäuser in Deutschland. Ausserdem befinden sich die Bauten nicht direkt im Stadtkern. Was mich besonders stört ist das Panorama-Hochhaus in der Schuhstraße, wenn man bedenkt dass dort vorher eines der schönsten Historismus Kaufhäuser Deutschlands stand. Neben wichtigen Rekos historischer Fachwerkhäuser Alt-Hildesheims einer der Reko-Kandidaten für mich.

  • Zitat von "Hildesheimer"

    Mittlerweile wird in Hildesheim bei Stadtführungen schon nicht mehr darauf hingewiesen, dass das KHA eine Rekonstruktion ist. Einem Laien erschließt sich das aber nicht unmittelbar. Das finde ich zumindest fragwürdig, weil hier ein Teil der Geschichte, nämlich die von 1945 bis 1989, ausgeblendet wird. Ich bin wahrlich kein Freund davon, bei jeder Gelegenheit auf die Nazizeit, den Krieg und dessen Folgen hinzuweisen, aber bei dieser Rekonstruktion diesen Teil der Geschichte stillschweigend zu übergehen, halte ich für unaufrichtig. Es kommt allmählich dahin, dass wirklich so getan wird, als hätte es die Zerstörung hier nie gegeben.

    Die Rekonstruktion ist mittlerweile eben auch Geschichte. Der Hinweis darauf ist für Touristen eben nur eine Information mehr unter sehr vielen. Es ist sicher vergleichbar den Besuchern einer alten Burg, bei deren Besichtigung der Fremdenführer all die Daten ihrer Zerstörung und ihres Wiederaufbaus herunterleiert, ohne daß dies alles gespeichert werden kann. Sicherlich gehört diese besagte Information zu einer guten Stadtführung, aber man sollte sie auch nicht in ihrer Bedeutung für die Leute überhöhen.

    Zitat von "Hildesheimer"

    Es taucht hier auch öfter mal das Argument auf, neues Bauen sei "nicht schön". Das kann ich zumindest als Argument nicht akzeptieren, da Schönheit ein subjektiver Begriff ist und sich mit der Zeit wandelt. So wurde die sog. Gründerzeitarchitektur in den 1960/70er Jahren massenhaft abgerissen, weil man sie alt und häßlich fand. Heute werden diese Bauten in der Regel geschätzt, und man findet sie auch wieder schön. Mit Schönheit oder Geschmack zu argumentieren ist für mich problematisch - "de gustibus non est disputandis". Damit will ich nicht sagen, dass es nicht ausgesprochen scheußliche Bauten aus den letzten 100 Jahren gibt - aber Schönheit als Argument sticht für mich nicht.

    Sehen wir mal von der Frage ab, wer "man" eigentlich ist. (ich glaube nämlich nicht, daß "man" generell in den 1960/70er Jahren Gründerzeitarchitektur als häßlich empfand; die Abrisse waren vielmehr konkreten Machtverhältnissen und ökonomischen Interessen geschuldet) Daß Schönheit als Argument nicht sticht, ist zwar eine Aussage, aber eine problematische. Was sticht denn dann als Argument? (Ich würde noch nachvollziehen können, daß der Finanzaufwand und der praktische Nutzen das Erreichen des Ziels von Schönheit begrenzen oder jedenfalls einrahmen, aber das ist dann auch schon alles)